# taz.de -- Interkultur-Zuständige am Bremer Theater: „Ich bin keine Kontrol… | |
> Ferdaouss Adda ist Referentin für interkulturelle Öffnung am Theater | |
> Bremen. Der taz erklärt sie, wozu eine solche Stelle gut ist. | |
Bild: Klischees brechen ist nur der Anfang: Liederabend „Istanbul“ am Theat… | |
taz: Frau Adda, sind Sie die Polizistin für politisch korrektes [1][Theater | |
auf Bremer Bühnen]? | |
Ferdaouss Adda: Nein, ganz sicher nicht. Aber tatsächlich sind mir solche | |
Befürchtungen zu Beginn meiner Arbeit hier begegnet. Die sind tatsächlich | |
geäußert worden. | |
Als Kantinentratsch? | |
Nein, nein, direkt face to face. Und das kam auch nicht von der | |
Allgemeinheit, sondern von einzelnen Mitarbeitenden. Ich führe das auf eine | |
Unsicherheit zurück. Die Frage war dabei weniger, was ist das für eine | |
Person, die von außen dazu kommt, sondern mehr, was hat sie vor, was ist | |
das überhaupt für eine Stelle. Die war ja neu … | |
Sie haben laut Homepage des Theaters Bremen die Stelle einer „Referentin | |
für interkulturelle Öffnung“ inne. | |
Ja. | |
Und – was ist das für eine Stelle? | |
Der Rahmen ist vom Bundesprogramm 360° vorgegeben: Fokussiert werden die | |
Ebenen des Personals – also Rekrutierungswege und Zusammensetzung –, des | |
Programms und des Publikums einer Institution. Das Theater hat sich selbst | |
für diese Bereiche Ziele gesetzt, um sich interkulturell zu öffnen. Und ich | |
bin dafür da, das umzusetzen. | |
Aber nicht, indem Sie bei den Proben hospitieren? | |
Doch, auch. Und manchmal fällt mir dabei auch etwas auf, das problematisch | |
ist – über das wir uns dann unterhalten, ob es nicht bessere Lösungen gibt. | |
Das finde ich fruchtbar: Man merkt, dass im Tun Veränderung möglich ist. | |
Ich werde auch immer häufiger hinzugezogen bei Proben: Ich bin jetzt seit | |
drei Jahren am Haus. Die Unsicherheit vom Anfang ist geschwunden. | |
Weil Sie eben nicht die Kontrolleurin sind? | |
Genau. Ich bin keine Kontrolleurin. Das ist wichtig. Ich bin da. Und man | |
kann auf mich zugreifen, als Outside Eye, auf meine Expertise. Nicht, weil | |
ich alle Antworten hätte. Sondern eher, um Impulse reinzugeben. | |
Was für Ziele hat sich das Theater genau gesetzt? | |
Also, beim Personal ging es um Schulungen im Hinblick auf | |
Interkulturalität: Dabei geht es um Antidiskriminierung. Gerade für | |
Personalrekrutierung ist es ja wichtig, sich zu fragen: Welches Bewusstsein | |
haben wir hier, wie sind wir zusammengesetzt und warum stellen wir | |
bevorzugt Menschen ein, die uns ähneln? Es geht um Sensibilisierung. | |
Warum brauchen Theater das? | |
Weil sie Teil der Gesellschaft sind, einer sehr diversen Gesellschaft – | |
ohne das zu spiegeln. Das fragen sich die Theater ja selbst: Inwiefern | |
bilden wir einen Querschnitt dieser diversen Gesellschaft bei uns im Hause | |
ab, und wo ist der Nachholbedarf? | |
[2][Haben denn Theater da Nachholbedarf?] | |
Ganz eindeutig: Ja! Und nicht nur die Theater übrigens. | |
Und das ändern Sie? | |
Wir sind jetzt endlich so weit, dass das als Faktor gesehen wird. Der | |
Versuch ist da. | |
Es ist nicht der erste. [3][Orson Welles] hat in den 1930er-Jahren komplett | |
mit Schwarzen Schauspieler*innen besetzt. Aktuell glaubt man sich am | |
Broadway weit vorn, weil man das Gleiche mit „Romeo und Julia“ macht. | |
Es stimmt, es hat immer wieder Versuche gegeben, die als Schritte zu einer | |
Diversifizierung gesehen werden können. Aber das waren sehr punktuelle | |
Veranstaltungen: Es geht nicht darum, einen Cast Schwarz zu besetzen. Das | |
ist nicht nachhaltig. Es geht um eine Langfristigkeit und um eine gewisse | |
Breite. | |
Also es geht darum, ein vielfältiges Ensemble zu haben und die | |
Rollenklischees zu brechen? | |
Ja, aber eben nicht nur. Es geht auch um die Frage: Von wem sind die | |
Sachen, die zur Aufführung kommen? Was wird gespielt – und was nicht? | |
Sprich: Es geht um Repräsentation? | |
Das geht tiefer: Es geht um Anerkennung. Was wird als kulturell wertvoll | |
anerkannt, was lässt man überhaupt gelten. Da fehlt diese Breite. | |
Ist die auch der Schlüssel, um ein diverseres Publikum anzusprechen? | |
Ein Schlüssel. Aber wichtiger ist vielleicht die Bewegung nach draußen, die | |
das Theater gerade jetzt vollzogen hat: Dieser Ansatz der Öffnung, das | |
Innere nach außen zu kehren, dort etwas auf dem Platz aufzuführen oder auch | |
Proben durchzuführen, das macht das Theater nahbarer. | |
Ist das schon ein messbarer Erfolg? Werden dadurch Menschen in die Höhle | |
des Stadttheaters gelockt, die sich das vorher nicht getraut hätten? | |
Das lässt sich noch nicht sagen. Das braucht viel mehr Zeit. Es geht darum, | |
Beziehungen aufzubauen. | |
Wie geht das? | |
Da kommt mir mein Studium zugute: Wenn ich als Ethnologin Feldforschung | |
betreibe, dann muss ich mich auf die Leute einlassen, dann muss ich ihr | |
Leben mitleben. Das muss Theater ähnlich machen: Es muss an die Orte gehen, | |
wo Menschen leben, die bisher nicht ins Theater kommen – nicht, weil sie es | |
uninteressant fänden, sondern, weil sie es nicht kennen, weil sie sich | |
nicht dorthin trauen, weil sie überhaupt nicht in Kontakt mit Theater | |
waren. Da geht es darum zuzuhören, Vertrauen herzustellen – und einzuladen | |
ins Theater. Es geht darum, zu vermitteln: Das ist auch euer Ort. | |
9 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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