| # taz.de -- „Jackie“ im Kino: Der kurze Ruhm von Camelot | |
| > Auf dem Höhepunkt der US-Demokratie: Pablo Larraíns aufschlussreicher | |
| > Film „Jackie“ zeigt eine starke, gebrochene Jacqueline Kennedy. | |
| Bild: „Die Kennedys bleiben das unerreichte Ideal der Bushs und Clintons“: … | |
| „Wenn die Legende zur Tatsache geworden ist, druck die Legende.“ So heißt | |
| es in John Fords Westernklassiker „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“, | |
| ein Satz, der nicht nur für den sogenannten Wilden Westen und seine | |
| mythologische Rolle im amerikanischen Selbstverständnis treffend ist, | |
| sondern ganz allgemein für die US-amerikanische Demokratie. | |
| Die befand sich 1962 – als Fords Film ins Kino kam – praktisch auf ihrem | |
| Höhepunkt: Die Vereinigten Staaten waren unbestrittene Supermacht, Führer | |
| der westlichen Demokratie, wohlhabendstes, mächtigstes Land ihrer Zeit und | |
| wohl aller Zeiten. Auch dank eines Präsidenten, der wie kaum ein anderer | |
| vor und nach ihm verehrt und verklärt wurde. | |
| Ein Jahr später wurde John F. Kennedy 1963 in Dallas erschossen, und der | |
| Abstieg begann: Vietnam, weitere politische Morde, denen Martin Luther | |
| King, Malcolm X und Robert Kennedy zum Opfer fielen, schließlich Nixon und | |
| Watergate. Fraglos auch, weil es den USA in der Realität objektiv | |
| bescheiden ging, wurde JFK nach seinem Tod zum Mythos, zum verklärten | |
| Führer einer Nation, zum Herrscher eines gar mystischen Hofes namens | |
| Camelot. | |
| Wie das mit Mythen so ist, lässt sich 50 Jahre später kaum noch sagen, wie | |
| der Begriff „Camelot“ Teil der Geschichtsschreibung wurde. Und genau das | |
| ist Thema von Pablo Larraíns Drama „Jackie“, das gleichermaßen | |
| Filmbiografie der Witwe JFKs – Jacqueline Bouvier Kennedy – ist, aber auch | |
| eine Dekonstruktion des oftmals sehr konventionell erzählten Filmgenres. | |
| Wenige Tage nach dem Tod Kennedys setzt die Handlung ein, mit einem Besuch | |
| eines namenlosen Journalisten (Billy Crudup) bei der von Natalie Portman | |
| gespielten Jackie. Ein kleines Stück für das Life Magazine soll es werden, | |
| jenes Hochglanzmagazin, das mit seinen aufwändigen Fotostrecken die | |
| Imagination der Amerikaner prägte und in dem die Kennedys einst Dauerthema | |
| waren. | |
| Doch Jackie, so wie Larraín sie zeigt, hat mehr im Sinn, als sich als | |
| trauernde Witwe zu zeigen, unsicher und unterbelichtet, wie sie in der | |
| Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. So wie etwa in dem fürs Fernsehen | |
| gedrehten Film „A Tour of the White House with Mrs. John F. Kennedy“, in | |
| welchem sie in züchtigem Kostüm und mit hochtoupierter Frisur durchs Weiße | |
| Haus führt und historische Fakten über Möbel zum Besten gibt. | |
| So einstudiert diese Szenen wirken – in deren Nachstellungen Portman die | |
| Manierismen Jackies so präzise nachahmt, dass ihr allein dafür eine | |
| Oscar-Nominierung gewiss ist –, zeigt sich in ihnen doch ein Bewusstsein | |
| für die historische Rolle, die JFK einnimmt. Als erster Katholik und vor | |
| allem als jüngster Präsident aller Zeiten war er 1961 ins Weiße Haus | |
| eingezogen und versprach mit seiner eleganten Frau und seinen beiden | |
| kleinen Kindern frischen Wind in die amerikanische und damit die | |
| Weltpolitik zu bringen. | |
| ## Kuba, Vietnam, Berliner Mauer | |
| Die Realität sah dann allerdings anders aus: JFK begann die | |
| US-amerikanischen Intervention in Vietnam, erwies sich in der Kubakrise als | |
| starrköpfig (aus der er dennoch als strahlender Sieger hervorging), | |
| scheiterte mit der Invasion in der kubanischen Schweinebucht und sah zu, | |
| wie der kommunistische Erzfeind eine Mauer durch Berlin zog. | |
| Dass JFK nach seinem Tod zu einem Ideal wurde, dem seitdem zumindest alle | |
| Präsidenten der Demokratischen Partei nacheifern, der in Umfragen in den | |
| USA, aber auch in Deutschland immer noch zum beliebtesten Politiker des 20. | |
| Jahrhunderts gewählt wird, verblüfft und ist wohl auch dem Engagement | |
| Jackies zu verdanken. | |
