# taz.de -- „Magic Town“ am Staatstheater Mainz: Hauptsache, normal | |
> Fluch oder Segen des Mittelmaßes: Am Staatstheater Mainz denkt man über | |
> das ganz normale Leben nach. | |
Bild: Katharina Uhland, Carl Gruebel und Johannes Schmidt (v. l.) in „Magic T… | |
Mal ehrlich, kennen Sie Hassloch? Nein? Obwohl der Name dieser pfälzischen | |
Gemeinde nicht gerade schöne Assoziationen weckt, gehört zur Wahrheit: | |
Wir alle sind ein bisschen Hassloch, da dieser Ort als der | |
durchschnittlichste in Deutschland gilt. | |
Was dieses menschliche Mittelmaß eigentlich bedeutet – darüber hat sich | |
just die Autorin und Regisseurin Hannah Frauenrath in ihrer Uraufführung | |
„Magic Town“ am Staatstheater Mainz Gedanken gemacht. | |
Entstanden ist eine Farce vor einer – wie sollte es anders sein? – | |
ostentativ normalen Kulisse. Wir blicken auf zwei Einfamilienhäuser vor | |
blauem Himmel. Hin und wieder gibt ein Keyboard eingängige Supermarktmusik | |
zum Besten, die mithin auf die ökonomische Verwertbarkeit der | |
Gesellschaftsstruktur verweist. | |
Denn in kaum einer anderen Kleinstadt haben Konsumforschungsinstitute | |
derart viele Daten erhoben und Produkte getestet wie hier. Für Slapstick | |
also eine wahre Steilvorlage! Mit dem Eifer von Teleshopping-Verkäufern | |
präsentiert man uns daher wahre Renner auf der Bühne, etwa den Apfelstrudel | |
aus der Tube oder das Bier mit Bacon-Geschmack. Aber sind solche | |
Quatschartikel nicht eher Sache für Exoten anstatt für Max Mustermann? | |
## Sämtliche Klischees der Mainstreamgemeinschaft | |
Zugegeben, diese Einlagen innerhalb eines losen Szenentableaus sorgen zwar | |
für Unterhaltung, fügen sich aber wenig in die Soziografie dieser | |
Aufführung, die uns über den gesamten Abend hinweg mit sämtlichen Klischees | |
einer Mainstreamgemeinschaft konfrontiert. | |
Nachdem, so der einzig vernehmbare Mikroplot, ein schwules Pärchen von | |
Berlin in den Ort unweit von Ludwigshafen zieht, lernen die beiden Männer | |
zwischen dem „Vitamin-Döner“ und dem „Nagelstudio Lyly“ die Vereine ke… | |
darunter die Kriegsgräberfürsorge, die Selbsthilfegruppe „Besser hören | |
Hassloch“ und die Landfrauen. | |
Auch die völlig unspektakuläre Ehe findet dort Raum, wie Katharina Uhland | |
und Johannes Schmidt in einer typischen Geschichte von Glück und Zerfall | |
veranschaulichen: Sie bekommt zwei Kinder, arbeitet danach Teilzeit, er | |
bleibt voll im Beruf. Man wohnt zur Miete in einem Vorort, ernährt sich | |
fleischarm und leistet sich genau einen innereuropäischen Urlaub im Jahr. | |
Als die Kinder ausziehen, denkt man über die Trennung nach, rauft sich aber | |
nicht zuletzt durch einen Hundekauf noch einmal zusammen. Und so weiter und | |
so weiter. | |
Je länger man dieser Abfolge von typischen Dingen in typischen Leben | |
beiwohnt, desto mehr ertappt man sich selbst in seiner eigenen | |
Durchschnittlichkeit. Der Befund der Singularisierung und | |
Individualisierung des spätmodernen Menschen, wie ihn der Soziologe Andreas | |
Reckwitz erstellt, wird so vergnüglich auf die Schippe genommen. Wir alle | |
sind Herdentiere, weil wir der ultimativen Sicherheit letztlich doch den | |
Vorrang gegenüber dem Besonderen gewähren. | |
## Verloren im Kleinklein | |
Dass man dieser Botschaft bereits nach den ersten fünfzehn Minuten und nach | |
allerlei Karikaturen unseres Alltags und gängiger Floskeln gewahr wird, | |
verhilft der Aufführung nicht gerade zur Dynamik. Jenseits von lustigen | |
Reimen und deutschem Liedgut läuft sie konsequent und rasch ins Leere – und | |
verliert sich im Kleinklein: Es wird in urdeutscher Manier gegrillt und der | |
Toast Hawaii gefeiert. Einsamen und Unglücklichen empfiehlt man derweil | |
Badeperlen, Puzzles und Duftkerzen. | |
Gibt uns der Durchschnitt nun Orientierung und Halt oder sollen wir uns | |
gezielt davon lossagen? Ratlos bleiben wir mit diesen Fragen zurück. Wohl | |
auch, weil diese Inszenierung jedwede Metaebene ausspart, weswegen Hassloch | |
in der Gewöhnlichkeit erstarrt. Schade! Zumindest in ihrem ersten | |
Theaterstück hätte man dieser Gemeinde etwas mehr Zauber gewünscht. | |
24 Nov 2024 | |
## AUTOREN | |
Björn Hayer | |
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