# taz.de -- Filmfestival in Wrocław: Jean Seberg hört man nicht reden | |
> In Wrocław bietet Nowe Horyzonty einen guten Einblick ins globale | |
> Festivalkino. Polnisches Kino ist eher am Rande präsent. | |
Bild: Ein Höhepunkt: die Retrospektive des französischen Filmemachers Philipp… | |
Fürs Filmegucken beim 15. Nowe Horyzonty Filmfestival in Wrocław braucht | |
man etwas Geduld. Es gehen jedem Film nämlich eine Reihe von Trailern | |
voraus: einer fürs Festival; einer für die Europäische Kulturhauptstadt, | |
die Wrocław 2016 gemeinsam mit San Sebastián sein wird; einer für das | |
American Film Festival im Oktober; einer für das Nationale Musikforum, das | |
Anfang September mit zweijähriger Verspätung öffnen und in dem nächstes | |
Jahr wiederum die Eröffnung des Filmfestivals stattfinden wird. | |
Etwas ungewöhnlich ist auch, dass der Festivaltrailer zur üblichen Mischung | |
aus ein paar Filmbildern und einer tragenden Musik nacheinander sämtliche | |
Sponsorennamen runterzählt (anderswo werden die am Ende des Trailers für | |
ein paar Sekunden in einem Bild stehen gelassen). | |
Es handelt sich genau genommen also um einen Sponsorentrailer, was nicht | |
ganz so ungewöhnlich ist für ein Festival, das mit vollem Namen T-Mobile | |
Nowe Horyzonty heißt. | |
Roman Gutek, den Festivaldirektor, ficht die Markenpräsenz nicht an (das | |
Logo ist magentafarben), er sieht die Verbindung pragmatisch: Das | |
Unternehmen bezahlt ein Drittel des Budgets und redet ihm nicht rein. Für | |
Gutek geht es ums Filmevermitteln, und das seit über 30 Jahren, seit er im | |
Studentenklub Reihen westdeutscher Filme organisiert, unter dem Titel | |
„Deutschland im Herbst“ etwa. Diese Arbeit muss gemacht werden, durch die | |
jeweiligen gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen hindurch – den | |
stattlichen Gutek darf man sich getrost als Kraftwerk vorstellen, das den | |
polnischen Begriff vom Kino gehörig auflädt. | |
Gutek ist nämlich nicht nur Festivaldirektor, sondern auch Verleiher (Gutek | |
Film) und Kinobetreiber (Nowe Horyzonty); der Verein, der hinter dem Kino | |
steht, organisiert Filmvermittlung für Schüler und Studierende. Das | |
Festival wird begleitet von einem ambitionierten Musikprogramm; in diesem | |
Jahr traten im Festivalklub im Arsenal unter anderem Yasmin Hamdan und Pere | |
Ubu auf. Auf dem Platz neben dem Rathaus wird jeden Abend ein Film gezeigt, | |
wenn auch nicht aus dem laufenden Programm, sondern Publikumslieblinge | |
älteren (“La Strada“) oder jüngeren Datums („Boyhood“, „Wild Tales�… | |
Denn das Programm ist die eigentliche Attraktion des Nowe Horyzonty | |
Festivals. Hier wird das globale Festivalkino in einer Breite abgebildet, | |
die man sich in Deutschland mühsam zusammensuchen müsste – darunter 22 | |
Filme allein aus der Auswahl von Cannes. „Le tout nouveau testament“ von | |
Jaco von Dormael etwa, der zur Eröffnung am Donnerstag gespielt wurde. | |
Auf der Bühne erzählte der belgische Regisseur, dass er mehrmals gefragt | |
worden sei, ob er der Vorführung nicht mit mulmigem Gefühl entgegensehe – | |
wie kommt ein Film mit einem trinkenden, fiesen Gott, der zuerst Brüssel | |
erschuf (Benoît Poelvoorde), im katholischen Polen an? | |
Die Premiere ging ohne Proteste über die Bühne, insofern haben sich die | |
Zeiten geändert; 1994 sorgte der Kinostart von Antonia Birds Film „Der | |
Priester“ über einen schwulen Geistlichen noch für einen Auflauf empörter | |
Menschen. Dennoch bildet die Festivalblase von Wrocław nicht die | |
gesamtgesellschaftliche Gestimmtheit in Polen ab, das sich den | |
konservativ-homophoben Kaczynski-Zögling Andrzej Duda zum neuen Präsidenten | |
gewählt hat. | |
## Drogengetriebene Experimentalfilme | |
Ein Höhepunkt des am Sonntag zu Ende gehenden Nowe Horyzonty Festivals | |
dürfte die Retrospektive des sehr eigenen französischen Filmemachers | |
Philippe Garrel sein. Ein Name, der hierzulande weniger aus Kinoprogrammen | |
denn aus internationalen Festivalberichten bekannt sein dürfte und dem in | |
Wrocław dankenswerterweise eine 28 Filme umfassende Werkschau gewidmet | |
wurde. | |
Darunter die drogengetriebenen Experimentalfilme mit Garrels Exfrau Nico | |
(“La Cicatrice intérieure“, 1972, oder „Le berceau de cristal“, 1976) … | |
„Les hautes solitudes“ von 1974 – ein Dokumentarfilm, der Jean Seberg in | |
mehr oder weniger alltäglichen Situation stumm beobachtet: wie sie im Bett | |
liegt, wie sie trinkt, wie man sie nicht reden hört, wie sie in die | |
ungerührte Kamera schaut und wie man in dem schönen Gesicht aus Godards | |
„Außer Atem“ plötzlich Unsicherheit und Verzweiflung sieht. | |
Das polnische Kino ist in Wrocław eher am Rande präsent (die erste Adresse | |
für einheimische Filme ist das Festival von Gdynia), bot aber auch | |
Gelegenheit für Entdeckungen. Die in Vilnius geborene Filmemacherin Vita | |
Maria Drygas hat mit dem Dokumentarkurzfilm „Piano“ eine interessante | |
Fußnote zu Sergei Loznitsas Anfang September schließlich doch in | |
Deutschland startendem Revolutionsgemälde „Maidan“ geschaffen. | |
31 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Matthias Dell | |
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