| # taz.de -- Protokolle zum Klassenkampf: Was ist heutzutage schon gerecht? | |
| > Soziale Gerechtigkeit hat viele Aspekte. Wir haben 27 Menschen mit | |
| > unterschiedlichen Perspektiven auf die Gesellschaft gefragt, was der | |
| > Begriff für sie bedeutet. | |
| Deutschland gehört zu den reichsten Staaten der Welt – aber Wohlstand, | |
| Bildung, Gesundheit und Glück sind höchst ungleich verteilt. Wie wird die | |
| kommende Bundestagswahl die Weichen stellen für die Verteilungsprobleme? | |
| Wen wird treffen, dass die öffentlichen Kassen nach der Pandemie leer | |
| gefegt sind? Schaffen wir es, [1][das Klima zu schützen] und dabei keine | |
| Abstriche bei der sozialen Gerechtigkeit zu machen? Unter dem Motto | |
| „Klassenkampf“ widmet sich die taz eine Woche lang allen Fragen rund um | |
| soziale Gerechtigkeit – in der Printzeitung, auf taz.de und in den taz | |
| talks. Zum Auftakt haben wir 27 Menschen gefragt, was für sie soziale | |
| Gerechtigkeit ist. | |
| ## Jürgen Schneider: „Das Hartz-System fördert die Existenzangst“ | |
| Jürgen Schneider ist Grundsicherungsempfänger, wohnungslos, und engagiert | |
| bei der Selbstorganisation AG Beteiligung der Diakonie | |
| Soziale Gerechtigkeit bedeutet für wohnungslose Menschen, die benötigte | |
| Unterstützung ihnen unmittelbar zukommen zu lassen und nicht nur den | |
| Menschen zu verwalten. Das [2][Hartz-IV-System] fordert von Erwerbslosen | |
| und Aufstockern aber häufig unmögliches. Einige Empfänger sind krank und | |
| können die Maßnahmen nicht machen. Es ist auch schwierig für die | |
| Leistungsbezieher, an der digitalen Kommunikation teilzuhaben, weil sie oft | |
| die Geräte gar nicht besitzen. | |
| Das Hartz-System fördert die Existenzangst. Menschen werden stigmatisiert, | |
| ausgegrenzt, überwacht und bevormundet. Der unzureichende Regelsatz | |
| diskriminiert alle Menschen. Gerade in der Coronakrise erleben wir | |
| dramatische Folgen fürs ganze Leben. Vieles brach zusammen. Besonders | |
| wohnungslose Menschen wurden mit ihrer Situation alleine gelassen. Ohne | |
| bedingungslose finanzielle Existenzsicherung und eine Wohnung für jeden und | |
| bürgernahe Sprache wird es keine soziale Gerechtigkeit geben können. | |
| ## Annalena Baerbock: „Mit fairen Startbedingungen ins Leben gehen“ | |
| [3][Annalena Baerbock] ist Kanzlerkandidatin der Grünen | |
| Jedem Menschen ein Leben in Würde und Freiheit zu ermöglichen, darum | |
| geht's. Von Anfang an. In unserem reichen Land wächst jedes fünfte Kind in | |
| Armut auf. Soziale Politik muss dafür sorgen, dass alle mit fairen | |
| Startbedingungen ins Leben gehen. | |
| Freiheit und Würde bedeuten ein Leben ohne existenzielle Not. Die | |
| Grundsicherung muss zum Leben reichen, vor allem aber müssen es die | |
| Arbeitslöhne. Und Mieten müssen bezahlbar sein. | |
| In der Pandemie haben wir erlebt, wie wichtig gleichberechtigte | |
| gesellschaftliche Teilhabe für den Zusammenhalt in einer Gesellschaft ist. | |
| Dafür braucht es einen starken Sozialstaat und öffentliche Infrastruktur, | |
| also Schulen und Sportplätze, einen gut ausgebauten ÖPNV, schnelles | |
| Internet für alle und gute gesundheitliche Versorgung. Die große Aufgabe | |
| für die kommenden Jahre ist, die ökologische Transformation zu einem Gewinn | |
| an sozialer Gerechtigkeit zu machen. | |
| ## Tahir Della: „Soziale Fragen und Rassismus zusammendenken“ | |
| Tahir Della ist Sprecher der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland | |
| Soziale Ungleichheit steht oft in Verbindung mit rassistischen | |
| Ausgrenzungsmechanismen: Wer von Rassismus betroffen ist, hat schlechtere | |
| Bildungsschancen und ist [4][auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt | |
| benachteiligt.] Als antirassistische Bewegung müssen wir soziale Fragen und | |
| Rassismus zusammendenken. | |
| Wie stark sie miteinander verwoben sind, wurde vor dem Hintergrund der | |
| Pandemie besonders deutlich. Sie hat Schwarze Menschen, Menschen der | |
| afrikanischen Diaspora, aber auch Personen of Color und geflüchtete | |
| Menschen besonders hart getroffen – nicht nur dadurch, dass für sie der | |
| Zugang zum Gesundheitssystem ungleich schwerer ist. | |
| Geflüchtete etwa waren durch Quarantäneregelungen und die Angst vor | |
| [5][Racial Profiling bei Polizeikontrollen] in ihrer Bewegungsfreiheit noch | |
| stärker eingeschränkt als sonst. Die Dominanzgesellschaft nimmt das nicht | |
| ernst. Aber [6][nach dem Mord an George Floyd] sind die sozialen Bewegungen | |
| mehr und mehr zusammengerückt. | |
| ## Rainer Dulger: „Bildung ist die Grundlage für Chancengerechtigkeit“ | |
| Rainer Dulger ist Unternehmer und Präsident der Bundesvereinigung der | |
| Deutschen Arbeitgeberverbände | |
| Bildung ist der Baustoff unserer Zukunft und Grundlage für | |
| Chancengerechtigkeit. Damit ist Bildung die nachhaltigste Sozialpolitik und | |
| das Fundament für ein selbstbestimmtes Leben, gesellschaftliche Teilhabe, | |
