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# taz.de -- Spielfilm „Im Haus meiner Eltern“: Intimer Blick auf den Umgang…
> Tim Ellrich zeigt mit „Im Haus meiner Eltern“, wie sich im Kino von der
> eigenen Familie erzählen lässt. Bremens Filmfest zeigt den Film im
> Wettbewerb.
Bild: Die Mutter ist Heilpraktikerin: Chirotherapeutische Behandlung aus einer …
Der Hauptdrehort ist das Haus der Großeltern von Tim Ellrich in Osnabrück.
Dort wurde tatsächlich ein schizophrener Onkel des Filmemachers von dessen
Familie gepflegt. Und diese Geschichte erzählt Ellrich nun in seinem Film
„Im Haus meiner Eltern“ – aus der Perspektive seiner Mutter.
Nach der Uraufführung beim Filmfestival Rotterdam, wo [1][er einen Special
Jury Award erhielt], ist er nun beim Filmfest Bremen zu sehen. Das beginnt
am Mittwoch, 19. März, im Theater Bremen mit einer Gala für den britischen
Regisseur Stephen Frears.
„Im Haus meiner Eltern“ ist einer von neun Langfilmen, die im Wettbewerb
„Bremen und Umzu“ laufen. Und schon das Casting ist da eine intime
Angelegenheit: Schließlich müssen die Schauspieler*innen in diesem Film
die realen Eltern und engen Verwandten des Regisseurs verkörpern.
Jens Brock, den Darsteller für seinen Onkel hat Ellrich rauchend auf einer
Parkbank in Berlin sitzend entdeckt. Dass der auch biografische
Gemeinsamkeiten mit der Figur hatte, erfuhr der Regisseur während der
Arbiet mit dem Laiendarsteller. Konsequenter und raffinierter kann man kaum
die eigene Biografie mit der Fiktion eines Kinofilms verschmelzen.
## Radikaler Verzicht auf Zuspitzung und Romantisierung
Ellrichs Protagonistin Holle trägt den gleichen Namen wie seine reale
Mutter und arbeitet wie diese als Heilpraktikerin. Der Vater, auf beiden
Ebenen Dieter, ist Soziologe, und wenn er sich die schwierigen
Familienverhältnisse im Haus seiner Schwiegereltern mit einem Zitat von
[2][Max Weber] vom Leibe halten will, klingt das absolut authentisch – wohl
weil Ellrich es so gehört und nicht erfunden hat.
Auch [3][weist schon das mit dem hessischen Drehbuchpreis-ausgezeichnete
Skript] keine der üblichen Zuspitzungen und Spannungsbögen auf. Nur die
erste Einstellung, in der ein Toter in einem Leichensack aus einer Wohnung
getragen wird, nimmt das Ende der Geschichte vorweg, sodass von einem
kurzen Epilog abgesehen der streng chronologisch erzählte Rest des Films
eine lange Rückblende ist.
Ellrich erzählt davon, wie hilflos diese Familie angesichts der völligen
Zurückgezogenheit des psychisch Kranken ist. Dessen schon recht alten
Eltern kümmern sich um ihn, doch als die Mutter nach einem Herzanfall ins
Krankenhaus muss, beginnt Holle immer mehr die Verantwortung für ihren
Bruder zu übernehmen.
Und sie droht an dieser Belastung selber auch zu zerbrechen, denn weil der
Kranke sich weigert, Medikamente zu nehmen und sich therapieren zu lassen,
ist eine Heilung unmöglich und mit der Zeit drücken sich die anderen
Familienmitglieder aus der Verantwortung.
Holle wird nie von Ellrich romantisiert. Stattdessen erzählt er hier sehr
nuanciert von einem Menschen, der ihm offensichtlich sehr vertraut ist. Und
Jenny Schily spielt sie als eine selbstbestimmt lebende Frau, deren
Bedürfnis danach, anderen Menschen zu helfen, als eine große innere Stärke
spürbar wird. In einer Parallelhandlung behandelt sie in ihrer Praxis eine
krebskranke junge Frau, deren Verzweiflung und Tod sie sichtlich tief
erschüttert.
Ihr Bruder verweigert dagegen so gut wie jede Hilfe – mehr als Nahrung und
einen Platz zum Schlafen nimmt er nicht an. Sein Leben scheint aufs Minimum
des Existierens reduziert zu sein. Und so verkörpert Jens Brock ihn auch.
Während Ursula Werner und Manfred Zapatka das alte Elternpaar mit der
routinierten Virtuosität hochkarätiger Charakterschauspieler*innen
verkörpern, ist er nur da. Die wenigen Worte, die er sagt, und seine
spärlichen Gesten, wirken gerade darum so authentisch, weil er sie ohne
jeden menschlichen Ausdruck ausführt.
Tim Ellrich zeigt das Leben seiner Familie als Abfolge alltäglicher
Situationen: So wird viel eingekauft, gekocht und gegessen. Fast alle
entscheidenden Momente des Films geschehen bei gemeinsamen Mahlzeiten. In
diesen Sequenzen scheint es, als wäre der Regisseur besonders durch den
Originaldrehort inspiriert worden.
Die Inszenierung, Darstellung und Ausstattung sind konsequent
naturalistisch. Aber umso mehr stilisiert ist die Bildsprache. Ellrich hat
in Schwarz/Weiß gedreht. Es gibt kaum Totalen. Viele Einstellungen wurden
aus ungewöhnlichen Perspektiven aufgenommen, durch die ein eigenartiger
Verfremdungseffekt entsteht, oft dadurch noch intensiviert, dass Sequenzen
in Schwarzbildern enden. Auf [4][Filmmusik] hat Ellrich ganz verzichtet.
Diese spröde Grundstimmung verhindert gekonnt jede melodramatische Wirkung.
Das Publikum soll sich nicht anrühren lassen, es soll verstehen, was
passiert. Und so gelingt Ellrich das Kunststück, zugleich sehr intim und
mit der angebrachten Distanz von der eigenen [5][Familie] zu erzählen.
19 Mar 2025
## LINKS
[1] https://iffr.com/nl/awards-competitions/tiger-competition
[2] /150-Geburtstag-von-Max-Weber/!5043985
[3] https://www.movie-college.de/filmschule/produktion/drehplanung/drehorte/dre…
[4] /Filmmusik/!t5221261
[5] /Familie/!t5605415
## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Deutscher Film
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Familie
Filmfest Bremen
Schizophrenie
Pflege
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