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# taz.de -- Einigungen der Ampel-Parteien: Das steht im Koalitionsvertrag
> Was sieht der Koalitionsvertrag der Ampel fürs Klima vor? Was für
> Familien? Die Einschätzung unser Fachredakteurinnen im Überblick.
Knapp zwei Monate nach der [1][Bundestagswahl] steht der Vertrag zur
Bildung der ersten Ampel-Koalition auf Bundesebene. Die Spitzen von SPD,
Grünen und FDP haben ihre Beschlüsse am Nachmittag in Berlin vorgestellt.
Aber was steht zu den einzelnen Themen drin? Unsere
Fachredakteur*innen geben den Überblick.
## Gesundheit und Pflege
Am Grundsystem der Krankenhausfinanzierung wird sich nur wenig ändern –
allerdings soll es künftig Vorhaltepauschalen geben. Verschiedene
Krankenhausbereiche würden dann nicht mehr primär über die Versorgung pro
Patient finanziert, sondern auch dafür bezahlt, bestimmte Kapazitäten
bereitzustellen. So könnten etwa in Pandemien Kapazitäten für
Covid-Patienten freigehalten werden, ohne dass Krankenhäusern Verluste
entstehen. Etwaige Vorschläge sollen aber von einer Kommission unterbreitet
werden. Ganz unmittelbar soll sich nur die Finanzierung von Pädiatrie,
Notfallversorgung und Geburtshilfe verbessern.
[2][Das in der Pandemie überbeanspruchte Pflegepersonal] soll offenbar
weitere Zahlungen erhalten, eine Milliarde Euro stehen dafür bereit. Der
Pflegebonus soll bis zu 3.000 (bisher 1.500) Euro steuerfrei sein.
Um das alte Problem mit der Überlastung von Notaufnahmen zu lösen, sollen
Kassenärzte und Krankenhäuser künftig in Integrierten Notfallzentren
zusammenarbeiten. Die Idee: Patienten, die weniger akut gefährdet sind,
können außerhalb der teuren Notaufnahme bedarfsgerecht behandelt werden.
Zudem wollen SPD, FDP und Grüne die [3][Digitalisierung des
Gesundheitssystems] weiter vorantreiben. Dazu gehört die beschleunigte
Einführung der [4][elektronischen Patientenakte] und des E-Rezepts.
Vor allem der grüne Ex-Parlamentarier Hans-Christian Ströbele ([5][„Gebt
das Hanf frei“]) darf sich freuen: Die Ampel führt die kontrollierte Abgabe
von Cannabis an Erwachsene „zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“
ein. Grüne und FDP hatten sich dafür stark gemacht. Insgesamt zeigt die
Koalition sich zögerlich. Zwar will man die bedarfsgerechte Finanzierung
des Krankenhaussystems voranbringen, allerdings eher durch Feinjustierung
als eine grundlegende Neuordnung. Jörg Wimalasena
Fortschrittsfaktor: 4 von 10 👎
## Klima
Für die Grünen war der Auftrag klar: Regieren nur mit dem
[6][1,5-Grad-Ziel] im Blick. Folgerichtig heißt es im Koalitionsvertrag:
„Wir werden national, in Europa und international unsere Klima-, Energie-
und Wirtschaftspolitik auf den 1,5-Grad-Pfad ausrichten.“ Ob die Maßnahmen
dazu ausreichen, ist aber noch unklar; viele ExpertInnen brauchen für eine
seriöse Einschätzung dieser Frage ein paar Tage. Aber wenn man die
Vereinbarung an dem misst, was Thinktanks und grüne Lobbys fordern, zeigt
sich: Sie schreibt ehrgeizige Ziele fest, bleibt allerdings in manchen
Feldern unscharf.
Vor allem beim Ausbau der Erneuerbaren herrscht großer Ehrgeiz: 80 Prozent
des Strombedarfs soll bis 2030 aus Ökoquellen kommen, nicht nur 65 Prozent
wie bislang geplant. Dabei rechnet die Ampel mit 20 bis 30 Prozent mehr
Stromverbrauch als heute. Um das zu erreichen, soll der Bau von
Erneuerbaren schneller und unbürokratischer werden und nun als
„öffentliches Interesse definiert werden“.
[7][Der Kohleausstieg] und die Unterstützung der betroffenen Regionen
sollen schon bis 2030 gelingen. Dabei bleibt es bei der umstrittenen
Ankündigung, dass dies „idealerweise“ gelingen soll; und zwar – konkreter
als [8][im Sondierungspapier] – mit einem Mindestpreis oder anderen
Maßnahmen, die verhindern, dass der CO2-Preis im EU-Emissionshandel unter
60 Euro fällt.
Zum deutschen [9][CO2-Preis] auf Heizöl und -gas sowie Benzin und Diesel
findet sich – wohl aus Sorge vor einer neuen „Benzinwut“-Debatte – dage…
nichts. Hier bleibt es bis 2025 bei den Erhöhungen, die bereits [10][die
Groko] beschlossen hatte. Die EEG-Umlage soll verschwinden und Menschen so
von hohen Energiepreisen entlasten. Die Wasserstoffwirtschaft soll überall
vorangetrieben werden.
