# taz.de -- Kolumne Luft und Liebe: Eine bestimmte Art von Hoffnung | |
> Diese Kolumne geht heute zu Ende. Die Autorin haut trotzdem nicht ab. Sie | |
> findet: Es war schön. Und sagt danke. | |
Bild: Und tschüss. | |
Meine letzte und 70. Luft-und-Liebe-Kolumne möchte ich der Frau widmen, die | |
mich zum Zeitunglesen gebracht hat und zum Philosophiestudium. | |
Ursula Kurth war erst meine Religions- und dann meine Philosophielehrerin. | |
In den Wintermonaten sah man sie in einem langen, dunkelgrünen Mantel | |
rumlaufen, ein paar Bücher oder Die Zeit unterm Arm und immer die Stirn in | |
Falten. Sie konnte ihre Stirn auf eine Art bewegen, dass man meinte, | |
dahinter zu sehen, wie sich Gedanken durch ihr Hirn schieben. Ich habe sie | |
geliebt, nicht nur dafür. | |
Obwohl oder vielleicht gerade weil sie keine normale Lehrerin war, konnte | |
sie Leute erst zum Schweigen und dann zum Nachdenken bringen, ohne viel zu | |
tun. Mit Blicken, eigentlich. Schüler, für die die einzig relevante Frage | |
war, wann sie wieder mit Papas Auto cruisen dürfen. Und dann werden die | |
rausgeschickt von einer kleinen Frau mit grauen Haaren, die sagt, lauft mal | |
auf dem Hof rum und überlegt euch den Unterschied zwischen Unendlichkeit | |
und Ewigkeit. Oder: Malt auf, was Zeit für euch ist. Oder: Lest dieses | |
Zitat von Dostojewski und kommt dann wieder. Und die meisten kamen wieder. | |
Weil man sie auch durch Wegbleiben nicht bescheißen konnte. | |
Manchmal las sie uns etwas aus der Zeit vor, die damals noch nicht Dinge | |
schrieb wie „Die Beziehung der Frau zu den Sachen in ihrem Kleiderschrank | |
ist hochemotional“. Oder vielleicht schrieb sie so etwas auch damals schon, | |
aber es war egal, solange es einen einzigen guten Satz gab, vielleicht über | |
Verantwortung oder Technik. Oder sie brachte Adorno mit, Heidegger, Sartre | |
oder Hannah Arendt, und dann saß ich mit 18 mit einem Bleistift im Park und | |
versuchte die „Dialektik der Aufklärung“ zu lesen und es klappte nicht. | |
## Wir haben jetzt auch Gott widerlegt | |
In ein paar Wochen würde sie 70 werden. [1][Wenn] sie nicht im Jahr nach | |
meinem Abi an Krebs gestorben wäre. Da war ich schon mitten im Studium und | |
hatte ihr manchmal am Telefon erzählt, was wir da jetzt machten. Dass wir | |
jetzt auch mal [2][diesen Text] von Bertrand Russell gelesen haben, wo er | |
mit einer Kiste Orangen die Existenz Gottes widerlegen will. Den Text | |
kannte ich von ihr, einer zutiefst gläubigen Frau. Das war nicht nur ihr | |
Humor, uns den zu geben, sondern vor allem ihr Verständnis von Freiheit. | |
Ich kann ihr nicht mehr danken, und ich weiß auch nicht, was sie von meinen | |
Texten halten würde. Was bleibt, wenn ich an sie denke, ist eine Mischung | |
aus Melancholie und Hoffnung, aber nicht die Art von Hoffnung, wo man | |
einfach wartet, bis es besser wird. Sondern die Art von Hoffnung, wo man | |
selber kämpfen muss, damit es überhaupt was wird. Und: Respekt für alle, | |
aber für die oben nicht mehr als für die unten. | |
Dass diese Kolumne aufhört, kommt vielleicht etwas plötzlich. Danke für die | |
vielen schönen Mails, danke für Kritik und Fragen. Ich habe den Spruch | |
„Wenn’s am schönsten ist, soll man gehen“ immer für eine bekackte Lüge | |
gehalten und tue das immer noch. Man soll dann gehen, wenn man das Gefühl | |
hat, es ist Zeit um [3][etwas Neues] anzufangen. Und ich gehe auch gar | |
nicht ganz, ich bleibe taz-Autorin. Sie werden mich nicht so schnell los. | |
23 Sep 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/unternehmen/ursula-kurth/773044.html | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Warum_ich_kein_Christ_bin | |
[3] http://twitter.com/marga_owski/status/628977849190457346 | |
## AUTOREN | |
Margarete Stokowski | |
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