# taz.de -- Doku über Schauspielerin Adriana Altaras: Mit den Dibbuks im Merce… | |
> Die Schauspielerin Adriana Altaras reist in „Titos Brille“ zurück in die | |
> jugoslawische Vergangenheit ihrer Familie. | |
Bild: Adriana Altaras und ihre Tante Jele | |
Gerade läuft in den Kinos [1][„Rudolf Thome – Überall Blumen“] über den | |
Regisseur von „Rote Sonne“ und „Berlin Chamissoplatz“, der schon länger | |
keinen Film mehr in den Kinos hatte. | |
Nicht dass es hier um Rudolf Thome gehen soll, aber wer (wie ich) mit | |
seinem Werk erstmals durch seine Filme aus den späten achtziger Jahren | |
vertraut wurde, weil die zu einer bestimmten Zeit in den neunziger Jahren | |
am ehesten mal zu später Stunde im Fernsehen liefen, dem kann die | |
Schauspielerin Adriana Altaras nicht mehr aus dem Kopf gegangen sein. | |
Die allen Thome-Frauen eigene urwüchsige Autonomie verkörperte sie mit | |
ihrer kleinen, südländischen Erscheinung in einer irgendwie besonders – nun | |
ja, altmodisches Wort – burschikosen Variante. Auf jeden Fall war sie da in | |
diesen Thome-Filmen (wie „Das Mikroskop“, „Der Philosoph“, „Sieben Fr… | |
unverwechselbar, einzigartig, unvergesslich. Andere, zumal in Berlin, | |
kennen sie vielleicht eher als Regisseurin der „Vagina-Monologe“. Bücher | |
hat sie auch geschrieben: sehr persönliche über ihre Familie und | |
Familiengeschichte. | |
## Geister der Toten | |
Nun (Achtung: Wink mit dem Zaunpfahl), da die ARD die Thome-Altaras-Filme | |
schon lange nicht mehr zeigt, zeigt sie immerhin heute Abend „Titos | |
Brille“. Regina Schillings (Kino-)Film mit Adriana Altaras nach deren | |
gleichnamigem Buch. Altaras war Schauspielerin lange bevor sie Buchautorin | |
wurde. Sie steigt auch schon mal in eine Militäruniform, und die Grenze | |
zwischen Dokumentar- und Spielfilm ist eine fließende. | |
Es geht also um Altaras’ Familie und Familiengeschichte. Jüdische, | |
jugoslawische, deutsche Geschichte. Tragische Geschichte auch, weshalb | |
Altaras ganz zu Anfang sagt: „Für Distanz würde ich alles tun.“ | |
Aber die Dibukks, die jüdischen Totengeister verfolgen sie, um sie | |
loszuwerden, muss sie sich ihnen stellen. Sie steigt in ihren 35 Jahre | |
alten Mercedes, ein Familienerbstück, lässt Mann und zwei Söhne in Berlin | |
zurück und begibt sich auf eine Reise in die Vergangenheit. | |
## Über Gießen nach Rab | |
Nach Gießen, wo sie nicht aufgewachsen ist, weil ihre beschäftigten Eltern | |
sie in eine Waldorf-Internat gegeben haben. Der Vater hat dort als | |
Radiologe an der Uni-Klinik die Darmkrebs-Früherkennung maßgeblich | |
vorangetrieben, wofür ihm ein Denkmal in Form einer Darmsonde gesetzt | |
wurde. | |
Die Mutter hat über jüdische Bauwerke in Hessen geforscht und publiziert, | |
wofür ihr das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde, wie zuvor schon ihrem | |
Mann. Der auch ein Mann war, der die Frauen liebte, nicht nur seine. | |
Altaras will auch das wissen und erkundigt sich bei dem Freund der Familie | |
im Reisebüro, der die Reisen für ihren Vater und seine Blondinen gebucht | |
hat, von denen ihr Vater nie erzählt hat: „Jede Familie hat gleich viele | |
Legenden wie Geheimnisse. Die Legenden werden immer wieder erzählt, damit | |
die Geheimnisse im Dunkeln bleiben.“ | |