All diese Punkte wird wohl Robert Habeck als neuer Minister für Wirtschaft
und Energie selbst vorantreiben können. Auch bei der Landwirtschaft, die
fürs Klima ebenfalls wichtig ist, werden die Grünen vieles selbst
entscheiden können. Und das ebenfalls grün geführte Außenministerium soll
künftig eine „Klimaaußenpolitik“ machen und „Klimagerechtigkeit“ in d…
Vordergrund stellen. Der Einfluss der Grünen auf andere Ressorts ist
dagegen geringer als gehofft: Klimaschutz wird zwar als
„Querschnittsaufgabe“ definiert und alle Sektoren haben weiterhin genaue
Einsparziele. Aber statt des geforderten Vetorechts des Klimaministeriums
sieht der Koalitionsvertrag nur einen „Klimacheck für alle Gesetze“ vor,
den jedes Ressort selbst macht.
Doch auch für Ministerien, die an die anderen Parteien gehen, werden
ehrgeizige Vorgaben gemacht: Bis 2030 soll auch beim Heizen 50 Prozent
erneuerbare Energie genutzt werden, Solaranlagen sollen auf neuen
Gewerbebauten zur Pflicht und bei Privathäusern zur Regel werden. Im
Verkehrsbereich werden mit 15 Millionen [11][E-Autos] bis 2030 mehr als in
den ambitionierten Studien etwa der „Agora“ gefordert. „Deutlich vor 2035…
sollen keine neuen Verbrennungsmotoren mehr zugelassen werden. Beim
Subventionsabbau traut sich die Ampel dagegen bisher nur an die Lkw-Steuer
ran; das Dieselprivileg bleibt zunächst erhalten.
Durchgesetzt haben sich viele Ideen der Grünen – auch wenn man die roten
Linien der anderen deutlich sieht. Bernhard Pötter/Malte Kreutzfeldt
Fortschrittsfaktor: 6,5 von 10 👍
## Frauen und Familie
Es ist durchaus ein Aufbruch: Das Selbstbestimmungsrecht von [12][Frauen
und deren Schutz vor Gewalt] wird gestärkt, das Familienrecht entstaubt,
[13][das Transsexuellengesetz] abgeschafft. Der Bereich trägt die
Handschrift der Grünen, die SPD hat wohl den Rücken gestärkt – und die FDP
sich zumindest in den meisten Bereichen nicht konsequent quergestellt.
Einig war man sich wohl vor allem gesellschaftspolitisch, konkrete Zahlen
werden nicht genannt.
„Familie ist vielfältig und überall dort, wo Menschen Verantwortung
füreinander übernehmen“, heißt es im Vertrag: Soziale Eltern sollen das
„kleine Sorgerecht“ bekommen können, lesbische Mütter bei Geburt ihres
Kindes automatisch die Mütter sein.
„Die Gleichstellung von Frauen und Männern muss in diesem Jahrzehnt
erreicht werden.“ Dazu soll unter anderem die ressortübergreifende
Gleichstellungsstrategie weiter entwickelt und künftige Gesetze einem
„Gleichstellungscheck“ unterzogen werden. [14][Die Istanbulkonvention gegen
Gewalt gegen Frauen] soll – endlich – „vorbehaltlos und wirksam“ umgese…
werden, die Finanzierung von Frauenhäusern einen bundeseinheitlichen Rahmen
bekommen.
Der [15][Paragraf 219a] wird wie erwartet abgeschafft. Auf straffreien
[16][Schwangerschaftsabbruch], wie bei Grünen und SPD vereinbart, konnte
man sich nicht einigen. Er scheint innerhalb der Verhandlungen das
Gegenstück zur Liberalisierung von Eizellspende und altruistischer
Leihmutterschaft gewesen zu sein, die wohl die FDP gepusht hat. Eine
Kommission soll prüfen, welche Möglichkeiten es bei Abbrüchen wie auch in
den reproduktionsmedizinischen Bereichen gibt. Immerhin: Die
Koalitionär:innen erkennen Abbrüche als Grundversorgung an,
Ärzt:innen sollen sie in der Ausbildung üben.
Durchgesetzt hat sich die FDP beim Wechselmodell für getrennt lebende
Eltern, was für Kritik bei Mutterinitiativen sorgen wird. Väter sollen in
bestimmten Fällen durch einseitige Erklärung das gemeinsame Sorgerecht
bekommen können. Im Fall eines Widerspruchs muss das Familiengericht ran.
Immerhin: Häusliche Gewalt muss im Umgangsverfahren berücksichtigt werden.
Patricia Hecht
Fortschrittsfaktor: 8 von 10 👍
## Migration und Integration
Im Vergleich zur Groko kündigt die Ampel eine liberalere Migrations- und
Integrationspolitik an. So wollen SPD, Grüne und FDP mehr legale
[17][Fluchtwege] schaffen und die Integration von Migrant:innen in
Deutschland erleichtern. Gleichzeitig will die künftige Bundesregierung die
„irreguläre Migration“ reduzieren und Straftäter und Gefährder
„konsequenter“ abschieben. Minderjährige sollen aber grundsätzlich nicht
mehr in Abschiebehaft genommen werden.
