# taz.de -- Angelina Jolie als Maria Callas: Jetzt erzählt die tote Opernsäng… | |
> Der Regisseur Pablo Larraín zeichnet das Leben der Callas in seinem Film | |
> „Maria“ vom Ende nach. Angelina Jolie spielt die Diva – und doch wieder | |
> nicht. | |
Bild: Wie viel bleibt von Maria Callas (gespielt von Angelina Jolie) privat? | |
Eine Diva spielt eine Diva – das ist erst mal vielversprechend und kann | |
super laufen, es kann aber auch schiefgehen. In „Maria“ spielt Angelina | |
Jolie die Opernlegende [1][Maria Callas] und das Ergebnis liegt irgendwo | |
zwischen super und schief. | |
Irgendwo dazwischen ist allerdings nichts, womit sich Leben und Bedeutung | |
der 1923 in New York als Tochter griechischer Einwanderer geborenen | |
Sopranistin beschreiben ließe. Das Leben der einmalig ausdrucksstarken | |
Sängerin, genannt „die Göttliche“, war gezeichnet von Extremen, alles an | |
ihr war Leidenschaft und Hingabe, in erster Linie für die Musik, die Oper, | |
den Bühnenauftritt, die Bewunderung. | |
Die Callas war in den 1950er und 1960er Jahren die Operndiva schlechthin, | |
aber auch aufgrund ihrer Eigenwilligkeit, Exzentrik, Eleganz, Schönheit und | |
ihrem Liebesleben Objekt der Begierde von Klatschreportern und einer sie | |
vergötternden Öffentlichkeit. | |
Als die Stimme der Sängerin versiegte und damit alles hinfällig wurde, | |
entzog sich die bewunderte Ikone der Öffentlichkeit und lebte die letzten | |
Jahre alleine in ihrem Pariser Apartment. Doch selbst ihr Tod wurde von | |
denen, die sie als Sterbende sahen, mit einer Opernszene assoziiert: „Es | |
war das Bild von La Traviata“, schrieb [2][der Guardian] einen Tag nach | |
Callas’ Tod, am 17. September 1977. | |
Herzinfarkt mit 53 Jahren | |
Mit der Kurtisane hatte die Callas wenig gemein, außer dass ihre | |
Interpretation von Verdis Oper als meisterhaft verehrt wird und sie wie die | |
Kurtisane zu Hause in ihrem Bett starb, mit gerade mal 53 Jahren an einem | |
Herzinfarkt. | |
Ob der durch den übermäßigen Konsum von Schlafmitteln und anderen | |
Psychopharmaka selbst herbeigeführt oder durch eine falsche Medikation | |
durch ihren Arzt ausgelöst wurde, darüber wird bis heute spekuliert. | |
[3][Der chilenische Regisseur Pablo Larraín hat sich für seinen Film | |
„Maria“] entschieden, das Leben der Callas von eben diesem Ende aus zu | |
erzählen. Die Rolle der Erzählerin überlässt er der Diva selbst. | |
In der letzten Woche ihres Lebens sitzt sie auf den Fauteuils ihrer | |
pompösen Wohnung, lässt ihren alten, an Rückenschmerzen leidenden Butler | |
ständig ihren schweren Flügel von einer Ecke in die andere schieben, singt | |
ihren Angestellten vor, spielt mit ihnen Karten, versteckt die Tabletten | |
vor ihnen und unterhält sich mit einem Reporter, der eine Dokumentation | |
über ihr Leben drehen will: „The Last Days“. Der Reporter trägt denselben | |
Namen wie eins der Medikamente, die sie sich in Massen reinpfeift: Mandrax, | |
ein Hypnotikum. | |
Eingebildete Besucher | |
„Ab heute entscheide ich, was real ist und was nicht“, antwortet Maria | |
Callas, nachdem ihr Butler sie gefragt hat, ob der Reporter, dessen Besuch | |
sie angekündigt hat, echt sei oder ob sie sich den wie so vieles andere in | |
