# taz.de -- Doku „Rudolf Thome – Überall Blumen“: „Ich musste sehr spo… | |
> In „Rudolf Thome – Überall Blumen“ begleitet die Filmemacherin Serpil | |
> Turhan den Regisseur im Alltag auf seinem Hof in Brandenburg. | |
Bild: „Er lebt jetzt auf dem Bauernhof, fährt Fahrrad und schreibt“: Rudol… | |
taz: Frau Turhan, Sie standen seit „Rot und Blau“ aus dem Jahr 2003 in drei | |
Filmen von Rudolf Thome vor der Kamera. Danach haben Sie unter anderem als | |
Casterin und Regieassistentin für ihn gearbeitet. Was hat Sie dazu bewogen, | |
nun die Kamera auf Rudolf Thome zu richten und ihm einen so | |
unkonventionellen Porträtfilm zu widmen? | |
Serpil Turhan: Der Gedanke, einen Film über ihn zu machen, war bereits | |
während meines Studiums in Karlsruhe in meinem Kopf. Schon als | |
Schauspielerin bei ihm habe ich gemerkt, dass er charakterlich und in der | |
Art, wie er Filme dreht, sehr besonders ist. Meinen Diplomfilm habe ich | |
dann über meine Familie gemacht, und kurz darauf rief mich Rudolf an, und | |
meinte, er schreibe jetzt noch mal ein Drehbuch. Er sagte mir, wenn es | |
diesmal nicht mit der Finanzierung klappen sollte, dann höre er auf. Da | |
wusste ich: Jetzt muss ich diesen Film machen und diese Phase des | |
Vielleichtaufhörens von ihm begleiten. Dann bin ich mit meiner Kamera auf | |
seinen Bauernhof in Brandenburg gefahren. Wir haben schließlich ausgemacht, | |
dass ich dreimal im Laufe des Jahres zum Filmen bei ihm vorbeikommen kann. | |
Der Film lebt von Ihren Beobachtungen und der sehr zurückgenommenen und | |
sensiblen Inszenierung. Auf der anderen Seite scheint es auch subtile | |
Konflikte zu geben, die sich daran entzünden, dass der Regisseur jetzt | |
Protagonist ist. Wie hat dieser Rollentausch funktioniert? | |
Am Anfang gab es eine Phase, die für uns beide schwierig war. Die ersten | |
sieben Tage mussten wir uns aneinander gewöhnen, und er sich darauf | |
einlassen, dass er nicht Regisseur ist und ich nicht seine Schauspielerin. | |
Es gab dann die Diskussion, dass es ja schon einen Eingriff in seinen | |
Alltag darstelle, dass ich mit meiner Kamera da bin, und er das nicht | |
ignorieren könne. Da war er auch klar Regisseur und hat mir oft | |
vorgeschlagen was ich noch drehen könnte, bis wir einen Punkt erreichten, | |
an dem wir uns gestritten haben. Ich wollte aber eine natürliche Situation | |
und funktioniere als Dokumentarfilmerin nicht so, dass ich jemandem sagen | |
würde: Lauf jetzt mal bitte von A nach B, weil ich das für den Film | |
brauche. Ich habe versucht, alltägliche Momente einzufangen. Nach einer | |
Woche waren aber alle Streitigkeiten vorbei. Er hat sich daran gewöhnt, wie | |
ich arbeite, und ich mich daran, wie er funktioniert. | |
Wie genau verlief der Dreh? | |
Ich musste sehr spontan sein, auch weil Rudolf nicht die Obergeduld hat. | |
Das taucht im Film auch auf, und es war mir sehr wichtig, dass es diese | |
Szenen gibt. Die zweite Drehphase verlief sehr organisch. Ich hatte das | |
Glück und das Vertrauen von ihm, bei ihm wohnen zu dürfen. Wir haben dann | |
sehr ritualisiert gemeinsam den Alltag verbracht: morgens aufstehen, | |
frühstücken, dann habe ich ein bisschen gedreht, dann gab’s Mittagessen, | |
Kamera aus, dann habe ich ein bisschen gedreht oder – wie er – | |
Mittagsschlaf gemacht, dann gab es am Nachmittag noch ein paar Aufnahmen, | |
und abends haben wir den Sonnenuntergang angeschaut und dann war der Dreh | |
für den Tag beendet. | |
Der Film ist ein unklassisches Künstlerporträt geworden. Wenn es um Rudolf | |
Thomes Vergangenheit geht, sehen wir ihn entweder beim Sichten seiner Filme | |
oder gehen in einer Szene in seine Scheune, in der er die Requisiten alter | |
Filme aufbewahrt. Auf Musik, Archivbilder oder einen allwissenden Kommentar | |
verzichten Sie. Ist das Ausdruck Ihrer dokumentarischen Methode? | |
Was von Beginn an ausgeschlossen war, obwohl wir von ihm die Erlaubnis | |
hatten, Ausschnitte aus seinen Filmen zu verwenden, war die Verwendung von | |