| ein erfülltes Berufsleben und Wohlstand. Im globalen Wettbewerb um | |
| Fachkräfte wird Bildung regional und überregional zum zentralen | |
| Standortfaktor. Wir brauchen ein Bildungssystem unabhängig von sozialen | |
| Hintergründen, das individuelle Förderung in den Mittelpunkt stellt. | |
| Dies schließt auch den dringenden digitalen Wandel in Schulen mit ein: Mit | |
| moderner Methodik und Didaktik müssen Schüler auf die Anforderungen der | |
| Wirtschaft vorbereitet werden – digitalisierte Berufsbilder sind in den | |
| Unternehmen längst Standard. Kurzum: Als Wirtschaft und Gesellschaft können | |
| wir es uns nicht leisten, dass sich Talente mangels Förderung nicht | |
| entfalten können und Potenziale in Zeiten von Fachkräftemangel auf der | |
| Strecke bleiben. | |
| ## Lisa Winkelmann: „Bild der Chancengleichheit zerbrochen“ | |
| Lisa Winkelmann studiert Literaturwissenschaft in Erfurt | |
| Seit anderthalb Jahren stehen wir Student*innen vor mehr oder weniger | |
| geschlossenen Universitätstoren. [7][Seit dem Virus ist Studieren mühsam | |
| geworden.] Nicht nur Einsamkeit allein am Schreibtisch: Studierende | |
| verlieren Jobs, Praktika fallen aus und Abschlussarbeiten müssen trotzdem | |
| geschrieben werden. Wir sind auf Verständnis unserer Dozierenden | |
| angewiesen. Letztlich müssen viele ihr Studium verlängern, aber haben | |
| weniger finanzielle Mittel zur Verfügung. Auch Hilfen wie die Verlängerung | |
| der Regelstudienzeit können das nicht auffangen. | |
| Trotzdem haben primär Studierende aus bildungsfernen und finanziell | |
| unterprivilegierten Familien Schwierigkeiten und das wird sich langfristig | |
| auswirken. Die aktuelle Situation widerspricht der sozialen Gerechtigkeit | |
| und viele fühlen sich seit der Pandemie von Politik und Staat noch mehr | |
| allein gelassen. Das Bild der Chancengleichheit, welches auf dem Unicampus | |
| schon lange bröckelt, ist in der Coronakrise gänzlich zerbrochen. | |
| ## Ute-Henriette Ohoven: „Noch lange nicht gerecht“ | |
| Ute-Henriette Ohoven ist UNESCO-Sonderbotschafterin und Gründerin der | |
| YOU-Stiftung | |
| Ich bin jedes Mal geschockt, wenn ich Statistiken sehe, die Kinder | |
| betreffen. Unglaubliche Zahlen, die einen regelrecht niederschmettern. | |
| Heute gibt es immer noch circa 160 Millionen Kindersklaven, das heißt | |
| Mädchen und Jungen in schwerster Kinderarbeit! Kaum vorstellbar, was dies | |
| für die Kinder bedeutet. | |
| Seit der UN-Kinderrechtskonvention 1999 ist die Anzahl der Kindersklaven, | |
| das heißt [8][der arbeitenden Kinder,] von circa 250 auf 160 Millionen | |
| geschrumpft. Allerdings hat gerade in den letzten Jahren die Kinderarbeit | |
| wieder zugenommen. Es ist also noch lange nicht gut genug und vor allem | |
| nicht gerecht. | |
| Es ist schade, nicht nachvollziehbar und mehr als ungerecht, dass bei | |
| Maßnahmen, die unseren Kindern in der gesamten Welt den notwendigen Schutz | |
| und den Zugang zu Bildung und Ausbildung geben würden, immer darauf | |
| verwiesen wird, dass das Geld dafür nicht da sei. Das ist die | |
| Ungerechtigkeit, die mich antreibt. | |
| ## Leon: „Das kapitalistische System verändern“ | |
| Leon, 30, schiebt bei Amazon Nachtschichten und möchte nicht, dass sein | |
| echter Name in der Zeitung auftaucht | |
| Ich mache Nachtschichten bei Amazon. Zwar werde ich pro Stunde bezahlt, | |
| aber mit einem festen Gehalt kann ich trotzdem nicht rechnen. Eingeteilt | |
| werden wir nämlich nicht zu festen Schichten, sondern im sogenannten | |
| „Standby“. Das bedeutet, dass wir uns bereithalten müssen, und bis 14 Uhr | |
| bekommen wir Bescheid, ob wir tatsächlich arbeiten. Aber es werden immer | |
| viel zu wenige Leute zur Arbeit gerufen, sodass 10 die Arbeit von 30 | |
| machen. Und uns wird die ganze Zeit Druck gemacht. Denn wenn du am | |
| Fließband zu langsam bist, hältst du die ganze Maschinerie an. | |
| Ob man mich [9][bei Amazon] mehr ausbeutet als anderswo? Das weiß ich | |
| nicht. Aber ich würde gern dabei mithelfen, das kapitalistische System zu | |
| verändern, das auf der Ausbeutung von Menschen und Erde basiert. Für | |
| Soziale Gerechtigkeit braucht es eine Bewegung, die sich für die Rechte | |
| aller Menschen ohne Diskriminierung einsetzt. | |
| ## Christian Lindner: „Entscheidend ist die Verteilung der Chancen“ | |
| [10][Christian Lindner] ist Bundesvorsitzender und Spitzenkandidat der FDP | |
| Soziale Gerechtigkeit ist ein vielschichtiger Begriff. Die politische Linke | |
| versteht darunter in erster Linie eine vom Staat organisierte Umverteilung, | |
| die den Weg zu materieller Gleichheit weisen soll. Diese Sicht engt den | |
| Gerechtigkeitsbegriff ein. Entscheidend ist viel eher die Verteilung der | |
| Chancen in einer Gesellschaft. Soziale Gerechtigkeit sollte nicht in | |
| Umverteilungsquoten, sondern anhand von Aufstiegsmöglichkeiten gemessen | |
| werden. | |
| Dafür braucht es ein Bildungssystem, das endlich spitze ist, lebenslang | |
