| # taz.de -- Österreichischer Film „Beatrix“: Der Blick spart nichts aus | |
| > Der österreichische Spielfilm „Beatrix“ bleibt konsequent bei seiner | |
| > Titelfigur. Lohnt sich das Regiedebüt von Lilith Kraxner und Milena | |
| > Czernowsky? | |
| Bild: Eva Sommer, die Hauptdarstellerin von „Beatrix“ | |
| „Und, was machst du so?“, wird Beatrix einmal gefragt, da sind Leute im | |
| Haus, sie hat sogar einen Kuchen gebacken, es geht um das freie Zimmer zur | |
| Untervermietung. Bevor sie antworten kann, macht der Film einen Schnitt, | |
| die Antwort bleibt aus. | |
| Was Beatrix so macht, das zeigt, und nichts anderes, vom ersten Bild bis | |
| zum letzten, der Film, der, wie man mutmaßen muss, ihren Namen im Titel | |
| trägt. Eva Sommer ist der Name der Darstellerin, die man hier 95 Minuten | |
| agieren sieht und nicht agieren sieht, die 95 Minuten im Bild sein wird, | |
| als Hauptfigur, und als Körper, auf dessen Betrachtung die Kamera | |
| insistiert, immer am Rand zwischen dokumentiertem Darstellerinkörper und | |
| einer Fiktion, die nie zu halbwegs festen Formen gerinnt. | |
| Das erste Bild: ein Gebüsch, von Wasser bespritzt. Im nächsten Bild der | |
| Gartenschlauch, dann erst die Frau, im Garten, der zum Haus gehört, das | |
| sie, auf Zeit jedenfalls, in Besitz nehmen wird, zögerlich erst, später | |
| stärker entschlossen. Wer die Frieda ist, der das Haus wohl gehört, was sie | |
| mit der Protagonistin verbindet, Genaueres dazu erfährt man nicht. Und ob | |
| man sagen kann, dass der Film diese Beatrix in Besitz nimmt oder dass sie | |
| ihrerseits den Film in Besitz nimmt, ist auch nicht ganz einfach zu sagen. | |
| „Beatrix“, das Debüt der österreichischen Regisseurinnen Lilith Kraxner u… | |
| Milena Czernowsky, lässt Fragen dieser Art, Fragen nach dem Kontext, nach | |
| Vorgeschichten und Zusammenhängen insistent offen. Mehr als hier und da | |
| einen Spalt, durch den man mehr ahnt, als man sieht, gibt es hier nicht. | |
| Man könnte sagen: Der Film sperrt einen mit seiner Protagonistin zusammen, | |
| zwingt einem den Blick auf sie auf, auf ihr Tun, ihren Körper. | |
| ## Man ist dabei und weiß nicht, warum | |
| Der Blick spart zwar nichts aus, am allerwenigsten das Banale, keine | |
| Intimität, keine Nacktheit, kein Nichtstun, nicht die Masturbation und | |
| keine Alltagsverrichtung. Es ist kein voyeuristischer Blick, zugleich | |
| keiner, der nur neutral registriert. Man ist dabei und weiß nicht, warum. | |
| Man fühlt sich nicht wohl dabei, einer Frau zuzusehen, die sich in ihrer | |
| Haut spürbar und sichtlich auch nicht ganz wohlfühlt. | |
| Die Bilder sind eng, sie haben eher Homevideo- als konventionelles | |
| Spielfilmformat. Und sie sind nicht nur eng, sie sind auch bewusst so | |
| kadriert, dass viel an Außenwelt draußen bleibt, dazugedacht werden muss | |
| oder auch nicht werden muss, denn man kann sich mit dem begnügen, was man | |
| sieht. Da ist zum Beispiel der große rote Ball, dessen Röte und dessen | |
| Struktur das Bild zunächst fast ganz abstrakt füllen. Sie bläst ihn auf, | |
| liegt und balanciert auf ihm, gleich zu Beginn und noch später. | |
| Beatrix füttert die Katze, sie rasiert sich die Achseln, sie hat den | |
| Fernseher laufen, sie geht pinkeln, sie badet mit einer Freundin, sie hat | |
| einen Freund, der kommt einmal kurz zu Besuch, aber der Versuch der | |
| körperlichen Annäherung scheitert. | |
| Kaum je ist sie, ist auch eine der anderen Figuren, vollständig im Bild. | |
| Meistens werden nur Ausschnitte präsentiert. Kontext fehlt, erzählerisch, | |
| aber auch Bild für Bild sehr buchstäblich. Das gibt Rätsel auf, aber weil | |
| alles, was man sieht, und alles, was offen bleibt, so ausgesprochen | |
| alltäglich ist, entsteht zwar Spannung, sie ist aber niedrig. Man sieht | |
| viel Privates. Aber ist dieses Private, feministisch zum Beispiel, | |
| politisch? | |
| Man kann sich an [1][Chantal Akermans] Klassiker „Jeanne Dielmann“ von 1975 | |
| erinnern, der sehr politisch war in seiner Insistenz, dass das banale Leben | |
| seiner Protagonistin auch mehr als drei Stunden lang zeigenswert ist. Ob | |
| das heute noch gilt, für das Leben einer weißen, auskömmlich lebenden | |
| jungen Frau in einem wohlhabenden Land, das ist die Frage, die „Beatrix“ | |
| nicht beantwortet, aber aufwirft. | |
| 17 Nov 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ekkehard Knörer | |
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