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# taz.de -- Wohnen in der Stadt der Zukunft: Das neue Bauen
> Mietenexplosion, Wohnungsbau und Mobilität sind aktuelle Konfliktfelder.
> Eine Forschungsschau zeigt, wie Wohnen in der City künftig aussehen
> könnte.
Bild: Open-Air-Ausstellung „Wissensstadt Berlin“
Berlin taz | Die Städte sind ein heißes Pflaster. Das zeigen nicht nur die
Satellitenaufnahmen, aus denen Umweltforscher die ökologische Lage der
Metropolen ablesen können. Auch im urbanen Sozialraum geht es verstärkt
hitziger zu. [1][Mietenexplosion], umstrittener Wohnungsbau oder die
Verteilung des öffentlichen Verkehrsraums zählen zu den aktuellen
Konfliktfeldern, mit denen sich auch Wissenschaftler unterschiedlicher
Disziplinen befassen. Ihre Antworten auf die Frage „Wem gehört die Stadt?“
werden derzeit in der [2][Open-Air-Ausstellung „Wissensstadt Berlin“] vor
dem Roten Rathaus präsentiert. Ein Schwerpunkt ist das Wohnen in der Stadt
– aus sozialem wie ökologischem Blickwinkel.
Die Forschungsschau ist zunächst ein Sammelsurium von knapp 100 Fragen aus
den drei Generalkomplexen Gesundheit, Klima und gesellschaftlicher
Zusammenhalt. Eine lautet: „Soll sich die Wissenschaft in die Wohn- und
Mietenpolitik einmischen?“ Für den Wiener Politikwissenschaftler Philipp
Metzger ist das eine rhetorische Frage. In seiner Dissertation mit dem
Titel „Die Finanzialisierung der deutschen Ökonomie am Beispiel des
Wohnungsmarkts“ hat er untersucht, wie der Vermietermarkt aus einer
mittelständischen Struktur zu einem Spielfeld von Immobilienkonzernen und
Finanzkapital werden konnte. Die Ausstellung bringt ein längeres Interview
mit Metzger, das die daraus folgenden Verdrängungsprozesse in der
Mieterstruktur beleuchtet. Auch auf die Berliner Initiative Deutsche Wohnen
und Co enteignen wird eingegangen.
Joachim Baur von der Ausstellungsagentur Die Exponauten hat [3][die
„Wissensstadt“] inhaltlich konzipiert. Es geht ihm darum, wie das
„umkämpfte Terrain Berlin“, wie er es nennt, mit Mitteln der Wissenschaft
aufgenommen und analysiert wird. „Dazu haben wir Forschungen zu
Mietenentwicklungen, aber auch zu soziale Auseinandersetzungen, und wie
diese wiederum erforscht werden können.“ Eine Überschrift lautet: „Müssen
Reiche weniger fürs Wohnen zahlen?“ Baur: „Oder es geht darum, Alternativen
aufzuzeigen, wie man anders in der Stadt zusammenleben kann.“ So haben
Forscher der TU Berlin danach gesucht, wie in den sozialen Milieus von
Wohnungslosen und Migranten neue Formen der Solidarität, sogenannten
Transforming Solidarities entstehen können.
Ein anderes urbanes Feld, das sich derzeit stark wandelt, ist der Verkehr.
Der Mobilitätsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
(WZB), Weert Canzler, untersucht, wie sich private und öffentliche
Verkehrsmittel zu einer „urbanen, postfossilen Mobilitätskultur“ verbinden
lassen. Elektrische Antriebstechniken und digitale Steuerung verschmelzen
zu einem [4][Verkehr neuer Art:] Ein Klick aufs Smartphone, und schon kommt
ein Fahrzeug und bringt einen überall hin. Das verlangt auch neue
politische Regulierungen.
In seinem Vortrag in der Ausstellung plädierte Canzler „für die Citymaut
als zeitgemäßes Instrument in großen Städten, das den Verkehrsfluss
optimieren, Schadstoffe und Klimagase senken und mehr Lebensqualität für
alle“ schaffen könnte.
## Sozial gerecht auch klimaneutral
Das neue Bauen in der Stadt sollte nicht nur sozial gerecht, sondern auch
klimaneutral sein. Ausstellungskurator Baur verweist auf ein „spannendes
Projekt aus der TU Berlin, das untersuchen will, ob man eine Symbiose aus
Mensch und Pflanzen herstellen kann“. Im Prototyp eines
„Schulungs-Gewächshauses“ befinden sich auf der einen Seite die Pflanzen
hat und auf der anderen die Aufenthaltsfläche der Menschen. „Ich finde, das
ist eine tolle Vision, dass wir früher oder später in solchen
Gewächshäusern auch leben und arbeiten werden“, sagt Baur. „Das klingt
vielleicht ein bisschen hippiehaft, aber solche Wege muss man
wahrscheinlich denken und gehen.“
Das bioklimatische Schulungs-Gewächshaus wird mit einer Förderung durch die
Deutsche Bundesstiftung Umwelt bis zum August 2022 auf dem Gelände der
Bezirksgärtnerei Berlin-Charlottenburg errichtet. Der Bau, so die
Projektbeschreibung, soll „als prototypisches Vorbild sowohl für die
energetische Ertüchtigung bestehender Gewächshäuser und Bürogebäude als
auch den Neubau künftiger, bioklimatischer und energieautarker
Gebäude-Hybride dienen“.