letzter Zeit nur einbilde. Natürlich bildet sich die Callas diesen Reporter | |
nur ein, denn vor den echten Journalisten, die sie bedrängen, endlich | |
öffentlich zuzugeben, dass sie nie wieder singen wird, flieht sie. | |
„Über mich wurde so viel geschrieben“, sagt sie dem eingebildeten Reporter | |
ins Mikrofon, „jetzt erzähle ich“. Sie schreibe ihre Autobiografie, „Das | |
menschliche Lied“ solle sie heißen, aber sie benutze dafür keinen Stift, | |
nur ihre Einbildung. | |
Nachdem ihr Leben bisher von anderen bestimmt worden sei – erst habe die | |
Mutter sie gezwungen zu singen, dann ihr Geliebter Aristoteles Onassis, das | |
nicht mehr zu tun, und nun will der Arzt ihr vorschreiben, was sie zu tun | |
hat – habe sie beschlossen, endlich selbst die Kontrolle über ihr Leben und | |
dessen Ende zu übernehmen. | |
Die Grenzen von Realität und Fiktion sind im Film „Maria“ einerseits | |
ständig Thema, andererseits sind sie ihm ziemlich egal. Wenig bis nichts | |
ist davon bekannt, wie die Callas ihre letzten sieben Tage verbracht hat, | |
insofern ist die Rahmenhandlung des Films komplett fiktiv. Alles, was der | |
Film ansonsten in Rückblicken über das Leben der dramatischen Performerin | |
erzählt, ist hingegen vielfach erzählt. | |
Im Interview mit der taz betont Pablo Larraín, dass er keinen | |
Dokumentarfilm habe machen wollen, dass „Maria“ eine Fiktion ist, die sich | |
historischer Momente bedient. Ihm sei es wichtig gewesen, die | |
Schauspielerin Angelina Jolie „ernst zu nehmen“ und dazu gehöre eben auch, | |
sie selbst singen und berühmte Auftritte der Callas nachspielen zu lassen. | |
Rätselhaft bleibt trotzdem, warum die Jolie ein halbes Jahr lang | |
Gesangsunterricht nehmen musste, um ausgerechnet die Callas zu imitieren. | |
In Interviews sagt Jolie, dass sie Angst davor gehabt hatte, der Callas | |
nicht gerecht zu werden. | |
Nun, wie vermessen wäre es, zu glauben, jemand, der nie in seinem Leben | |
Opern gesungen hat, könne ausgerechnet der Stimme aller Stimmen gerecht | |
werden? Das kann ihr natürlich nicht gelingen und deswegen wirken die | |
Szenen in „Maria“, in denen Jolie die großen Arien von Puccini bis Verdi | |
„singt“, ziemlich befremdlich, bewegt sie doch im Wesentlichen ihre großen | |
Lippen. | |
Immer dann, wenn sie den Mund aufmacht, hören wir aber angeblich die Jolie | |
wirklich singen, gemischt mit Originalaufnahmen der Callas. Was das Ganze | |
soll? Erschließt sich nicht. | |
„Casta Diva“ im Morgenrock | |
Es gibt nur eine Szene, in der die Idee, die Schauspielerin singen zu | |
lassen, wirklich funktioniert: Die Diva steht im Morgenrock vor ihrer | |
Angestellten Bruna in der Küche ihrer Wohnung und singt ihr schief und | |
scheppernd, an den Tönen und der Intensität scheiternd die Arie „Casta | |
Diva“ aus Bellinis Oper „Norma“ vor. | |
Begleitet wird ihr Gesang von einem prasselnden Brutzelgeräusch, das vom | |
Omelette stammt, das Bruna währenddessen in der Pfanne brät. Ein bisschen | |
Slapstick, ja, aber eine Soundkulisse, die dem tragikomischen Ende einer | |
Operndiva einen pointierteren Ausdruck verschafft als die restlichen zwei | |
Stunden Film. | |
Es dauert eine ganze Weile, bis das Fremdeln mit der Besetzung der | |
zweistündigen „Maria“ aufhört. Irgendwann aber beginnt das Loslassen und | |
