| # taz.de -- Spielfilm „Jean Seberg“ im Kino: Ein Star im Visier des FBI | |
| > Der Spielfilm „Jean Seberg“ mit Kristen Stewart erzählt vom Engagement | |
| > der Schauspielerin für die Black Panthers. Er setzt auf die Kraft der | |
| > Dialoge. | |
| Bild: Haare schneiden oder Waffe schwenken? Jean Seberg (Kristen Stewart) will … | |
| Diese Zeilen treffen: „Wir müssen eine Waffe schwenken, um Aufmerksamkeit | |
| zu erregen …“, sagt der schwarze Bürgerrechtsaktivist Hakim Jamal (Anthony | |
| Mackie) zu der weißen Schauspielerin [1][Jean Seberg] (Kristen Stewart), „… | |
| Sie lassen sich die Haare schneiden, und schon sind Sie auf der Titelseite | |
| vom Life Magazine.“ | |
| Zu diesem Zeitpunkt sind Seberg und Jamal bereits heimlich ein Paar. Obwohl | |
| die Heimlichkeit relativ ist – Jamals Ehefrau ahnt das Verhältnis, und weit | |
| folgenreicher: Das FBI, das Jamals Wege seit Längerem beobachtet, war auf | |
| Sebergs Sympathie gegenüber der schwarzen Bürgerrechtsbewegung der USA | |
| aufmerksam geworden – das reichte aus, um in ihrem auch heutzutage noch | |
| segregativen Heimatland als Gefahr für die Gesellschaft betrachtet zu | |
| werden. | |
| Die US-Behörde beschloss, die Künstlerin zu überwachen. Sebergs daraus | |
| resultierende, verständliche Angst schlug bald in Paranoia um, | |
| verleumderische und hetzerische Presseberichte über Sebergs angebliche | |
| „Black Panther-Schwangerschaft“ führte, so erzählen es Film und | |
| Biograf*innen, zu einer Fehlgeburt. Seberg, die danach nie wieder in den | |
| USA arbeitete, brachte sich 1979 um – sie hatte bereits einige | |
| Suizidversuche hinter sich, immer am Todestag ihrer 1970 verlorenen | |
| Tochter. | |
| Benedict Andrews’ partielles, mit den Ereignissen 1970 endendes Biopic über | |
| Jean Seberg, die mit Pixie-Kurzhaarschnitt und Charisma ein paar Jahre | |
| zuvor durch [2][Jean-Luc Godards] Nouvelle-Vague-Paradefilm „Außer Atem“ | |
| bekannt geworden war, setzt neben der Tragödie um die Schauspielerin auch | |
| das Verhältnis zwischen Geschlechtern und Hautfarben in Szene. | |
| Anhand verschiedener Beispiele scheint der Film Paarkonstellationen zu | |
| evaluieren: Jean und ihr französischer Ehemann, der Schriftsteller Romain | |
| Gary (Yvan Attal) führen eine problematische, aber respektvolle, bemüht | |
| konsensuelle, offene Beziehung – Gary ist der Vater des gemeinsamen Sohnes | |
| und bleibt auch nach Sebergs Schwangerschaft von einem anderen (nicht | |
| Jamal) als Freund an ihrer Seite. Der FBI-Agent und Abhörspezialist Jack | |
| (Jack O’Connell), der Seberg zunächst verwanzt und dann aufgrund der | |
| Konsequenzen Skrupel bekommt, scheitert an den Forderungen seiner Frau | |
| Linette (Margaret Qualley) nach Gleichberechtigung. | |
| ## Die Revolution braucht Filmstars | |
| Bitter gespiegelt wird alles von Jacks Vorgesetztem Carl (Vince Vaughn), | |
| der bei einem Abendessen seine Familie mit der gleichen patriarchalen | |
| Selbstverständlichkeit herunterputzt, die sich in seinem Umgang mit einer | |
| zu observierenden Person zeigt. „Du redest nicht mehr mit deinem Sohn?“, | |
| wird Carl von seinem Kollegen gefragt. „Glaub mir, wir haben so viel | |
| geredet, dass ich mir fast die Fingerknöchel gebrochen habe“, antwortet | |
| der, kurz bevor er seiner Tochter das Besteck ins Gesicht wirft. | |
| Und Jamals Frau (Zazie Beetz) ist wütend, aber ohnmächtig gegenüber der | |
| Philanderie ihres Mannes – „the Revolution needs movie stars“, sagt sie zu | |
| Jean. | |
| Jean, die Stewart mit den passenden Anteilen Verletzlichkeit, Mut und | |
| Verzweiflung spielt, bleibt jedenfalls allein – schon früh in der | |
| Geschichte lässt sie Sohn und Mann in Paris hinter sich, um in Hollywood zu | |
| drehen, und wandert ruhelos durch ihr elegantes 60s-Domizil, angetrieben | |
| von Whiskey und der Frage, inwiefern ihr Beruf die Welt mitgestaltet: „Ein | |
| Westernmusical ist belanglos“, hatte sie vorher zu ihrem Manager Walt | |
| (Stephen Root) gesagt, „ich will etwas bewegen!“ | |
| ## Zitierfähige Sprüche in den Mund gelegt | |
| Regisseur Andrews, der viel von Sebergs Zerrissenheit subtil durch den | |
| Soundtrack mit Scott Walker, David Crosby und Nina Simone ausdrückt, macht | |
| (trotz eines bezaubernden Kostümbilds und eines ebensolchen Setdesigns) | |
| seine Dialoge wirkmächtiger als die soliden Bilder: Seinen | |
| Protagonist*innen hat er gemeinsam mit den Drehbuchautor*innen Joe | |
| Shrapnel und Anna Waterhouse zitierfähige Sprüche in den Mund gelegt, die | |
| mühelos eine zweite Ebene berühren. | |
| Vor allem Jamal stellt er als belesenen und redegewandten Mann dar: „If you | |
| can change one mind, you can change the world“, sagt dieser in leichter | |
| Abwandlung eines Zitats des Philosophen William James zu Jean. Und dass in | |
| einer von Sebergs Einsamkeitsszenen der düstere Song „Blood of an American“ | |
| des weißen Countrysängers Bobby Wright läuft, ist doppelt aussagekräftig: | |
| „Bobby E. Wright“ ist auch der Name eines schwarzen Politaktivisten und | |
| Wissenschaftlers, der die psychologischen Dimensionen von Rassismus | |
| erforschte. | |
| Das angesprochene Westernmusical („Paint Your Wagon“) hat Seberg übrigens | |
| dennoch gedreht – im Film ist es eine anstrengende Erfahrung. Aber es | |
| stellte beileibe nicht das erste nachhaltige Trauma in ihrem Beruf dar: | |
| Ihren Debütfilm „Die heilige Johanna“ machte Seberg mit 18 Jahren. Unter | |
| der Regie von Otto Preminger stellte sie sich auf einen Scheiterhaufen, und | |
| wurde, ungeplant, kurz von den Flammen erfasst. Die Brandnarben trug sie | |
| Zeit ihres Lebens – ihre angstvolle Geste in der fertigen Fassung ist somit | |
| authentisch. | |
| „Woher stammen die?“, will ihr Liebhaber Jamal in „Jean Seberg“ angesic… | |
| der Wundmale wissen. „Ein Mann hat mich auf einen Scheiterhaufen gestellt | |
| und angezündet“, antwortet sie. Dabei ging die echte Hexenjagd auf Jean | |
| Seberg damals gerade erst los. | |
| 16 Sep 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jenni Zylka | |
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