| # taz.de -- Nachwuchs auf der Berlinale: Von wegen Schülerzeitungsniveau | |
| > Horror und schwarze Komödie: Die „Perspektive Deutsches Kino“ präsentie… | |
| > ein Best-of der Filmakademien, erfreulich international und vielfältig. | |
| Bild: Drei Unternehmensberater im Luxushotel (Sebastian Blomberg, Katharina Sch… | |
| Zum 13. Mal präsentiert die „Perspektive Deutsches Kino“ als eigenständige | |
| Berlinale-Sektion ein Panorama des deutschen Nachwuchsfilms. Man könnte | |
| auch sagen: Sie ist wieder einmal ein Best-of der Filmakademien, die sicher | |
| ängstlich auf die Beschaffenheit der Proportionen achten. Überraschend | |
| macht die Kunsthochschule für Medien Köln mit gleich vier Beiträgen in | |
| diesem Jahr das Rennen, dahinter kommen zweimal Ludwigsburg, zweimal | |
| Potsdam, dann erst München, Berlin, die Hamburger Kunsthochschule sowie | |
| drei hochschulunabhängige Produktionen. | |
| Insgesamt lässt sich konstatieren: Es ist ein guter Jahrgang. Überaus | |
| facettenreich – sogar bislang eher seltene Genreformate wie Horror oder | |
| schwarze Komödie sind vertreten – und mit handwerklich hohem Niveau. Lange | |
| nicht so häufig wie früher wird in Fettnäpfchen getappt wie | |
| Selbstbespiegelung, Tiefgründigkeit vorgaukelndes Atmosphärisches oder Witz | |
| auf Schülerzeitungsniveau. | |
| Auffällig und erfreulich ist, dass in diesem Jahr viele Arbeiten über die | |
| Landesgrenzen hinausweisen. „Deutsches Kino“ hat heute eben auch mit | |
| nichtdeutschen RegisseurInnen, mit der Internationalisierung des | |
| Hochschulbetriebs und wahrscheinlich auch mit der Reisefreude der | |
| Generation Easyjet zu tun. | |
| Gleich zwei (von fünf) Dokumentationen beschäftigen sich mit Kirgisien. | |
| „Bosteri unterm Rad“ von Levin Hübner porträtiert klein, aber fein ein Do… | |
| am See Issyk-Kul, das nach der kurzen touristischen Sommersaison zehn | |
| Monate lang unter Achterbahn und Riesenrad verwaist. Mirjam Leuzes | |
| aufwändige Langzeitdoku „Flowers of Freedom“ geht auf die andere Seite des | |
| Issyk-Kul, wo eine Handvoll großartiger Frauen mit bewunderungswürdiger | |
| Zähigkeit gegen die nahe gelegene Goldmine zu Felde ziehen. | |
| ## Autobiografische Bezüge | |
| Valerie Heine hat im Rahmen eines Hochschulaustauschs in Kuba „El carro | |
| azul“ gedreht, einen nonchalant skizzierten Kurzfilm über die | |
| Wiederannäherung zweier ungleicher Brüder. Ester Amramis Abschlussfilm | |
| „Anderswo“ folgt einer in Berlin studierenden Israelin – autobiografische | |
| Bezüge grüßen – in einem Moment der persönlichen Krise zurück nach Tel | |
| Aviv, zurück zur Familie, und verhandelt die beiden Großthemen | |
| deutsch-israelische Beziehung und Heimat etwas sehr erwartbar. | |
| Franziska Schönenberger stellt sich zusammen mit ihrem indischen Freund | |
| gleich vor die eigene Kamera und zeigt mit „Amma & Appa“ eine beschwingte, | |
| aber doch arglos-jugendlich daherkommende Doku über die Anbahnung der | |
| eigenen Hochzeit unter interkulturell erschwerten Bedingungen. | |
| Der Schwede Jöns Jönsson spart sich den Kulturclash als allfälligen | |
| Stichwortgeber und drehte seinen Abschlussfilm für Potsdam einfach gleich | |
