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# taz.de -- Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften: Senatorin macht zähnek…
> Zusammenlebende Geflüchtete werden bei Sozialleistungen wie Ehepaare
> behandelt. Bremen hält das für verfassungswidrig, macht aber keine
> Ausnahmen.
Bild: Setzt sich Bremens Sozialsenatorin konsequent für das Existenzminimum f�…
Bremen taz | Die Bremer Senatorin für Soziales, Anja Stahmann, hält ein
aktuelles Bundesgesetz für alleinstehende Geflüchtete für
verfassungswidrig. Auf ihre Initiative hat sich der Bremer Senat am 15.
Februar gegen die aktuelle Regelung ausgesprochen, die vorsieht, dass
alleinstehende Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften zum Teil wie
Ehepaare behandelt werden können – und so weniger Sozialleistungen
erhalten. Kritik bekommt Stahmann für ihren Vorstoß ausgerechnet vom Bremer
Flüchtlingsrat.
Das Bundesministerium für Soziales hatte 2019 [1][das Gesetz mit der
Begründung geändert], dass die Geflüchteten wie Ehepaare zusammen
wirtschaften und somit Geld einsparen könnten. Die Betroffenen, die sich
ein Zimmer teilen müssen, kennen einander häufig nicht und sprechen
teilweise nicht einmal dieselbe Sprache.
„Die derzeitige Regelung ist nach meiner Auffassung verfassungswidrig“,
sagte Stahmann dazu. „Die Lebensverhältnisse von Paaren sind nicht
vergleichbar mit denen von Menschen, die das Schicksal zufällig in einer
Gemeinschaftsunterkunft zusammengeführt hat.“
[2][Nach der Klage eines Geflüchteten aus Sri Lanka] hat das Sozialgericht
Düsseldorf am 13. April 2021 beim Bundesverfassungsgericht einen
Normenkontrollantrag gestellt. Das Gericht überprüft nun, ob die aktuelle
Regelung verfassungswidrig ist. Im Rahmen einer Normenkontrollklage kann
das Bundesverfassungsgericht auch die Bundesländer anhören.
## Spielräume nicht genutzt
Der Bremer Flüchtlingsrat stört sich daran, dass die Bremer Senatorin die
aktuelle Rechtslage zwar als verfassungswidrig bezeichnet, die Spielräume,
die das Gesetz für Ausnahmeregelungen vorsieht, aber nicht genutzt würden.
Aktuell bekommen 176 alleinstehende Geflüchtete in Bremen nur noch 330
statt 367 Euro pro Monat.
„Es sind Ausnahmen möglich, das sagt das Sozialressort sogar selbst.
Praktisch macht es aber keine“, sagt Holger Dieckmann vom Bremer
Flüchtlingsrat. „Es reicht nicht, gegen das Gesetz zu klagen. Man muss auch
jetzt schon dafür sorgen, dass es verfassungskonform ausgelegt wird.“
Seit Februar 2021 gibt es sogar eine Verwaltungsanweisung der Senatorin,
die Ausnahmen von der gesetzlichen Regelung wegen der Pandemie möglich
macht. Betroffene müssten allerdings Anträge stellen und individuell
begründen, warum kein gemeinsames Wirtschaften möglich ist, so Dieckmann.
„In Übergangswohnheimen gilt aufgrund der Coronaverordnung das
Abstandsgebot von 1,5 Metern. Das heißt doch, dass dort niemand zusammen
wirtschaften kann.“
Mit dem Projekt „PAY: Zurück zum Existenzminimum – It’s your right!“ h…
der Flüchtlingsrat rund 100 Betroffene in Widerspruchsverfahren gegen die
niedrigen Zahlungen unterstützt. „Alle wurden mit dem immer gleichen
Textbaustein abgelehnt“, sagt Dieckmann.
## Pauschale Ausnahme nur in der Quarantäne
Der Sprecher der Senatorin, Bernd Schneider, erklärt die Ablehnungen auf
taz-Anfrage damit, dass pauschale Ausnahmen vom Gesetzgeber ausdrücklich
nicht gewünscht seien. Er bezieht sich auf die Bundesregierung, laut deren
Anwendungshinweisen Ausnahmen von der aktuellen Gesetzgebung nur zulässig
sind, wenn im Einzelfall die Möglichkeit zum gemeinsamen Wirtschaften
erheblich eingeschränkt ist.
„In den Widersprüchen wird aber nicht mit den Umständen der Einzelfälle
argumentiert, daher kann ihnen auch nicht stattgegeben werden“, sagt
Schneider gegenüber der taz. „Wir können uns nicht aus einer eigenen
Rechtsauffassung heraus über Bundesrecht hinwegsetzen“, so die Senatorin.
Eine pauschale Ausnahme gibt es derzeit nur für Personen, die sich in
Quarantäne befinden, da dann ohne Nachweis ersichtlich ist, dass kein
gemeinsames Wirtschaften mehr möglich ist. Wer also in einer
Gemeinschaftsunterkunft isoliert werden muss, bekommt derzeit automatisch
mehr Geld vom Land Bremen.
Für Dieckmann ist das zu wenig: „Entscheidend ist doch, welche Auswirkungen
das für die Betroffenen hat. Viele erhalten nun verfassungswidrig
Leistungen unterhalb des Existenzminimums, obwohl das vermieden werden kann
und muss.“
9 Mar 2022
## LINKS
[1] /Weniger-Leistungen-fuer-Asylsuchende/!5583686
[2] /Situation-von-Gefluechteten-in-Heimen/!5762194
## AUTOREN
Lukas Scharfenberger
## TAGS
Bremen
Schwerpunkt Flucht
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Hartz IV
Sozialleistungen
Anja Stahmann
wochentaz
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Senat Bremen
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