man guckt Angelina Jolie nicht länger dabei zu, wie sie versucht, die | |
Callas zu sein und dabei scheitert. | |
Es beginnt der Moment, an dem man einer beeindruckenden Schauspielerin | |
folgt, wie sie jemanden darstellt, der seine Lebensverletzungen – von der | |
Kindheit unter einer strengen Mutter über die unglückliche Liebe und vor | |
allem ihre Abhängigkeit von der Bewunderung des Publikums – Revue passieren | |
lässt. | |
Jolie macht das mit einem intensiven Minenspiel, das die Theatralik der | |
Callas imitiert und wie für ein ewiges Bildnis dramatischen Leidens von der | |
Kamera festgehalten wird. | |
Kindheit der Callas | |
Während Angelina Jolies Callas-Werdung immer besser wird, wird das, was | |
erzählt wird, immer dünner. Dazu kommt eine verstörende Szene, in der in | |
Schwarz-Weiß ein kurzer Spot auf die Kindheit der Callas gelegt wird. Zu | |
sehen ist, wie die Teenager-Maria und ihre Schwester in Griechenland vor | |
zwei SS-Soldaten singen. | |
Ihre Mutter hatte sie dazu gezwungen, um sie dann für 100 Drachmen als | |
Dirnen zu verkaufen. Als Maria auf dem Bett sitzend beginnt, sich | |
auszuziehen, stoppt sie der SS-Mann: „Nein, nicht jetzt. Sing!“ Minutenlang | |
sehen wir dann das Gesicht des Nazis, das durch den Gesang friedlich wie | |
ein Unschuldsengel wird. | |
Auf die Frage, wieso er einen lieblich wirkenden Nazi zeigt, ohne | |
wenigstens anzudeuten, welche Greuel die SS in Griechenland anrichtete, | |
antwortet Larraín im Gespräch mit der taz, er habe zeigen wollen, dass auch | |
Nazis Liebhaber einer guten Stimme gewesen sein konnten. Und dass die Szene | |
doch grausam genug sei. | |
Nichts ist dem Zufall überlassen | |
Oper ist Performance, sie lebt von dem Moment, war das Credo von Maria | |
Callas. Auch Angelina Jolie sagt das in dem Film mehrmals, und je häufiger | |
sie das wiederholt, umso statischer wirkt der Film, der nichts dem Zufall | |
überlässt, der von der Mimik bis zum Kleiderständer alles sorgfältig in | |
Szene setzt. Das wiederum ist alles sehr schön anzuschauen, immer wieder | |
erschafft der Film opulente Bühnenbilder, so beispielsweise, wenn aus | |
Passanten in Paris plötzlich ein Verdi singender Chor wird. | |
Doch so intensiv die Bilder, so seltsam leer bleibt die von Jolie gespielte | |
Callas. Der Film schafft sogar eher Distanz von der Legende als eine | |
Intimität mit ihr, obwohl er doch vorgibt, ganz bei ihr, ja sogar in ihrem | |
Kopf zu sein, um die geheimen Gedanken eines erlöschenden Weltstars zu | |
Gehör zu bringen. | |
„Mein Leben ist die Oper, ohne sie bin ich nichts“, sagt Angelina Jolie | |
alias Maria Callas. Die Botschaft des Regisseurs Larraín scheint zu sein: | |
Holt man die Diva von der Bühne, bleibt keine Person, kein Leben zurück. | |
Das Mysteriöse der Göttlichen bleibt also weiter unantastbar. | |
5 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Sopranistin-Maria-Callas/!5972639 | |
[2] https://www.theguardian.com/music/2014/sep/17/maria-callas-dead-opera-1977 | |
[3] /Frauenrollen-beim-Filmfestival-Venedig/!6033023 | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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Schwerpunkt Filmfestspiele Venedig | |
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