| in Schweden, wo ihm ein wunderbar unaufgeregtes Porträt einer Mutter | |
| gelungen ist. Magdalena, im filmisch oft zu wenig beleuchteten Alter von | |
| Mitte 50, muss nach dem Selbstmord der Tochter erfahren, welch leise Wege | |
| sich die Trauer bahnt. „Lamento“ zeichnet dieses Hochschwappen | |
| psychologisch superplausibel, schlicht und tatsächlich ergreifend nach. | |
| ## Ein Mensch muss sterben | |
| Auch in Maximilian Leos „Hüter meines Bruders“ muss erst ein Mensch | |
| sterben, damit ein anderer anfängt, ehrlich mit sich zu sein. Wie der | |
| mausgraue Arzt Gregor nach dem Verschwinden seines umtriebigen Bruders | |
| Pietschi seinen Wunsch nach Veränderung erkennt und ihn in der Rolle seines | |
| Bruders – erst spielerisch, dann fast besessen – auch auszuleben beginnt, | |
| das gerät Leo zu einer nur manchmal zu parabelhaften Parabel auf die Suche | |
| nach dem passenden Leben. | |
| Zwei Midnightmovies ergänzen das Programm von Dokumentationen und | |
| Spielfilmen. In diesem Genre glänzt Till Kleinerts „Der Samurai“. Der | |
| Protagonist Jakob weiß anfangs gar nicht, dass er ein Suchender ist. Als | |
| junger Polizist und damit Antagonist seiner Altersgenossen in einem | |
| Provinznest steht er für Ratio und Normalität – bis im Wald erst ein Wolf, | |
| dann ein seltsamer Charismatiker im weißen Frauenkleid und mit | |
| Samuraischwert auftaucht. | |
| Wiewohl recht genüsslich mit Splattermotiven und homoerotischem Subtext | |
| spielend, ist „Der Samurai“ in seiner campen Überspanntheit doch mit einer | |
| schön eigenständigen Stimmung ausgestattet, die Kleinert zum Anwärter auf | |
| das Bruce-LaBruce-Erbe macht. | |
| ## Handschrift des Horrors | |
| Auch das zweite im Horrorgenre angesiedelte Midnightmovie hat, obwohl | |
| offensichtlich an „Blair Witch Project“ geschult, eine eigene Handschrift. | |
| Der bislang vornehmlich als Comedyschauspieler tätige Axel Stein | |
| („Hausmeister Krause“) lässt in „Tape 13“ nach einer als Partyspaß | |
| betriebenen Geisterbeschwörung das Grauen über eine Gruppe junger Leute | |
| hereinbrechen, wobei die Handkamera erstaunlich souverän – ohne große | |
| logische Fragezeichen und formalen Ennui – benutzt wird. | |
| Ganz anders, aber ebenfalls dem Formalismus, ja fast der Konzeptkunst | |
| zuzurechnen ist „Szenario“ von Philip Widmann und Karsten Krause. Hier wird | |
| mit entschleunigter Strenge zu Werke gegangen und anhand eines | |
| Aktenkofferinhalts die Archäologie einer Affäre zwischen einem Unternehmer | |
| und dessen Sekretärin im Köln der 1970er Jahre betrieben. Wobei ein | |
| faszinierend dichtes Zeitbild entsteht, das das menschliche Leben als | |
| Produkt seiner einmaligen historischen Bedingungen kristallin werden lässt. | |
| Bleibt zu guter Letzt noch Johannes Nabers „Zeit der Kannibalen“. Naber, | |
| 2011 für seinen Erstling „Der Albaner“ gleich mit dem Ophüls-Preis | |
| ausgezeichnet, legt jetzt eindrucksvoll und in Starbesetzung (Devid | |
| Striesow, Sebastian Blomberg, Katharina Schüttler) nach. | |
| Drei Unternehmensberater wickeln aus den Luxushotels in Drittwelt- und | |
| Schwellenländern heraus Produktionsstätten ab. Drei hoch reflektierte und | |