| wiederkehrende Möglichkeiten für selbstbestimmte Weiterbildung sowie die | |
| Gewissheit, dass sich Anstrengung in jeder Lebenslage lohnt. Hiervon ist | |
| der politische Diskurs leider oft weit entfernt: Kaum bekannt ist etwa, | |
| dass der wahre Spitzensteuersatz in Deutschland 80 Prozent beträgt – zu | |
| entrichten von Menschen, die Hartz IV beziehen, nebenbei aber wieder erste | |
| Schritte auf dem Arbeitsmarkt gehen wollen. Wir sagen: Der Zugriff des | |
| Staates darf nie höher als 50 Prozent sein. Jede zusätzliche Stunde Arbeit | |
| sollte sich lohnen. | |
| ## Johanna Börgermann: „Bildung bestimmt Lebensrealitäten“ | |
| Johanna Börgermann ist Gymnasiastin in Löhne und im Vorstand der | |
| Landesschüler*innen-Vertretung in Nordrhein-Westfalen | |
| Wenn ich nach sozialer Gerechtigkeit gefragt werde, dann erinnere ich mich | |
| an das Schicksal eines neunjährigen Mädchens, welches nach Corona doch | |
| nicht die erwartete Gymnasialempfehlung erhielt. Warum? Ihre Eltern waren | |
| Immigrant*innen und konnten ihre Tochter schulisch nur eingeschränkt | |
| unterstützen. Das System Schule nimmt keine Rücksicht auf die Startchancen | |
| der Schüler*innen, sondern sieht nur Leistung. Chancenungleichheit hin oder | |
| her, so läuft es eben. In einer sozial gerechten Welt wäre dieses Schicksal | |
| nicht eingetreten. | |
| Die Utopie von sozialer Gerechtigkeit beschreibt eine chancengleiche | |
| Gesellschaft. Eine bildungsgerechte Gesellschaft. Bildung bestimmt | |
| Lebensrealitäten und die Chance auf sozialen Aufstieg und ist deshalb | |
| zentral für jede*n. Genau deshalb ist Bildungsgerechtigkeit auch soziale | |
| Gerechtigkeit. Es bedeutet, dass die Erfolgschancen der Schüler*innen | |
| nicht mehr anhand von Herkunft, Geschlecht, Ethnie und Sexualität berechnet | |
| werden können. Es bedeutet, dass die Startchancen in das Arbeitsleben | |
| gleich sind. Es bedeutet Bildung für Alle. Ohne Ausschlusskriterien. | |
| ## Afaq Ahmad: Mit denen teilen, die nichts haben | |
| Afaq Ahmad ist Imam und Theologe der Ahmadiyya Muslim Jamaat Darmstadt | |
| Meine religiöse und soziale Verantwortung besteht darin, mich für gerechte | |
| Dinge einzusetzen – und zwar nicht nur in Worten, sondern auch in der | |
| Praxis. Für mich beginnt soziale Gerechtigkeit zu Hause. Es ist meine | |
| Verantwortung, für meine Eltern zu sorgen. Sie erstreckt sich aber auch auf | |
| diejenigen, die nicht mit mir verwandt sind, wie die Nachbarn, die Waisen | |
| und die Bedürftigen. | |
| Ich gelte nicht als Muslim, wenn ich mit vollem Magen zu Bett gehe, während | |
| mein Nachbar hungrig schläft. Soziale Gerechtigkeit bedeutet für mich | |
| außerdem Kampf gegen Armut. Wir haben hier viel Reichtum, während Millionen | |
| von Menschen in den Entwicklungsländern an Hunger sterben. | |
| Der Islam lehrt mich, bereit zu sein, das, was ich habe, mit denen zu | |
| teilen, die es nicht haben. Mein Glaube sagt mir auch, dass ich ein Hüter | |
| dieser Erde bin. Deshalb muss ich aktiv etwas tun, um ihr gesundes | |
| Fortbestehen zu gewährleisten. Auch das ist mein Kampf für Gerechtigkeit. | |
| ## Bernadette La Hengst: „Kunst und Kultur sind Nahrung und Antriebskraft“ | |
| Bernadette La Hengst ist Pop- und Elektropop-Musikerin | |
| Für jedes Kind ein Instrument: Das ist für mich Grundlage von sozialer | |
| Gerechtigkeit. Musikunterricht, Theater, freies Spiel – all das würde | |
| helfen, soziale Unterschiede zu überbrücken. Mit Kunst und Kultur lernt | |
| man, sich auszudrücken und findet einen Weg, an der Gemeinschaft | |
| teilzuhaben. Das ist eine Basis für ein gutes Leben, zu der viele Ärmere | |
| keinen Zugang haben. | |
| Wir brauchen Kunst und Kultur, sie sind Nahrung und Antriebskraft, mit ihr | |
| entwickeln wir uns weiter. Dass das kulturelle Leben für eineinhalb Jahre | |
| komplett gestoppt war, war furchtbar. Jetzt brauchen wir die Impfungen, | |
| damit die Clubs offen bleiben können und die Theater. Nur wenn wir uns an | |
| solchen Orten treffen und austauschen, können wir die Krise verarbeiten und | |
| über sie hinwegkommen. Eine [11][Impfquote von 85 Prozent] würde auf jeden | |
| Fall zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen. | |
| Wenn wir außerdem nicht klimaneutral werden, wird es bald so große soziale | |
| Ungerechtigkeiten geben, dass wir uns das jetzt noch gar nicht vorstellen | |
| können. Ich möchte es radikal formulieren: Dann wird es Kunst und Kultur | |
| nicht mehr geben. | |
| ## Armin Laschet: „Für die Chance auf den Aufstieg durch Bildung“ | |
| [12][Armin Laschet] ist Kanzlerkandidat der Union | |
| Soziale Gerechtigkeit bedeutet für mich zuallererst Chancengerechtigkeit: | |
| Jedes Kind muss die Chance auf den Aufstieg durch Bildung haben, unabhängig | |
| von der Herkunft der Eltern. | |
| Für Soziale Gerechtigkeit müssen Freiheit und Verantwortung eng verbunden | |
| bleiben. Der Mensch als Einzelner ist frei und gleichzeitig auf die | |
| Gemeinschaft angewiesen. Er braucht die Gemeinschaft und die Gemeinschaft | |
