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# taz.de -- Filmfestival Max-Ophüls-Preis: Reiche Europäer wollen raus
> Die Abschlussgala am Wochenende war zugleich der Abschied der
> künstlerischen Leiterin Gabriella Bandel. Wer die Lücke schließen soll,
> ist ungewiss.
Bild: Auf der Bühne: die Preisträger des 37. Max-Ophüls-Filmfestivals.
Für ein Happy End wurde zu viel geheult: Die Abschlussgala des 37.
Festivals Max-Ophüls-Preis endete am Samstag mit kollektivem
Taschentuchnutzen. Verabschiedet wurde die künstlerische Leiterin Gabriella
Bandel, die dem Festival seit 17 Jahren zur Seite steht und es seit 10
Jahren leidenschaftlich kuratiert. Hinter den Kulissen, heißt es, waren
sich die Beteiligten seit Langem nicht mehr grün.
Schon vor ein paar Jahren brach dem Festival der Hauptsponsor weg – diesen
Umstand zu beheben, hatte die Stadt Saarbrücken Bandel zugewiesen, die sich
qua Berufsbild eigentlich mit dem Inhalt des Programms beschäftigen soll,
nicht mit seiner Finanzierung. Frau Bandel sah sich angesichts der nicht zu
bewältigenden Aufgabe zur Kündigung gezwungen.
„Du gehst nicht ganz freiwillig“, konstatierte denn auch der Regisseur und
ehemalige Leiter, Boris Penth, in einer von vielen emotionalen
Videobotschaften zum indirekten Absägen der beliebten Leiterin und
formulierte seine Sorgen um die Zukunft des größten Forums für den
deutschsprachigen Nachwuchsfilm. Schauspieler Sabin Tambrea warnte in
seinem Gruß den anonymen Nachfolger – denn wer die Lücke schließen soll,
ist ungewiss.
Auf einer Pressekonferenz hatte der städtische Beigeordnete für Bildung,
Wissenschaft, Kultur und Umwelt, Thomas Brück, kurz zuvor verkündet, die
neue Leitung würde Ende Februar bekannt gegeben. Und weil
Oberbürgermeisterin Charlotte Britz die Chance verstreichen ließ, bei ihrem
mit Pfiffen und Buhrufen kommentierten Auftritt während der Gala auch nur
ein Wort darüber zu verlieren, bleibt in der Schwebe, in welche Richtung
sich das renommierte Festival jetzt entwickeln wird. Auch die scheidende
Chefin selbst verkniff sich – außer Bedauern – jede Spitze zum
kulturpolitischen Ränkespiel – oder hatte vielleicht einfach einen Maulkorb
verpasst bekommen.
## Plattform für ungewöhnliche filmisch-erzählerische Ideen
Dabei ist die Saarbrücker Filmsause enorm wichtig für deutschsprachige
Filmambitionierte, weil sie kurze und mittellange (und damit für angehende
RegisseurInnen eventuell besser realisierbare) Stücke ebenfalls
miteinbezieht – gleich drei Kurzen wurde in den letzten drei Jahren der
Studenten-Oscar verliehen. Neben dem klassischen Autorenfilmfest Hof und
der aufgeschlossenen Berlinale-Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ will
zudem auch Saarbrücken eine Plattform für ungewöhnliche
filmisch-erzählerische Ideen sein.
In diesem Jahr hielten sich jedoch viele der nominierten Lang-Spielfilme an
die Konventionen – einer, der das nicht tat, ist das mit dem sperrig
betitelten „Preis für den gesellschaftlich relevanten Film“ ausgezeichnete
apokalyptische 10-RegisseurInnen-Werk „Heimatland“ aus der Schweiz. Nur
eine Seite Haupthandlung – eine überdimensionale Sturmwolke braut sich
ausschließlich über den EidgenossInnen zusammen und droht das Land ins
Chaos zu stürzen – hatte der Initiator des Kollektivfilms, Michael
Krummenacher an 30 FilmemacherInnen verschickt, und sie gebeten, eine kurze
Synopse dazu zu konstruieren.