Zu den Legenden gehört, dass der Vater als Titos Leibarzt einmal dessen | |
kaputte Brille repariert haben will, ohne die eine Entscheidungsschlacht | |
nicht hätte geschlagen werden können. Altaras hat allerdings früher schon | |
recherchiert, dass Tito zum fraglichen Zeitpunkt gar kein Brillenträger | |
war. | |
Sicher ist, dass der Vater im Zweiten Weltkrieg in Titos Partisanenarmee | |
gekämpft hat: „Was er wohl gesehen und getan hat? In seinen Erzählungen | |
ging es immer um Abenteuer und Heldentaten. Aber wer erzählt seinen Kindern | |
schon, wie es wirklich war?“ | |
Der Personenkult ist uns heutigen suspekt, die großen Hoffnungen, die | |
selbst Intellektuelle außerhalb Jugoslawiens (wie Wolfgang Leonhard) einst | |
in den Titoismus gesetzt haben, schwer nachzuvollziehen. Altaras’ Eltern | |
waren eingefleischte Titoisten. Ihre allererste Filmrolle hatte die 1960 | |
geborene als Kind in einem Propagandafilm: „Was bist du, Kleines?“ „Ein | |
Mädchen.“ „Aber was bist du? Serbin? Kroatin?“ „Das habe ich euch schon | |
gesagt, ein Mädchen.“ Als der Film Premiere hatte, befand sich Altaras mit | |
ihren Eltern bereits im Exil. | |
## Hartnäckige Gesellen | |
Kurz vor der Beförderung zum General war der Vater in Ungnade gefallen und | |
ihm der (Schau-)Prozess gemacht worden. | |
Aber in seinem deutschen Exil hat der Vater ja dann gleich wieder so eine | |
Bilderbuchkarriere hingelegt. Man könnte sagen, Altaras ist doch als | |
wohlbehütetes Kind bestens integrierter Einwanderer ohne wirtschaftliche | |
Sorgen großgeworden. „Komisch war nur – meine Mutter hat mich nie umarmt.�… | |
Am Ende ihrer Reise, die sie auch an den Gardasee, nach Split und nach | |
Zagreb geführt hat, besucht Altaras das Konzentrationslager auf der Insel | |
Rab, in das man ihre Mutter und deren Schwester gesteckt hatte, als sie | |
kaum erwachsen waren. Altaras weint ein bisschen: „Meine Mutter hat, glaube | |
ich, nichts mehr fühlen können. Die war wie tot. Versteinert.“ Aber: „Es | |
gibt ja Haushalte, in denen dauernd geweint wurde. Wir sind mit einem | |
Renault an die Riviera gefahren und haben dabei Celentano gehört.“ | |
Die Dibbuks sind hartnäckige Gesellen, sie reisen mit Altaras wieder zurück | |
nach Berlin. | |
19 Sep 2016 | |
## LINKS | |
[1] /!5336148/ | |
## AUTOREN | |
Jens Müller | |
## TAGS | |
Ex-Jugoslawien | |
Filmregisseur | |
Kroatien | |
Porträtfilm | |
Neuer Deutscher Film | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ehrenpreis für Lebenswerk: Der Regisseur der Frauen | |
In Rudolf Thomes Filmen wurde immer Liebe gemacht, und es gab Spaghetti und | |
Rotwein. Ein Besuch auf dem Brandenburger Hof des Regisseurs. | |
Geschichtsaufarbeitung auf dem Balkan: Das schwere Erbe des Josip Broz | |
In Kroatien feiern Menschen aus vielen Teilen Ex-Jugoslawiens Titos | |
Geburtstag. Seine Rolle als Partisanenführer halten nicht alle hoch. | |
Doku „Rudolf Thome – Überall Blumen“: „Ich musste sehr spontan sein“ | |
In „Rudolf Thome – Überall Blumen“ begleitet die Filmemacherin Serpil | |
Turhan den Regisseur im Alltag auf seinem Hof in Brandenburg. | |
Rückschau Filmfest München: Thriller mit Western-Qualitäten | |
Auf dem Filmfest München zeigte sich erneut, dass der deutsche Film immer | |
wieder hervorragende und aufregende Werke hervorbringt. |