Konkret möchte die Ampel mehr Schutzsuchende über Resettlement- und
humanitäre Programme aufnehmen. Sollte eine Reform hin zu einem faireren
EU-Asylsystem nicht klappen, will die Ampel mit einer Koalition der
Willigen mehr Verantwortung unternehmen. Auch sollen Schutzsuchende in
Deutschland leichter ihre [18][Verwandten nachholen] können. Zur
Erinnerung: [19][Die Groko hatte den Familiennachzug bei subsidiär
Schutzberechtigten erst ausgesetzt und dann auf 12.000 Menschen im Jahr
begrenzt].
SPD, Grüne und FDP garantieren, die Liste der „sicheren Herkunftsländer“
nicht auszuweiten und von den [20][„Anker-Zentren“] abzurücken. Um das
Sterben auf dem Mittelmeer zu beenden, will die Koalition die Seenotrettung
auf dem Mittelmeer unterstützen. Übernehmen soll dies [21][die EU-Agentur
Frontex]. Die Ampel will auch dafür eintreten, dass die [22][zivile
Seenotrettung] nicht mehr behindert wird.
Zudem möchte die Ampel bessere Bleibeperspektiven schaffen. So sollen
künftig „alle Menschen, die nach Deutschland kommen“, Anspruch auf einen
Integrationskurs erhalten. Arbeitsverbote und Kettenduldungen sollen
wegfallen, geduldete Azubis eine Aufenthaltserlaubnis erhalten.
Schutzsuchende sollen künftig Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen. Dieser
„Spurwechsel“ scheiterte bislang an der Union. Das
Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll um ein Punktesystem nach kanadischem
Vorbild ergänzt werden, auch Nichtakademiker sollen künftig per „Blue Card�…
einreisen dürfen. Neu wäre auch die doppelte Staatsbürgerschaft: Deutsche
mit Migrationsgeschichte dürfen demnach künftig ihren zweiten Pass
behalten. Auch wollen SPD, Grüne und FDP die Einbürgerung nach fünf Jahren
ermöglichen. Ralf Pauli
Fortschrittsfaktor: 8 von 10 👍
## Europa und Außenpolitik
Die meisten Aussagen in diesem Kapitel bleiben eine Auslegungssache. Eine
eindeutige Aussage gibt es allerdings zu [23][Kampfdrohnen]: Die Bundeswehr
darf ihre unbemannten Flugzeuge bewaffnen. Grüne und SPD, bisher kritisch
eingestellt, hatten sich dafür in den letzten Monaten geöffnet. Die
Ankündigung im Koalitionsvertrag kommt daher nicht überraschend.
Ob der [24][Verteidigungshaushalt] weiter steigen wird, bleibt dagegen
offen. Dass 2-Prozent-Ziel der Nato wird im Koalitionsvertrag zwar nicht
explizit erwähnt. Die Ampel will aber „langfristig“ 3 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts in Entwicklung, Diplomatie und die „in der Nato
eingegangenen Verpflichtungen“ stecken.
Unklar bleibt auch die Zukunft der in Deutschland stationierten
US-Atomwaffen. So will die neue Regierung zwar einen Beobachterstatus beim
internationalen Atomwaffenverbotsvertrag einnehmen. Ob die Bundeswehr
weiterhin bereitstehen soll, um im Ernstfall in Zusammenarbeit mit den
US-Amerikanern Atombomben einzusetzen, ist aber offen.
Ähnlich beim [25][Thema Waffenexport]: Die Ampel will ein
Rüstungsexportgesetz einführen. Damit könnten Regeln verbindlicher werden.
Ausnahmen sollen aber möglich bleiben. Welche das sind? Man weiß es nicht.
In der Praxis muss sich zudem noch zeigen, wie die neue Koalition gegenüber
autoritären Regierungen auftritt. Laut Koalitionsvertrag will sie ihre
Außenpolitik auf „Freiheit, Demokratie und Menschenrechten“ aufbauen.
Innerhalb der Europäischen Union will sie sich dafür einsetzen, dass es
strenger geahndet wird, [26][wenn Mitgliedsländer gegen die Prinzipien der
Rechtsstaatlichkeit verstoßen]. In Bezug auf Problemstaaten außerhalb der
EU wie Russland, China und die Türkei dominiert das für Koalitionsverträge
typische Sowohl-als-auch: Uns sind gute Beziehungen wichtig, wir sprechen
aber auch Probleme an. Dabei wird der zweite Teil diesmal vielleicht ein
bisschen stärker betont wie zum Beispiel im Absatz zu China, in dem
Xinjiang, Taiwan und Hongkong explizit erwähnt werden. Tobias Schulze
Fortschrittsfaktor: 5 von 10 👎
## Innere Sicherheit
Das Innenministerium geht an die SPD, sein Zuschnitt wird gestutzt: Bauen
wandert ab, Heimat bleibt bestehen. Die Ampel gibt sich staatstragend.
„Leben in Freiheit braucht Sicherheit“, heißt es. Die
[27][Sicherheitsbediensteten verdienten „unseren Respekt“], die Polizei
werde besser ausgestattet. Der Kampf gegen die organisierte Kriminalität
und Kindesmissbrauch sollen zu Schwerpunkten werden.