Aus den 27 Antworten habe man jene herausgesucht, die kompatibel
erschienen, erzählte der Regisseur am Festivalfreitag, und sie zu einem
düsteren, dichten Drama verwoben. Zehn Kurzfilme wurden inszeniert und von
den Verantwortlichen vorgeschnitten, um dann von Krummenacher, dessen
Berlinale-2015-Film „Sibylle“ im Februar in den Kinos startet, final
verflochten zu werden. Nicht alle der Schicksale sind gleich stark, doch
erstaunlicherweise funktioniert der Film als kohärentes Ganzes ziemlich gut
– einige Episoden, etwa eine durch die Tötung eines Menschen „im Dienst“
traumatisierte Polizistin, die ihren eigenen Gespenstern begegnet, oder ein
Taxifahrer aus dem Balkan, der von seinem üblicherweise inkriminierten
Fremdsein profitiert, halten die verschiedenen Szenerien in Spannung.
Dass der Film die momentane Grenzsituation in Europa thematisiert und am
Ende sogar umdreht – die SchweizerInnen dürfen ihr Land nicht mehr
verlassen und sind verdammt dazu, die Naturkatastrophe in ihrer sonst so
soliden Bergheimat zu konfrontieren – macht die Idee brandaktuell: Hier
wollen zur Abwechslung mal reiche EuropäerInnen raus und nicht Flüchtlinge
rein.
## Wolke bestimmt den Alpen-Alptraum
Der deutliche visuelle Rahmen (die durch die Wolke bestimmte Farbgebung)
und viele engagierte SchauspielerInnen heben den Alpen-Alptraum vom
üblichen, leicht in der Seichtigkeit versinkenden Episodenfilm ab. Obwohl
man am Anfang des Reigens doch einmal kichern muss, wenn ein Trippelbruder
unheilvoll „Oh Schweiz, du Hurenbabylon!“ prophezeit – wenn schon die
kleine Schweiz ein Hurenbabylon ist, was macht das aus den übrigen
Ländern?!
Die üppigen 36.000 Euro für den Haupt-, nämlich den Max-Ophüls-Preis
selbst, hat ein anderer abgestaubt: Stephan Richter lässt in seinem auf
Tatsachen beruhenden Film „Einer von uns“ in formaler Strenge und mit
eindrücklichem Kameraauge einen tipptopp geordneten österreichischen
Supermarkt Schauplatz eines Dramas werden, das den Tod eines Jungen zur
Folge hat. Das Figurenkarussell aus pubertären Losern, rebellischen
Außenseitern, miesen Vorgesetzten und frustrierten Bullen ist zwar nicht
neu, aber was Richter daraus konstruiert, ist eine vielschichtige und
genaue Sozialtragödie.
In der lakonischen Inselkomödie „Ferien“ von Bernadette Knoller
(Regie/Drehbuch) und Paula Cvjetkovic (Drehbuch) dagegen kippt ein
persönliches Drama aufs Angenehmste ins Absurde. Vivi (Britta Hammelstein)
verkriecht sich nach einem Nervenzusammenbruch heulend unter der
Hotelbettdecke einer norddeutschen Urlaubsinsel voller
SteppjackenträgerInnen und hört zwischen zwei Schniefern jemanden lauter
schniefen: Das Zimmermädchen (Inga Busch) hat seine eigenen Probleme.
Dass Vivi vom Leben gebeutelt ist, liegt auch an ihrem Vater (Detlef Buck,
der Vater der Regisseurin), der sie überredet, sich endlich die „Warze“
(einen Minileberfleck) auf der Nasenwurzel wegzumachen. Für dieses
still-hysterische Debüt-Buch gab es den 13.000 Euro schweren
Fritz-Raff-Drehbuchpreis. Und „ich freue mich am meisten aufs Geld“, gab
die Regisseurin zu. Auch der Filmmensch lebt eben nicht von Anerkennung und
Networking allein.
Das Glück der PreisträgerInnen konnte die ambivalente Stimmung auf der Gala
dennoch nicht wegschminken. Sollte der Max-Ophüls-Preis durch die
personellen Umstände an Gewichtung verlieren, ist das ärgerlich und schade.
Und wird es dem deutschsprachigen Film nicht leichter machen, vor Publikum
zu glänzen.
25 Jan 2016
## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
Filmfestival
Max-Ophüls-Preis
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Filmfestival
Monika Grütters
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