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# taz.de -- Wachsende Ungleichheit: Die Macht der Hyperreichen
> Die wachsende Ungleichheit im Gegenwartskapitalismus ist ökonomisch,
> sozial und politisch. Wen es trifft, den trifft es zumeist auf vielen
> Ebenen.
Bild: Wachsende Ungleichheit ist das Kardinalproblem der ganzen Menschheit
Eine „marktwirtschaftlich“ organisierte, kapitalistische und am
Neoliberalismus orientierte, von Ökonomisierungs-, Kommerzialisierungs-,
Privatisierungs- und Deregulierungstendenzen gekennzeichnete Gesellschaft
wie unsere basiert auf der Ungleichheit als wesentlichem Strukturelement.
Seit geraumer Zeit ist die [1][wachsende Ungleichheit] das Kardinalproblem
unserer Gesellschaft, wenn nicht der ganzen Menschheit.
Jede/r versteht unter der Ungleichheit etwas anderes. Schließlich sind die
Menschen weder biologisch noch sozial gleich, unterscheiden sich vielmehr
nach ihrem Alter, ihrem Geschlecht, ihrem Gewicht, ihrem Körperbau, ihrer
Größe sowie ihrer Haut-, Haar- und Augenfarbe, aber auch bezüglich ihrer
Fähigkeiten. Sie unterscheiden sich im Hinblick darauf voneinander, wo sie
wohnen, in welchem Haushaltstyp und in welcher Familienform sie leben,
welchen Beruf sie ausüben, ob sie Hobbys haben und ob sie regelmäßig Sport
treiben.
Bei der Ungleichheit, um die es hier geht, handelt es sich um eine
anhaltende, wenn nicht dauerhafte Ungleichverteilung materieller
Ressourcen, also der ökonomischen Ungleichheit. Und es geht um Anerkennung
und Respekt hinsichtlich des gesellschaftlichen Status: der sozialen
Ungleichheit. Dazu kommen (Zugangs-)Rechte und Repräsentation – die
politische Ungleichheit – zwischen großen Personengruppen, Klassen und
Schichten, die nicht auf persönlichen (Leistungs-)Unterschieden von deren
Mitgliedern beruhen.
Die sozioökonomische Ungleichheit, welche von den Benachteiligten oftmals
als soziale Ungerechtigkeit empfunden wird und die fast zwangsläufig
[2][politische Ungleichheit] nach sich zieht, manifestiert sich im
Gegensatz von Arm und Reich. Obwohl der in wenigen Händen befindliche
Reichtum den Ausgangspunkt und Kristallisationskern der Ungleichheit
bildet, wird er noch immer weitgehend tabuisiert.
## Wer Armut bekämpfen will, muss Reichtum antasten
Wenn die Massenmedien, die etablierten Parteien und die politisch
Verantwortlichen hierzulande das Thema der (wachsenden) Ungleichheit
überhaupt zur Kenntnis nehmen, konzentriert sich das Interesse vorwiegend
auf die Armut. Weshalb wirkt das realitätsverzerrend, wenn nicht gar als
ideologisches Ablenkungsmanöver, sofern der Reichtum unterbelichtet bleibt?
Ganz einfach: Armut lässt sich als individuelles Problem abtun, dem auf
karitativem Wege begegnet werden kann, materielle Ungleichheit hingegen
nicht. Wer vom Reichtum nicht sprechen will, sollte auch von der Armut
schweigen. Und wer die Armut wirksam bekämpfen will, muss den Reichtum
antasten. Mit der sozioökonomischen Ungleichheit verhält es sich ähnlich
wie mit der Armut, die ihr bedrückendster Teil ist:
Zwar hat sie zwischen den Ländern des Globalen Nordens und des [3][Globalen
Südens] leicht ab-, innerhalb der einzelnen Länder aber zugenommen.
Ungleichheit darf nicht auf den Gegensatz zwischen Arm und Reich reduziert
werden, will man ihre Wirkmächtigkeit erfassen. Denn es gibt kaum einen
Lebensbereich, in dem sich die Ungleichheit nicht dauerhaft bemerkbar
macht.
Neben der finanziellen Lage von Haushalten, Familien und Einzelpersonen
prägt die zunehmende Ungleichheit auch deren Gesundheit, [4][Bildungs- und
Ausbildungsstand], Wohnsituation und Wohnumfeld sowie Freizeitverhalten und
(Verkehrs-)Mobilität. An Einkommen und Vermögen machen sich maßgeblich die
Lebensbedingungen sowie die Stellung der Menschen fest.
## Askese muss man sich leisten können
Reich ist, wer ein großes Vermögen besitzt, es aber gar nicht antasten
muss, sondern der von den Erträgen auf höchstem Wohlstandsniveau bis zum
Tod leben kann. Wer reich ist, genießt ein hohes Maß an persönlicher
Handlungsfreiheit und verfügt über nicht durch Existenzsicherung bestimmte
Zeit. Sogar der freiwillige Verzicht auf die angenehmen Seiten des Lebens
fällt Menschen mit einer schwarzen Kreditkarte leichter als Menschen ohne
exklusives Statussymbol.
Oder anders formuliert: Selbst Askese muss man sich leisten können. Reiche
können im Zeitalter der Erderhitzung, die verharmlosend „[5][Klimawandel]“
genannt wird, statt wie bisher zum Segeltörn auf die Seychellen zu jetten
im Erster-Klasse-Abteil eines Zuges nach Westerland auf Sylt fahren. Arme
haben dagegen keine riesige Auswahl an Reisezielen, wenn sie überhaupt
jemals verreisen können. Millionen Bundesbürger/innen sind so arm, dass sie
sich keine Urlaubsreise leisten können.
Im finanzmarktgetriebenen Plattformkapitalismus bildet der Klassengegensatz
von Kapital und Arbeit zwar weiterhin die Kernstruktur der
sozioökonomischen Ungleichheit. Der ihn teilweise überlagernde Widerspruch
zwischen einer zunehmenden und sich verfestigenden Armut sowie einem
exorbitanten Reichtum hat sich allerdings derart verschärft, dass es
beinahe scheint, als existiere der Arm-Reich-Gegensatz unabhängig vom
Klassenantagonismus und als basiere er nicht (mehr) auf diesem.
Beispielsweise trägt die sich extrem vertiefende Kluft zwischen
Vorstandsgehältern und den Löhnen „normaler“ Arbeitnehmer/innen zur
Verschärfung der Ungleichheit bei, ohne in Wirklichkeit ihre Hauptursache
zu sein. Sehr reiche Bürger – es handelt sich vorwiegend um Männer – sind
auch politisch einflussreich. Sie können ihre (Besitz-)Interessen zur
Geltung bringen, was sich in Gesetzesvorhaben ebenso niederschlägt wie in
den Entscheidungen von Regierungen und Verwaltungen.
Dies ist einer der Gründe, weshalb man Multimillionäre und Milliardäre
nicht als „Superreiche“ bezeichnen sollte. Wegen der hiermit verbundenen
positiven Konnotation erscheint die Bezeichnung „Hyperreiche“ angemessener.
Schließlich werden Kinder, die nachts oft noch agiler sind als tagsüber,
auch nicht „super-“, sondern „hyperaktiv“ genannt.
22 Aug 2021
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## AUTOREN
Christoph Butterwegge
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