Gleichzeitig aber wird ein progressiver Schwenk vollzogen, hin zu einer
„grundrechtsorientierten Sicherheitspolitik“, wie es die Ampel benennt.
Alle Sicherheitsgesetze sollen künftig wissenschaftlich evualiert werden,
mit einer unabhängigen „Freiheitskommission“ und mit Blick auf die
Auswirkungen für die Bürgerrechte. [28][Flächendeckende und biometrische
Videoüberwachung] wird abgelehnt, ebenso [29][Staatstrojaner] für die
Bundespolizei. Beim Verfassungsschutz soll die Überwachungssoftware nochmal
auf den Prüfstand. IT-Sicherheitslücken, die für Überwachung genutzt werden
könnten, sollen geschlossen werden. Eine Absage an die
[30][Vorratsdatenspeicherung] aber fehlt: Diese soll nun „rechtssicher
anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss“ stattfinden – was eine
Massenüberwachung praktisch weitgehend verunmöglicht.
Als größte Sicherheitsbedrohung wird der [31][Rechtsextremismus] benannt,
so wie es zuletzt auch die Groko tat. Als Gegenmittel sollen Gefährder
koordinierter überwacht, Extremisten entwaffnet und Deradikalisierung
gestärkt werden. [32][Das lange geforderte Demokratiefördergesetz] soll
kommen, das Projekte gegen Extremismus langfristig absichert. [33][Frauen-
und queerfeindliche Straftaten] sollen besser erfasst werden. Geschaffen
wird ein Anti-Rassismus-Beauftragter. [34][Der Begriff Rasse soll aus dem
Gesetz gestrichen werden] – in der vergangenen Legislatur war dies noch
gescheitert.
Gleichzeitig soll mehr Kontrolle für die Sicherheitsbehörden her. Ein
unabhängiger Polizeibeauftragter und eine Kennzeichnungspflicht für die
Bundespolizei wird geschaffen.
Der [35][Einsatz von V-Leuten] soll parlamentarisch „überprüfbar“ werden,
Akten höchstens noch für 30 Jahre geheim eingestuft. Bei der Polizei soll
eine Sicherheitsüberprüfung für Bewerber:innen extreme Ansichten
verhindern und unabhängige Forschung dem nachgehen. Ein Archiv zum
[36][Rechtsterrorismus] wird geschaffen. Und der 11. März soll nationaler
Gedenktag für Opfer terroristischer Gewalt werden – so wie auf europäischer
Ebene schon, in Erinnerung an den Anschlag 2004 in Madrid.
Ergo: Vieles, was unter Seehofer noch unmöglich war – die Umsetzung bleibt
abzuwarten. Konrad Litschko
Fortschrittsfaktor: 8 von 10 👍
## Finanzen
Der Staat wird weiter Schulden machen – obwohl SPD und FDP in ihren
Wahlprogrammen [37][die Schuldenbremse] propagiert haben. Doch nun werden
gleich drei Tricks genutzt, um Kredite zu ermöglichen. Erstens: Die Ampel
profitiert davon, dass die Merkel-Regierung für 2022 bereits neue Schulden
in Höhe von 100 Milliarden Euro vorgesehen hatte. Offiziell sollen damit
die weiteren Coronakosten finanziert werden, doch war immer klar, dass so
viel Geld nicht nötig würde. Der Rest kann also in die Ampel-Projekte
fließen.
Zweitens: [38][Die Coronaschulden] sollen zwar getilgt werden, wie es die
Schuldenbremse vorsieht – aber die Tilgungszeit wird verlängert. Die
Merkel-Regierung wollte die Pandemie-Kredite bis 2043 abstottern. Die Ampel
will es jetzt erst bis 2058 schaffen. Drittens: Es wird Schattenhaushalte
geben, obwohl die FDP dies ausgeschlossen hat. Sie werden bei der
Förderbank KfW, bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben und bei der
Bahn eingerichtet.
Teure und ökologisch schädliche Subventionen wie das Dienstwagenprivileg
oder die [39][Pendlerpauschale] werden nicht beschnitten, obwohl davon vor
allem Wohlhabende profitieren. Immerhin: Auch Immobilienkonzerne müssen
künftig [40][Grunderwerbssteuer] zahlen. Außerdem dürfen Immobilien nicht
mehr bar bezahlt werden, um die Geldwäsche zu bekämpfen.
Steuererhöhungen sind nicht geplant, was keine Überraschung ist. Grüne und
SPD hatten in ihren Wahlprogramm zwar eine [41][Vermögenssteuer] von einem
Prozent und höhere Spitzensätze bei den Einkommenssteuern gefordert, aber
diese Projekte hatten sowieso keine Chance, weil der Bundesrat zustimmen
müsste – und dort hat die Union eine Veto-Macht. Für Grüne und SPD war es
also schmerzfrei, der FDP entgegenzukommen, die immer erklärt hatte, dass
Steuererhöhungen eine „rote Linie“ seien.
