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# taz.de -- Ella Fitzgerald zum 100. Geburtstag: Die First Lady of Song
> Ella Fitzgerald war eine Jahrhundertstimme und eine der erfolgreichsten
> Sängerinnen aller Zeiten. Heute wäre sie 100 Jahre alt geworden.
Bild: Ein entwaffnender Ulk für die Fans: Ella Fitzgerald am 22.2.1968 im Carl…
Bee-bop-bop-bah-ooo-bee-doo-bee. Liest sich wie eine Lautfolge ohne Sinn
und Verstand. Was zur Hälfte auch stimmt: Sinn haben diese Klänge nicht.
Dafür braucht man für sie reichlich musikalischen Verstand: Beim Singen
gestatten sie große Flexibilität, wenn man Melodien improvisiert.
Scat-Gesang nennt sich die Technik, die Mitte der zwanziger Jahre im Jazz
aufkam. Eine ihrer großen Virtuosinnen war eine Sängerin, die so gut wie
alle Stile mühelos beherrschte, derer sie sich annahm: Ella Fitzgerald.
„Bee“- und „dee“-Laute gehörten zu ihren bevorzugten Artikulationsform…
Scat-Gesang bot der Vokalistin in Nummern wie „How High the Moon“ oder
„Lady Be Good“ nicht nur eine ideale Gelegenheit, ihre musikalischen
Fähigkeiten zu demonstrieren, sondern auch ihren Sinn für Humor. Jazz kann
mitunter zur angestrengt-ernsten Kenner-Veranstaltung geraten. Bei Ella
Fitzgerald klang alles leicht und selbstverständlich, auch lustig – nach
einer Musik, die für alle da ist. Sie gab sich als Entertainerin, ohne ihr
Können der Inszenierung zu opfern.
Das Publikum sollte einfach etwas geboten bekommen. Und es zeigte sich
dankbar: Ella Fitzgerald wurde mit mehr als 40 Millionen verkauften Alben
und 14 Grammys, davon einen für ihr Lebenswerk, eine der erfolgreichsten
Sängerinnen überhaupt. Und eine der ausdauerndsten, mit einer Karriere, die
sechzig Jahre andauerte. Noch 1993, drei Jahre vor ihrem Tod, gab sie ein
letztes Konzert.
## Karriere-Auftakt in Harlem
Aufgewachsen war Ella Jane Fitzgerald, die am 25. April 1917 in Newport
News im US-Bundesstaat Virginia geboren wurde, in ärmlichen Verhältnissen.
Als kleines Kind lebte sie in Yonkers, New York. Nach dem Tod ihrer Mutter
1931 zog Ella zu einer Tante nach Harlem. Dort, im Apollo Theater, sollte
wenige Jahre später ihre Karriere ihren Auftakt nehmen.
Fitzgerald, die als Kind eigentlich Tänzerin werden wollte, beteiligte sich
1934 an einem Talentwettbewerb in jenem Theater, das kurz zuvor auch
einem afroamerikanischen Publikum zugänglich geworden war. Sie sang den
Song „Judy“, erhielt einen Preis dafür. Mit ihrem Beitrag war sie
Bandleader und Saxofonist Benny Carter aufgefallen, der sie sofort anderen
Kollegen vorstellen wollte. Was zunächst im Sande verlief. Erst im Jahr
darauf erhielt die 16-Jährige ein Engagement als Sängerin der Band des
Schlagzeugers Chris Webb. Dessen Ensemble war seinerzeit das beliebteste
Swing-Orchester Harlems.
Ein Wiegenlied sollte ihr erster Hit werden, „A-Tisket, A-Tasket“. Von der
intendierten beruhigenden Wirkung der Vorlage ist in Ella Fitzgeralds
Version jedoch wenig zu spüren. Der Song hat alle Zutaten, die eine
Swing-Nummer damals, man schrieb das Jahr 1938, benötigte, gekrönt von
Fitzgeralds energisch-klarem, unbedarft-euphorischem Gesang. „A-tisket,
a-tasket, I lost my yellow basket“, schildert sie darin ihre Problemlage,
um sich fortan auf die Suche nach dem verlorenen Behältnis zu machen.
## Strahlende Eleganz
Nach Ende der Swing-Ära, Anfang der vierziger Jahre, konzentrierte sich
Ella Fitzgerald auf Bebop-Nummern, in denen sie ihre Scat-Technik
überragend zur Geltung brachte. Auch Blues-Songs gehörten zu ihrem
Repertoire, wobei ihre helle, fast klassisch klare Stimme mit
bemerkenswertem Umfang und perfekter Diktion für manche Kritiker nicht zur
leidgeprüften Gefühlslage des Blues zu passen schien. In dieser Hinsicht
kann ihre strahlende Eleganz als Gegenstück zur abgründigen Fragilität
Billie Holidays gelten.