| braucht ihn. Konkret: Eigentum begründet Freiheit – und gleichzeitig | |
| verpflichtet es. | |
| Soziale Gerechtigkeit heißt auch Generationengerechtigkeit: Die ältere | |
| Generation darf nicht auf Kosten der Jüngeren leben. Weder beim | |
| Staatshaushalt noch bei der Umwelt. Auch Klimaschutz muss sozial gestaltet | |
| werden. | |
| Die neue Soziale Frage ist nicht mehr alleine der Ausgleich zwischen | |
| Kapital und Arbeit, sondern auch der Lebenschancen und Freiheitsrechte | |
| künftiger Generationen. | |
| ## Emma: „Mein Kind hat keine Rechte“ | |
| Emma, 39, ist ohne Papiere in Deutschland und möchte nicht, dass ihr echter | |
| Name in der Zeitung auftaucht | |
| Meine Tochter ist zwei Jahre alt und in Deutschland geboren, hat aber | |
| aufgrund einer unglücklichen Verkettung von Umständen keine gültige | |
| Geburtsurkunde. Es gibt kein Dokument, das ihre Existenz beweist. Nichts. | |
| Ich weiß nicht, wann sich das ändern wird. Das Standesamt weigert sich, ihr | |
| eine neue Geburtsurkunde auszustellen. Das bedeutet: Mein Kind hat keine | |
| Rechte – kein Recht auf Gesundheit oder soziale Sicherung. Sie hat keine | |
| Krankenversicherung und wird nicht in die Kita gehen können. | |
| Wie an vielen anderen Einwanderern rächt sich der Staat durch meine Tochter | |
| an mir, weil ich [13][Sans-Papiers] bin. Das ist eine Ungerechtigkeit. Die | |
| Kinder sind unschuldig. Sie dürfen nicht unter dem Aufenthaltsstatus ihrer | |
| Eltern leiden. Wenn ein Kind geboren wird, sollte es die Staatsbürgerschaft | |
| und alle Rechte bekommen, die damit verbunden sind – unabhängig von den | |
| Eltern. Das wäre Gerechtigkeit. | |
| ## Felicia Ewert: „Voneinander lernen, um uns gegenseitig unterstützen zu | |
| können“ | |
| Felicia Ewert ist Autorin und politische Referentin zu den Themen | |
| Transfeindlichkeit, Transmisogynie und Homofeindlichkeit | |
| Für mich bedeutet soziale Gerechtigkeit, immer mehrere Perspektiven zu | |
| beachten und miteinzubeziehen. Es gibt nicht den einen Weg. | |
| [14][Meine Arbeit besteht darin, intersektional zu denken und zu handeln.] | |
| Zum einen bei meinen persönlichen, vielschichtigen Kämpfen gegen Misogynie, | |
| Trans- und Homofeindlichkeit. Zum anderen, wenn ich mich weiterbilde, um | |
| die Kämpfe von anderen Menschen im Patriarchat und Kapitalismus zu | |
| erkennen, zu verstehen und solidarisch mit ihnen zu sein. | |
| Wir dürfen und müssen voneinander lernen, um uns gegenseitig unterstützen | |
| zu können. Wir können nicht darauf vertrauen, dass Institutionen das schon | |
| regeln, denn die Erfahrung zeigt, dass die Leben marginalisierter Menschen | |
| dort immer zu etwas Debattierbarem gemacht werden. | |
| Und hierbei geht es nicht um abstrakte Theorien, sondern um Menschenleben: | |
| um Arbeitsbedingungen, Geld, Gesundheitsversorgung, körperliche Autonomie. | |
| Soziale Gerechtigkeit muss daher auch immer ökonomische Gerechtigkeit | |
| bedeuten. | |
| ## Christopher Jost: „Prekäre und krankmachende Lebensumstände“ | |
| Christopher Jost arbeitet als Krankenpfleger in einem Berliner Krankenhaus | |
| Krankenhäuser sind Orte, in denen viele soziale Realitäten | |
| aufeinandertreffen und gesellschaftliche Ungleichheiten so besonders stark | |
| sichtbar werden. Für die allermeisten Menschen ist es wohl nur schwer | |
| vorstellbar, aus welchen teils prekären und krank machenden Lebensumständen | |
| wir Patient*innen zu uns auf Station aufnehmen. Für meine | |
| Kolleg*innen und mich ist es einfach unsere Arbeit, für hochkalorische | |
| Kost zu sorgen, Hilfestellung bei der Körperpflege zu leisten und die | |
| chronischen Wunden zu versorgen. | |
| Hätten wir mehr Zeit und würde unserer Profession mehr zugetraut, könnten | |
| wir unsere Aufgabe sogar noch besser machen. Für ein wirklich gerechtes und | |
| bedarfsorientiertes Gesundheitssystem, in dem alle Menschen einen | |
| niedrigschwelligen Zugang zu pflegerischer Versorgung haben, braucht es | |
| neben Reformen zu den jetzigen Abrechnungssystemen aber auch die staatliche | |
| Refinanzierung von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. | |
| ## Helga Neumann: „Gleiche Rechte und Pflichten für alle“ | |
| Helga Neumann ist Rentnerin aus Berlin-Neukölln | |
| Wenn alle aufeinander Rücksicht nehmen – das ist für mich Gerechtigkeit. | |
| Ich bin eigentlich ein zufriedener Mensch, mir fehlt nur selten etwas und | |
| deshalb kann ich auch gut auf andere zugehen. In meinem Kiez in Berlin | |
| leben so viele Menschen aus so vielen verschiedenen Ländern zusammen: das | |
| finde ich bereichernd und interessant, weil ich neugierig und | |
| aufgeschlossen bin. | |
| Andererseits finde ich es aber schwierig, wenn ich auf dem Bürgersteig | |
| laufe, und ich höre zeitweise gar niemand anderen mehr Deutsch sprechen. | |
| Jeder Mensch sollte versuchen, sich wenigstens ein bisschen in der Sprache | |
| des Landes zu auszuprobieren, in dem er oder sie sich gerade aufhält. Das | |