Interessant ist, dass das Wort „Soli“ mit keinem Wort auftaucht. Noch
zahlen die reichsten fünf Prozent der Bundesbürger etwa 10 Milliarden Euro
pro Jahr. Die FDP wollte den Soli eigentlich abschaffen, aber
wahrscheinlich hoffen die Liberalen jetzt darauf, dass das
Bundesverfassungsgericht den Soli kippt. Ulrike Herrmann
Fortschrittsfaktor: 2 von 10 👎
## Soziales
Neue Begriffe, aber kaum zusätzliches Geld gibt es für die
Empfänger:innen von Leistungen der Grundsicherung. „Anstelle der
bisherigen Grundsicherung (Hartz IV) werden wir ein Bürgergeld einführen“,
heißt es im Koalitionsvertrag. Genaueres über eine Erhöhung der
Hartz-IV-Regelsätze beziehungsweise des Bürgergelds wird nicht gesagt.
Es gibt eine Erleichterung: „Wir gewähren in den ersten beiden Jahren die
Leistung ohne Anrechnung der Vermögen und anerkennen die Angemessenheit der
Wohnung.“ Neuantragsteller:innen auf die Hartz-IV-Leistung bekommen
also zwei Jahre lang das Geld samt Regelsatz und Miete, auch wenn die
Wohnkosten relativ hoch sind und ein größeres Vermögen vorhanden ist. Diese
Erleichterung gilt schon seit Corona.
Das betrifft allerdings nur Neuanträge. Die 17 Prozent der
Hartz-IV-Empfänger:innen, die jetzt schon aus dem Regelsatz einen Teil der
Miete mitbestreiten müssen, weil ihre Wohnkosten die Grenze der
„Angemessenheit“ überschreiten, haben nichts von dieser Regelung.
Eine „Kindergrundsicherung“ soll kommen, die die Leistungen aus
steuerlichem Kinderfreibetrag, Kindergeld, Kinderzuschlag und Sozialgeld
(im Hartz-IV-Bezug) „bündelt“ und in Teilen einkommensabhängig ist. Über
die Höhe der Leistung und den Zeitpunkt der Einführung wird nichts gesagt.
Eine „ressortübergreifende Arbeitsgruppe“ soll eingesetzt und der
„Einkommensbegriff“ bis Mitte 2023 in allen Gesetzen „harmonisiert“ wer…
„Bis zur tatsächlichen Einführung der Kindergrundsicherung werden wir von
Armut betroffenen Kindern, die Anspruch auf Leistungen gemäß SGB II, SGB
XII oder Kinderzuschlag haben, mit einem Sofortzuschlag absichern“, heißt
es. Über die Höhe des „Sofortzuschlages“ wird nichts gesagt.
In der Rentenversicherung will die Koalition das Niveau von 48 Prozent
halten und – jedenfalls „in dieser Legislaturperiode“ – den Rentenbeitr…
auf 20 Prozent begrenzen. Ein Kapitalstock von 10 Milliarden Euro aus
Steuermitteln soll aufgebaut werden. Der „Nachholfaktor“ soll ab 2022
wieder eingeführt werden, was eine Dämpfung des Rentenanstiegs bewirkt.
Barbara Dribbusch
Fortschrittsfaktor: 5 von 10 👎
## Wohnen
Es soll gebaut werden, schnell, günstiger und unkompliziert: 400.000 neue
Wohnungen sollen pro Jahr entstehen, ein Viertel davon öffentlich
gefördert. Gegen Bauen hatte ja auch keine der Parteien etwas einzuwenden.
Die Frage war nur: Wird auch Wohnraum für kleinere und mittlere Einkommen
geschaffen? Und wird klimagerecht gebaut? Da hatte es in den
Koalitionsgesprächen etwas Knatsch gegeben. Die Vorstellungen zwischen SPD,
Grünen und der FDP gehen bei der Wohnungspolitik bekanntermaßen
auseinander.
Eine Errungenschaft ist deshalb die Einführung einer neuen
Wohngemeinnützigkeit – die alte wurde 1990 abgeschafft. Damit bekommen
Wohnungsbauunternehmen, die gemeinwohlorientiert arbeiten und Wohnraum für
kleinere und mittlere Einkommen schaffen, steuerliche Vorteile. Das solle
„die dauerhafte Sozialbindung bezahlbaren Wohnraums erzeugen“. Das trägt
die Handschrift von Grünen und SPD.
Im Gegenzug haben die beiden Parteien offenbar Abstriche bei der Begrenzung
von Mieten hingenommen. Für Mieter:innen hat die Ampelkoalition quasi
nichts im Angebot. Die geltenden Mieterschutzregelungen sollen lediglich
evaluiert und verlängert werden. Die Mietpreisbremse soll bis zum Jahr 2029
verlängert werden. In angespannten Märkten soll immerhin die Kappungsgrenze
auf 11 Prozent in drei Jahren absenkt werden. Bisher dürfen Mieten maximal
20 Prozent in drei Jahren steigen, in angespannten Lagen 15 Prozent. Das
ist zwar eine kleine Verbesserung, aber völlig unzureichend gegen die
Mietenexplosion an vielen Orten. Gewerbemieter:innen, die ohnehin durch die
Pandemie gebeutelt sind, werden nicht einmal erwähnt.
