| # taz.de -- „Ma Rainey’s Black Bottom“ auf Netflix: Was der Blues bedeutet | |
| > „Ma Rainey’s Black Bottom“ ist eigentlich ein Theaterstück und lebt von | |
| > Sprache. Doch Regisseur George C. Wolfe gelingt die filmische | |
| > Übertragung. | |
| Bild: Szene aus „Ma Rainey's Black Bottom“ mit Viola Davis als Blues-Sänge… | |
| Jeder Blick enthält zugleich einen Vorwurf, jede Bitte eine Anklage, dass | |
| sie noch nicht längst erfüllt wurde: Die Sängerin Ma Rainey (Viola Davis) | |
| ist eine Diva, wie sie im Buch steht. Aber im Unterschied zu ihren | |
| vornehmlich weißen Schwestern hat sie ein stechend scharfes Bewusstsein und | |
| einen guten Grund für ihr „schwieriges“ Temperament. Er liegt im | |
| Missverhältnis von dem, was sie als Blues-Sängerin gibt, und dem, was | |
| andere davon haben. | |
| Da kann sie ihren Manager Irv (Jeremy Shamos) noch so mit Forderungen nach | |
| Kaltgetränken und Studiostunden drangsalieren, er und der missmutige | |
| Plattenproduzent Sturdyvant (Johnny Coyne) werden am Ende doch den besseren | |
| Deal gemacht haben. Sie selbst sei „ihnen“, und sie meint ganz generell | |
| „die Weißen“ damit, nicht wichtig. „Sie“ hätten es nur auf ihre Stimme | |
| abgesehen. | |
| „They hear it come out, but they don’t know how it got there.“ Das eisige | |
| Konzept der „kulturellen Appropriation“ gefasst in heißes, direkt aus dem | |
| Bauch kommendes Englisch – das ist nur einer der Vorzüge des Schreibens von | |
| August Wilson, zu dessen Theaterstücken „Ma Rainey’s Black Bottom“ gehö… | |
| Einer der Vorzüge der Filmadaption durch Regisseur George C. Wolfe ist | |
| jedenfalls, dass sie die Sprache Wilsons in all ihrer Erfahrungsdichte zur | |
| Geltung bringt. | |
| ## Wilsons „Fences“ ging 2016 im Kino unter | |
| Auch dass „Ma Rainey’s Black Bottom“ nun per Streaming startet statt im | |
| Kino, könnte ein Vorteil sein. [1][Die Verfilmung eines anderen | |
| Wilson-Stücks, „Fences“] (2016), ging im Kino seinerzeit weitgehend unter, | |
| und das, obwohl Denzel Washington Regie führte und die Hauptrolle spielte | |
| und der Film mit vier Oscarnominierungen bedacht wurde, eine davon posthum | |
| auch für den bereits 2005 verstorbenen Autor. | |
| Dabei gäbe es auch hierzulande Gründe, sich das [2][Werk von August Wilson | |
| mehr anzueignen]. Wilson kam 1945 in Pittsburgh, Pennsylvania, als | |
| Frederick August Kittel Jr. zur Welt; sein Vater Friedrich August Kittel | |
| war ein aus dem „Sudetenland“ ausgewanderter Bäcker. Nach dessen Tod 1965 | |
| nahm Wilson den Namen seiner afroamerikanischen Mutter an. | |
| Es ist ihr Vorbild und auch ihre Erfahrung von Ausbeutung und Ausgrenzung, | |
| die sich in Wilsons Werk unmittelbar niedergeschlagen hat. Auch wenn der | |
| zehn Stücke umfassende Zyklus, zu dem „Fences“ und „Ma Rainey’s Black | |
| Bottom“ gehören, die „afro-american Experience“ dann doch aus vorwiegend | |
| männlicher Perspektive wiedergeben. | |
| ## Der Einstieg ist betont cineastisch | |
| „Ma Rainey’s Black Bottom“ ist da keine Ausnahme. Viola Davis, die | |
| titelgebende Figur, tritt erst nach gut 20 Minuten in Erscheinung. Der Film | |
| beginnt mit einer betont cineastischen Einleitung: Zwanziger Jahre in | |
| Georgia, zwei schwarze Jungs laufen wie auf der Flucht vor einem Lynchmob | |
| durch den Wald – um bei einem Konzert von Ma Rainey zu landen. | |
| Von dort folgt die Kamera der „großen Migration“, den Spuren der | |
| afroamerikanischen Südstaatler in den industriellen Norden auf ihrer Suche | |
| nach dem besseren Leben. Das eigentliche Stück beginnt in Chicago, mit | |
| Aufnahmen, die in Vintage-Künstlichkeit das Straßenleben der zwanziger | |
| Jahre, des „Jazz-Age“ bebildern, mit nahezu ausschließlich schwarzen | |
| Passanten – was, und es ist notwendig peinlich, das zuzugeben, etwas | |
| Ungewohntes hat. | |
| Vom bunten Straßenleben geht es jedoch schnell hinunter in einen kahlen | |
| Keller, in den Ma Raineys Manager Irv die vier Musiker ihrer Band führt, | |
| damit die für die bevorstehende Plattenaufnahme proben. Es sind drei ältere | |
| Herren und ein Jungspund, der sich bezeichnenderweise verspätet. [3][Dieser | |
| Levee wird von Chadwick Boseman gespielt], dem mit 43 Jahren erst letzten | |
| Sommer an Krebs verstorbenen Superhelden-Darsteller. | |
| ## Bosemans Auftritt hat den Charakter eines Testaments | |
| Heutzutage ist es schwer, von einer „letzten Rolle“ zu sprechen, weil immer | |
| noch ein Film aus den diversen Produktionsprozessen auftauchen kann. Aber | |
| Bosemans Auftritt hier hat den Charakter eines Testaments. Mager und | |
| drahtig wirkt er fast jünger als in „Black Panther“, und in der Bitterkeit, | |
| mit der sein Levee im Stück sein Schicksal in die eigene Hand nehmen will | |
| und Gott ablehnt, liegt eine betroffen machende Authentizität. | |
| Der Keller, später das Aufnahmestudio, dazwischen ein Wohnzimmer und immer | |
| wieder Menschen, die sich unterhalten: „Ma Rainey’s Black Bottom“ | |
| verleugnet die Herkunft vom Theater nicht. Sämtliche Konflikte, die | |
| entstehen, sind sprachliche. Die Höhepunkte des Films sind tatsächlich | |
| seine Monologe. Man kann das bemängeln, es mag auch nicht jedermanns Sache | |
| sein. | |
| Aber zugleich gilt auch, dass der Film der Sprache Wilsons eine ganz | |
| hervorragende Bühne bietet: Die Musiker mit ihrer je eigenen Sichtweise und | |
| Lebensgeschichten, Viola Davis und wie sie davon erzählt, was für sie Blues | |
| bedeutet, das alles ist, wenn man hinhört, spannenderer und explosiverer | |
| Stoff als manch herkömmlicher Abenteuer- oder Actionfilm. | |
| 7 Jan 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Barbara Schweizerhof | |
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