Unangefochtenen Klassiker-Status erlangte Fitzgerald in den fünfziger
Jahren mit den Aufnahmen ihrer „Song Books“. Diese Schallplatten entstanden
vornehmlich für das 1956 gegründete Verve-Label des Jazz-Impresarios Norman
Granz, der zugleich ihr Manager war. Ihre Darbietungen mit Klassikern des
American Songbook von Komponisten wie George Gershwin, Cole Porter oder
Irving Berlin gelten bis heute als Referenzeinspielungen.
Die Vorzüge ihrer Stimme sorgten unter Jazzologen gleichwohl für geteilte
Einschätzungen. Manche Experten wollten ihr gar den Status als
Jazzmusikerin absprechen, sondern sie bloß als eine, wenngleich
hervorragende, Song-Interpretin hinstellen.
## Das vermeintlich Eigene
Was weniger gegen die Leistung Fitzgeralds spricht als für die
Voreingenommenheit von Teilen der Kritikerzunft. Man könnte sogar so weit
gehen, in der Reserviertheit gegenüber Fitzgeralds bluesarmer Performance
einen verbreiteten rassistischen Reflex zu erkennen, bei dem weniger die
Unterschiede oder Fremdheit als Bedrohung empfunden werden als vielmehr
tatsächliche Übereinstimmungen mit dem vermeintlich „Eigenen“: Während d…
vorwiegend weißen Kritiker keine Probleme mit der „Andersartigkeit“ des
Ausdrucks etwa einer Billie Holiday zu haben schienen, war ihre Ablehnung
Fitzgeralds möglicherweise darin begründet, dass ihr Gesangsstil und
Repertoire zu viele Ähnlichkeit mit denen weißer Sängerinnen aufwiesen – zu
den bekannten frühen „Song Book“-Interpretinnen zählten ebenfalls Rosemary
Clooney oder Doris Day –, um als „echter“ Jazz durchzugehen.
Ihren Status als eine der größten Jazzsängerinnen aller Zeiten konnte dies
nicht beeinträchtigen. Und ihren Erfolg erst recht nicht.
Dass Fitzgerald die Unterhaltung ihres Publikums als Ehrensache betrachtete
– Louis Armstrong war einer ihrer würdigen Duett-Bühnenpartner, mit dem sie
mehrere Alben einspielte –, hatte auch mit der einzigen echten Niederlage
ihrer Laufbahn zu tun: In den dreißiger Jahren, als sie noch zu
Talentwettbewerben ging, sang sie eines Abends im New Yorker Lafayette
Theatre mit einem Begleitpianisten, der den von ihr ausgewählten Song nicht
kannte und sie mit seinem Spiel so sehr verwirrte, dass die Besucher sie
mit Pfiffen und Buhrufen von der Bühne scheuchten.
Diese Erfahrung soll dafür verantwortlich gewesen sein, dass sie zu ihren
Konzerten stets deutlich zu früh erschien und den Beginn ihres Auftritts
ein wenig nervös erwartete. Um dann eine perfekte Show abzuliefern und ihr
Publikum mit mehreren Zugaben zu bedenken. Auch Kabarett-Einlagen wurden
irgendwann Bestandteil ihrer Konzertgestaltung.
## Sensationell lange Musikerinnenkarriere
Als sie am 15. Juni 1996 im Alter von 79 Jahren starb, war sie stark von
einer Diabetes-Erkrankung gezeichnet und auf einen Rollstuhl angewiesen. Im
Vergleich zu anderen Kolleginnen und Kollegen hatte sie zu dem Zeitpunkt
immer noch eine sensationell lange Musikerinnenkarriere vollendet.
Pünktlich zu ihrem 100. Geburtstag ist bei Verve jetzt eine Box erschienen,
„Ella 100“, mit 100 Songs aus ihrer künstlerischen Laufbahn. Ihre
verschiedenen Stationen lassen sich darin gut nachvollziehen, angefangen
mit ihren ersten Schritten im Swing. La Fitzgerald lässt sich dabei schwer
auf einen einzigen Nenner bringen. Auffallend – und das ist durchaus eine
Konstante – ist die selbstverständliche Anmut, mit der sie das Material
versah, dem sie sich gewidmet hat. Man kann dazu ruhig Jazz sagen.
25 Apr 2017
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
## TAGS
Jazz
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Lesestück Meinung und Analyse
Schwerpunkt Rassismus
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