Da hilft die Stärkung des Wohngelds und ein einmalig erhöhter
Heizkostenzuschuss nur bedingt. Zumindest soll der zusätzlich anfallende
CO2-Preis gerecht zwischen Mieter:innen und Vermieter:innen verteilt
werden. Und: Bis 2030 will die Ampel mit einem Nationalen Aktionsplan
Obdach- und Wohnungslosigkeit „überwinden“. Jasmin Kalarickal
Fortschrittsfaktor: 6 von 10 👍
## Verkehr
Anders als [42][Grüne und FDP wollten], wird die Deutsche Bahn nicht in
zwei Unternehmen für Schienennetz und Fahrbetrieb zerschlagen. Aber der
Staatskonzern wird umgebaut. „Wir werden die Deutsche Bahn AG als
integrierten Konzern inklusive des konzerninternen Arbeitsmarktes im
öffentlichen Eigentum erhalten“, heißt es im Koalitionsvertrag. Die
Infrastruktureinheiten DB Netz, DB Station und Service sollen zu einer
neuen, gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte zusammengelegt werden und
Teil des Konzerns bleiben.
Die Ampel will mehr Geld in die Schiene als in den Ausbau von Straßen
stecken und ein Programm für eine „schnelle Kapazitätserweiterung“ der Ba…
auflegen. Der geltende Bundesverkehrswegeplan soll geprüft, dabei sollen
Verkehrs-, Umwelt- und Wirtschaftsverbände einbezogen werden. Damit haben
die Grünen einen wichtigen Punkt gesetzt. Der aktuelle
Bundesverkehrswegeplan sieht den Bau von 850 Autobahnkilometern bis 2030
vor, darunter die A 49 durch den Dannenröder Forst oder die Küstenautobahn
A 20, die auf massiven Protest stoßen. „Wir werden auf Basis neuer
Kriterien einen neuen Bundesverkehrswege- und -mobilitätsplan 2040 auf den
Weg bringen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Einen Baustopp für begonnene
Projekte gibt es nicht.
Grüne und SPD haben sich mit dem Ziel durchgesetzt, dass bis 2030
mindestens 15 Millionen E-Autos in Deutschland zugelassen sein sollen. Das
klingt viel, ist aber aufgrund der Marktentwicklung ohnehin zu erwarten.
Die Ladeinfrastruktur soll erheblich ausgebaut werden. Damit Kommunen mehr
Spielräume bei der Einrichtung etwa autofreier Zonen haben, will die neue
Regierung das Straßenverkehrsgesetz und die Straßenverkehrsordnung ändern.
Die Lkw-Maut soll mit Blick auf den C02-Ausstoß reformiert werden.
Die FDP hat bereits in den Sondierungsgesprächen erreicht, dass SPD und
Grüne auf ein Tempolimit auf Autobahnen verzichten. Sie wird auch den oder
die Verkehrsminister:in stellen. Anja Krüger
Fortschrittsfaktor: 3 von 10 👎
## Ernährung und Landwirtschaft
Landwirte sollen dem Ampelvertrag zufolge aus einem „durch Marktteilnehmer“
getragenen System Geld dafür bekommen, die Tierhaltung zu verbessern. Für
Fleisch will die Koalition ab 2022 eine „verbindliche
Tierhaltungskennzeichnung“ einführen. Diese zeigt den VerbraucherInnen,
[43][unter welchen Bedingungen die Tiere lebten] sowie transportiert und
geschlachtet wurden. Auch eine Herkunftskennzeichnung strebt die Ampel an.
Die Koalition hat die Forderung der Grünen übernommen, den Anteil des
Biolandbaus an der Agrarfläche bis 2030 von derzeit 10 auf 30 Prozent zu
steigern. Die amtierende Regierung strebte nur 20 Prozent an.
Die Parteien wollen auch, dass Bauern weniger Pestizide einsetzen. Das
meistgenutzte Ackergift, der unter Krebsverdacht stehende Unkrautvernichter
Glyphosat, soll bis Ende 2023 vom Markt verschwinden. Die neue Koalition
verspricht, umweltverträgliche Alternativen zu chemisch-synthetischen
Pestiziden fördern, etwa Roboter oder andere Anbaumethoden. Zu einer von
Umweltschützern geforderten Pestizidsteuer konnte sich die Koalition nicht
durchringen.
Um eine gesunde Ernährung zu unterstützen, dürfe es an unter 14-Jährige
gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt
nicht mehr geben, heißt es im Vertrag. Eine Steuer auf zuckerhaltige
Erfrischungsgetränke fehlt.
Anders als von Naturschützern verlangt, wird die Agrarpolitik nicht dem
Umweltministerium zugeschlagen. Es wird weiter ein eigenständiges
Landwirtschaftsressort geben, in dem bisher der Bauernverband großen
Einfluss hatte. Allerdings soll es nun von den Grünen geleitet werden, der
Partei, die am meisten Umweltschutz in der Branche gefordert hat. Jost
Maurin
Fortschrittsfaktor: 5 von 10 👎
## Arbeit
Das Kapitel „Arbeit“ trägt eine sozialdemokratische Handschrift, auch wenn
es deutlich hinter dem SPD-Wahlprogramm zurückbleibt. Kernpunkt ist die
Erhöhung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro die Stunde.