| ist für mich gerechte und gelebte Gastfreundschaft. | |
| Was für mich auch das Gegenteil von Gerechtigkeit bedeutet, ist, dass in | |
| der momentanen Coronasituation sich längst nicht alle vernünftig verhalten. | |
| Abstände werden nicht eingehalten, Masken nicht getragen, dort wo es | |
| eigentlich zur Zeit Pflicht ist. Das finde ich unfair und dumm. Gleiche | |
| Rechte für alle, aber auch gleiche Pflichten. Nur so können wir gerecht | |
| zusammenleben. | |
| ## Olaf Scholz: „Niemand darf diskriminiert werden“ | |
| [15][Olaf Scholz] ist Kanzlerkandidat der SPD | |
| Es gibt keinen Politiker, der sagt: Ich stehe für Ungerechtigkeit. Dennoch | |
| gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was „gerecht“ ist. Für | |
| mich gehört zur Gerechtigkeit die klassische liberale Idee der politischen | |
| und bürgerlichen Gleichheit aller. Niemand darf diskriminiert werden, nicht | |
| vor Gericht, nicht im Alltag und nicht in Bezug auf demokratische Teilhabe. | |
| Ohne die soziale Dimension ist dies aber nur eine halbe Gerechtigkeit. Es | |
| geht auch um real gleiche Chancen, aus seinem Leben etwas zu machen. Und um | |
| das Verständnis, dass wir in einer arbeitsteiligen Gesellschaft alle | |
| aufeinander angewiesen sind. Darum gerechte Löhne und einen Ausgleich über | |
| unser Steuer- und Sozialsystem. | |
| Hinzu kommt, was der Philosoph Michael Sandel Beteiligungsgerechtigkeit | |
| nennt. Also dass niemand das Gefühl bekommt, etwas „Schlechteres“ zu sein | |
| und jeder die Chance hat, seinen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. | |
| Deshalb ist mir eine Politik und eine Gesellschaft des gegenseitigen | |
| Respekts wichtig. | |
| ## Avitall Gerstetter: „Der Gradmesser ist, wie wir mit Minderheiten | |
| umgehen“ | |
| Avitall Gerstetter ist Kantorin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin | |
| Soziale Gerechtigkeit ist DAS Ziel des Humanismus, DAS Versprechen der | |
| Aufklärung. Ich bin aber nicht naiv genug anzunehmen, dass ich selbst noch | |
| erleben darf, wie es erreicht wird. Die weltweite Ungleichverteilung von | |
| Ressourcen, sei es der Zugang zu Wasser und Nahrung, die Chance auf | |
| Bildung, auf freie Meinungsäußerung, all das steht dem entgegen. | |
| Ich bin Jüdin und ich bin es mit Stolz. Aber ich sage auch angesichts der | |
| weltweiten Zunahme des Urübels des Antisemitismus: Wie wir mit Minderheiten | |
| umgehen, wie sich Judenhass ausprägt, wie sich die Diskriminierung von | |
| Frauen ausnimmt und was dagegen getan wird, das ist auch Gradmesser für | |
| soziale Gerechtigkeit insgesamt. | |
| Und obwohl ich nicht mehr erleben werde, wie soziale Gerechtigkeit erreicht | |
| wird: Ich bin naiv genug, mich dennoch jeden Tag dafür einzusetzen, dass | |
| der Weg dorthin weitergegangen wird. Denn wenn wir soziale Gerechtigkeit | |
| nicht anstreben, dann wird dies das Ende menschlicher Zivilisation sein. | |
| ## Reiner Hoffmann: „Gute Arbeit, Mitbestimmung und Tarifverträge“ | |
| Reiner Hoffmann ist Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds | |
| Die Lebens- und Arbeitswelt der Menschen wird sich in den nächsten Jahren | |
| grundlegend ändern. In dieser Zeit der Umbrüche sind Sicherheit und | |
| verlässliche Zukunftsperspektiven für die Menschen entscheidend. Wenn | |
| Menschen mitbestimmen und sich mitentwickeln können, wenn wir Weiterbildung | |
| möglich machen und Beschäftigung sichern, dann liegt in der Veränderung | |
| eine Chance. Gute Arbeit, Mitbestimmung und Tarifverträge sind also kein | |
| Selbstzweck. Diese Instrumente sind der Schlüssel zu einer nachhaltigen, | |
| sozial gerechten Zukunft. Denn sie stehen für Innovation in den Betrieben, | |
| Akzeptanz der Gesellschaft und Engagement der Beschäftigten. | |
| Der radikale Umbau unserer Wirtschaft ist eine zutiefst soziale Frage. Nur | |
| wenn wir soziale Gerechtigkeit ganz oben auf die Agenda setzen, kommen wir | |
| stärker aus diesen Transformationen heraus, als wir hineingegangen sind. | |
| ## Andreas Bruske: „Allen Möglichkeiten geben, an Ressourcen teilzuhaben“ | |
| Andreas Bruske ist Geschäftsführer und Inhaber eines handwerklichen | |
| Solarbetriebs bei Bremerhaven | |
| Soziale Gerechtigkeit bedeutet für mich, dass wir allen die Möglichkeit | |
| geben, an Ressourcen teilzuhaben. Die Solarenergie ist ein schönes Beispiel | |
| dafür, wie Energie gerecht verteilt werden kann, wenn man den Leuten die | |
| nötigen Mittel gibt. Die Sonne liefert uns jährlich 1.500 Mal mehr Energie | |
| als die ganze Menschheit benötigt. Und es kümmert die Sonne nicht, ob sie | |
| auf ein reiches oder ein armes Hausdach scheint – sie scheint auf uns alle, | |
| auf jede Wüste und auf jeden Urwald. | |
| Es braucht nur eine Solaranlage, schon kann man daran teilhaben und Wärme | |
| oder Strom gewinnen. Selbst in ärmeren Ländern wie Bangladesch gelingt es, | |
| dass die Leute Sonnenenergie nutzen – dank günstiger [16][Mikrokredite]. | |