Archivmaterialien. Ich wollte mich im Hier und Jetzt bewegen, um den Alltag | |
im Mittelpunkt zu haben. Wie in meinen anderen Filmen waren mir die | |
Gespräche und Interviewsituationen hier sehr wichtig, über die ich | |
versuchen wollte, zur Vergangenheit zu kommen. Und wenn wir dann in dieser | |
Scheune stehen und diese Requisiten sehen, dann liegt die Vergangenheit | |
auch irgendwie da und ist Teil vom Leben: verstaubt und doch irgendwie ganz | |
wertvoll. | |
An einer Stelle sagt Thome: „Ich habe mehr und mehr das Gefühl, dass ich | |
aus dem Gedächtnis der Filmwelt verschwinde.“ Damit teilt er ein Schicksal | |
mit Regisseuren wie Michael Klier oder Roland Klick, obwohl all diese Namen | |
einmal wichtiger Teil des deutschen Films waren. Wie erklären Sie sich das? | |
Rudolf Thome hat Jahr für Jahr seine Filme gedreht – mit großer Konsequenz | |
und auch mit dem Glück, immer finanziert zu sein, bis es irgendwann einen | |
Bruch gab. Ich habe auch keine konkrete Erklärung dafür, weshalb diese | |
Generation von älteren Filmemachern nicht mehr so einen Platz findet in der | |
aktuellen Filmgeschichte. Rudolf Thome hat darunter gelitten, denn Film ist | |
in den letzten 50 Jahren sein Alltag gewesen. An anderer Stelle sagt er: | |
„Wenn ich aufhöre, Filme zu machen, dann sterbe ich.“ Gleichzeitig habe ich | |
bei den Dreharbeiten gemerkt, dass er auf dem Bauernhof wieder ganz neu | |
angekommen ist und es anders weitergeht – auch ohne Filmemachen. Trotzdem | |
gibt es immer wieder auch ein Gefühl von Sehnsucht, ein | |
Sich-vergessen-und-nicht-beachtet-Fühlen. Thome hat ja immer schon eine | |
Außenseiterrolle gespielt. Obwohl er für viele Leute ein ganz wichtiger | |
Regisseur ist, war er nie so erfolgreich wie Fassbinder oder andere | |
Regisseure, die immer wieder zitiert und genannt werden. Trotzdem gibt es | |
ein Gefühl von Verlust oder auch Traurigkeit, was ich auch in den Film | |
integriert habe, weil es – genau wie der ehrliche Umgang damit – ein Teil | |
von ihm ist. | |
„Überall Blumen“ hat etwas Beschwingtes, denn es gelingt Ihnen, die | |
Leichtigkeit aus Thomes Filmen in Ihren Film mitzunehmen. Dennoch ist es | |
ein Film über das Scheitern geworden. Gab es beim Drehen die Angst, das | |
Bild von Thome könnte zu negativ ausfallen? | |
Gar nicht, denn ich habe das gar nicht als Scheitern empfunden. Als er sich | |
entschieden hat, auf eine Crowdfunding-Kampagne zu verzichten, aber auch | |
nicht mehr in seinem Alter ohne Geld einen Film zu machen, fand ich das ein | |
positives Ende, denn er hat gesagt: Ich habe 28 Filme gemacht und höre | |
jetzt auf. Den Begriff des Scheiterns habe ich nie im Kopf gehabt. | |
Wie schon bei Ihrem Langfilmdebüt „Meine Zunge dreht sich nicht“ bekommt | |
man auch hier das Gefühl, dass eine große Intimität Grundvoraussetzung für | |
Ihre dokumentarische Arbeit mit Ihren ProtagonistInnen ist. | |
Eine besondere Intimität und Nähe sind für mich für die Interviews sehr | |
wichtig. Mich interessiert es nicht, an der Oberfläche zu bleiben, sondern | |
ich will eine Situation erschaffen, die Vertrauen, aber auch Offenheit und | |
Ehrlichkeit erzeugt. Mir ist auch wichtig, dass Interviews und deren | |
Erzählungen einen größeren Platz bekommen. Natürlich spielt meine | |
persönliche Beziehung zu Rudolf eine besondere Rolle, denn es geht ja hier | |
nicht nur um den Filmemacher, sondern auch um den guten Freund, für den ich | |
Sympathie habe. Trotzdem versuche ich, kritisch Dinge zu hinterfragen. Es | |
ging mir nicht darum, ihn zu trösten oder zu loben für alles, was er tut, | |
sondern in einen Dialog zu gehen. | |
Jetzt macht Rudolf Thome keine Filme mehr. Sind Sie traurig darüber? | |
Nein, ich habe echt das Gefühl, dass es ihm gut geht. Er lebt jetzt auf dem | |
Bauernhof, fährt Fahrrad und schreibt. Klar, wäre ich gespannt gewesen, was | |
als nächstes gekommen wäre, aber er hat 28 Filme gemacht, und ich finde das | |
beeindruckend. | |
15 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Toby Ashraf | |
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