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# taz.de -- Simon Stone an der Berliner Schaubühne: Tödliche Traurigkeit
> Simon Stone inszeniert „Yerma“ an der Schaubühne. Das Drama um den
> unbefriedigten Kinderwunsch einer Frau überträgt er in die Gegenwart.
Bild: Am Ende wirft es sie nieder: Caroline Peters in „Yerma“, inszeniert v…
Der Regisseur Simon Stone und die Schauspielerin Caroline Peters sind seit
2015 so etwas wie ein Dreamteam des deutschsprachigen Theaters. Stones
Inszenierung von [1][Ibsens Drama „John Gabriel Borkman“] mit Caroline
Peters, Martin Wuttke und Birgit Minichmayr, in Berlin beim Theatertreffen
zu sehen, zeichnete ein grotesker Witz aus, der sich über das
Theaterspielen selbst lustig zu machen schien, und doch darunter die
Verletzungen der Figuren spüren ließ.
Seitdem haben Stone und Peters mehrfach zusammengearbeitet, unter anderem
an einem großartigen [2][“Hotel Strindberg“]. Die frühen Kritiker der
Moderne mit den Befindlichkeiten der Gegenwart zu verknüpfen gelang in
diesen Überschreibungen.
Deshalb waren die Erwartungen hoch an Simon Stones Inszenierung von „Yerma“
an der Berliner Schaubühne mit Peters, die neu im Ensemble ist, in der
Hauptrolle. Erstmals durfte wieder jeder Platz im Theater besetzt werden,
auch das vermittelt zur Zeit das Gefühl, etwas Besonderem beizuwohnen.
Da die Bühne in einem Glaskasten in der Mitte zwischen zwei Tribünen
aufgebaut ist, sieht man auch die vollen Ränge gegenüber: und dazwischen,
wie in einem Labor, die sich quälenden Menschen, den Beziehungskampf von
Yerma und John (Christoph Gawenda).
## Fünf Jahre der Verzweiflung
Dunkelheit ist zwischen die einzelnen Szenen geschnitten und Zeitangaben.
Ein Tag später, vier Monate später, ein Jahr. So folgt man über fünf Jahre
der wachsenden Verzweiflung und Traurigkeit einer Frau, deren Kinderwunsch
nicht in Erfüllung geht. Obwohl alle Angebote der Reproduktionsmedizin
versucht werden.
Das ursprüngliche Drama von Federico Garcia Lorca spielt in Andalusien auf
dem Land in den 1930er Jahren. Der Bauer Juan ist grausam und hartherzig,
er verweigert Yerma aus Geiz den Kinderwunsch, kontrolliert sie dennoch aus
Eifersucht und lässt ihr keinen Raum.
Doch diese „tragische Dichtung“ verschwindet ganz in Stones Transformation
des Stoffs in ein Milieu der Gegenwart, und es entsteht keine Spannung
zwischen den historischen Schichten. Das ist etwas enttäuschend.
John ist zwar eitel und selbstverliebt, aber weder grausam noch ignorant
seiner Freundin gegenüber. Yerma ist eine erfolgreiche Bloggerin und Chefin
in einem Verlag, John ständig in irgendeinem globalen Business unterwegs.
Sie haben gerade eine 200 Quadratmeter große Eigentumswohnung mit
Dachgarten gekauft, als das Drama einsetzt. Und denken noch spielerisch, in
der Leichtigkeit der ersten Szene, ihre Kinder als linke U-Boote in eine
kapitalistische Welt zu setzen.
## Kinderlosigkeit blockiert alle Gedanken
Man erlebt das Paar glücklich am Anfang, in einem schnellen Schlagabtausch
der Argumente, beide den eigenen Erfolg liebend und ironisierend. Caroline
Peters Yerma ist, wie viele Figuren dieser Schauspielerin, in ihrem Denken
dem Partner stets ein Stück voraus, schnell und witzig. Es tut weh, der
Engführung zu folgen, in die sie dann ihre Figur mit hinein nimmt. Das
Drama, nicht schwanger zu werden, scheint alle ihre anderen Gedanken zu
blockieren.
Mehr Welt als sie, John und das fehlende Element kommt nicht mehr vor. Eine
frühere Liebesgeschichte wird zur verpassten Gelegenheit, die schwangere
Schwester läuft in jedem Dialog wie auf Eiern durch vermintes Gebiet. Es
gibt keine unverfänglichen Themen mehr, alles führt Yerma zu sich selbst
zurück.
Zumal diese Yerma auch noch Bloggerin ist, die bald sehr monothematisch vor
sich hinbloggt. Und damit dann Erfolg hat, wenn sie ihre dunkelsten
Gedanken gegenüber der schwangeren Schwester in die Welt entlässt. Das ist
dann doch ein sehr dürres Bild der neuen Medienwelt.
## Aggressivität nicht nachvollziehbar
Warum diese Frau, die so souverän sein kann, sich so auf diese eine Sache,
den Kinderwunsch fixiert, und darüber aggressiv wird gegenüber ihrem
Freund, Schwester und Mann, erst mit scharfen Worten, später mit einem
Messer, am Ende auch gegen sich selbst, ist trotz allem, trotz aller
virtuosen Schauspielkunst, trotz einer spannenden Szenenfolge, nicht
wirklich nachvollziehbar.
Acht Texte im Programmheft, allesamt von Autorinnen, über Mutterschaft,
Familie, Kinderkult, legen nahe, dass die Inszenierung gerne Teil eines
Diskurses über die Mutterrolle wäre. Interessant ist, wie im Stück die
Figur von Yermas Mutter angelegt ist, gespielt von Ilse Ritter: Sie gehört
einer Generation an, in der Freiheit und Unabhängigkeit, auch eine bis
dahin nur dem Mann zustehende Abenteuerlust wichtiger waren, als Kinder zu
bekommen.
Tatsächlich tat sie sich schwer mit Nähe zu ihren Töchtern. Aber der
Inszenierung gelingt es nicht, die Unterschiede der Lebensentwürfe von
Mutter und Tochter zu historisieren; sie werden allein psychologisch
gedeutet. So ergreift einen zwar mit Schrecken das Unglück dieser Frau,
allein als ein individuelles Schicksal.
28 Jul 2021
## LINKS
[1] /Ibsen-Doppel-in-Berlin/!5305609
[2] /Simon-Stone-untersucht-Strindberg/!5480470
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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