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# taz.de -- Feministischer Rache-Film „Violation“: Ein furchtloses Debüt
> Die Regisseurin und Schauspielerin Madeleine Sims-Fewer hat einen Film
> über Rache gedreht. „Violation“ schlägt, reißt, sägt quer durch die
> Register.
Bild: Miriam (Madeleine Sims-Fewer) steht in „Violation“ einiges bevor
Man tut gut daran, den Titel des Films als Trigger-Warnung zu nehmen:
„Violation“ heißt Verletzung und Übertretung und Vergewaltigung auch. Und
es wird in dieser sehr finsteren Geschichte verletzt und übertreten und
eine Vergewaltigung findet statt. Dabei beginnt alles einerseits sehr
idyllisch.
Es geht um zwei Schwestern. Die eine, Greta, lebt mit ihrem Mann, den die
andere aus Schultagen kennt, draußen, in der Natur, in der kanadischen
Provinz: Wälder, Seen, viel Natur, wenig Zivilisation. Die andere, Miriam,
kommt hier mit ihrem Mann an. Auf der Fahrt wird gleich klar: Zwischen den
beiden hängt der Haussegen schief.
Mit der Fahrt aus der nicht näher bestimmten Zivilisation (es fällt das
Wort „London“) in die Natur setzt der Film allerdings bereits sehr
eigentümliche Signale. Nichts ist hier heil, alles wird noch sehr viel
unheiler werden. Geradezu experimentalfilmhaft teilt und spiegelt sich das
Bild, stellt sich auf den Kopf, unten ist oben, oben ist unten. Dazu fährt,
zu Beginn und wieder und wieder, eine schneidende, drohende Musik in Ohren
und Glieder. Noch ist kein Horror zu sehen, noch ist ganz unklar, was hier
nicht stimmt. Und doch ist sofort deutlich zu spüren: Dies wird ein
[1][Trip Richtung Abgrund und Schrecken].
Spannungen schleichen sich in die Gespräche zwischen den Schwestern. Da ist
eine Asymmetrie. Miriam führt ein erfolgreiches Leben, in der Stadt, in der
Welt. Greta neidet es ihr, fühlt sich unterlegen, lässt es sie spüren,
untergründig ist zwischen den beiden wenig im Lot. Und dann ein Abend
draußen am Feuer. Greta zieht sich früh zurück, ihr Mann Dylan und Miriam
betrinken sich, es kommt in der Nacht, von Miriam initiiert, zu einem Kuss,
am frühen Morgen vergewaltigt Dylan die Schwester seiner Frau, die von
Alkohol und Schlaf noch halb betäubt ist.
## Dem Schrecken eine Form geben
Man sieht das, man versteht das nicht gleich, beginnt jedoch zu begreifen,
dass die Verletzung und Übertretung, das traumatische Ereignis, längst in
diesem Film steckt. Er nähert sich seinen Figuren und ihrer Geschichte
nicht in erster Linie über Psychologie, sondern über eine Bild- und
Stimmungspolitik, die den Schrecken in eine Form bringt. Die aber, wie
könnte es anders sein, eine Form der Auflösung ist. Das gilt für die
chronologische Ordnung, ohne jede Erläuterung springt die Geschichte in der
Zeit vor und zurück. So werden Tote wieder lebendig, oder umgekehrt: Wer
plötzlich wieder lebt, ist, wie wir schon sahen, längst tot.
Aufgelöst, sehr hoch, bis zur Abstraktion aufgelöst, sind auch einzelne
Bilder und Töne: Feuer und Brutzeln, Textur, Oberfläche, Material. Nicht
aufgelöst werden nur die Dissonanzen, die der Film, sich steigernd,
erzeugt. Manches, nächste Trigger-Warnung, ist schockierend deutlich im
Bild, nicht die Vergewaltigung, aber die [2][Rache, pornografisch brutal,
wie man es nur aus dem Gore-Genre] kennt – zu dem „Violation“ ein
Näheverhältnis sucht, in dem er aber nicht aufgeht. Der Film ist ab 18, die
DVD verzeichnet auf dem Cover stolz ihr „uncut“. Zersägt ist nicht der,
gesägt wird im Film.
Was die britisch-kanadische (Co-)Autorin, (Co-)Regisseurin und
Hauptdarstellerin Madeleine Sims-Fewer in diesem Debütfilm (Co-Regie,
Co-Buch: Dusty Mancelli) zeigt und wagt, als furchtlos zu bezeichnen, wäre
noch stark untertrieben. Ihr Spiel, aber auch die Darstellungspolitik des
ganzen Films, oszilliert zwischen komplettem Derangement und kühlem
Understatement. „Violation“ schlägt, reißt, sägt quer durch alle
etablierten Register. Man fühlt sich am Ende besudelt mit Blut, das sich
nicht abwaschen lässt, versteht aber: So soll es, so muss es sein.
28 Jul 2022
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## AUTOREN
Ekkehard Knörer
## TAGS
Debütfilm
DVD
Horror
Vergewaltigung
Spielfilm
Deutscher Film
DVD
Thriller
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