# taz.de -- Sopranistin Maria Callas: Königin der Tragödie | |
> Maria Callas wäre am 2. Dezember 100 Jahre alt geworden. Wie keine andere | |
> schaffte sie es, menschliche Abgründe ohne Angst, aber präzise | |
> offenzulegen. | |
Bild: Maria Callas 1959 in Paris | |
Wir haben doch Beyoncé, warum sollte uns eine vor fast 50 Jahren | |
verstorbene Opernsängerin interessieren, die an diesem Wochenende 100 Jahre | |
alt geworden wäre? | |
Zum Beispiel, weil diese Frau, Maria Callas, das größte Repertoire an | |
Abgründen mit ihrer Stimme erreichte, weil sie damit 50 Shades of | |
Dunkelheit aufrufen konnte, von Abscheu bis Hass, von Elend bis Qual. Zum | |
Beispiel aber auch, weil diese Sopranistin, die als größte Diva des 20. | |
Jahrhunderts gilt, ein eigenartiges Wackeln, ein schlabberndes Tremolo in | |
bestimmten Stimmlagen hatte, die Frauen ihrer Zunft wie Anna Netrebko | |
trotzdem bis heute an ihr messen lassen müssen. | |
Puccinis Tosca, [1][Bellinis Norma], [2][Cherubinis Medea] oder [3][Verdis | |
Traviata] sind bis heute von der Inszenierung der Callas mit ihrer | |
ungewöhnlichen Stimme und ihren ungewöhnlichen Gebärden so sehr geprägt, | |
dass es kaum möglich ist, diese tragischen, um Liebe mit Leidenschaft | |
kämpfenden Frauenfiguren anders vorzustellen als mit dem sich verzehrenden | |
Gesicht der Callas. Aber das sind nur die rein künstlerischen Gründe. | |
Mythisch verklärt wird die sich selbst als „Tigerin“ bezeichnende Königin | |
der Tragödie, weil sie in ihrem Kampf um Anerkennung und Selbstbestimmung | |
als Vertreterin derer gilt, die nicht stromlinienförmig sind, die anecken, | |
aufbegehren, ihr Recht auf einen Platz an der Sonne einfordern. Verehrt | |
wird Maria Callas bis heute für ihre kompromisslose Hingabe an die Kunst, | |
als die Ikone der Leidenschaft, in deren Bedeutung die enge Verbundenheit | |
von Liebe und Leiden zum Ausdruck kommt. | |
## Erschöpfung, Depression, Erfolgsdruck | |
Maria Callas schaffte als Künstlerin das Wunder, menschliche Abgründe ohne | |
Angst, aber mit größter Präzision offenzulegen und dafür bejubelt zu | |
werden, dass sie das Leben besang. Sie kämpfte um Selbstbestimmung und | |
Anerkennung und ging daran zugrunde, dass sie immer auch mit sich selbst | |
kämpfte, mit ihrem unbedingten Willen nach absoluter Perfektion und | |
absoluter Liebe. | |
Werk und Autor, das Drama der Kunst und das echte Leben, Bühnenfigur und | |
privates Ich ließen sich bei Maria Callas irgendwann nicht mehr trennen. | |
1977 stirbt sie mit gerade mal 53 Jahren einsam, tablettenabhängig und mit | |
erstorbener Stimme an einem Herzinfarkt. | |
Sowohl Beyoncé als auch Maria Callas beherrschten jahrzehntelang als | |
erfolgreichste, einflussreichste und reichste Stars nicht nur die Bühnen, | |
sondern auch das gesellschaftliche Gespräch. So wie Beyoncé brach auch die | |
„Primadonna assoluta“ Rekorde, zumindest was die Superlative betrifft, die | |
ihr für ihre außergewöhnliche Stimme und Bühnenpräsenz um- und nie wieder | |
abgehängt wurden. | |
Während Beyoncé darüber hinaus aber auch noch eine glückliche und | |
kinderreiche Ehe inszenieren kann, ging der Wunsch nach Kindern und Familie | |
für die Callas nicht in Erfüllung: ihr Ehemann war nur an ihrem Erfolg und | |