Dafür werden baulich Bereiche kombiniert, die sich die „teils
gegensätzlichen bioklimatischen Nutzungsanforderungen hinsichtlich
Temperatur, Luftfeuchte, Licht und Sauerstoffgehalt von Mensch und Pflanze“
in einer Weise nutzbar machen, dass der Energiebedarf des Gebäudes
signifikant gesenkt werden kann. „Die Treibhausbereiche der Pflanzen“,
heißt es im Konzept, an dem das Fachgebiet Entwerfen und Konstruieren der
Technische Universität Berlin beteiligt ist, „dienen hierbei als den
Arbeitsräumen für Menschen vorgeschaltete ‚Klimaanlagen‘ und konditionier…
diese mit ihren ‚Abfallprodukten‘ wie Sauerstoff, Luftfilterung und
Luftfeuchte und sorgen neben einer deutlichen Verbesserung der
Raumluftqualität gleichzeitig für eine psychisch-physiologische
Bereicherung die Arbeitsplätze.“
Und ökologisch ist auch das Gesamtevent der „Wissensstadt“ angelegt, nicht
nur wegen zahlreichen Grünkästen im gelehrten Wandelgang. Nach Abbau der
Leimholzplatten gehen diese ins Recycling, erklärt Baur.
Anfangs wollte man sogar noch einen Tick umweltfreundlicher sein. „Wir
hatten überlegt, die gesamte Ausstellung aus Käferholz zu bauen – Holz, das
von Schädlingen besetzt ist und das sehr schnell aus den Wälder rausgeräumt
werden muss, was einen Zusammenhang mit dem Klimawandel hat.“ Aber die
Ökonomie, vielleicht sogar das Finanzkapital, machten einen Strich durch
die Rechnung. Denn, so Kurator Baur, „ab Jahresbeginn war der Holzpreis so
enorm gestiegen, dass kaum noch möglich war, überhaupt Holz zu bekommen“.
Das Anzapfen des Berliner Wissens in Hochschulen und Forschungsinstituten,
um einen nachhaltigen Umbau der Stadtstruktur in die Wege zu leiten, ist
der eine Ansatz, [5][der mit der Ausstellung verfolgt wurde (die am 22. 8.
zu Ende geht)]. Einen anderen Weg beschritt der Berliner Senat in der
vorigen Woche, als er in der Metropolenkonferenz „Berlin questions 2021“
das aggregierte Transformationswissen internationaler Forscher und
Kommunalpraktiker in die deutsche Hauptstadt holte. Thema waren bei der
viertägigen Veranstaltung ebenfalls die drängenden Fragen städtischer
Zukunft wie Nachhaltigkeit, Stadtplanung, Architektur, Ökologie,
Digitalisierung oder soziale Gerechtigkeit.
So stellte Eric Garcetti, der Bürgermeister von Los Angeles, seine Vision
einer „zero carbon future“ vor, einer Zukunft, frei von CO2-Emissionen.
„In Los Angeles arbeiten wir daran, unsere Stadt noch fairer, gleicher,
wohlhabender und gesünder zu gestalten“, sagte Garcetti. Letztlich könne
diese Ziel aber nur gemeinsam, nämlich global, erreicht werden.
Berlins Rathaus-Chef Michael Müller fand die „Questions“-Antworten
bereichernd: „Unsere Wissensstadt Berlin ist dafür der richtige Ort. Dieses
offene, kreative, aber auch kritische Miteinander gilt es weiterzuführen“,
sagte der Politiker, der mit der September-Wahl von der Landes- in die
Bundespolitik wechseln will. Müller: „Die globalen Herausforderungen
wachsen und es liegt an den Metropolen, Lösungen zu finden, um ein gutes
Leben vor Ort zu sichern“.
19 Aug 2021
## LINKS
[1] /Spekulation-mit-Wohnraum/!5789315
[2] /Berliner-Wissenschaft-praesentiert-sich/!5777748
[3] https://www.wissensstadt.berlin/
[4] /Volksentscheid-Berlin-autofrei/!5786462
[5] https://www.wissensstadt.berlin/
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
## TAGS
Schwerpunkt Armut
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Gentrifizierung
Wohnen
Mobilität
Nachhaltigkeit
TV-Dokumentation
Klimaneutralität
Architektur
Schwerpunkt Armut
Lesestück Recherche und Reportage
Deutsche Wohnen
Michael Müller
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