| # taz.de -- Vater sein mit Behinderung: „Das schaffe ich“ | |
| > Wie erlebt ein behinderter oder chronisch kranker Mensch das Vatersein? | |
| > Und was, wenn man deswegen auf Nachwuchs verzichtet? Vier Protokolle. | |
| Bild: Hans-Friedrich „Graf Fidi“ Baum, 40, lebt in Berlin | |
| ## „Natürlich bin ich auf Hilfe angewiesen“ | |
| Für mich kommt es auf die Familie an. Ich bin als Siebzehnjähriger beim | |
| Baden verunglückt. Seitdem bin ich querschnittsgelähmt. Nur meine Arme kann | |
| ich noch eingeschränkt benutzen. Meine drei kleinen Kinder kennen mich | |
| ausschließlich als aktiven Rollstuhlfahrer. Am meisten unterstützt mich | |
| meine Frau, manchmal helfen die Schwiegereltern aus, die in der Nähe | |
| wohnen. Dass wir Kinder wollten, war schnell ein Thema. Ob das auf | |
| natürlichem Weg klappen und wie wir das alles stemmen würden, darüber haben | |
| wir uns keine Gedanken gemacht. Umso glücklicher bin ich, dass es | |
| funktioniert hat. | |
| Natürlich bin ich auf Hilfe angewiesen. Aber da konzentriere ich mich nicht | |
| drauf. Auch „Normalsterbliche“ sind nicht zu allem imstande. [1][Ich hadere | |
| nicht mit meinem Schicksal.] Alles zu Ende denken zu wollen, heißt, nichts | |
| Neues beginnen zu können. Es war nicht einfach, aber ich habe es geschafft, | |
| meine Energie der Gegenwart zu widmen und Vergangenes hinter mir zu lassen. | |
| Dass ich als Lehrer beruflich Erfolg hatte, hat sicherlich meiner | |
| Selbstwahrnehmung und der Wahrnehmung anderer, speziell von Frauen, | |
| gutgetan, die in einem Mann einen verlässlichen Partner suchen. | |
| Dass im Alltag eher mal meine Frau als ich angesprochen wird, passiert. Das | |
| nehme ich mir in der Regel nicht mehr zu Herzen. Wenn unsere Kinder solche | |
| Reaktionen mitbekommen oder generelle Unterschiede – etwa, dass ich mit | |
| meinem Sohn nicht Fußball spielen, aber ihn anfeuern kann –, sprechen sie | |
| im Zweifel darüber. Wenn nicht mit mir, dann eben mit meiner Frau. Damit | |
| gehen wir offen um. | |
| Reimar Deibert, 40, Osnabrück | |
| ## „Plötzlich spielte meine Beeinträchtigung doch eine Rolle“ | |
| Benachteiligt wurde ich schon auf dem Schulhof. Wegen einer angeborenen | |
| Gehbehinderung und einem kurzen rechten Arm mit nur einem Finger haben mich | |
| andere Kinder schikaniert. | |
| Meinen Kinderwunsch habe ich meiner ersten Beziehung freiheraus erzählt. | |
| Ich konnte mir vorstellen, mit dieser Person eine Familie zu gründen. | |
| Passiert ist es Jahre später mit einer flüchtigen Bekanntschaft. Als sie | |
| schwanger war, brachte ich eine Abtreibung ins Spiel. Das lag nicht an der | |
| absehbaren Verantwortung, ich wollte eine andere Partnerin. Doch sie | |
| behielt das Kind. Ich habe jetzt einen Sohn. | |
| Ein geteiltes Sorgerecht kam nicht zustande. Beim Jugendamt hieß es | |
| gegenüber der Kindsmutter: „Nach deutschem Recht haben Sie das alleinige | |
| Sorgerecht. Überlegen Sie sich gut, ob Sie es abgeben wollen.“ | |
| Einige Monate nach der Geburt meines Sohnes ist mein Kontakt zu ihm | |
| eingefroren. Plötzlich spielte meine Beeinträchtigung doch eine Rolle. | |
| Anfangs war es nicht nur für mich schwer, sondern auch für meine Mutter, | |
| die ihren Enkel nicht mehr sehen durfte. Seitdem sind fünf Jahre vergangen. | |
| Mein Umgangsrecht habe ich nie eingefordert, weil die Situation mir | |
| psychisch und körperlich zugesetzt hat. Unsere Kommunikation war Stress pur | |
| für mich. | |
| Wie es jetzt ist, ist es gut. Ich zahle Unterhalt, schreibe Briefe, schicke | |
| Pakete. Ein Wiedersehen mit einem Heranwachsenden, der seinen biologischen | |
| Vater nie kennengelernt hat, [2][fürchte ich nicht.] Ich hoffe einfach, | |
| dass er mich verstehen wird. | |
| Weitere Kinder sind erst mal nicht geplant. Meine Lebensgefährtin und ich | |
| haben momentan andere Prioritäten. Aber den Anforderungen einer echten | |
