Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Thriller „Hinterland“ auf DVD: Das Trauma einer verdrehten Welt
> Im Film „Hinterland“ von Stefan Ruzowitzky jagt ein Weltkriegsveteran
> einen Serienmörder. Die schiefe Kulisse stammt aus dem Computer.
Bild: Caligari lässt grüßen: Der Erste Weltkrieg hat die Welt im Thriller �…
Der Krieg hinterlässt Spuren an der Wand: Gewehre, Kampf, Blut als Spiel
der Schatten. Die Spuren an der Wand sind Bilder des Albtraums, aus dem
Perg schweißgebadet erwacht. Der Krieg ist vorbei, es ist der Erste
Weltkrieg, Perg ist zurück in seiner Heimatstadt Wien, aber in seinem
Inneren ist der Krieg noch lange nicht vorbei.
[1][Murathan Muslu] gibt dem Protagonisten des Films „Hinterland“ von
Stefan Ruzowitzky eine enorme körperliche Präsenz, dieser Perg ist ein
Kriegsmännerkörper, der eine furchterregende Entschlossenheit in die
Zivilisation zurückgeschleppt hat.
Er ist, anders als viele der hier zu sehenden anderen Männerkörper, nicht
am Körper versehrt, muss nicht äußerlich wieder zusammengeflickt werden.
Dass Theresa Körner ([2][Liv Lisa Fries]), die Tote und Lebende flickt, ihn
an der Seele zu heilen versucht, gehört zu den Klischees, die die Freude am
Film doch ein wenig verderben. Dabei ist er in einer ästhetischen
Grundentscheidung originell, beinahe kühn.
Der Krieg nämlich, der den Körper der Stadt so sehr wie den des
Protagonisten als Trauma weiter im Griff hat, hat die Häuser kreuz und quer
gebogen, alle geraden Winkel gekrümmt, es ist eine verdrehte, verzogene
Welt. Und zwar ganz buchstäblich, alle Hintergründe sind am Computer nach
Art von Gemälden erstellt, die Künstlichkeit ist mit Augen und Händen zu
greifen.
An den expressionistischen Stummfilmklassiker „Das Cabinet des Dr.
Caligari“ von 1920 soll man dabei denken; in der Machart ähnelt es mehr
Eric Rohmers „Die Lady und der Herzog“. Die Bögen, Säulen und Balustraden
in den Caféhäusern torkeln, die Häuser und Dächer und Straßen und Gassen
scheinen nur für den Moment innezuhalten in einem ständigen Rutschen. Diese
Stadt ist aus den Fugen, Menschen in Kostümen stehen und schleichen darin
auch nur halbwegs gerade wie auf Theaterbühnen herum.
## Ein Wien als Gemälde
Wie auf der Bühne und vor Kulissen, zu denen ihnen, weil diese beim Dreh ja
nicht da sind, jeder Körperbezug fehlt: ein Problem, das jeder
Superheldendarsteller nur zu gut kennt. Es ist ein Wien als Gemälde,
artifiziell, atmosphärelos auch, vor den CGI-Hintergründen bewegen sich
Entfremdete im Vertrauten.
Das ist so weit ziemlich gut, bis zum Ende sieht man sich an der sterilen
Hintergrundwelt aus dem Computer nicht satt. Leider hat der Film aber nicht
nur Kulissen und Körper, sondern auch nicht zu knapp Drehbuch, papierene
Dialoge und Plot, gegen Ende hin reichlich Matthias Schweighöfer dazu.
Und dieser Plot, der sich um einen ausgesprochen brutalen Serienmörder
dreht, tut im Grunde nur eins: Er verdoppelt und verdreifacht die düstere
Atmosphäre und nimmt der ästhetischen Konstruktion dadurch einiges von
ihrer Faszination. Ins Bild gesetzte gepfählte Oberkörper, von Ratten
abgenagte Beine und abgeschnittene Finger à la David Finchers „Seven“ füg…
ihr auch nicht mehr als die grafische Gratislust am Verstümmeln hinzu.
Perg, so geht die Geschichte, war vor dem Krieg ein Star der Wiener Polizei
und steigt nun, von der Seite, über den Serienmörderfall wieder in den
alten Beruf ein. Angehimmelt von Dr. Körner, beargwöhnt von Kollegen, die
ihm nicht trauen, als Einziger, der die Kriegs- und
Verwandtschaftshintergründe des Mordens erahnt, ist er als Axt im Wald des
Verbrechens unterwegs. Er lebt in einem schaurigen Haus, führt Gespräche
mit einer schaurigen Concierge und trauert um Frau und Kind, die, ohne
Hoffnung ihn wiederzusehen, aufs Dorf gezogen sind.
Am Ende stehen die Häuser und Hütten wieder gerade. Die Welt atmet auf,
scheint von den Schrecken des Special-Effect-Hintergrunds und des Krieges
befreit. Zu schön, um wahr zu sein, das versteht sich von selbst.
11 Mar 2022
## LINKS
[1] /Neuer-Film-Pelikanblut-mit-Nina-Hoss/!5711802
[2] /Neue-Staffel-Babylon-Berlin/!5654275
## AUTOREN
Ekkehard Knörer
## TAGS
Thriller
Schwerpunkt Erster Weltkrieg
Trauma
Wien
Serienmörder
DVD
DVD
Debütfilm
Film
Film noir
DVD
Babylon Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Österreichischer Film „Beatrix“: Der Blick spart nichts aus
Der österreichische Spielfilm „Beatrix“ bleibt konsequent bei seiner
Titelfigur. Lohnt sich das Regiedebüt von Lilith Kraxner und Milena
Czernowsky?
Feministischer Rache-Film „Violation“: Ein furchtloses Debüt
Die Regisseurin und Schauspielerin Madeleine Sims-Fewer hat einen Film
über Rache gedreht. „Violation“ schlägt, reißt, sägt quer durch die
Register.
Neuer Actionfilm von Michael Bay: Autos zu Blechschrott türmen
Die Kamera springt, die Handlung eskaliert in „Ambulance“. Der
schnörkellose Actionthriller bringt zwei ungleiche Brüder in unguter
Mission zusammen.
Thriller „Nightmare Alley“ im Kino: Jahrmarkt der Ängste
Guillermo del Toros „Nightmare Alley“ ist eine Hommage an den Film noir.
Visuell gelingt das wunderbar, die Geschichte bleibt dahinter etwas zurück.
Australischer Thriller „The Dry“ auf DVD: Der Held hat die Ruhe weg
Der australische Thriller „The Dry“ von Robert Connolly zeigt Eric Bana als
Ermittler auf eigene Faust. Alles in diesem Film ist schwelend.
Neue Staffel „Babylon Berlin“: Ein Schweif des gestrigen Zaubers
Die 3. Staffel „Babylon Berlin“ macht Glanz und Elend in Berlin zwischen
den Kriegen greifbar. Der Trick: Re-Import des Weimarer Kinos aus
Hollywood.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.