| Das Thema Gerechtigkeit ist mir aber auch als Unternehmer sehr wichtig. Zum | |
| Beispiel schauen wir nicht nur auf unsere Handelsbilanz, sondern haben auch | |
| schon zwei Mal anhand der Gemeinwohl-Bilanz geprüft, wie sehr wir als Firma | |
| dem Gemeinwohl dienen. | |
| ## Katrin Dinges: „Auf jeden einzelnen von uns kommt es an!“ | |
| Katrin Dinges ist taubblinde Künstlerin aus Berlin | |
| Soziale Gerechtigkeit ist das Recht auf … Diversität/Vielfalt in allen | |
| Gesellschaftsbereichen … Leben/Frieden/Gewaltfreiheit/Prävention und | |
| Gesundheitsversorgung aller … auf freie sexuelle/körperliche und religiöse | |
| Identität … Selbstentfaltung, Zugang zu kreativem und künstlerischem | |
| Ausdruck … sich zur Wehr zu setzen, auch juristisch, … sich vertreten | |
| fühlen, eine Stimme haben … protestieren … (Aus-)Bildung, Information, | |
| Zugang zum Internet … Schriftsprachkompetenz … technische moderne | |
| Ausstattung | |
| … finanzielle und organisatorische Deckung aller Assistenzbedarfe … | |
| selbstbestimmtes Wohnen und Arbeiten (keine Lager, Wohnheime, Werkstätten | |
| für behinderte Menschen) … finanzielle Unabhängigkeit, faire und | |
| gleichberechtigte Bezahlung … Anerkennung und Wertschätzung für | |
| verschiedene Kommunikationsformen und Sprachen … Wertschätzung digitaler | |
| Teilhabe, Ende von Präsenz-Fetischismus. Veränderungen sind möglich. Auf | |
| jeden einzelnen von uns kommt es an! | |
| ## Werena Rosenke: „Ein Leben in Würde“ | |
| Werena Rosenke ist Geschäftsführerin der BAG Wohnungslosenhilfe | |
| Ein ganz wesentliches Ziel der BAG Wohnungslosenhilfe und unser | |
| eigentlicher Kernauftrag ist es, wohnungslosen Menschen ein Leben zu | |
| ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Dazu gehört an erster | |
| Stelle das Recht auf Wohnen und Existenzsicherung. Wohnen ist ein | |
| Menschenrecht und steht somit jeder und jedem zu. Wer wohnungslos ist, wird | |
| nicht nur aus dem Wohnungsmarkt ausgegrenzt, sondern auch aus allen anderen | |
| existenziellen Lebensbereichen. | |
| Das betrifft das soziale und wirtschaftliche Leben ebenso wie den Bereich | |
| der Bildung, der gesundheitlichen Versorgung oder der Sicherheit. Wenn | |
| soziale Gerechtigkeit meint, dass sowohl Rechte als auch | |
| Entwicklungsmöglichkeiten für alle Menschen gelten, bildet Wohnraum ein | |
| unverzichtbares Fundament dafür. Bezahlbarer Wohnraum, Wohnraum für | |
| wohnungslose Menschen ist eine wesentliche Säule sozialer Gerechtigkeit. | |
| ## Christian Krüger: „Gleiche Chancen schaffen für alle“ | |
| Christian Krüger arbeitet als Berater für eine Kommunikationsagentur in | |
| Berlin | |
| Für mich heißt soziale Gerechtigkeit, dass wir für alle die gleichen | |
| Chancen schaffen. Gute Bildung nicht nur für Wohlhabende, sondern auch für | |
| Kinder aus Hartz-IV-Familien im Berliner Plattenbau oder Kinder | |
| alleinerziehender Eltern auf dem Land. Alle sollten die Möglichkeit haben, | |
| zu lernen und sich zu entwickeln, aus der Armut zu entkommen und am | |
| Wohlstand unserer Gesellschaft teilzuhaben. | |
| Ich selbst habe mich nie benachteiligt gefühlt, obwohl ich ein schwuler | |
| Junge vom Dorf in Ostdeutschland bin. Das sind definitiv Kategorien mit | |
| Diskriminierungspotenzial. Aber abgehängt fühlte ich mich nie. Doch ich | |
| habe in meinem eigenen Umfeld gesehen, wie wichtig es ist, am | |
| gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können – und das kostet nun mal Geld. | |
| Darum unterstütze ich auch Ideen wie das bedingungslose Grundeinkommen und | |
| die höhere Besteuerung von Superreichen. Das könnte für alle ein | |
| gerechteres Leben ermöglichen. | |
| ## Angela Asomah: „Black, Indigenous und People of Color sind keine | |
| Ressource“ | |
| Angela Asomah ist Aktivist*in und Referent*in, gibt Workshops zu | |
| Klimagerechtigkeit, Intersektionalität und Empowerment und arbeitet bei der | |
| BUNDJugend | |
| Soziale Gerechtigkeit bedeutet für mich, dass Menschen auf der ganzen Welt | |
| gegen zusammenhängende Ausbeutungsmechanismen von Menschen und Natur | |
| kämpfen. Dabei gibt es für mich keine Trennung zwischen sozialer | |
| Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit, da die Forderungen zusammengehören: | |
| Bezahlbare Wohnungen und Jobs, gleiche Löhne für FINTA Personen, | |
| Bewegungsfreiheit, Reparationszahlungen für den Globalen Süden und die | |
| Anerkennung der Folgen des Kolonialismus. | |
| Denn der Kolonialismus bedingt nicht nur die andauernde Ausbeutung von | |
| Menschen im Globalen Süden, sondern ist auch ein Grund für den Klimawandel. | |
| Gerechtigkeit heißt, dass Black, Indigenous und People of Color nicht als | |
| Ressource zur Verfügung stehen und die Ausbeutung fossiler Brennstoffe und | |
| anderer Ressourcen gestoppt wird. Forderungen und Perspektiven von Menschen | |
| im Globalen Süden sollten im Zentrum der Frage um Gerechtigkeit stehen. | |
| ## Janine Wissler: „Gute Löhne, gute Arbeitsbedingungen, soziale | |
| Absicherung“ | |
| [17][Janine Wissler] ist Spitzenkandidatin der Linken | |
| Soziale Gerechtigkeit bedeutet für mich, dass der gesellschaftliche | |
| Reichtum gerecht verteilt wird. Dass die, die ihn erwirtschaften, nicht mit | |
| Niedriglöhnen und befristeter Beschäftigung abgespeist werden, während | |
| einige Wenige immer reicher werden. Soziale Gerechtigkeit bedeutet: gute | |
| Löhne, gute Arbeitsbedingungen, soziale Absicherung und mit Blick auf das | |
| Klima den sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft. | |
| Gerechtigkeit heißt, dass besonders reiche Menschen stärker besteuert | |
| werden und dass die Kosten für die Bewältigung der Coronakrise und den | |
| Klimaschutz nicht wieder auf die Beschäftigen abgewälzt werden, sondern die | |
| Profiteure und Verursacher in die Pflicht genommen werden. Gerecht ist, | |
| wenn das Elternhaus nicht darüber entscheidet, welchen Zugang zu Bildung | |
| ein Kind hat. Gerecht ist, wenn es bezahlbaren Wohnraum für alle gibt. | |
| Gerecht ist, wenn in einem reichen Land niemand in Armut leben muss. | |
| ## Marcus Wergin: „Gerechtigkeit ist Menschenwürde“ | |
| Marcus Wergin arbeitet in der Schweriner Petrus-Gemeinde als Sozialdiakon | |
| Für mich heißt soziale Gerechtigkeit, dass ich mein Gegenüber als wertigen | |
| Menschen behandle. Gerechtigkeit ist Menschenwürde. Darauf achten wir auch | |
| bei der Lebensmittelausgabe, die wir hier in Schwerin organisieren. Wir | |
| behandeln die Menschen nicht als Bittsteller, sondern als Gäste. Denn | |
| insgesamt empfinde ich das System der Tafel als sehr ungerecht. | |
| Es ist ein Skandal, dass Menschen in Deutschland auf eine | |
| Lebensmittelausgabe angewiesen sind, weil das Geld zum Monatsende so knapp | |
| wird, dass man nicht genug zu essen hat. Und dann bekommen sie | |
| Lebensmittel, die normale Konsumenten im Supermarkt nicht kaufen. Bei der | |
| Tafel versuchen wir dann immer, mehr als nur die Lebensmittel zu | |
| verschenken. Das kann ein Lächeln und ein Gespräch sein, das kann eine | |
| Tasse Kaffee und das Gefühl von Gemeinschaft sein – das wir noch obendrauf | |
| geben, zu der Tüte mit den Lebensmitteln. Denn für die Tüte kann man sich | |
| oft nur entschuldigen. | |
| ## Nancy Poser: „Auch für die, die weniger leisten können“ | |
| [18][Nancy Poser] ist Richterin am Amtsgericht Trier und Gründungsmitglied | |
| von Ability Watch. 2020 reichte sie gemeinsam mit anderen | |
| Verfassungsbeschwerde gegen eine mögliche Benachteiligung von Menschen mit | |
| Behinderung in der Intensivbehandlung (Triage) ein | |
| Soziale Gerechtigkeit bedeutet für mich, die Kluft zwischen arm und reich | |
| zu verringern. Nicht jeder muss dasselbe haben – Qualifikationen oder | |
| Verantwortung, die man trägt, sollen natürlich Berücksichtigung finden. | |
| Aber wer das ihm Mögliche für die Gesellschaft tut, muss von dieser auch | |
| Rahmenbedingungen erwarten dürfen, die jedem Mitglied ein finanziell | |
| abgesichertes Leben ermöglichen. | |
| Gleiches muss für diejenigen gelten, die z.B. aufgrund von Krankheit | |
| weniger leisten können. Deshalb: Beitragsbemessungsgrenze weg. | |
| Bürgerversicherung her. Einheitliche Rentenkasse einführen. Ein anderer | |
| wichtiger Aspekt ist die Herstellung von Chancengleichheit von Anfang an. | |
| Kein Aussortieren von Kindern nach Klasse 4. Inklusion. Eine Schule für | |
| alle. Kurz: Umverteilung, Solidarität und Chancengleichheit. | |
| 17 Aug 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Klimawandel-und-die-Wahl/!5789481 | |
| [2] /Wirtschaftswissenschaftler-ueber-Hartz-IV/!5791918 | |
| [3] /Die-Zukunft-der-Gruenen/!5782489 | |
| [4] /Mietenwahnsinn-in-Berlin/!5784105 | |
| [5] /Frueherer-Polizeichef-ueber-Fehlerkultur/!5789096 | |
| [6] /Urteil-nach-Mord-an-George-Floyd/!5783167 | |
| [7] /Corona-Infektionsschutz-und-Studium/!5768972 | |
| [8] /Debatte-um-Kinderarbeit-in-Bolivien/!5688047 | |
| [9] /Amazon-kauft-Bond-Studio-MGM/!5775260 | |
| [10] /Wahlkampfstrategie-der-FDP/!5788063 | |
| [11] /So-klappts-mit-Corona-Impfung/!5790969 | |
| [12] /Armin-Laschet-im-Wahlkampf/!5789667 | |
| [13] /Hungerstreik-in-Belgien/!5781092 | |
| [14] /Der-Hausbesuch/!5583145 | |
| [15] /SPD-Kampagne-zur-Bundestagswahl/!5786653 | |
| [16] /Mikrokredite-fuer-Frauen/!5671342 | |
| [17] /Bundesparteitag-der-Linkspartei/!5777457 | |
| [18] /Richterin-ueber-Triage/!5735415 | |
| ## AUTOREN | |
| Franziska Schindler | |
| Hanno Fleckenstein | |
| Barbara Dribbusch | |
| Manuela Heim | |
| Harriet Wolff | |
| Sabine am Orde | |
| Anna Lehmann | |
| Ulrich Schulte | |
| Ralf Pauli | |
| Patricia Hecht | |
| ## TAGS | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Bildungschancen | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Schwerpunkt Armut | |
| Hartz IV | |
| Kinderarmut | |
| GNS | |
| Kinderarbeit | |
| Sozialstaat | |
| Soziale Gerechtigkeit | |
| soziale Klassen | |
| Anja Stahmann | |
| Väter | |
| Theater Bremen | |
| Gender | |
| Tariflöhne | |
| Diaspora | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Arbeit | |
| Schwerpunkt Armut | |
| Wahlkampf | |
| Schwerpunkt Armut | |
| Schwerpunkt Armut | |
| Arbeiterklasse | |
| Schwerpunkt Armut | |
| Schwerpunkt Armut | |
| Schwerpunkt Armut | |
| Schwerpunkt Armut | |
| Schwerpunkt Armut | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Schwerpunkt Armut | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Brief an die Gesellschaft: Das ist nicht fair, Deutschland! | |
| Unser Autor ist psychisch krank und war obdachlos. Wer einmal aus dem | |
| System fällt, musste er erfahren, dem wird es schwergemacht, wieder | |
| reinzufinden. | |
| Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften: Senatorin macht zähneknirschend mit | |
| Zusammenlebende Geflüchtete werden bei Sozialleistungen wie Ehepaare | |
| behandelt. Bremen hält das für verfassungswidrig, macht aber keine | |
| Ausnahmen. | |
| Vater sein mit Behinderung: „Das schaffe ich“ | |
| Wie erlebt ein behinderter oder chronisch kranker Mensch das Vatersein? Und | |
| was, wenn man deswegen auf Nachwuchs verzichtet? Vier Protokolle. | |
| Interkultur-Zuständige am Bremer Theater: „Ich bin keine Kontrolleurin“ | |
| Ferdaouss Adda ist Referentin für interkulturelle Öffnung am Theater | |
| Bremen. Der taz erklärt sie, wozu eine solche Stelle gut ist. | |
| Ärztin über geschlechtersensible Medizin: „Vernachlässigte Unterschiede“ | |
| Medizinische Behandlungen und Studien orientieren sich oft am männlichen | |
| Standard. Das kann für Frauen zum Problem werden. | |
| Streik in Kieler Krankenhaus: Mit zehn Euro abgespeist | |
| Die Servicekräfte des Städtischen Krankenhauses Kiel wollen endlich nach | |
| Tarif bezahlt werden. Das führt zu Streit zwischen Verwaltung und Stadtrat. | |
| Bremer Diaspora-Preise vergeben: Die Engagierten | |
| Das Afrika Netzwerk Bremen ehrt die Hilfsprojekte von Migrant*innen. Die | |
| Organisatorin verbindet damit ein Plädoyer gegen die Parallelgesellschaft. | |
| Bedingungsloses Grundeinkommen: „Die Zahnschmerzen sind weg“ | |
| Was ändert sich, wenn man 1.200 Euro pro Monat geschenkt bekommt? Drei | |
| Teilnehmer:innen des Pilotprojekts Grundeinkommen berichten. | |
| Arte-Film „Geliefert“ mit Bjarne Mädel: Rote Weste, blaue Weste | |
| Bjarne Mädel beeindruckt im Sozialdrama „Geliefert“ als prekär | |
| beschäftigter Vater. Am Ende ist die Frage von Arm und Reich dem Einzelnen | |
| überlassen. | |
| Sinkende Wahlbeteiligung: Warum wir nicht wählen | |
| Die Zahl der Nichtwähler:innen steigt – vor allem unter Ärmeren. Was | |
| sind die Gründe dafür? Sechs Erfahrungen. | |
| Kosten von Klimapolitik: Arme zahlen drauf | |
| Im Wahlkampf wollen plötzlich alle Klimaschutz. Bisher finanzieren den | |
| allerdings eher die kleinen Einkommen. Dabei ginge es gerechter. | |
| Wachsende Ungleichheit: Die Macht der Hyperreichen | |
| Die wachsende Ungleichheit im Gegenwartskapitalismus ist ökonomisch, sozial | |
| und politisch. Wen es trifft, den trifft es zumeist auf vielen Ebenen. | |
| Soziale Gerechtigkeit in Deutschland: Unterschätzte Errungenschaften | |
| Hauptsache, die Reichen zahlen mehr Steuern? Mitnichten. Um die | |
| Solidarsysteme auszubauen, sollte auch die Mittelschicht höhere Abgaben | |
| zahlen. | |
| Digitale Klassengesellschaft: Mit der rosa Datenbrille am Pool | |
| Das Netz sollte mal ein herrschaftsfreier Raum werden. Heute gibt es | |
| Grundbesitz, Proletarier:innen und Ausbeutung wie überall sonst. | |
| Wohnen in der Stadt der Zukunft: Das neue Bauen | |
| Mietenexplosion, Wohnungsbau und Mobilität sind aktuelle Konfliktfelder. | |
| Eine Forschungsschau zeigt, wie Wohnen in der City künftig aussehen könnte. | |
| Soziologin über soziale Ungerechtigkeit: „Die untere Hälfte besitzt nichts�… | |
| In den letzten Jahrzehnten gab es eine Umverteilung von unten nach oben, | |
| sagt die Soziologin Silke van Dyk. Auch die Lebenserwartung hänge mit | |
| Klasse zusammen. | |
| Geld und Glück: Hauptsache, mehr als der Nachbar | |
| Geld leistet einen Beitrag zum empfundenen Glück – das ist unumstritten. | |
| Aber gibt es einen Grenzwert, ab dem das Wohlbefinden nicht mehr steigt? | |
| Ungleichheit im Bildungssystem: Illusion Chancengleichheit | |
| Der Begriff Klassismus findet zu wenig Beachtung. Veränderung setzt das | |
| Sichtbarmachen von Diskriminierung voraus. | |
| Wirtschaftswissenschaftler über Hartz IV: „Milde Form der Reziprozität“ | |
| Holger Schäfer vom arbeitgebernahen IW-Institut ist gegen einen höheren | |
| Mindestlohn. Auch von einem bedingungslosen Grundeinkommen hält er nichts. | |
| Reform des Hartz-IV-Systems: Mehr Geld ist keine Lösung | |
| Das diskriminierende und ineffiziente Hartz-IV-System muss dringend | |
| renoviert werden. Doch selbst die linken Parteien bieten hierfür nur | |
| Kosmetik an. | |
| Philosoph über Umverteilung: „Alle wollen Gerechtigkeit“ | |
| Leistung ist kein gutes Kriterium für eine gerechte Verteilung. Stattdessen | |
| braucht es mehr Umverteilung, meint der Philosoph Stefan Gosepath. |