| # taz.de -- Kristen Stewart als Lady Di in „Spencer“: Hier läuft etwas gew… | |
| > Das Gefühl, angestarrt und überwacht zu werden, trifft Stewart in | |
| > „Spencer“ genau. Pablo Larraín erzählt in dem biografischem Drama von | |
| > Lady Di. | |
| Bild: Lady Diana (Kristen Stewart) auf Schloss Sandringham | |
| Noch bis Anfang des Jahres konnte man im Londoner Kensington-Palast das | |
| Brautkleid von Lady Di begutachten. Die Söhne der Princess of Wales, die | |
| Prinzen William und Harry, hatten 40 Jahre nach der Hochzeit ihrer 1997 | |
| verstorbenen Mutter erstmals zugestimmt, den Traum in Elfenbein, der | |
| angeblich – samt sämtlicher Perlenschnüre und einer acht Meter langen | |
| Schleppe – um die zehn Kilo wiegt, in einer Ausstellung der Öffentlichkeit | |
| zugänglich zu machen. | |
| Wer sie 1981 darin gesehen hatte, oder Bilder davon kennt, wird sich | |
| erinnern: Diana verlor sich fast in der Robe. Nur in Höhe des Goldenen | |
| Schnitts dieses glänzenden, taftigen, von Schleiern eingerahmten | |
| Sahnebaisers, lächelte das junge Scheues-Reh-Gesicht tapfer, mit schief | |
| gelegtem Kopf über züchtig-makellosem Dekolleté. Der Rest war ganz Spitze, | |
| ganz Romantik. | |
| Zehn Jahre später setzt [1][Pablo Larraíns] Film „Spencer“ an. Dass der | |
| chilenische Regisseur sich nicht mit den bis zum Abwinken bekannten | |
| ikonischen Bildern aufhält, dass er gar nicht erst versucht, Lady Di in | |
| öffentlicher Aktion zu zeigen, weder bei der Hochzeit, noch bei der | |
| Charity-Arbeit mit Kindern, dass er sich also nicht für eine | |
| (Neu-)Interpretation bekannter Fakten und eidetischer Tableaus entscheidet, | |
| ist ein großes Glück: „Spencer“ ist im weitesten Sinne zwar ein | |
| biografisches Drama. Aber gleichzeitig (und einer Prinzessin würdig) ein | |
| Märchen. „Eine Fabel aus einer wahren Tragödie“, liest man zu Beginn des | |
| Films. | |
| Das Setting mag man kennen – vor Kurzem gab es eine weitere Interpretin der | |
| „Prinzessin der Herzen“: In der vierten Staffel von [2][„The Crown“] wi… | |
| sie von der nichtbinären Schauspieler:in Emma Corrin als schräg | |
| lächelndes, etwas borniertes Elfenwesen gegeben, das sich mit ihrem | |
| treulosen, vor ohnmächtiger Wut fast platzenden Ehemann herumschlägt. All | |
| das in wahrhaftig wirkender Umgebung, mit einer zeitlich soliden, | |
| paritätischen Gewichtung: Das macht Charles, so reagiert Di, und dass die | |
| Queen not amused ist, versteht sich von selbst. | |
| Larraín, der sich für das Drehbuch seines Films auf die britische | |
| Fachkenntnis und Sensibilität des [3][„Peaky Blinders“]-Showrunners und | |
| versierten Drama- und Action-Spezialisten Steven Knight verließ, geht es | |
| jedoch nicht um faktische Authentizität. Es geht ihm um Dianas subjektive | |
| Wahrnehmung, um ihre Psyche. Dazu nutzen Knight und Larraín einerseits mit | |
| [4][Kristen Stewart] eine Nicht-Empire-Schauspielerin, die als | |
| US-Amerikanerin vielleicht die einzige Wahl ist, um eine Entfremdung | |
| inmitten einer britisch-eingeschworenen Gruppe darzustellen. | |
| ## Orientierung verloren | |
| Und andererseits erzählen sie nur ein Wochenende: Es ist Weihnachten 1991, | |
| und Diana will zum Sandringham Estate, einem königlichen Landsitz von fast | |
| alberner Hochherrschaftlichkeit, inklusive trutzigen Mauern und abweisenden | |
| Spitzgiebeln. | |
| Bereits der Weg dorthin, den Diana gegen die Anweisungen (die Frau des | |
