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# taz.de -- Glück als Ideologie: Good Vibes Only
> Kaum ein Mantra ist in kapitalistischen Gesellschaften so wenig
> hinterfragt wie das des Glücks. Und wer nicht glücklich ist, scheint
> selbst schuld.
Bild: Heute schon achtsam gewesen?
Hast du heute schon in dich selbst investiert? Warst du achtsam? Hast du
deine Ziele visualisiert? