# taz.de -- Arte-Film „Geliefert“ mit Bjarne Mädel: Rote Weste, blaue Weste | |
> Bjarne Mädel beeindruckt im Sozialdrama „Geliefert“ als prekär | |
> beschäftigter Vater. Am Ende ist die Frage von Arm und Reich dem | |
> Einzelnen überlassen. | |
Bild: Gegen den Terror bei der Arbeit hilft Volker auch die Zeit auf dem Platz … | |
Niemand würde sich im Fernsehen freiwillig einen Arbeitsalltag anschauen, | |
der aus Routinen und Wiederholungen besteht, weil das schlichtweg | |
langweilig wäre, schreibt der [1][Filmkritiker Wolfgang M. Schmitt] im | |
linken Magazin Jacobin. | |
Diese Feststellung ist nicht herablassend gemeint. Alle abhängig | |
Beschäftigten sind gleichermaßen Lohnsklaven. Während das moderne Prekariat | |
aber [2][noch an der Selbstlüge von erfüllender, weil vermeintlich | |
kreativer Lohnarbeit festhält,] um die Selbstdisziplinierung besser zu | |
ertragen und sich für etwas Besseres zu halten, haben andere, die sich etwa | |
im Dienstleistungssektor bewegen, sicher auch gerne mit Menschen zu tun: | |
Prioritär geht es hier aber darum, das Gemeinwesen am Laufen zu halten. Die | |
Aktivitäten mögen sich wiederholen, aber sie sind im Vergleich zu | |
Tätigkeiten der Kreativen wirklich sinnvoll. | |
Der von Bjarne Mädel gespielte Paketlieferant Volker belässt es in | |
„Geliefert“ von Regisseur Jan Fehse aber zum Glück nicht bei dieser einen | |
Tätigkeit, mit der er vergeblich versucht, sich und seinen | |
identitätskriselnden 16-jährigen Sohn Benny über Wasser zu halten. Mit | |
einem zweiten Job bringt er Spannung in seinen Existenzkampf: In den | |
Gebäuden, in denen er Pakete ausliefert, kontrolliert er von nun an auch | |
Rauchmelder. Damit sein Sohn mit auf die Schulabschlussfahrt nach Mallorca | |
fahren kann. | |
Das ist gut für das anspruchsvolle Arte-Publikum, das unterhalten werden | |
will. Für Volker ist es scheiße. Denn seine verdichteten Arbeitstage | |
treiben ihm noch mehr Schweiß auf die Stirn. Und er muss jetzt immer zwei | |
Westen dabeihaben, eine blaue für den Paketdienst und eine rote für die | |
Rauchmelderfirma. Und er kommt durcheinander. Und wenn sein Vorgesetzter | |
Konrad (Stefan Merki), der auf moderne Mittel setzt, um seine Mitarbeiter | |
zu überwachen, Volker frühmorgens beim Abholen der Pakete mit abschätzigen | |
Sprüchen über seine Performance terrorisiert, dann reicht Volker auch das | |
ehrenamtliche Trainerdasein für die Dorfjugendmannschaft als Ausgleich | |
nicht mehr. | |
## Der den Job sichert | |
Sehenswert ist der Film aber nicht wegen der halb kriminellen | |
Rauchmelder-Sidestory. Sondern, weil Mädel es schafft, auf würdevolle Weise | |
laut über die Schwierigkeiten von Volker nachzudenken, ohne dass das | |
sozialvoyeuristisch oder pädagogisch rüberkommt. | |
Vielsagend sind auch die Begegnungen mit den Empfänger:innen der | |
Pakete, die – wie im Fall der verwitweten, einsamen und hilfsbedürftigen, | |
aber wohlhabenden Frau Stolte (Ingrid Resch) – zeigen, dass Geld irgendwie | |
ja nicht alles im Leben ist, die diesen realitätsfernen und | |
mittelschichtig-saturierten Ausspruch dann aber auch wieder korrigieren. | |
Etwa die Begegnung mit einem jungen Snob im rosafarbenen Polohemd, der zwei | |
Kisten voller Weinflaschen von Volker geliefert bekommt: | |
„Der Wein hier, ne, der ist doch von der Weinhandlung unten aus dem | |
Erdgeschoss?“ | |
„Ja, genau. Also vom zugehörigen Onlinehandel.“ | |
„Und warum bestellen Sie den online, wenn Sie eine Filiale im Haus haben?“ | |
„Na ja, der Preis ist derselbe und die Lieferung ist umsonst, dann muss | |
ich die Kisten nicht selber hochschleppen.“ | |
„Aber wenn ich die Kisten hochschleppen muss, ist das okay für Sie?“ | |
„Das ist Ihr Job. Also ich sichere sozusagen Ihren Job.“ | |
„Das meinen Sie ernst, oder?“ | |
Schweigen. Der sichtlich überforderte Snob kramt ein paar Münzen aus der | |
Hosentasche, Volker mit schweißnassen Nackenhaaren antwortet: „Nee, | |
behalten Sie Ihre Almosen. Aber vielleicht denken Sie mal fünf Minuten über | |
den Schwachsinn nach, den Sie reden.“ | |
Schade nur, dass der Film, anders als in dieser Szene angedeutet, die Frage | |
von Arm und Reich am Ende dann doch als eine der Moral und individueller | |
Aufrichtigkeit erscheinen lässt. Nämlich wenn Volker wegen des | |
unangemeldeten Nebenverdienstes gekündigt wird und mit einer Freundin, der | |
Polizistin Lena (Anne Schäfer), über Gerechtigkeit spricht und | |
schuldbewusst und unter Tränen sagt: „Ich traue mir selbst nicht mehr.“ | |
Und diese Szene ist es auch, in der dieser Film nicht irgendeine | |
Lebensrealität oder irgendeinen Arbeitsalltag widerspiegelt, sondern nur | |
seinem interessierten, bürgerlichen Publikum gefallen möchte. | |
27 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://jacobin.de/artikel/wollen-wir-wirklich-arbeitern-beim-arbeiten-zuse… | |
[2] /Kreativarbeit-im-Neoliberalismus/!5497782 | |
## AUTOREN | |
Volkan Ağar | |
## TAGS | |
Arbeit | |
Film | |
Job | |
GNS | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Klassismus | |
TV-Krimi | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Protokolle zum Klassenkampf: Was ist heutzutage schon gerecht? | |
Soziale Gerechtigkeit hat viele Aspekte. Wir haben 27 Menschen mit | |
unterschiedlichen Perspektiven auf die Gesellschaft gefragt, was der | |
Begriff für sie bedeutet. | |
Rückkehr des Klassenbegriffs: Klasse ohne Kampf | |
Wer heute Klasse sagt, meint meist Klassismus. Von links gibt's Kritik: | |
Wenn die Zugehörigkeit zur Klasse nur angenehmer wird, schafft niemand sie | |
ab. | |
Dorfkrimi von und mit Bjarne Mädel: Monk mit Aussicht | |
Der Schauspieler Bjarne Mädel hat in dem Film „Sörensen hat Angst“ erstma… | |
auch die Regie übernommen. Ist ihm das gelungen? |