| ewigen britischen Thronfolgers lebt nach strenger Agenda) ohne Chauffeur- | |
| und Security-Begleitung mit dem eigenen Porsche zurücklegt, wird zum | |
| Vorgeschmack: Schnell ist Diana, wie einst im Brautkleid, „lost“. Sie hat, | |
| an diesem Ort, in dessen Nähe sie aufwuchs, die Orientierung verloren. Sie | |
| muss schließlich in einem Ausflugscafé nach dem Weg fragen und sorgt dort | |
| ordentlich für Aufregung. | |
| Was folgt, ist kein Kammer-, sondern ein Schlossspiel. Denn irgendwann | |
| schafft es Diana – mit Hilfe – doch hinter die royal-kalten Steinwände. In | |
| Sandringham warten die herzigen Söhne, die auf der Stange aufgereihten, von | |
| jemandem aus der Befehlshierarchie ausgewählten Abendkleider samt | |
| Perlenkette, die Waage, die – lustig traditionell – das Gewicht der Gäste | |
| vor und nach den Festessen dokumentieren soll, ein riesiges Küchenregiment, | |
| und das dazugehörige ebenso große Essproblem. (Irgendwo in den Tiefen des | |
| Anwesens sitzen noch die angeheirateten familiären Blaublüter:innen, und | |
| wetzen die Messer.) | |
| ## Genese einer sich auflösenden Ehe | |
| Damit beschränken sich Larraín und Knight bei ihrer Betrachtung eines | |
| katastrophalen, mehr oder weniger fiktiven Weihnachtsbesuchs auf ein paar | |
| psychologisch interessante Stichpunkte, die zwar auch bekannt sind. Die | |
| jedoch vermutlich tatsächlich zu Dianas Gefühl des Sichverlierens | |
| beitrugen: Den Körper durch Binge-Eating und bulimisches Erbrechen zu | |
| fühlen, ihn durch Ver-Kleidung immer wieder neu zu sehen und zu verhüllen, | |
| passt zu der Genese einer sich auflösenden, zumindest zum Teil aus Kalkül | |
| geschlossenen Ehe. | |
| Denn sich herauszuputzen und die Staatsdiners bei öffentlichen Anlässen | |
| fehlerfrei über die Bühne zu kriegen, sind die einzigen Dinge, die von der | |
| Prinzessin erwartet wurden. Söhne hat sie dem Land schließlich bereits | |
| meisterhaft geschenkt. | |
| Genau diese Ansprüche nicht zu erfüllen, stattdessen, wie Larraín erzählt, | |
| eine alte, kaputte Jacke des Vaters mitzubringen, die Diana bei ihrer | |
| Hinfahrt-Odyssee von einer Vogelscheuche rupfte, dazu das trüffelreiche | |
| Festessen ins Klo zu spucken, ist so revolutionär, wie eine Prinzessin nur | |
| sein kann. | |
| Charles ist das Fremdbestimmungsgefühl nicht neu: „Für dein Land musst du | |
| deinen Körper dazu bringen, Dinge zu tun, die du hasst“, sagt er zu seiner | |
| Noch-Frau in einem der wenigen Dialoge, die Knight den beiden zugesteht. | |
| Dieser Satz, gefallen bei einer Aussprache im Billardzimmer, offenbart viel | |
| von Charles’ eigener, gequälter Seele. | |
| ## Perlen herunterwürgen | |
| Doch Diana ist nach Larraíns Auffassung bestimmt gequälter: Zu Fantasien | |
| von großen Perlen, die sie beim Essen hinunterwürgt, gesellen sich | |
| Wahnvorstellungen von einer verzweifelten Schwester im Geiste, der unselig | |
| geköpften Ex-Königin Anne Boleyn. | |
| Etwas später treibt Diana allerdings eine Kammerdame mit den Worten „Now | |
| leave me – I wish to masturbate“ zum eiligen Rückzug. Nach Ansicht der | |
| Filmemacher sitzt tief drinnen im klapprigen, geschundenen | |
| Prinzessinnenkörper also auch noch ein bisschen trockener, britischer | |
| Humor. | |
| Sehr detailliert trifft Stewart, die dafür mannigfach für Filmpreise | |
| nominiert wurde, als Lady Di dabei Stimme, Sprechweise, Akzent und | |
| Körpersprache der Prinzessin. Ihre US-amerikanische „Everybody’s | |
| Twilight-Darling“-Vergangenheit kann sie nonchalant einsetzen: Stewart muss | |
