| # taz.de -- Historienfilm „Die Ausgrabung“: Die Schatzsucher | |
| > Regisseur Simon Stone feiert mit „Die Ausgrabung“ altmodische britische | |
| > Tugenden. Das eigentliche Thema heißt aber Melancholie. | |
| Bild: Auftraggeber Edith Pretty (Carrey Mulligan) und Auftragnehmer Basil Brown… | |
| Hinterher wundert man sich, warum der Schatz nicht schon lange vorher | |
| gefunden wurde. Dass die Reihe der kleinen Hügel unweit des Flusses Deben | |
| im östlichen England irgendein Geheimnis bargen, scheint doch so | |
| offensichtlich. Der Hobby-Archäologe Basil Brown ([1][Ralph Fiennes]) kann | |
| den einzelnen Hügeln sogar ablesen, wo es andere „Grabräuber“ schon | |
| versucht haben. | |
| Als er von der verwitweten Landbesitzerin Edith Pretty ([2][Carey | |
| Mulligan]) für Grabungen angeheuert wird, wendet er sich deshalb zuerst dem | |
| rundesten der Hügel zu und eben nicht dem flacheren, bei dem Edith „so ein | |
| Gefühl hat“. | |
| Die Frau lässt den Mann machen, schließlich spielt die Handlung 1939. Aber | |
| weil wir es mit einem Film aus dem Jahr 2021 zu tun haben, wird ihr Gefühl | |
| trotzdem noch zu seinem Recht kommen. In dieser Hinsicht ist die | |
| Netflix-Produktion „Die Ausgrabung“ ihrerseits ganz offensichtlich. | |
| Der Film ist die Adaption eines Romans, der wiederum auf historischen | |
| Ereignissen beruht. Basil Brown gab es wirklich, und tatsächlich hat Edith | |
| Pretty ihn angeheuert, um zu erforschen, was es mit den Hügeln auf ihrem | |
| Gelände auf sich hat. Schon im 19. Jahrhundert hatte man in der Gegend | |
| immer wieder Überbleibsel aus der Wikingerzeit oder gar den „Dark Ages“ | |
| gefunden. | |
| ## Basil Brown kommt zu seinem Recht als Ausgräber | |
| 1939 legte Basil Brown auf Prettys Gelände dann einen spektakulären Fund | |
| frei: ein Schiff, das sich fast komplett im sandigen Boden als Verfärbung | |
| mineralisiert hatte, und ein veritabler Grabesschatz, der auf das 7. | |
| Jahrhundert und die Bestattung eines angelsächsischen Königs hindeutete. | |
| „Sutton Hoo“, wie die Ausgrabungsstätte heißt, war der aufsehenerregendste | |
| archäologische Fund in Großbritannien im 20. Jahrhundert. | |
| Wie macht man daraus einen Film? Eine kränkelnde Witwe und ein älterer | |
| Archäologie-Laie, sind alles andere als „Indiana Jones“-Material. Von | |
| irgendeinem Grabmalfluch ist auch nichts bekannt. Und der Konflikt, der | |
| sich kurz nach dem Fund daraus ergibt, dass ein hochmütiger Professor vom | |
| British Museum aus London anrückt und „übernehmen“ will, ist wiederum so | |
| vorhersehbar, dass ihm die Luft ausgeht, sobald das Profi-Team vor Ort | |
| ankommt. | |
| Der renommierte [3][Theaterregisseur Simon Stone] beutet in seiner zweiten | |
| Filmarbeit die „wahren Ereignisse“ für etwas ganz anderes aus. Zwar setzt | |
| „Die Ausgrabung“ Basil Brown ins Recht, dessen Anteil am Fund lange | |
| Jahrzehnte zugunsten der Akademiker verdrängt wurde. Aber diese | |
| Rehabilitierung geschieht beiläufig und – fast – ohne Pathos. | |
| In den Vordergrund rückt der Film nicht die Fakten, sondern die Gefühle, | |
| nicht allein die Entdeckung eines frühmittelalterlichen Grabs, sondern das | |
| Beziehungsnetz, das der Fund in der Gegenwart stiftet und die Gedanken, die | |
| der momenthafte Einblick in eine unbekannte Vergangenheit auslöst. Da ist | |
| die Kameraderie der Ausgrabenden, aber auch das vage Empfinden einer | |
| Verwandtschaft durch die Zeiten. Es gehe bei Grabfunden wie diesen nicht um | |
| die Toten, so sagt es Basil Brown im Film einmal, sondern um uns, die | |
| Lebenden. | |
| ## Unüberwindbare Klassengegensätze | |
| Das Drehbuch zum Film hat Moira Buffini geschrieben, die in Filmen wie | |
| „Tamara Drew“ schon gezeigt hat, dass sie ein besonderes Auge für das Wesen | |
| des britischen Landlebens hat. Der Ort wird lebendig nicht nur durch | |
| Landschaftsaufnahmen, sondern vor allem dadurch, wie sich die Figuren | |
| verhalten. | |
| Schon die ersten Verhandlungen zwischen Edith und Basil bringen den | |
| unüberwindbaren Klassengegensatz auf den Punkt, den die höflichen | |
| Umgangsformen nur noch verfestigen. Wenn sie sich unterhalten, ist die | |
| Distanz zwischen ihnen groß, da sie auf englisch-kühle Art nie direkt | |
| werden. | |
| In der Art aber, wie die beiden einander hinterherblicken, wächst zuerst | |
| die Sympathie und dann das Verständnis – über die Gräben von Bildung und | |
| Klasse hinweg. Und das Schöne ist, dass, was immer sie verbindet – | |
| Fürsorge, Zuneigung, Liebe? –, undefiniert und unausgesprochen bleibt. | |
| Einerseits kommt „Die Ausgrabung“ wie ein absichtsvoll altmodischer Film | |
| daher, der so überkommene britische Tugenden wie die „steife Oberlippe“ | |
| feiert. Andererseits bemüht sich das Drehbuch darum, das aufzuwerten, was | |
| sonst in den Filmen dieser Art zu kurz kommt: die Frauen. | |
| ## Der drohende Zweite Weltkrieg | |
| Das Auffüttern des Plots um die Archäologin Peggy Piggot, die – historisch | |
| verbürgt! – das erste Glimmern im Sand fand, wirkt zwar etwas schematisch – | |
| Lily James als bebrillte junge Wissenschaftlerin kann nicht mehr die Augen | |
| davor verschließen, dass der Mann (Ben Chaplin), den sie geheiratet hat, | |
| viel mehr Spaß mit seinen männlichen Kollegen hat, als wenn er mit ihr | |
| alleine ist. | |
| Zur Verdeutlichung der Beweislage macht ihr Ediths fiktiver Cousin (Johnny | |
| Flynn) schöne Augen. Mit ihm lässt es sich auch besser darüber | |
| philosophieren, was wohl von uns in tausend Jahren bleiben wird. Vor dem | |
| Hintergrund des Kriegs, dessen Ausbruch 1939 kurz bevorsteht, bestärkt | |
| dieser stimmungsvolle Film darin noch einmal sein wahres Thema: die | |
| Melancholie. | |
| 29 Jan 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Barbara Schweizerhof | |
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