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# taz.de -- Berlinale 2015: Als die Filme magisch wurden
> Das Filmfestival feiert den 100. Geburtstag von Technicolor. Während der
> Berlinale wird eine Auswahl der zum Teil restaurierten Filmkunstwerke
> gezeigt.
Bild: Extra bunt: Szene aus dem Film „Vom Winde verweht“ von 1939.
Die Farbexperimente im frühen Kino ähnelten ein wenig der Suche nach dem
Heiligen Gral – oder, um im Bild zu bleiben: der Suche nach der Kiste Gold
am Ende des Regenbogens. Die Besessenheit von Farbe war nicht allein
ökonomischen Interessen geschuldet: Das Kino als Jahrmarkts- und spätere
Massenattraktion war von technischen Innovationen abhängig, um sich in
seinen formativen Jahren auch als Medium von künstlerischem Rang behaupten
zu können.
An den realistischen Effekt des Bewegtbildes hatten sich die Leute schnell
gewöhnt, Farben hingegen verliehen den flüchtigen Bildern eine magische
Qualität, nach der sich das Kinopublikum sehnte. Die Verbindung aus
Ökonomie, Kunst und Technik wurde zum treibenden Motor der Entwicklung des
frühen Kinos. Nicht von ungefähr waren viele Pioniere jener Jahre – die
französischen Brüder Lumière, der Amerikaner Thomas Edison oder der Brite
William Friese-Greene – in erster Linie Erfinder und Geschäftsleute.
Farben waren früh ein integraler Aspekt der Kinoerfahrung. In den Studios
der Brüder Pathé wurden Anfang des 20. Jahrhunderts fantastische Kurzfilme
Bild für Bild handkoloriert, bis Ende der 1920er Jahre sorgten viragierte
Filmsequenzen für dramatische Effekte auf der Leinwand. In dieser Zeit
kamen unzählige neue Farbsysteme wie Kinemacolor, Biocolor oder Kodacolor
auf den Markt, die sich mit mäßigem Erfolg an der Simulation natürlicher
Farbeindrücke versuchten und bald wieder verschwanden, weil sie sich für
den Kinobetrieb als zu teuer oder nicht ausgereift genug erwiesen.
Tatsächlich war lediglich die Phase von etwa 1930 – flächendeckende
Einführung des Lichttons – bis 1952 – Erfindung des Mehrschichtenfilms von
Eastman – eine Ära des Schwarz-Weiß-Films. Verfahren wie Gasparcolor oder
Dufaycolor gehörten im frühen Tonfilm noch zu den gelungeneren Versuchen,
naturalistische Filmfarben zu erzeugen. Doch es war ein amerikanisches
Unternehmen, das in diesen Jahren ein Farbverfahren optimierte, das bis
heute als Synonym für die Farbenpracht des klassischen Hollywoodkinos
gebraucht wird: Technicolor.
## Eine Ingenieurleistung
Auch Technicolor war eine Ingenieurleistung. Die Erfinder Daniel Frost
Comstock, Herbert Thomas Kalmus und Burton Wescott waren Absolventen des
Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston, an dem sie später
auch Mitarbeiter rekrutierten. Besondere Berühmtheit erlangte Kalmus’ erste
Frau Natalie, ebenfalls eine MIT-Studentin, die entscheidenden Einfluss auf
die Farbdramaturgie des neuen Systems haben sollte. Denn Technicolor war
eine Marke, und ihre Erfinder achteten kleinlich darauf, dass sich die
Studios an die vorgegebenen Farbstandards hielten.
Produzenten verpflichteten sich vertraglich, nicht nur das
Technicolor-Equipment, sondern auch hauseigene Kameraleute, Maskenbildner
und die sogenannten Farbberater zu benutzen, um den charakteristischen
„Technicolor-Effekt“ (saturierte, flächige Farben, tiefe Schwärzen, ein
strahlendes Weiß) auf der Leinwand zu erzielen. Der Farbenrausch war stark
reglementiert. Die Legende besagt, dass Natalie Kalmus jede
Technicolor-Kopie persönlich prüfte, bevor diese das Kopierwerk verließ.
Realistisch betrachtet eine unlösbare Aufgabe: In der Blütephase von
Technicolor Mitte der 1940er Jahre produzierten die beiden Werke in Los
Angeles und London jährlich rund 50 Millionen Meter Film.
Wenn die Berlinale in diesem Jahr anlässlich des 100. Geburtstags dem
„Glorious Technicolor“ ihre Retrospektive widmet, würdigt sie damit nicht
nur ein herausragendes Farbverfahren. Sie feiert damit – am Übergang ins
digitale Zeitalter – auch noch einmal die oft unterschlagene
Technikgeschichte des Kinos, die mit dem Technicolor-Verfahren ihr
Meisterstück vorweisen kann. Denn das Wunder der Farben, das in Klassikern
wie „The Wizard of Oz“, „Singin in the Rain“, „Gone with the Wind“ …
African Queen“ in seiner ganzen saturierten Pracht erstrahlt, ist eben auch
ein technisches Wunderwerk.