nicht an Kindern interessiert und die Liebe ihres Lebens, der griechische | |
Reeder Aristoteles Onassis, heiratete am Ende lieber doch einen anderen | |
Weltstar: Jackie Kennedy, die Witwe des ermordeten US-Präsidenten. | |
Lange bevor Themen wie Erschöpfung, Depression, Erfolgsdruck aus der | |
Tabuzone geholt wurden, ging Maria Callas offen damit um. So sagte sie 1958 | |
eine Vorstellung der Norma in Rom wenige Minuten vor Beginn ab, und das, | |
obwohl der italienische Staatspräsident und mit ihm die römische Crème de | |
la Crème bereits in der Oper saßen. Ausgerechnet die überaus disziplinierte | |
Callas, die seit ihrem 13. Lebensjahr unermüdlich an ihrer Stimme und ihrem | |
Erfolg arbeitete, ließ den wichtigsten Politiker Italiens im Regen stehen. | |
Bis an ihr Lebensende warf man ihr das vor: Egoismus, Arroganz, Eitelkeit. | |
Dabei war sie einfach krank und sah sich nicht in der Lage, ihre Arbeit zu | |
vollster Zufriedenheit auszuführen. | |
Die gleichen Vorwürfe hagelte es, als sie sich im gleichen Jahr mit den | |
bedeutendsten Opernhäusern der Welt anlegte, mit den Direktoren der | |
Mailänder Scala und der New Yorker Met. Man sagte ihr nach, sie habe | |
unkontrollierte Wutausbrüche, sei jähzornig, tyrannisch. Dabei ließ sie | |
sich nicht erst auf dem Zenit ihrer Karriere, sondern schon als junger | |
Teenager von niemandem sagen, dass sie sich in die zweite Reihe stellen | |
sollte. | |
## Nicht viele Freunde | |
Geboren wurde Maria Callas am 2. Dezember 1923 in New York als Tochter | |
griechischer Einwanderer. 1936 zog sie nach Griechenland um, wo ihre Mutter | |
sehr umtriebig daran arbeitete, sie in bessere Kreise einzuführen. Doch | |
letztlich war es Maria selbst, die sich in Athen heimlich bei der | |
Gesangslehrerin Elvira de Hidalgo einschlich, die ihre wichtigste Förderin | |
und Freundin wurde. | |
Freunde hatte Maria Callas nicht viele. Einer von ihnen war der | |
italienische [4][Filmemacher Pier Paolo Pasolini]. Sein Film „Medea“ hatte | |
er Maria Callas, die die Hauptrolle spielte, auf den Leib geschrieben. In | |
ihrer Kompromisslosigkeit und Radikalität in der Kunst waren sich die | |
beiden sehr nah. Aber auch im Humor, den die Callas bei aller Disziplin, | |
Wut und Tragödie auch hatte. So sagte sie in einem Interview mit dem | |
britischen Reporter David Frost auf die Frage, wie es sich als Legende | |
lebe: „Das Publikum hat mich zu einer Legende gemacht, aber ich bin nur ein | |
Mensch. Wäre ich das nicht, hätte ich wahrscheinlich besser gesungen.“ | |
Wer sich ein Bild von der Bühnenpräsenz der Callas machen will, wie also | |
das berühmte Schweigen, das Zuhören, das Augenschließen, die Bewegung der | |
Hände aussahen, sollte am 2. Dezember ins Kino gehen. Bundesweit läuft an | |
diesem Tag der Film „Callas – Paris, 1958“, ein legendäres Konzert der D… | |
in voller Länge, das sie mit „Casta Diva“ eröffnete, der berühmten Arie … | |
Druidenpriesterin und heimlichen Geliebten Norma aus Vincenco Bellinis | |
gleichnamiger Oper. | |
Wer sich noch weitere Konzertauftritte, Interviews und private | |
Videoaufnahmen anschauen möchte, kann am Samstag auf 3sat die großartige | |
Doku „Maria by Callas“ anschauen, die nur aus originalen Filmaufnahmen | |
besteht; die einzigen im Off gesprochenen Passagen sind Briefe von Maria | |
