| # taz.de -- Spielfilm über unkonventionelle Liebe: Zeitebenen vernetzen | |
| > Der britische Spielfilm „Ein Festtag“ von Eva Husson erzählt von einer | |
| > nicht-standesgemäßen Liebesgeschichte. Im Mittelpunkt steht ein | |
| > Dienstmädchen. | |
| Bild: Nähe und Distanz: Das Dienstmädchen Jane (Odessa Young) liebt Paul (Jos… | |
| England im Jahr 1924: Menschen, die in schöner Landschaft auf Anwesen | |
| leben, Familien, die sich Hausmädchen halten, Ehen, die man mit Rücksicht | |
| auf soziale Gleichrangigkeit schließt. Das Auto, die Tafel, die Bibliothek. | |
| In diese „Downton Abbey“-Welt hinein hat Graham Swift seine Novelle „Ein | |
| Festtag“ von 2017 erzählt. | |
| Ins Zentrum jedoch stellt er keine Figur, die dieser Gesellschaftsschicht | |
| angehört, sondern das Dienstmädchen Jane Fairchild (Odessa Young), eine | |
| kluge Beobachterin, in einem Waisenhaus aufgewachsen, wozu Mrs Niven, für | |
| die sie arbeitet, nur sagt: Schätz dich glücklich, mein Kind. Wer nichts | |
| hat, hat nichts zu verlieren. | |
| Mrs. Niven ist eine verbitterte Frau, [1][Olivia Colman] ist die | |
| statuarische Verkörperung unüberwindlicher Trauer. Der Tod der Söhne im | |
| Krieg liegt als schwerer Schatten über dieser, und nicht nur dieser, | |
| Familie. Colin Firth als Mr Niven ist ein Mann, der sich zusammenreißt, mit | |
| letzter Kraft, ein Gespenst seiner selbst. | |
| Unter diesen vom Tod der Kinder Getroffenen scheint Jane das blühende | |
| Leben. Sie ist es für Paul Sheringham ([2][Josh O’Connor, man kennt ihn als | |
| jungen Prinzen Charles aus „The Crown“]), dessen Brüder im Krieg starben, | |
| dessen Heirat mit einer Frau, die er nicht liebt, bevorsteht, der sich Jane | |
| als Geliebte hält. Ihr letztes Stelldichein, im Anwesen des Mannes, steht | |
| im Zentrum des Films. | |
| ## Unaufdringliche Signale | |
| Hier sind sie nackt im Betuchten, allein, denn Paul wird eigentlich bei | |
| einem Essen mit seiner Verlobten erwartet. Die Nacktheit, der Sex rücken | |
| die Klassenverhältnisse für einen Moment aus dem Zentrum des Bilds. Eva | |
| Hussons Regie löst das ihrerseits auf ins Fluide: lichtdurchflutete | |
| Bilder, rasche Schnitte ohne Gewicht, Betonung des Sinnlich-Flüssigen (und | |
| das schließt Körperflüssigkeiten sehr ausdrücklich ein), dagegen die | |
| Tafelrunde mit der Verlobten als Inbegriff des Versteinert-Rigiden. | |
| Lange, sehr lange ist Jane nach Pauls Abschied noch allein und nackt in | |
| diesem Haus unterwegs, in dem alles nach selbstverständlichem Geld riecht. | |
| Sie raucht, wie um ihre Anwesenheit zu markieren. Sie blättert in Büchern, | |
| womit der Film seinerseits markiert, wie es mit Jane Fairchild weitergehen | |
| wird. Es ist eines der vielen (manchmal etwas aufdringlich) unaufdringlich | |
| gesetzten Signale, mit denen der Film die Zeitebenen der Geschichte | |
| vernetzt. | |
| Das Jahr 1924, die Liebesgeschichte, das ist nur ein Teil der | |
| Gesamtkonstruktion. Rückblendenebene eins. Auf einer zweiten Ebene sieht | |
| man die nicht mehr ganz so junge Jane nun als Schriftstellerin, die diese | |
| Geschichte aufschreibt oder womöglich erfindet; es kommt, vom dominierenden | |
| Vergangenheitsteil leider arg zur Seite gedrängt, ihre Liebesgeschichte mit | |
| einem Philosophen (Sope Dirisu) dazu. | |
| Die dritte Ebene ist diejenige, die in Graham Swifts Novelle eigentlich | |
| dominiert. Jane Fairchild ist nun alt, eine weltberühmte Schriftstellerin, | |
| die sich in einem Interview an ihr vergangenes Leben, Lieben und Schreiben | |
| erinnert. | |
| Es ist wirklich sehr schön, hier die große Glenda Jackson in einer kleinen | |
| Altersrolle zu sehen, als Autorin, die nach dem Gewinn des (vermutlich) | |
| Nobelpreises eine Gruppe von Journalisten vor ihrer Haustür sarkastisch | |
| auflaufen lässt. Dennoch wird dieser Teil der Geschichte in Alice Birchs | |
| Drehbuch zu einem überflüssigen Anhang. Zu stark ist das Eigengewicht der | |
| historischen Szenen, zu viel Sorgfalt verwendet Husson darauf, die | |
| Vergangenheit als emotionales Zentrum zu etablieren. | |
| Auf der Habenseite bleibt, dass ihr das sehr wohl gelingt, etwas | |
| kunstgewerblich vielleicht, aber die vielen Klischees, die hier drohen, | |
| umschifft sie gekonnt. | |
| 17 Mar 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Vor-der-Oscarverleihung-2022/!5834358 | |
| [2] /Verleihung-der-Golden-Globes/!5754321 | |
| ## AUTOREN | |
| Ekkehard Knörer | |
| ## TAGS | |
| DVD | |
| Spielfilm | |
| England | |
| Liebe | |
| soziale Klassen | |
| Debütfilm | |
| TV-Serien | |
| Oscars | |
| Golden Globes | |
| Historienfilm | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Feministischer Rache-Film „Violation“: Ein furchtloses Debüt | |
| Die Regisseurin und Schauspielerin Madeleine Sims-Fewer hat einen Film | |
| über Rache gedreht. „Violation“ schlägt, reißt, sägt quer durch die | |
| Register. | |
| „The Gilded Age“ auf Sky: Unaufgeregte Unterhaltung | |
| Dank besonderer Kostüme ist „The Gilded Age“ zwar schön anzusehen. Doch | |
| abgesehen davon bleibt die Serie auf dem Niveau einer Seifenoper. | |
| Vor der Oscarverleihung 2022: Western zwölfmal nominiert | |
| Aussichtsreichster Oscarkandidat ist der Western „The Power of the Dog“, | |
| eng gefolgt von „Dune“. Streaming-Portale machen den etablierten Studios | |
| viel Konkurrenz. | |
| Verleihung der Golden Globes: Preise für „The Crown“ | |
| Zu den Gewinnern der Golden Globes 2021 gehört „Das Damengambit“, die | |
| Deutsche Helena Zengel geht leer aus. Die Preise geben meist schon Hinweise | |
| auf die Oscars. | |
| Historienfilm „Die Ausgrabung“: Die Schatzsucher | |
| Regisseur Simon Stone feiert mit „Die Ausgrabung“ altmodische britische | |
| Tugenden. Das eigentliche Thema heißt aber Melancholie. |