# taz.de -- Geld und Glück: Hauptsache, mehr als der Nachbar | |
> Geld leistet einen Beitrag zum empfundenen Glück – das ist unumstritten. | |
> Aber gibt es einen Grenzwert, ab dem das Wohlbefinden nicht mehr steigt? | |
Bild: Macht die Luxusyacht glücklich? Kommt drauf an, in welchen Kreisen man v… | |
BERLIN taz | Es muss ja nicht gleich die Luxusyacht oder die Villa auf Sylt | |
sein. Aber auch wer nur eine Datscha in Brandenburg erwerben oder einmal im | |
Jahr zur Hochsaison in den Skiurlaub reisen will, muss eine Stange Geld | |
hinlegen. Wäre das Leben nicht viel einfacher, wenn man nicht ständig auf | |
die Finanzen schauen müsste? Und auch wenn soziale Beziehungen und | |
Gesundheit nicht käuflich sind, dürfte sich jeder schon mal die Frage | |
gestellt haben, ob das Leben mit finanziellen Rücklagen nicht sorgenfreier | |
ist. Nur: Wie viel Geld braucht es eigentlich, um glücklich zu sein? | |
Dieser Frage gehen Ökonomen, Soziologen und Psychologen regelmäßig nach – | |
und kommen je nach Schwerpunktsetzung zu recht unterschiedlichen | |
Ergebnissen. In der Glücksforschung wird zwischen langfristiger | |
Lebenszufriedenheit und dem täglichen emotionalen Wohlempfinden – etwa | |
Freude, Stress, Traurigkeit – unterschieden. | |
Dass Geld ganz erheblich zum empfundenen Glück beiträgt, wird von keinem | |
wirklich bezweifelt: Finanzielle Reserven versprechen in Deutschland nicht | |
zuletzt Sicherheit im Leben und Entscheidungsfreiheit. Doch bei der Frage, | |
ob es einen bestimmten Grenzwert gibt, ab dem das persönliche | |
Glücksempfinden nicht weiter zunimmt, sind die wissenschaftlichen Antworten | |
ambivalent. | |
Der Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman und der Ökonom Angus Deaton | |
von der Princeton University kamen 2010 in einer [1][groß angelegten | |
Studie] zu dem Ergebnis, dass die Lebenszufriedenheit ab einem bestimmten | |
Haushaltseinkommen nicht weiter steigt. Für die USA kamen sie auf einen | |
Wert von rund 75.000 US-Dollar netto (derzeit rund 62.000 Euro) jährlich. | |
## Studie: Reiche haben mehr Kontrolle über ihr Leben | |
Die Forscher sahen den „abnehmenden Grenznutzen“ als Ursache: Ab jener | |
Schwelle sei es Menschen meist nicht mehr möglich, das zu tun, was für das | |
emotionale Wohlbefinden am meisten zähle, wie etwa Zeit mit der Familie zu | |
verbringen oder Krankheiten zu vermeiden. Wer mehr als 150.000 Dollar | |
verdiene, würde oft mehr Verantwortung tragen, länger arbeiten und | |
entsprechend mehr Stress empfinden. Das mache unglücklich. Es komme zudem | |
auf die Vergleichsgruppe an. Ab einem bestimmten Einkommensniveau ginge es | |
vielen nur noch darum, etwas mehr zu verdienen als der Nachbar oder | |
Konkurrent. | |
Dieser These hat allerdings Anfang dieses Jahres der Psychologe Matthew | |
Killingsworth von der University of Pennsylvania mit einer eigenen | |
[2][Befragung] widersprochen. Sein Ergebnis: Nicht nur die allgemeine | |
Lebenszufriedenheit, sondern auch das tägliche emotionale Wohlempfinden | |
steige mit wachsendem Einkommen – und das weit über eine Summe von 80.000 | |
Dollar hinaus. Als einen der Gründe nennt er, dass reiche Menschen das | |
Gefühl hätten, mehr Kontrolle über ihr Leben zu haben. | |
Auf europäische Länder bezogen gibt es eine [3][Studie von 2019], die den | |
Ergebnissen von Kahnehman und Deaton entspricht. Die Forscher:innen | |
dieser Studie kommen zu dem Fazit, dass wegen der geringeren | |
Lebenshaltungskosten in Europa der Schwellenwert sogar schon ab einem | |
jährlichen Nettoeinkommen von etwa 28.000 Euro erreicht ist. Das ist ein | |
Betrag, der nur leicht über den tatsächlichen mittleren Einkommen liegt. | |
## Mitschwimmen im Strom | |
Dieses sogenannte Median-Einkommen bedeutet, dass jeweils genau die Hälfte | |
der Menschen mehr, die andere Hälfte weniger Geld zur Verfügung hat. Anders | |
als das Durchschnittseinkommen ist das Median-Einkommen nicht so stark | |
durch Ausreißer (Schwer- oder Geringverdiener) beeinflusst und gibt daher | |
ein realistischeres Bild der Einkommenslage wieder. In Deutschland lag | |