Callas. | |
Wer an einem vollständigen Bild der Diva interessiert ist, wird mit der | |
neuen Biografie der Musikwissenschaftlerin Eva Gesine Baur sehr gut | |
bedient. Dicht und spannend erzählt die Biografin Mozarts, Chopins und | |
Marlene Dietrichs das unglaubliche, ereignisreiche Leben der Callas in all | |
seinen Ambivalenzen und Krassheiten. | |
## Keine Märtyrerin, sondern Kämpferin | |
So erfährt man einiges Erstaunliches aus der Zeit, in der Maria Callas noch | |
„Fräulein Kalogeropoulou“ war und noch unklar schien, ob ihre Stimme eine | |
Kontraalt, eine Mezzosopran oder doch eine reine Sopran war und die ihre | |
erste Gesangslehrerin als „Turmglockenspiel“ bezeichnete. | |
Man erfährt, dass sie von Anfang an ihre Mitmenschen in Konkurrenz oder | |
karriereförderlich einteilte und dass das Vorstellungen und Affären mit | |
italienischen Faschisten und deutschen Nazis beinhaltete, für deren | |
politische Ansichten sie sich nicht interessierte. Was sie interessierte, | |
war deren Einfluss, den sie sich zunutzemachen wollte. So wie sie auch | |
ihren Ehemann, den sehr viel älteren Manager, nicht heiratete, weil sie ihn | |
liebte, sondern weil der als einer der ersten ihr Ausnahmetalent erkannte | |
und mit seinen Kontakten ihre Karriere in Italien, dem wichtigsten Land für | |
die Oper, anschieben half. | |
1945 – mit gerade mal 21 und keinerlei internationalem Ruf – schlägt sie | |
einen Vierjahresvertrag an der New Yorker Met aus, weil der beinhaltet | |
hätte, dass sie nicht in der ersten Reihe hätte singen können. Den oft | |
kritisierten Stolz, den die Callas unverhohlen zur Schau stellte, | |
charakterisiert Gesine Baur als Wesensmerkmal der Heldinnen aus der antiken | |
Tragödie. „Wie die trug sie ihn als Rüstung gegen Schmeicheleien, die ihre | |
Zielstrebigkeit hätten aufweichen können.“ | |
Überhaupt habe die Callas alles von einer antiken Tragödienheldin: Sie sei | |
nie Märtyrerin, sondern Kämpferin gewesen, Groll und Auflehnung | |
charakterisiere diese Figuren und nicht die Annahme des Leidens. Dass die | |
Callas ihre Auftritte „Schlacht“ nannte, unterstreicht diese | |
Interpretation, die auch Pasolini zu ihren Lebzeiten hatte: „Sie ist eine | |
Frau, in gewisser Hinsicht die modernste aller Frauen, aber in ihr lebt | |
eine Frau der Antike – geheimnisvoll und magisch –, deren Empfindungen | |
einen unglaublichen inneren Konflikt bei ihr auslösen.“ | |
Die Skandale, die Abstürze, das frühzeitige Ausbrennen – alles Elemente, | |
die auch die Popstars späterer Generationen kennzeichneten. Auch Maria | |
Callas’ Leben diente als Vorlage für Romane, Filme, Theaterstücke und | |
Modeschauen. Das alles hätte ihr wahrscheinlich gefallen. Aber noch mehr, | |
dass ihr größter Verdienst, daran erinnert Baur, darin liegt, die Oper „vor | |
dem allmählichen Verenden in der Gleichgültigkeit“ gerettet zu haben. | |
2 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=s-TwMfgaDC8&list=RDs-TwMfgaDC8&star… | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=NjowD48DK28 | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=jPuyLhiocY8 | |
[4] /100-Geburtstag-von-Pier-Paolo-Pasolini/!5836923 | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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