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# taz.de -- Spielfilm über Billie Holiday: Angst vor der unbequemen Stimme
> Die oscarnominierte Andra Day spielt in „The United States vs. Billie
> Holiday“ die legendäre Jazzsängerin. Ihr Gegenspieler: FBI-Chef J. Edgar
> Hoover.
Bild: Das Singen konnte man ihr nicht verbieten: Billie Holiday (Andra Day)
Wenn Sonntagnacht (25. April) die zweiten – und hoffentlich letzten –
[1][Covid-Oscars] stattfinden, vor allem aber die sechste Ausgabe der
Filmpreise, seit das Hashtag OscarSoWhite die Runde machte, könnte Andra
Day als zweite Schwarze Frau als Beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet
werden. Und das gleich für ihre erste große Rolle, die sie im biografischen
Drama „The United States vs. Billie Holiday“ spielt, dessen Zentrum und
Herz sie ist.
Da die deutschen Kinos durch Corona immer noch geschlossen sind, erscheint
das epische Porträt der großen Lady des Jazz zwar nur im Heimkino, doch Lee
Daniels’ Film ist trotz mancher Schwächen nicht nur ein faszinierendes
Porträt einer großen Sängerin, sondern auch ein durch und durch
zeitgeistiger Film.
Gleich das erste Bild von „The United States vs. Billie Holiday“ gibt den
Ton vor: Keine Aufnahme der Jazzsängerin, um die es im Folgenden gehen
soll, sieht man da, sondern historische Schwarz-Weiß-Aufnahmen eines
[2][Lynchmordes]. Mehr als zwei Stunden später werden Texttafeln darüber
informieren, dass auch im Jahre 2021 ein Gesetz, das diese entsetzliche
Form des US-amerikanischen Rassismus verbietet, immer noch nicht vom Senat
verabschiedet wurde, anders gesagt: Lynchmord immer noch nicht per
Bundesgesetz verboten ist.
Auf den ersten Blick mag das Thema Lynchmord ein seltsamer roter Faden für
einen biografischen Film [3][über Billie Holiday] sein, auf den zweiten
ergibt es Sinn. Denn 1939, ungefähr zur Hälfte ihres nur 44 Jahre kurzen
Lebens, nahm Holiday einen ihrer erfolgreichsten Songs auf: „Strange
Fruit“, eine wütende Anklage ebenjener Lynchjustiz, in dem sie singt:
„Southern trees bear a strange fruit / Blood on the leaves and blood at the
root / Black bodies swingin’ in the Southern breeze/ Strange fruit hangin’
from the poplar trees.“ So populär war der Song Anfang der 40er Jahre, dass
J. Edgar Hoover, berühmt-berüchtigter Chef des FBI, um die nationale
Sicherheit fürchtete.
## Viele Männer, die sie umgarnten und verrieten
So wie es Lee Daniels in seinem Film erzählt, schreckte Hoover vor nichts
zurück, um Holiday außer Gefecht zu setzen. Das Singen verbieten konnte er
ihr zwar nicht, aber ihr Drogenkonsum war Anlass und Ausrede, sie für ein
Jahr einzusperren. Tatsächlich war ein Schwarzer Agent an der Verhaftung
beteiligt, in der fiktiven Imagination dieses Biopics wird diese Figur
namens Jimmy Fletcher (Trevante Rhodes) zu einem der vielen Männer, die
Holiday umgarnen und früher oder später verraten.
In zahlreichen, oft disparaten Zeitsprüngen fächert Lee Daniels, der ein
Drehbuch der Theaterautorin Suzan-Lori Parks verfilmt, das wilde, tragische
Leben Billie Holidays auf, das in Armut begann und in einer durch
lebenslangen Drogenkonsum forcierten Selbstzerstörung endete. Liebesaffären
zu Männern und Frauen, enorme Erfolge in einer rassistischen Gesellschaft,
Erinnerungen an Missbrauch in der Kindheit, Heroin und andere Drogen –
Billie Holidays Leben sprengt jeden Rahmen, und vielleicht ist das das
erzählerische Problem des Films.
Wirklich zu fassen bekommt Lee Daniels diese faszinierende Persönlichkeit
nicht, viel zu viel Persönliches, Soziales, Gesellschaftliches will er in
etwas mehr als zwei Stunden packen. Dieses Unterfangen würde wohl
zwangsläufig scheitern, hätte Daniels mit Andra Day nicht eine so
herausragende Hauptdarstellerin gefunden, deren Präsenz die episodische
Erzählweise zusammenhält.
Als Sängerin feierte Day in den letzten Jahren einige Erfolge, war für den
Grammy nominiert und spielt hier ihre erste Hauptrolle, für die sie schon
mit dem Golden Globe ausgezeichnet wurde und nun für den Oscar nominiert
ist. Zwar hat ihre Stimme nicht die besondere Qualität von Billie Holiday,
doch als singende Schauspielerin beziehungsweise als schauspielernde
Sängerin überzeugt Day in dem Film mit enormer Präsenz, egal ob sie auf der
Bühne steht, im Backstagebereich Heroin spritzt oder sich in den ärmlichen
Verhältnissen der Südstaatenslums bewegt.
## Emanzipation Schwarzer Filmemacher
Zwischen dieser bemerkenswerten Performance und dem Versuch, das Schicksal
Billie Holidays in den größeren Kontext der US-amerikanischen
Rassenkonflikte zu stellen, bewegt sich Lee Daniels’ Film. Das ist
ambitioniert, nicht immer überzeugend, aber genau die Art Kino, die weißen
Filmemachern schon immer Auszeichnungen bei Preisverleihungen eingebracht
hat.
Man darf „The United States vs. Billie Holiday“ also durchaus als
Fortschritt verstehen, als Emanzipation Schwarzer Filmemacher, die nun
vermehrt aufwendige biografische Filme über die Größen des Schwarzen
kulturellen und gesellschaftlichen Lebens drehen. Neben Lee Daniels’ Film
sind das dieses Jahr auch [4][„Ma Rainey’s Black Bottom“], [5][„One Nig…
in Miami“] und „Judas and the Black Messiah“, in denen Ma Rainey, Sam
Cooke, Muhammad Ali, Malcolm X und Fred Hampton porträtiert werden. Dass
nicht jeder dieser Filme ein Meisterwerk ist, sie aber dennoch nominiert
sind, auch das ist ein Zeichen des Fortschritts, der langsam, aber sicher
kommt.
22 Apr 2021
## LINKS
[1] /Oscars-2021/!5757998
[2] /Reportagen-von-Martha-Gellhorn/!5646745
[3] /Geburtstag-der-Jazzikone-Billie-Holiday/!5013850
[4] /Ma-Raineys-Black-Bottom-auf-Netflix/!5738273
[5] /Spielfilm-One-Night-in-Miami-online/!5739170
## AUTOREN
Michael Meyns
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