dieses mittlere Nettoeinkommen 2019 bei etwa 1.950 Euro im Monat. | |
Der Soziologe und Glücksforscher Jan Delhey von der Universität Magdeburg | |
weist darauf hin, dass die Einkommensschere in Deutschland im Vergleich | |
etwa zu den USA und auch einigen europäischen Ländern gar nicht so hoch | |
ist. Singles zählen bereits ab einem monatlichen Nettoeinkommen von 3.892 | |
Euro zu den 7 Prozent der Bestverdienenden. „Viele Leute mit akademischen | |
Berufen wundern sich bei Befragungen häufig, wie weit oben sie in der | |
Einkommensverteilung stehen“, berichtet Delhey. Die Abstände zu den | |
Spitzeneinkommen seien auch in Deutschland riesig, weil sie nach oben offen | |
sind. Aber um in Deutschland zu den oberen 10 Prozent zu gehören, ist kein | |
astronomisches Einkommen nötig. | |
Delhey zufolge muss man auch gar nicht zu den Spitzenverdienern gehören, um | |
eine hohe Lebenszufriedenheit zu erreichen. Da genüge schon ein | |
Mitschwimmen im Strom. Ein hohes Einkommen sei umgekehrt auch kein Garant | |
für eine hohe Lebenszufriedenheit. „Wenn Sie keinen Partner haben und keine | |
Sozialkontakte und Sie sich einsam fühlen, dann werden Sie auch als | |
Millionär keine neun oder zehn bei der Lebenszufriedenheitskala ankreuzen“, | |
sagt Glücksforscher Delhey. Es komme zudem auf die Vergleichsgruppe an. Und | |
da würden sich die wenigsten mit Bill Gates vergleichen. | |
## Deutsche Vermögensungleichheit | |
Auch Wirtschaftsforscher Markus Grabka vom Deutschen Wirtschaftsinstitut | |
(DIW) weist darauf hin, dass die Ungleichheit der Haushaltsnettoeinkommen | |
in Deutschland zwar langfristig gestiegen sei, seit etwa 2005 aber | |
verharre. Er hätte allerdings angesichts der wirtschaftlichen guten Lage | |
und der gesunkenen Arbeitslosigkeit einen stärkeren Rückgang erwartet. Hier | |
kämen vor allem zwei Aspekte zum Tragen: „Die Zahl der Migranten, die seit | |
2010 stark zugenommen hat, und die Ungleichheit der Einkommen aus | |
Kapitalanlagen, hier insbesondere Einnahmen aus Vermietung und | |
Verpachtung.“ | |
Während Deutschland bei der Einkommensungleichheit im EU-Vergleich im | |
Mittelfeld liegt, sieht es bei der Vermögensungleichheit völlig anders | |
aus. Nur die Hälfte der Bevölkerung besitzt überhaupt so etwas wie | |
Privatvermögen, in Ostdeutschland ist dieser Anteil noch niedriger. Das | |
reichste Prozent der Deutschen hortet nach Angaben der | |
Hans-Böckler-Stiftung hingegen etwa 24 Prozent. Tatsächlich dürfte der | |
Anteil sogar noch höher ausfallen, schreiben die Forscher der | |
gewerkschaftsnahen Stiftung. Das liege daran, dass sich die Vermögen von | |
Superreichen in einer freiwilligen Erhebung schwer erfassen lassen. Auch | |
das DIW bestätigt, dass Deutschland innerhalb des Euroraums zu den Staaten | |
mit der höchsten Vermögensungleichheit gehört. | |
„Es gibt die Tendenz, dass in Ländern, die beim Einkommen recht gleichmäßig | |
verteilt sind, die Vermögen sehr ungleich verteilt sind“, sagt Soziologe | |
Delhey. Auch in Skandinavien sei das der Fall. Bei der Vermögensgleichheit | |
deutlich besser schneiden viele einstmals sozialistische Länder ab. Ein | |
Grund: Sie hatten in der Phase der Privatisierung die Wohnungen und Häuser | |
günstig an die jeweiligen Nutzer abgegeben. Heute ist dort die | |
Wohneigentumsquote hoch. Laut Delhey haben Wohneigentümer:innen | |
gegenüber Mieter:innen oft eine höhere Lebenszufriedenheit. | |
Der Soziologe hält es für einen Kardinalfehler, dass nach der | |
Wiedervereinigung den Ostdeutschen nicht die Möglichkeit eingeräumt wurde, | |
über günstige Kredite ihre Wohnungen zu kaufen: „Das wäre etwas gewesen, | |
was die Vermögensunterschiede zwischen Ost und Westdeutschland drastisch | |
reduziert hätte.“ | |
18 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.pnas.org/content/107/38/16489 | |
[2] https://www.trackyourhappiness.org/about | |
[3] https://link.springer.com/article/10.1007/s11482-019-09714-3 | |
## AUTOREN | |
Felix Lee | |
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