# taz.de -- Coming of Age in Emden: Schwere Jugend, gutes Kino | |
> Beim Internationalen Filmfest Emden laufen auch Filme übers | |
> Erwachsenwerden. Da beweist sogar Ochsenknecht, dass er ein guter | |
> Schauspieler ist. | |
Bild: Jungsein an der niederländischen Grenze: Nena und Carlo in „Lena - Vie… | |
EMDEN taz | Ein gutes Festival zeigt nicht nur Filme, es initiiert auch | |
welche. Die A-Festivals investieren in der Nachwuchsförderung, so wie etwa | |
in Berlin mit den „Berlinale Talents“-Coachingprogrammen. Andere stellen | |
Kontakte zwischen Regisseuren und Produzenten her oder produzieren selbst | |
kleine Filme. So wie das Filmfest Oldenburg - als es finanziell noch besser | |
ausgestattet war. | |
Einen eigenen Weg geht das [1][Internationale Filmfest Emden] mit seinem | |
Drehbuchpreis: In Zusammenarbeit mit dem Grimme-Institut wählt dort seit | |
2005 eine Fachjury Drehbücher aus, denen so der Weg geebnet wird, | |
tatsächlich verfilmt zu werden. | |
Nicht nur, weil das Preisgeld von 10.000 Euro in den meisten Fällen die | |
erste Förderung ist, sondern auch, weil der Preis Renommee verschafft und | |
Produzenten sowie Fernsehredakteure auf die Bücher aufmerksam werden. | |
Das Festival hat zudem eine gute Plattform gefunden, die Preisverleihung | |
attraktiv zu präsentieren: Auch in diesem Jahr wieder gibt es eine Art | |
Endausscheidung am 5. Juni. Von 84 eingereichten Drehbüchern werden drei | |
nominiert, aus denen zwei Schauspieler jeweils eine Schlüsselszene | |
vortragen. So bekommt das Publikum immerhin eine Ahnung von den Qualitäten | |
der Bücher und kann das Urteil der Jury besser einschätzen. | |
Im Idealfall findet sich ein paar Jahre später der nach einem prämierten | |
Drehbuch entstandene Film im Festivalprogramm - so wie diesmal mit | |
„Freistatt“: Das Buch von Nicole Armbruster und Marc Brummund gewann 2012 | |
in Emden und im folgenden Jahr den Deutschen Drehbuchpreis. | |
Brummund selbst führte die Regie und nach Kurzfilmen wie „Kühe Schubsen“ | |
oder Fernsehproduktionen wie „Nord bei Nordwest: Käptn Hook“ ist dies sein | |
erster langer Kinofilm. | |
Er feiert in Emden nicht Premiere, sondern wurde schon im Januar beim | |
Filmfestival Max Ophüls in Saarbrücken mit dem Preis der Jugendjury sowie | |
dem Publikumspreis ausgezeichnet. | |
Hauptdarsteller Louis Hofmann erhielt als bester Nachwuchsdarsteller den | |
Bayrischen Filmpreis - das Filmprojekt kommt also mit reichlich | |
Vorschusslorbeeren zurück nach Emden. | |
## Dunkles aus Niedersachsen | |
Brummund erzählt hier eine der dunkelsten Geschichten aus seiner | |
niedersächsischen Heimat: Die Diakonie Freistatt im Kreis Diepholz galt bis | |
in die späten 70er hinein als eines der härtesten Jugendfürsorgeheime. | |
Nun soll man Filmen misstrauen, die vorgeben, auf „wahren Begebenheiten“ zu | |
basieren, aber in „Freistatt“ werden die Missstände in der | |
„Fürsorgeanstalt“ in den späten 60er-Jahren so glaubwürdig geschildert, | |
dass es das Resultat langer und sorgfältiger Recherche sein muss. | |
So werden die beiden Drehbuchautoren wohl kaum einfach zusammenfantasiert | |
haben, dass die Jugendlichen damals zum täglichen Torfabbau ins Moor zogen | |
und dabei auf Befehl ihrer Erzieher - Bewacher - das von den Häftlingen des | |
KZ Börgermoor im Emsland komponierte Lied „Die Moorsoldaten“ singen | |
mussten. | |
Für Faktentreue spricht auch, dass Brummund an den Originalschauplätzen | |
drehte, unterstützt von der heute noch dort ansässigen Diakonie. | |
Gut erfunden ist die Geschichte selbst, die die beiden Autoren vor diesem | |
Hintergrund erzählen - und scheint zunächst so vorhersehbar: Protagonist | |
Wolfgang, 14, ist ein Rebell im vollen Schwung des Sommers 1968. Eher aus | |
Bequemlichkeit schiebt ihn sein Stiefvater ins Heim ab - und in der | |
„Freistatt“ wird dann systematisch sein Widerstand gebrochen. | |
Fast die gleiche Geschichte hatte Christian Frosch in „Von jetzt an kein | |
Zurück“ erzählt, dem Eröffnungsfilm des letztjährigen Filmfests Oldenburg. | |
Aber was sich dort in Formspielerei und Weltschmerz erschöpfte, wird hier | |
mit großem erzählerischen Geschick und einer komplexen Figurenentwicklung | |
inszeniert. | |
Tatsächlich ist das Drehbuch die große Stärke des Films, auch wenn Louis | |
Hofmann in seiner ersten großen Rolle eine Entdeckung ist: Der Zuschauer | |
leidet auch deshalb so intensiv mit, weil die Spannungsbögen so raffiniert | |
gezogen wurden und die Dialogsätze so verdichtet wie natürlich klingen. | |
Grandios auch, wie viel Geschichte sich lediglich durch ein paar | |
Einstellungen von den Kuchen, die die Mutter backt, erzählen lässt. | |
Auch der zweite Film des Festivals, der einen engen Bezug zur Stadt Emden | |
hat, erzählt eine Coming-of-Age-Geschichte: Saskia Diesing hat „Nena - Viel | |
mehr geht nicht“ zum Teil in Emden gedreht, denn die | |
niederländisch/deutsche Koproduktion spielt an der Grenze. Die 16-jährige | |
Titelheldin hat eine holländische Mutter und einen deutschen Vater, und so | |
wird en passant auch etwas über das schwierige Verhältnis zwischen | |
Holländern und „Moffen“ erzählt, Deutschen. | |
Die punkige Nena aber - der Film spielt 1989 - kann sich gut durchsetzen. | |
Auch damit, dass ihr Vater querschnittsgelähmt ist, geht sie erstaunlich | |
unbeschwert um - bis sie erfährt, dass er sterben möchte. | |
Uwe Ochsenknecht mag im deutschen Kino und Fernsehen viel herumhampeln, | |
aber in diesem kleinen niederländischen Film beweist er, dass auch ein | |
guter Schauspieler in ihm steckt. Abbey Hoes ist in der Titelrolle | |
natürlich die Sympathieträgerin, aber Ochsenknecht agiert hier so traurig | |
und zärtlich, wie man es nicht erwartet hätte. | |
Die Szene, in der die beiden zusammen „Marmor, Stein und Eisen bricht“ | |
singen, könnte gut und gerne die berührendste des ganzen Festivals werden - | |
vielleicht gibt es ja dafür den Bernhard Wicki Preis, den traditionell das | |
Emder Publikum vergibt. | |
28 May 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.filmfest-emden.de/ | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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