| In den Tagen nach seinem Tod, in denen sie noch im Weißen Haus lebt, allein | |
| durch die weiten Räume wandelt, immer einen Drink in der Hand, während ihre | |
| Nachfolger, die Johnsons, schon neue Tapeten aussuchen, wurde die Legende | |
| JFK geboren. Der Trauerzug wurde dem Begräbnis von Abraham Lincoln | |
| nachempfunden, der Leichnam, auf einem offenen Wagen von Pferden gezogen, | |
| auf den Nationalfriedhof in Arlington transportiert, sodass die | |
| Bevölkerung Abschied von ihrem Präsidenten nehmen konnte. | |
| Manisch, aber auch tragisch spielt Portman in diesen Szenen Jackie, zeigt | |
| sie als verletzliche Frau, als trauernde Witwe, die sich von niemandem, | |
| weder von ihrem Schwager Robert Kennedy noch vom neuen Präsidenten Lyndon | |
| B. Johnson oder den Geheimdiensten, davon abhalten lässt, JFK auf ein | |
| Podest zu hieven. | |
| Wie fragil dieses Podest ist, muss Larraín nicht extra betonen, das Wissen | |
| um die zahllosen Affären Kennedys, die Verbindungen zu mafiösen Kreisen und | |
| seine oft problematische Politik sind oft genug beschrieben worden. Statt | |
| also eine konventionelle Filmbiografie zu drehen, betont Larraín das | |
| subjektive Element jeder Geschichtsschreibung. | |
| ## Das Bild einer komplizierten Frau | |
| Gerade Journalisten oder Historiker wissen, dass das, was in Gesprächen mit | |
| Entscheidungsträgern wirklich gesagt wird, oft nicht veröffentlicht werden | |
| kann. In Deutschland war unlängst das unautorisierte Buch „Vermächtnis – | |
| Die Kohl-Protokolle“ ein Beispiel dafür. Was der im Film namenlose | |
| Journalist, der in der Realität Theodore H. White heißt, also Anfang | |
| Dezember 1963 in seinem Artikel „For President Kennedy – An Epilogue“ | |
| schrieb, war nicht unbedingt die Wahrheit. Erst nach dem Tod von Jackie | |
| Mitte der 1990er Jahre wurden die Notizen Whites für die Öffentlichkeit | |
| freigegeben, die auch Noah Oppenheim für sein Drehbuch verwendete. | |
| Das Bild einer komplizierten Frau entsteht dadurch, einer Frau, die | |
| bisweilen die Fassade herunterlässt, für Momente authentisch agiert, um | |
| sich dann sofort zusammenzureißen und ihrem Gegenüber zu sagen: „Sie | |
| glauben doch nicht, dass Sie das schreiben dürfen?“ Was der Journalist | |
| dagegen veröffentlichen durfte, was er auch ans Ende seiner Eloge setzte, | |
| war der inzwischen legendäre Satz: „For one brief shining moment there was | |
| Camelot.“ – „Für einen kurzen, leuchtenden Moment hat Camelot existiert.… | |
| Ein Zitat aus dem 1960 uraufgeführten Musical gleichen Namens, das den | |
| mythischen König Artus, seine Ritter der Tafelrunde und die Suche nach dem | |
| Heiligen Gral verklärt. Ein Musical, das JFK offenbar regelmäßig hörte, ob | |
| des Bezugs zu Camelot wegen oder aus rein ästhetischen Gründen, muss offen | |
| bleiben. Doch dank Jackie wurde Camelot zum stehenden Begriff für das Weiße | |
| Haus unter John F. Kennedy. | |
| Was sagt es über das Selbstverständnis des Kennedy-Clans aus, sich als | |
| moderne Inkarnation von Camelot zu betrachten? Dieser mystische Hof wurde | |
| schließlich von einem König, also einem Autokraten regiert. Im besten Fall | |
| könnte man jemanden wie König Artus als gutmütigen Diktator bezeichnen, der | |
| mit Würde und Übersicht über sein Volk regiert, aber taugt so jemand als | |
| Ideal eines demokratisch gewählten Präsidenten? | |
| ## Faszinierende Legende | |
| Dies ist einer der vielen inneren Widersprüche der USA: So alt die | |
| amerikanische Demokratie auch ist, ihre Faszination für Dynastien, für an | |
| monarchische Strukturen angelegte Herrscher ist ungebrochen. | |
| Die Kennedys bleiben das unerreichte Ideal, die Bushs und die Clintons | |
| bestimmten jahrelang das politische Geschehen mit und eiferten dem Ideal | |
| Camelot nach. Mit der Realität hatte dieses Ideal zwar nie viel zu tun. | |
| Doch wie Larraín in seinem vielschichtigen Film andeutet, sind Legenden oft | |
| faszinierender als Fakten. | |
| 25 Jan 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Meyns | |
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