Damit erfüllt die Ampel eine Forderung der Linkspartei aus dem
Bundestagswahlkampf 2017, die sich Olaf Scholz unmittelbar nach der
damaligen Wahl zu eigen gemacht hatte. Nachdem sie in der Groko gleichwohl
kein Thema war, erhob die SPD die Mindestlohnerhöhung im diesjährigen
Wahlkampf zu einer ihrer zentralen Forderungen, Scholz machte sie sogar zu
einer Bedingung für eine Regierungsbeteiligung. Schon während der
Sondierungsgespräche hatte die FDP denn auch ihren Widerstand dagegen
aufgegeben. Die Grünen waren ohnehin dafür. Von der SPD-Ankündigung, die
Spielräume der Mindestlohnkommission für künftige Erhöhungen auszuweiten,
findet sich allerdings nichts im Koalitionsvertrag.
Ebenfalls nicht in die Ampelvereinbarung geschafft hat es das
SPD-Versprechen, dass Leiharbeiter:innen künftig ab dem ersten Tag den
gleichen Lohn erhalten wie Festangestellte. Auch die Befristung von
Arbeitsverhältnissen ohne Sachgrund bleibt, obwohl die SPD sie eigentlich
abschaffen wollte. Nur beim Bund selbst als Arbeitgeber soll sie „Schritt
für Schritt“ reduziert werden. Immerhin: Um Kettenbefristungen zu
vermeiden, sollen mit Sachgrund befristete Arbeitsverträge beim selben
Arbeitgeber auf sechs Jahre begrenzt werden.
Dünn wird’s gleichfalls beim Thema Mitbestimmung: Dank der FDP auf der
Strecke geblieben sind sowohl die SPD-Forderung nach „einer echten Parität
in den Aufsichtsräten“ als auch die nach einer Erweiterung des
Geltungsbereichs der Mitbestimmung durch Absenkung der Schwellenwerte bei
der Unternehmensgröße. Erfreulich: Die Behinderung von Mitbestimmung soll
künftig als Offizialdelikt eingestuft werden. Pascal Beucker
Fortschrittsfaktor: 5 von 10 👎
## Bildung
Ein „Jahrzehnt der Bildungschancen“ will die Ampel anstoßen. Oha. Die
öffentlichen Bildungsausgaben sollen steigen, konkrete Zahlen fehlen aber.
Auf einem Bildungsgipfel hatten sich Bund und Länder schon 2008 auf ein
7-Prozent-Ziel allein für den Bildungsbereich verständigt, es aber nie
erfüllt. Gleichwohl will die Ampel auf dieses Format zurückgreifen und
einen neuen Bildungsgipfel mit Bund, Ländern und Kommunen einberufen.
Der Digitalpakt für Soft- und Hardware, aber auch Wartungspersonal soll als
Digitalpakt 2.0 verlängert werden. Eigentlich sind Länder und Kommunen fürs
schulische Personal zuständig, aber bis zu 4.000 Schulen in sozialen
Brennpunkten will der Bund gezielt mit Sozialarbeiter:innen
unterstützen.
Das Bafög, das derzeit nur noch 11 Prozent der Studierenden bekommen, will
die Ampel „grundlegend“ reformieren und vor allem den Kreis der
Empfänger:innen ausweiten, nämlich über eine „deutliche“ Erhöhung der
Freibeträge. Der Einstieg ins elternunabhängige Bafög soll, wie von der FDP
gefordert, kommen. Ein Teil der Kindergrundsicherung soll direkt an
volljährige Bafög-Berechtigte ausgezahlt werden. Wer eine Weiterbildung
macht, soll künftig Anspruch auf Bafög haben.
Für den wissenschaftlichen Nachwuchs an Hochschulen, der fast gänzlich auf
befristeten Stellen arbeitet, verspricht die Ampel das
Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das solche prekären Verhältnisse erlaubt
zu reformieren. Für Daueraufgaben sollen Dauerstellen geschaffen werden,
Karrierewege verlässlicher werden – in welchem Maß, bleibt ungewiss. Anna
Lehmann
Fortschrittsfaktor: 6–7 von 10 👍
## Digitalisierung
Digitalisierung – mit diesem Schlagwort zog so ziemlich jede
Wahlkämpfer:in durch die Lande. Kein Wunder also, dass Netzthemen am
Anfang des Koalitionsvertrages stehen. Schnell soll es gehen beim Ausbau
der Infrastruktur, beim Aufrüsten von Verwaltung und Behörden. Alles ganz
bürger:innennah und verbraucher:innenfreundlich.
Wer was anordnen darf, soll innerhalb der Bundesregierung neu geordnet und
gebündelt werden. Dafür wird Geld in die Hand genommen und ein
Digitalbudget geschaffen. Alle Gesetze sollen zudem einem
Digitalisierungscheck unterzogen werden.
Den Glasfaserausbau und den neuesten Mobilfunkstandard hatten sich auch
Union und SPD vorgenommen. Die Erfolge waren eher überschaubar. Das soll
sich jetzt ändern – wieder einmal. Aber Vorhaben wie digitale Teilhabe,
Barrierefreiheit, Netzneutralität und Nachhaltigkeit in der Digitalisierung
sind neu. So sollen etwa neue Rechenzentren ab 2027 klimaneutral betrieben
werden.
