# taz.de -- Bremer Diaspora-Preise vergeben: Die Engagierten | |
> Das Afrika Netzwerk Bremen ehrt die Hilfsprojekte von Migrant*innen. | |
> Die Organisatorin verbindet damit ein Plädoyer gegen die | |
> Parallelgesellschaft. | |
Bild: Engagement für eine bessere Welt: Fünf von sechs Preisträger*innen des… | |
BREMEN taz | „Es ist schwer“, sagt Hélène Kähler. Man glaubt es ihr. Für | |
sechs Kinder in Kamerun steht sie ein, zahlt Schuluniform, Hefte und | |
Bücher, aber auch BHs, Hygieneartikel – was so anfällt für Mädchen, die in | |
die Pubertät kommen. | |
Etwa 2.400 Euro von ihrem eher bescheidenen Gehalt als Krankenschwester | |
fließen jährlich nach Kamerun. Dreimal im Jahr fliegt sie selbst in ihr | |
altes Heimatland, trifft sich mit den Kindern, begleitet sie zum Arzt. | |
„Eines der Mädchen“, erzählt sie, „hat eine behinderte Mutter und fünf | |
Geschwister.“ Das Mädchen bekommt Hilfe, die fünf anderen hätten es auch | |
verdient. „Ich muss mich sehr zusammennehmen“, sagt Kähler. | |
So ähnlich muss es wohl der Jury ergangen sei, die am Wochenende in | |
mehreren Kategorien den Diaspora-Preis des Afrika Netzwerks Bremen | |
verliehen hat. Die Projekte, die zur Wahl standen, kommen allesamt aus der | |
migrantischen Community. | |
Und natürlich, sie alle sind unterstützenswert: ein Radiosender zu | |
Frauenthemen für Subsahara-Afrika, ein Dokumentarfilm zum Klimawandel, | |
Besuche an Bremer Schulen, um für Rassismus zu sensibilisieren, ein Museum, | |
Völkerverständigung, der Kampf gegen den Hunger. 17 Projekte sind es | |
insgesamt. | |
„Es gibt viele Menschen aus dem globalen Süden, die trotz prekärer Umstände | |
versuchen, das Leben besser zu machen“, sagt Virginie Kamche vom Afrika | |
Netzwerk. Sie hat den Preis ins Leben gerufen. „Aber für ihre tolle Arbeit | |
bekommen sie wenig Wertschätzung.“ Der Preis soll das ändern, soll stärken | |
und sichtbar machen. | |
## Engagement gegen die Parallelgesellschaft | |
Kamche wendet sich aber auch an jene, die sich eher zurückziehen statt sich | |
zu engagieren. Als sie vor vielen Jahren aus Frankreich nach Bremen gezogen | |
sei, habe sie hier auf ein Leben ohne Parallelgesellschaft gehofft – | |
vergeblich: „Warum wissen so viele Bremer aus dem Globalen Süden nicht, wo | |
das Focke-Museum ist?“, fragt Kamche mit Blick auf die leeren Plätze | |
zwischen den Gästen am Veranstaltungsort. „Warum wissen sie nicht, wo das | |
Theater ist?“ | |
Gefordert ist, ja, die deutsche Mehrheitsgesellschaft: „Von den | |
Institutionen erwarte ich, dass sie die Tür öffnen, und zwar ehrlich“, sagt | |
Kamche. Gefordert ist aber auch die eigene Community: „Viele von uns | |
arbeiten prekär. Ich verstehe, dass man da nach der Arbeit keine Lust mehr | |
hat, sich mit kolonialem Denken zu beschäftigen“, sagt Kamche. | |
„Aber sich im Afro-Shop treffen, zum Biertrinken, das darf nicht alles | |
sein. Unsere Kinder werden hier groß, für sie muss es mehr geben.“ Und sie | |
appelliert: „Lasst die Afro-Shops an manchen Tagen. Führt lieber einen | |
Dialog über Rassismus, Kolonialismus, unser Leben hier.“ | |
Diejenigen, die ihr an diesem Samstag im Garten des Focke-Museums zuhören, | |
tun das bereits. Zehn Projekte kandidieren allein in der Kategorie „People | |
and Peace“. Den Preis bekommt ein Sprachprojekt: Mit „Bremen spricht“ will | |
das [1][Zentrum für Migranten und Interkulturelle Studien] die Sprachen | |
sichtbar machen, die in der Stadt gesprochen werden; ab Februar 2022 ist | |
die Ausstellung im Focke-Museum zu sehen. | |
In der Kategorie Nachhaltigkeit gewinnt ein Fußballprojekt aus Mali. Und | |
die Jury aus der Kategorie „Prosperity – innovativ wirtschaften“ hat das | |
Preisgeld von 300 Euro kurzerhand aus eigener Tasche aufgestockt, um zwei | |
Projekte auszuzeichnen: Das [2][abfallarme Café Sunshine mit veganer | |
südafrikanischer Küche] gewinnt ebenso,wie Christelle Yougo, die eine | |
Webseite für nachhaltigen Tourismus nach Gabun plant. | |
In der Kategorie „Partnership – grenzübergreifend zusammenarbeiten“ geht | |
der Preis an die Schwestern Wubit Hubrich und Dagmawit Abebaw Hunz, die vor | |
15 Jahren aus einem Waisenhaus in Addis Abeba nach Deutschland adoptiert | |
wurden – und die nun mit konkreten Maßnahmen das Leben für die Mädchen dort | |
besser machen: Mit Schließfächern und schöneren Waschräumen, mit einer | |
Küche und Hilfe bei der Ausbildungssuche. „Das ist so konkret und so | |
anrührend und so gut, es verbindet über Grenzen hinweg so persönlich, dass | |
die Menesha-Initiative aus unserer Sicht einfach den Preis bekommen | |
musste“, begründet die Jury. | |
Und Hélène Kähler? Die freut sich für die Konkurrenz – und gewinnt dann | |
überraschend doch noch: Den Sonderpreis für Frauenthemen. Vier der Kinder, | |
die sie unterstützt, sind Mädchen. „Wenn die Eltern nur ein Kind zur Schule | |
schicken können, ist es oft der Junge“, erklärt sie. Das Preisgeld wird | |
wieder an ihre Pat*innen fließen. „Man engagiert sich und denkt, es sieht | |
niemand“, sagt Kähler. „Wie schön, dass das jetzt anders ist.“ | |
1 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://zis-bremen.de/ | |
[2] /Jeder-muss-ein-bisschen-was-fuers-Klima-tun/!5798219/ | |
## AUTOREN | |
Lotta Drügemöller | |
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