# taz.de -- Berlinale – was bisher geschah (3): Der unbedingte Spaß | |
> Die Realität der Berlinale am Potsdamer Platz ist oft wenig glamourös. | |
> Doch in den sozialen Medien grasiert die depperte Freudenschau. | |
Bild: Der „hauptberufliche Fan-Selfie-Poser“ James Franco auf der Berlinale. | |
Ach ja, Berlinale-Momente, man kennt das: Erst steht man Schlange und | |
ärgert sich über rücksichtslose Mitmenschen. Endlich kommt man in den | |
stickigen Saal, findet einen Platz und sieht, nachdem man vom | |
Festival-Jingle angebrüllt wurde, einen womöglich doch nur halbguten Film. | |
Dann wieder raus auf den notorisch frostigen Potsdamer Platz, wo es mit | |
geschätzten Schlotter-Kolleginnen Essbares zu erlegen gilt. Die Beute fällt | |
meist arm an Vitaminen und reich an Kohlehydraten aus. | |
In Sichtweite lungern Autogrammjäger am Seiteneingang des Hyatt, in dem die | |
Pressekonferenzen stattfinden. Manchmal erwischen sie Stars, dann gibt’s | |
kurz Halligalli. Doch meist stehen sie trübe in der Gegend rum. In den | |
Arkaden satteln Ticket-Willige mangels Kartenkontingent von ersehnten | |
Filmen auf Alternativen um. So landen Leute, die zu Nicole Kidman wollten, | |
bei usbekischen Dokus über Schafzucht. | |
So weit die Realität vor Ort. Wer allerdings [1][moments.berlinale.de] | |
ansurft, dem offenbart sich ein anderes Bild. Mag die Laune auch schwanken, | |
folgt man nach außen dem Imperativ zum unbedingten Haben von Spaß. Der | |
Social-Media-Hub grast relevant gehashtaggte Postings von den Plattformen | |
Twitter, Instagram und Tumblr ab und versammelt also ausgesuchte | |
Fröhlichkeit: Leute jubeln über Tickets, abgeholte Akkreditierten-Badges | |
oder über die Tatsache ihrer Existenz. | |
## Ging es hier nicht mal um Filme? | |
James Franco, sieht man, ist hauptberuflicher Fan-Selfie-Poser. | |
Hochgestreckte Daumen, „so excited“-Ausrufe ringsum. Gelegentlich gibt’s | |
einen interessanten Link, meist liest man aber überschaubar Weltbewegendes: | |
„Rosawolke1998“ hat demnach gerade Christoph Waltz erblickt. Was im Zirkel | |
der Twitterfreunde als schneller Schnack geschätzt ist, entwickelt in | |
geballter Aggregation ein ziemlich penetrantes Bild: Bloße Anwesenheit vor | |
Ort ist schon das Event. Ging es hier nicht mal um Filme? | |
Diese Asymmetrie ist ein bisschen so, wie wenn man auf dem Festival laufend | |
Weltkino schaut und filmferne Menschen einen später erstaunt fragen, warum | |
man bei den Aufnahmen am roten Teppich nicht zu sehen gewesen sei. | |
Doch Moment mal! Die ausgestellte gute Laune sollte wohl zu foppen sein. | |
Etwas Humor und lakonische Tristesse täte der depperten Freudenschau | |
jedenfalls ganz gut. Entsprechende Versuche scheiterten allerdings an einer | |
offenbar doch moderierenden Instanz im Hintergrund: Mein unter dem Text | |
„Woohoo, got my Berlinale bag“ getweetetes Foto einer Plastiktüte blieb der | |
Welt vorenthalten. | |
Schön wäre freilich so ein sonderbarerweise nicht vorgesehener Hub für die | |
schönsten Filmmomente. Die umwerfenden blökenden Dromedare bei Werner | |
Herzog wären die meinen. | |
8 Feb 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://moments.berlinale.de/ | |
## AUTOREN | |
Thomas Groh | |
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