| karrieregeile Zyniker mit scharfer Zunge, schrägen Neurosen und allzeit | |
| paraten Problembewältigungsstrategien – die allerdings ihre Grenzen haben, | |
| was dieses bitterböse, in seinen Dialogen bestechende, klasse gespielte, | |
| schlaue und gleichzeitig extrem komische Kammerspiel freudvoll beweist. | |
| 6 Feb 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Kirsten Riesselmann | |
| ## TAGS | |
| Filmfestival | |
| Film | |
| Wes Anderson | |
| Hollywood | |
| Nazif Mujic | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Filmfestival Max-Ophüls-Preis: Reiche Europäer wollen raus | |
| Die Abschlussgala am Wochenende war zugleich der Abschied der | |
| künstlerischen Leiterin Gabriella Bandel. Wer die Lücke schließen soll, ist | |
| ungewiss. | |
| Debütfilm „Love Steaks“: Es scheppert, klirrt und zischt | |
| „Love Steaks“ von Jakob Lass ist mit Heißhunger, Liebe und Sinn für | |
| burleske Szenen improvisiert – und das ist diesem Erstlingswerk gut | |
| bekommen. | |
| Berlinale: Was bisher geschah: Alle eine große Familie | |
| Gleich zwei Hollywoodproduzenten sitzen dieses Jahr in der Jury – mit | |
| gegensätzlichen künstlerischen Positionen. James Bond gegen Arthouse? | |
| Berlinale Staralbum: Ralph Fiennes: Der kurz Erwachte | |
| Ralph Fiennes ist das neueste Mitglied der Wes-Anderson-Familie – doch auf | |
| dem Podium ist von der Noblesse seiner Figur wenig zu spüren. | |
| Eröffnungsfilm der Berlinale: Länder, die wie Wodkamarken klingen | |
| Wes Andersons Tragikomödie „Grand Budapest Hotel“ karikiert den | |
| untergegangenen Glanz des alten Europa. Und punktet mit skurrilen | |
| Charakteren. | |
| Berlinale Staralbum: Filmstudio Babelsberg: Das Wandelbare | |
| Bei der diesjährigen Berlinale zeichnet sich das Filmstudio Babelsberg für | |
| auffällig viele Filme verantwortlich. | |
| Berlinale 2014: Seltsame Zwitterwesen | |
| Mit gesellschaftlich relevanten Themen hausieren gehen und die Ästhetik | |
| vernachlässigen? Vielleicht, aber es gibt auch Sex. Ein Ausblick auf die | |
| Berlinale. | |
| Retrospektive Berlinale: Licht und Schatten | |
| „The Aesthetics of Shadow“: Über Beleuchtung in japanischen, amerikanischen | |
| und europäischen Filmen aus den ersten Jahrzehnten des Kinos. | |
| Bremer Filmemacher hoffen auf Berlinale: Die türkische Perspektive | |
| Orhan Çalişir, Cengiz Kültür und Dirk Meißner portraitieren ihrem aktuellen | |
| Film den politischen Künstler Zülfü Livaneli. Nun müssen sie ihren Film | |
| vermarkten. | |
| Berlinale-Preisträger ohne Asyl: Verantwortung für die, die da waren | |
| 2013 war er Festivalstar, 2014 im Flüchtlingsheim. Das Schicksal des | |
| bosnischen Laiendarstellers Nazif Mujic erregt vor der Berlinale die | |
| Gemüter. | |
| So wird die Berlinale: Die Clooney-Frage | |
| Die Macher der 64. Filmfestspiele in Berlin stellen ganz offiziell das | |
| Berlinale-Programm vor. Es leidet unter Kriterienlosigkeit. | |
| Berlinale-Preisträger: Tausche Silbernen Bär gegen Leben | |
| Es war ein Triumph, als Nazif Mujic den Silbernen Bären erhielt. Aber der | |
| Preis brachte kein Glück. Mujic will ihn zurückgeben – unter einer | |
| Bedingung. |