| Vaterrolle gerecht zu werden, das schaffe ich, wenn es so weit ist. | |
| Hans-Friedrich „Graf Fidi“ Baum, 40, Berlin | |
| ## „Mich um meine Kinder kümmern zu können, das gibt mir Kraft“ | |
| Bei der Geburt meines jüngsten Kindes 2014 schien alles in Ordnung. Meine | |
| Lungenprobleme damals schrieben alle meinem hohen Arbeitspensum als | |
| selbstständiger Geschäftsführer privater Kindertagesstätten zu. Heute weiß | |
| man, dass das bereits mit meinem jetzigen Leiden zusammenhing. | |
| Ich habe drei Kinder. Eines leidet unter Epilepsie, ein anderes unter | |
| Autismus. Bei meiner Muskelerkrankung spielen Ängste mit rein, weil eine | |
| Vererbung nicht ausgeschlossen ist. Meine Kinder könnten also irgendwann | |
| genauso davon betroffen sein. Aber momentan würde vor allem eine akute | |
| Verschlimmerung meines Zustands die Situation für alle verschlechtern. | |
| Nach etlichen Krankenhausaufenthalten habe ich 2017 meinen Tiefpunkt | |
| erreicht. Staatliche Unterstützung hat kaum eine Rolle gespielt. Unabhängig | |
| davon, dass es keine nennenswerte gab, entsprach das nicht meinem | |
| Selbstverständnis als „Macher“. Familie und Freunde haben meiner Frau | |
| geholfen, sich um die Kinder zu kümmern, während ich ein Jahr betreut | |
| gewohnt habe. In dieser Zeit haben wir uns kaum gesehen. Dann hat sich | |
| meine Frau getrennt. | |
| So hatte ich Gelegenheit, zu reflektieren und zu hinterfragen. Ich habe | |
| meine homosexuelle Neigung realisiert und bald sogar einen Partner und | |
| damit eine Stütze gefunden, nicht nur für Alltägliches. | |
| Inzwischen leite ich ein lokales Inklusionsprojekt und sitze selbst im | |
| Elektrorolli. Meine Kinder sind zu mir in die neue Wohnung gezogen. Bei | |
| Bedarf greifen mir Großeltern und Nachbarn unter die Arme. Mich um meine | |
| Kinder kümmern zu können, das gibt mir Kraft. | |
| DG*, 34, lebt in Sachsen | |
| ## „Früher wurde man sterilisiert, heute regelt es das System von alleine“ | |
| Kinder sind und werden in meinem Umfeld mehr und mehr zum Thema. Einige | |
| Freunde und Bekannte haben bereits Nachwuchs. Sogar in meiner WG lebt seit | |
| Kurzem ein Neugeborenes. Eigene Überlegungen dazu stehen also auch bei mir | |
| im Raum. | |
| Das Studium habe ich fast hinter mir. Wie es ist, bald 30 zu werden und als | |
| ungebundener Epileptiker durchs Leben zu gehen, ist nicht leicht zu | |
| beschreiben. Diese weitgehend unsichtbare Krankheit ist ein Teil meiner | |
| Identität geworden. Aber sie soll nach außen hin nicht das Bild von mir | |
| prägen. Ob aus Selbstschutz oder Unsicherheit? Das kommt auf die jeweiligen | |
| Umstände an. | |
| Die gesellschaftliche Wahrnehmung von Behinderung und Beeinträchtigung | |
| jedweder Art bleibt in meinen Augen problematisch. Dieses System | |
| diskriminiert. Oder krasser gesagt, im letzten Jahrhundert wurde man | |
| sterilisiert, heute regelt es das System von alleine. | |
| Der aktuellen rechtlichen Lage kann ich nur wenig abgewinnen. Am Ende steht | |
| jeder alleine da. Ich muss mir die Hilfen selber suchen, die Arme nach | |
| Unterstützung ausstrecken. Ansonsten kommt nichts bei mir an. | |
| Am Beispiel meiner behinderten Mutter ist mir klar geworden, wie viel | |
| Energie und Kraft nötig sind, wenn man ein intaktes Familienleben | |
| aufrechterhalten will und gleichzeitig ständig für seine eigenen Belange | |
| kämpfen muss. Das Eigenwohl bleibt da auf der Strecke. | |
| Am Ende treffe ich die Entscheidung für Nachwuchs nicht allein. Wenn es | |
| meine Partnerschaft dann zulässt und mein soziales Netzwerk bereit ist, | |
| meine Einschränkungen im Notfall aufzufangen, sehe ich für mich aber keinen | |
| Grund, auf eine eigene Familie zu verzichten. | |
| TL*, 29, lebt in Freiburg | |
| *Die Namen sind der taz bekannt | |
| 22 Feb 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christa Roth | |
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