| # taz.de -- Doku über Sängerin Billie Holiday: Magie und Masochismus | |
| > Der Dokumentarfilm „Billie – Legende des Jazz“ nähert sich der | |
| > US-Sängerin Billie Holiday über Bande. Vieles an der Künstlerin bleibt | |
| > rätselhaft. | |
| Bild: Sang über Rassismus, wurde Opfer von Blackfacing: die Sängerin Billie H… | |
| „Ich würde gern wissen, wieso alle Sängerinnen zugrunde gehen!“ Der | |
| [1][weiße Entertainer Tony Bennett] hat einen Punkt. Jedenfalls beim Blues: | |
| Die Misogynie und der strukturelle Rassismus, denen schwarze | |
| Bluesinterpretinnen jahrzehntelang ausgesetzt waren, sind legendär. In | |
| ihren Songs wie in ihrem Leben ging es darum viel um Leid, zugefügt von | |
| einem Mann, stellvertretend für eine Gesellschaft. | |
| Eine US-amerikanische Journalistin namens Linda Lipnack Kuehl hatte es sich | |
| in den 70ern zur Mission gemacht, die Geschichte Billie Holidays zu | |
| erzählen. Die eigenwillige Musikerin starb 1959, ihr 44-jähriger Körper war | |
| durch Langzeit-Drogenkonsum zerstört. Lipnack Kuehl hatte stundenlange | |
| Interviews mit unzähligen Kolleg:innen (wie Tony Bennett, Count Basie, | |
| Jo Jones) und Freund:innen Holidays geführt, dabei kistenweise Kassetten | |
| gesammelt. | |
| Lipnack Kuehl starb jung im Jahr 1978, noch vor Vollendung ihres Buches. | |
| Ihre Gespräche und Manuskriptteile gerieten an den britischen | |
| Dokumentarregisseur James Erskine. Der von ihm mit zurückhaltend | |
| bebilderten Interviews, Originalmaterial und Fotos collagierte | |
| Dokumentarfilm „Billie“ kann also das Leben Holidays nur über Bande spielen | |
| – einerseits gespiegelt durch Lipnack Kuehl, der weißen Journalistin, und | |
| andererseits durch Erskine, den weißen britischen Regisseur. | |
| Trotz dieser Ambivalenz ist „Billie“, dessen Material teilweise bereits in | |
| Biografien zitiert wurde, ein aufschlussreicher Film: Vor Lipnack Kuehls | |
| Mikrofon demonstriert ein Ex-Zuhälter Holidays seinen unfassbaren | |
| Frauenhass, wenn er sagt: „Na ja, man musste ihr eine runterhauen, damit | |
| sie gut arbeitet. Sie war stolz auf das Veilchen!“ „Warum“, hört man die | |
| Stimme der Feministin Lipnack Kuehl fragen. „Sie wollte hart angefasst | |
| werden“, erklärt der Pimp überzeugt. | |
| Lipnack Kuehl, der ihre weiße Sprecherinnenhaltung bewusst war, | |
| thematisiert das Blackfacing, dem die hellhäutige Holiday nach einigen | |
| Angaben bei einer Tour durch die Südstaaten zum Opfer fiel. Ein langer | |
| Komplex behandelt den Song „Strange Fruit“, Holidays nach einem Text von | |
| Abel Meeropol erhobene Anklage gegen die Lynchjustiz. Und sämtliche | |
| Interviewpartner:innen bestätigen die damalige rassistische Stimmung, | |
| an der sich viel zu wenig geändert hat. | |
| ## Frauenhass und Rassismus | |
| Von Holiday selbst hört man ansonsten naturgemäß vor allem Musik. Anders | |
| als der [2][2021 gestartete Spielfilm „The United States vs Billie | |
| Holiday“], der eine fiktive, persönliche Annäherung versucht, bleibt die | |
| Künstlerin selbst im auf „Hearsay“ bauenden Dokumentarfilm zwar präsent, | |
| aber enigmatisch. Sie habe in ihrer vulgären Art philosophiert, erklärt ein | |
| Kollege, sie habe ihn immer „Motherfucker“ genannt, ein anderer. | |
| Die Magie ihrer Stimme und der Hang zum Masochismus, beides von den Fans | |
| gepriesen, fasst jemand so zusammen: „Wenn Ella Fitzgerald singt ‚My man’s | |
| gone‘, denkt man, er geht nur ein Brot kaufen. Wenn Billie das singt, sieht | |
| man den Mann mit gepacktem Koffer die Straße hinunterlaufen.“ | |
| Dass Erskine sich entschlossen hat, auch Lipnack Kuehl sichtbar, ihre | |
| fragende Stimme hörbar zu machen, aktuelle Gespräche mit ihrer Schwester | |
| sowie Filmaufnahmen der vermutlich durch Selbstmord verstorbenen Lipnack | |
| Kuehl zu benutzen, ist konsequent: Erskine arbeitet mit fremdem Material. | |
| Es nur zu verwerten, wäre schlechter Stil. | |
| Die Parallele, die er zwischen der Journalistin und der Bluesmusikerin | |
| knüpft, wenn er die Vermutung anklingen lässt, Linda habe sich mit Billie | |
| identifiziert, ist – vor allem durch kitschige Geigenuntermalung – | |
| allerdings reine Küchenpsychologie. Kurz vorher hatte ein Arzt behauptet, | |
| Billie sei eine „impulsgetriebene Psychopathin“ gewesen. Da kommt dann doch | |
| etwas zu viel männliche Ferndiagnose zusammen. | |
| 10 Nov 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jenni Zylka | |
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