| # taz.de -- Berlin-Serie Capital B: Anarchie und Größenwahn | |
| > Eine Dokuserie zeigt die Geschichte Berlins seit dem Mauerfall. Trotz | |
| > aller Widerstände wurde die Stadt so, wie es sich die CDU-Riege damals | |
| > ausmalte. | |
| Bild: Eberhard Diepgen und Klaus-Rüdiger Landowsky (rechts) schwingen den ganz… | |
| Am Anfang wollte Florian Opitz selbst nicht daran glauben: Wenn er nach | |
| einer Dokumentation suche, wie Berlin seit dem Mauerfall zu dem geworden | |
| ist, was es heute ist, müsse er nur in eine Bibliothek gehen, so seine | |
| Überzeugung. Doch der Filmemacher wurde nicht fündig. Also machte er sich, | |
| sechs Jahre ist das schon her, [1][selbst an das Projekt, die jüngere | |
| Geschichte der Stadt zu erzählen]. Nun kann man das Ergebnis der Arbeit | |
| sehen: die 5-teilige Doku-Serie „Capital B – Wem gehört Berlin?“ | |
| In kleineren Städten würde man wohl von einem gesellschaftlichen Event | |
| allerersten Ranges sprechen, angesichts des großen Bahnhofs rund um die | |
| Premiere am Montagabend im Säälchen am [2][Holzmarkt], bei der Opitz sein | |
| Bonmot zum Besten gab. In Berlin natürlich juckt es naturgemäß keine Sau, | |
| wenn mitten in Yuppiehausen ein paar Protagonist:innen der | |
| Stadtentwicklung zum gemeinsamen Kinoabend zusammenkommen. Muss es auch | |
| nicht. Das ist ja auch der Charme dieser Stadt. Doch für alle, denen Berlin | |
| etwas bedeutet, gilt dennoch: Guckbefehl! | |
| Dabei hat [3][Marion Brasch], Radiomoderatorin und gebürtige Ostberlinerin, | |
| eigentlich so recht mit ihren den Abend einleitenden Worten. Also nicht mit | |
| der Bezeichnung der Serie als „Capital Bra“, sondern mit der so | |
| berlintypischen Selbstüberzeugung: „Soll mir erstma jemand wat Neuet | |
| erzählen über eene Stadt, in der ick jeborn bin.“ | |
| Und dann kommt da diese wuchtige Doku von einem zugezogenen Süddeutschen, | |
| der sich chronologisch von 1989 an durch die Zeit wühlt. Die ersten beiden | |
| Folgen erzählen von Techno und Mauerfall, Hausbesetzungen und Bauboom, und | |
| man denkt nicht etwa, „kenn ick schon“, sondern eher so: Wow. | |
| Zum guten Teil liegt das an den Archivbildern, die Opitz und sein Team zu | |
| Tage befördert haben, vieles davon nie gesehen und künstlerisch verwoben | |
| mit den Bildern des heutigen Berlin, die nichts, aber auch gar nichts mehr | |
| mit der Stadt von vor mehr als 30 Jahren zu tun haben. | |
| Zum anderen begründen das Wow die tragenden Figuren der Serie. 25 | |
| Gesprächspartner:innen, allesamt auf die ein oder andere Weise prägend für | |
| die Stadt, von [4][Klaus-Rüdiger Landowsky] und Andrej Holm bis Klaus | |
| Wowereit und Kool Savas. | |
| ## Erzählung der Gegensätze | |
| Sie alle brauchen keinen verbindenden Kommentar, sondern zeichnen in ihren | |
| Widersprüchen eine Erzählung der Vielschichtigkeit. Auf Erinnerungen | |
| Eberhard Diepgens (CDU), der bräsig aus einem Ledersessel heraus seine | |
| Leistungen als Vor- und Nachwende-Bürgermeister hervorhebt, folgt | |
| zuverlässig eine Kommentierung von Renate Künast (damals Alternative Liste) | |
| oder dem Häuserkämpfer Sandy Kaltenborn. | |
| Von „Protagonisten“ sprach Brasch – also den Künstler:innen, | |
| Aktivist:innen und Linken – sowie von „Antagonisten“ – den | |
| konservativen Politikern und Baulöwen. Anwesend waren bei der | |
| Premierenfeier nur Mitglieder der ersten Gruppe. | |
| Den Antagonisten aber muss das nichts ausmachen, denn Berlin ist geworden, | |
| wie sie es sich nach der Wende vorgestellt haben. Zeigt der erste Teil – | |
| „Sommer der Anarchie“ – noch vor allem das Lebensgefühl der aufbrechenden | |
| Generation in Ost und West, das Suchen nach Freiräumen im runtergerockten | |
| Ostberlin mit dem Gefühl „Uns gehört die Stadt“, endet dieses abrupt mit | |
| der Räumung der Mainzer Straße – der „Machtdemonstration nach der | |
| Regellosigkeit“, wie es heißt. | |
| In Teil 2 – „Größenwahn“ – ist der Niedergang dann bereits angelegt. … | |
| malen die Diepgens und Landowskys ihre Version der Stadt, die auf 4 | |
| Millionen Einwohner:innen wachsen, Parlament und Konzernzentralen | |
| beheimaten soll. Da werden, während die Protagonist:innen im Tresor dem | |
| Hedonismus frönen, die Filetgrundstücke der Stadt verhökert. | |
| Es gibt zwar die Realität der „Stadt der Döner und alleinerziehenden | |
| Mütter“, wie Holm sagt, aber gleichzeitig den Größenwahn der Konservativen, | |
| die wieder Metropole werden wollten. Wie sie gewonnen haben – oder was noch | |
| bleibt –, sieht man ab jetzt in der [5][Arte-Mediathek] und am 3./4. | |
| Oktober auch so im Fernsehen. | |
| 27 Sep 2023 | |
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| [5] https://www.arte.tv/de/videos/087960-001-A/capital-b-wem-gehoert-berlin-1-5/ | |
| ## AUTOREN | |
| Erik Peter | |
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