Auch der Datenschutz soll gestärkt werden. Zugänge zu Daten soll es
vereinfacht geben, aber eben unter gestärkten Bedingungen. Dazu soll etwa
die Datenschutzkonferenz im Bundesdatenschutzgesetz mehr Rechte bekommen.
Interessant sind die Ideen gegen Desinformation und Hass im Netz. Die Ampel
will etwa ein Gesetz gegen digitale Gewalt auf den Weg bringen, um Hürden
für Betroffene abzubauen. Dazu gehören auch Möglichkeiten Konten einfacher
zu sperren und auch die Einrichtung einer Bundeszentrale für digitale
Bildung. Zumindest soll das geprüft werden. Der Digi-Schub trägt klar die
[44][Handschrift von FDP] und Grünen. Tanja Tricarico
Fortschrittsfaktor 6 von 10 👍
## Inklusion
Behindertenpolitische Themen kamen im Wahlkampf, etwa in den
öffentlichkeitswirksamen Triellen, kaum vor. Auch hat sich keine der drei
Ampelparteien besonders stark für Inklusion gemacht. Deshalb ist es
erfreulich, dass im Koalitionsvertrag der Ampel immerhin zwei Seiten zu
inklusionspolitischen Belangen stehen. Viele Punkte lesen sich auch erstmal
gut und engagiert. Bürokratische Hürden sollen verringert werden, Zugang zu
Veranstaltungen von Bundesministerien und nachgeordneten Behörden soll
nicht nur [45][durch räumliche Barrierefreiheit], sondern auch durch
Übersetzungen in Gebärdensprache und durch Untertitel ermöglicht werden.
Informationen zu Gesetzen und Verwaltungshandeln sollen ebenfalls
barrierefrei angeboten werden. Dafür soll ein Sprachendienst in einem
eigenen Bundeskompetenzzentrum „Leichte Sprache/ Gebärdensprache“ zuständ…
sein.
Die neue Regierung will außerdem einen Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die
[46][Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Behinderung] legen. Dafür
sollen Inklusionsunternehmen gestärkt werden, „auch durch formale
Privilegierung im Umsatzsteuergesetz.“ Auch soll die Bezahlung von
[47][Menschen mit Behinderung, die in Werkstätten] arbeiten, geprüft
werden. Den Mindestlohn für WfbM, wie von vielen Aktivist*innen
gefordert, sieht der Vertrag allerdings nicht vor.
Man kann hoffen, dass man die zukünftige Regierung auf diesen Satz
festnageln kann: „Wir verpflichten in dieser Wahlperiode private Anbieter
von Gütern und Dienstleistungen, innerhalb einer angemessenen
Übergangsfrist zum Abbau von Barrieren oder, sofern dies nicht möglich oder
zumutbar ist, zum Ergreifen angemessener Vorkehrungen“. Darüber hinaus
sollen die Ausnahmemöglichkeiten des Personenbeförderungsgesetzes (ÖPNV)
bis 2026 abgeschafft werden. Aktuell können Verkehrsunternehmen noch
mehrere Begründungen anführen, weshalb sie von der generell geltenden
Beförderungspflicht, etwa von mobilitätseingeschränkten Personen, befreit
sind. [48][Busse und Bahnen müssen bislang noch nicht komplett barrierefrei
sein.]
Kritik gibt es von einigen Menschen mit Behinderung an dem Satz, dass der
Schwerbehindertenausweis durch einen „digitalen Teilhabeausweis“ ersetzt
werden soll. Aktivist*innen stören sich daran, dass wieder ein anderes
Wort für „Behinderung“ verwendet wird. Denn nicht der Begriff ist
diskriminierend und exkludierend, die Barrieren, die Menschen im
alltäglichen Leben behindern sind es. Von anderen Menschen war der Begriff
„Schwerbehindertenausweis“ aber auch kritisiert worden.
Positiv ist es, dass von den real existierenden Hürden für Menschen mit
Behinderung im Koalitionsvertrag einige angesprochen werden. Etwa soll auch
das [49][Wunsch- und Wahlrecht] sowie die „Etablierung und Nutzung eines
Persönlichen Budgets“, erleichtert werden, was mehr finanzielle
Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung bedeutet.
Auch wird im Vertrag [50][Gewalt gegen Menschen mit Behinderung,
insbesondere Frauen mit Behinderung], die davon besonders häufig betroffen
sind, explizit genannt und „verbindlichere Maßnahmen zur Verhinderung von
Gewalt“ versprochen.
Was die vielen angekündigten Gesetze, Maßnahmenpakete und Vorhaben im
Einzelnen bewirken werden, bleibt abzuwarten. Auch sind die Ankündigungen
zum Teil zu vage formuliert. Einige Punkte decken sich aber mit den
[51][Vorschlägen zur Behindertenpolitik] für den Koalitionsvertrag, den die
Organisation LIGA, ein Zusammenschluss von Selbstvertretungs-Organisationen
behinderter Menschen in Deutschland, formuliert hatte. Würden alle
angeschnittenen Punkte im Hinblick auf Inklusion konsequent umgesetzt
werden, verdienten sie wohl das Wort „Fortschritt.“ Linda Gerner
Fortschrittsfaktor: 6 von 10 👍
24 Nov 2021
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[51] http://liga-selbstvertretung.de/?p=909
## AUTOREN
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Pascal Beucker
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