# taz.de -- Berlinale – was bisher geschah (2): Ein Skandal ersten Ranges | |
> Die „Woche der Kritik“ ist die Alternative zur Berlinale. Hier begegnet | |
> man sich noch. Und auch die Filmkritik ist konkreter als am Potsdamer | |
> Platz. | |
Bild: Schriftstellerin Mely Kiyak hält zum Auftakt der „Woche der Kritik“ … | |
Stolz ist die Berlinale auf ihre Zahlen: Jährlich gewinnt das Festival an | |
Umfang. Doch ein Festival ist mehr als die Bilanz, es ist auch ein Ort der | |
Debatte, des Austauschs. Dafür bräuchte es aber einen Ort, an dem ein | |
Festival zu sich kommt. Doch zerren an der Berlinale mittlerweile so viele | |
Kräfte, dass ihr das Zentrum abhandengekommen ist. Man begegnet einander | |
allenfalls zufällig. Den roten Teppich mag derweil geschenkt haben, wer | |
will. | |
Eine schöne Alternative tut sich in der „Woche der Kritik“ auf, mit der | |
sich der Verband der deutschen Filmkritik in diesem Jahr erstmals zu dem | |
Festival positioniert. Der Auftakt am Donnerstagabend fühlte sich | |
tatsächlich nach Festival an. Man traf Leute, tauschte sich aus. Und das | |
weitab vom Potsdamer Platz. „Aktivismus“ stand über dem Abend. | |
Das bezog sich auf die von dem Verband geforderte „aktivistische | |
Filmkritik“, erfuhr hier aber eine politische Konkretion: Die | |
Schriftstellerinnen Mely Kiyak und Olga Grjasnowa leiteten den Abend mit | |
erfreulich unversöhnlichen Ansprachen zum deutschen Umgang mit Geflüchteten | |
ein und forderten dabei vernünftigerweise doch nicht viel mehr als den | |
menschlichen Minimalkonsens: Wo Not am Mitmenschen ist, haben zynische | |
Relativierungen und Kalkulationen nichts verloren. | |
Dem folgte Nathalie Nambots und Maki Berchaches „Brûle la Mer“, ein | |
fragiles Dokumentar-Poem aus Super-8- und 16-mm-Bildern von teils fiebrig | |
schönem Glanz, unterlegt mit Berchaches Erfahrungen als tunesischer | |
Geflüchteter in Frankreich. Ein humanistisch relevantes Thema, verbunden | |
mit engagierten Aufrufen – so weit, so Kosslick? Der Clou des Abends | |
bestand aber in der kontraintuitiven Programmierung mit dem | |
YouTube-Videoessay „Transformers – The Premake“ des Chicagoer Filmkritike… | |
Kevin B. Lee, der darin Blockbusterproduktion, Onlinevideokultur und | |
Finanzflüsse auf aufregende Weise thematisiert. | |
Als eigentliches Thema des Abends entpuppte sich damit die Mobilität: | |
Während ein gigantisches Investmentprodukt wie ein Blockbuster zu seiner | |
Anfertigung und Auswertung sehr selbstverständlich um den Globus zieht, | |
bleibt dieses Privileg den meisten Menschen vorenthalten, wie man aus | |
Berchaches bedrückenden Schilderungen zu den kargen Anti-Spektakel-Bildern | |
in „Brûle la Mer erfährt. Ein Skandal ersten Ranges, gegen den jede Form | |
von Aktivismus gerechtfertigt ist. | |
7 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Thomas Groh | |
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Monika Grütters | |
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