| das Gefühl kennen, angestarrt, überwacht zu werden, wenn sie einfach nur | |
| ihr Verknalltsein ausleben will. | |
| Gleichzeitig gibt sie der Prinzessin einen verwöhnten Trotz, den auch schon | |
| andere Diana-Biografien erahnten: Inwiefern Dianas Überempfindlichkeiten | |
| aus einer Egomanie, aus ihrer Vergangenheit als ein zu etwas Höherem | |
| berufenes Mädchen stammen (als Kind wurde sie von ihrer Familie wegen ihres | |
| „Herzoginnen“-Getues veräppelt), lässt der Film in der Ambivalenz. Doch | |
| seine Konzentration auf die Essstörung und die Manie sind deutlich. Und | |
| Essstörungen sind – neben den vielen Gefahren und dem Unglück, die sie | |
| bergen – egomanische Krankheiten: Es geht den Kranken, wie allen Süchtigen, | |
| immer um sich selbst. | |
| Auf der Score-Ebene wirkt das Drama manchmal überdeutlich: Der | |
| Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood, dessen Film-Kompositionen fraglos zu | |
| den interessantesten der letzten beiden Jahrzehnte gehören, hat sich für | |
| ein aufdringliches Streichquartett entschieden, das mit schrägen Tönen | |
| durchsetzt ist und zunehmend schrill etwas zu offensichtlich Dianas | |
| psychische Verfassung akzentuiert. Er untermalt, was durch Bilder und Story | |
| längst klar ist. Hier läuft etwas gewaltig schief. Sozusagen in einem | |
| königlichen Kaliber. | |
| 12 Jan 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Jackie-im-Kino/!5373616 | |
| [2] /Emmy-fuer-Olivia-Colman/!5797888 | |
| [3] /Arte-Serie-Peaky-Blinders/!5284785 | |
| [4] /Romantic-Comedy-Happiest-Season/!5735216 | |
| ## AUTOREN | |
| Jenni Zylka | |
| ## TAGS | |
| Spielfilm | |
| Britisches Königshaus | |
| Frauen | |
| Psyche | |
| Film | |
| Kolumne Lidokino | |
| Britisches Königshaus | |
| Film | |
| Gospel | |
| Hollywood | |
| USA | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Angelina Jolie als Maria Callas: Jetzt erzählt die tote Opernsängerin selbst | |
| Der Regisseur Pablo Larraín zeichnet das Leben der Callas in seinem Film | |
| „Maria“ vom Ende nach. Angelina Jolie spielt die Diva – und doch wieder | |
| nicht. | |
| Filmfestspiele von Venedig: Pinochet als Vampir | |
| Lidokino 3: Bei den Filmfestspielen von Venedig geht es bei Pablo Larraíns | |
| „El Conde“ ans Ende der Welt. Es zeichnet den Werdegang des chilenischen | |
| Diktators Pinochet. | |
| Fan-Kultur zu Lady Diana: Das Interesse stirbt nie | |
| Am 31. August ist der 25. Todestag von Lady Diana. Viele Film- und | |
| Fernsehproduktionen interpretieren dabei das Leben Dianas, wie es ihnen | |
| gefällt. | |
| Spielfilm „Gloria Mundi“: Die Alten wahren den Ruhm der Welt | |
| Der französische Regisseur Robert Guédiguian rechnet in seinem neuen Film | |
| mit neoliberalem Leistungswahn ab. Im Zentrum des Chaos ruht ein Baby. | |
| Biopic über Aretha Franklin in Kinos: Singen für die Anerkennung | |
| Regisseurin Liesl Tommy hat mit dem Film „Respect“ eine Hommage an | |
| Soul-Legende Aretha Franklin inszeniert – stimmlich gut, doch politisch | |
| harmlos. | |
| Spielfilm „Jean Seberg“ im Kino: Ein Star im Visier des FBI | |
| Der Spielfilm „Jean Seberg“ mit Kristen Stewart erzählt vom Engagement der | |
| Schauspielerin für die Black Panthers. Er setzt auf die Kraft der Dialoge. | |
| „Jackie“ im Kino: Der kurze Ruhm von Camelot | |
| Auf dem Höhepunkt der US-Demokratie: Pablo Larraíns aufschlussreicher Film | |
| „Jackie“ zeigt eine starke, gebrochene Jacqueline Kennedy. |