Bis zu 1.000 Kilo wogen die kleinwagengroßen Technicolor-Kameras, die das
farbige Licht über einen Strahlenteiler in die Farbanteile Rot, Grün und
Blau zerlegten und damit drei Schwarz-Weiß-Negative belichteten. Von diesen
drei Negativen mussten Matrixfilme erstellt werden, die als Druckmatrizen
für die Übertragung der jeweiligen Farbauszüge auf eine Positivkopie
benutzt wurden.
## Boom in den 40ern
Dieses patentierte Druckverfahren besaß gegenüber dem späteren
Mehrschichtenfilm von Eastman einen unschlagbaren Vorteil: Die Farben waren
weniger anfällig für chemischen Verfall und haben daher bis heute nichts
von ihrer Strahlkraft eingebüßt. Ein Problem allerdings, mit dem die
Techniker damals zu kämpfen hatten, war die Farbregistrierung der drei
Druckmatrizen: Schon winzige Abweichungen führten dazu, dass sich an den
Farbrändern in der Kopie störende Unschärfen bemerkbar machten. Die
Brillanz dieser historischen Druckkopien lässt sich im Rahmen der
Retrospektive an Jean Renoirs Film „The River“ überprüfen, der einmal als
originale 35-mm-Technicolor-Kopie und einmal in der digital restaurierten
Fassung aufgeführt wird.
„The River“ ist auch ein herausragendes Beispiel für die künstlerischen
Freiheiten, die das Technicolor-Verfahren bietet. Weil Renoir das satte
Grün, das er an den indischen Drehorten vorfand, nicht kräftig genug war,
half er im Farbdruckprozess nach. Anlässlich der ersten Farbretrospektive
der Berlinale 1988 beschrieb Frieda Grafe Renoirs Methode als eine
„Farbfusion“: „Die indischen Landesfarben Grün und Rot reagieren auf
Technicolor. Der bewegte Bezug zwischen zwei Kulturen schlägt sich nieder
in Farbverhältnissen.“ Der große Maler unter den klassischen Regisseuren
war nicht der erste, der die gestalterischen Möglichkeiten von Technicolor
für exotische Settings und fantastische Geschichten entdeckte.
Die Erfolgsgeschichte von Technicolor steht in engem Zusammenhang mit
einigen wenigen Genres: dem epischen Drama („Gone With the Wind“), dem
Western („She Wore a Yellow Ribbon“) und dem Abenteuerfilm („The Thief of
Bagdad“), dem Musical („Singin’ in the Rain“) und nicht zuletzt
Zeichentrickfilmen wie „Snow White and the Seven Dwarfs“. Walt Disney
gehörte zu den ersten Produzenten, die das neue Farbverfahren in großem
Stil einsetzten, als die großen Studios sich noch zurückhaltend zeigten –
und hatte so maßgeblichen Anteil am Technicolor-Boom der 1940er Jahre.
## Spezielle Ästhetik
Grafes Bemerkung zu den „Farbverhältnissen“ beschreibt im Grunde das
Prinzip von Technicolor, dessen Einhaltung Natalie Kalmus und ihr Stab von
Farbberatern (zu denen auch der junge Richard Avedon gehörte) streng
überwachten. Auch wenn Technicolor als erstes erfolgreiches
Naturfarbverfahren vermarktet wurde, war seine Farbdramaturgie
psychologisch angelegt.
Das rote Kleid der flammenden Leidenschaft, das Jennifer Jones im Finale
von King Vidors „Duel in the Sun“ trägt, die Choreografie von Pink, Schwarz
und Rot in Howard Hawks „Gentlemen Prefer Blonde“, wenn Marilyn Monroe ihr
„Diamonds Are a Girl’s Best Friend“ singt, Gene Tierneys strahlend weißer
Mantel vor dem tiefen Grün des Waldes in „Leave Her to Heaven“ (das seltene
Beispiel eines Technicolor-Film-Noir und ein Highlight im diesjährigen
Programm) – die Farben von Technicolor besaßen eine starke Suggestivkraft,
die mit den Gefühlen der Zuschauer spielte.
Aber auch historisch schließt das Programm von „Glorious Technicolor“
einige Lücken, denn mit „Redskin“ und „Toll Of the Sea“ präsentiert d…
Retrospektive zudem Beispiele früherer Technicolor-Verfahren aus den 1920er
Jahren, die noch mit zwei Farbfiltern (Purpur und Grün) arbeiteten – was
zur Folge hatte, dass das Blau in diesen Filmen einen grünlichen Stich
bekam und Grün ins Braun tendierte. 2-Farben-Technicolor, das noch 1934 in
fast 80 Produktionen zu sehen war, bevor es durch das 3-Farben-Verfahren
endgültig abgelöst wurde, besitzt trotz seiner systemimmanenten Mängel eine
ganz spezielle Ästhetik, die nichts von ihrer Faszination verloren hat.
So bietet „Glorious Technicolor“ die seltene Gelegenheit, den ganzen
Farbenreichtum einer wahrlich glänzenden Kinoepoche noch einmal aus erster
Hand zu erleben: mit Original-Technicolor-Kopien, die den amerikanischen
Süden genauso zu leuchten bringen wie das Zauberland Oz und das ikonische
Monument Valley.
5 Feb 2015
## AUTOREN
Andreas Busche
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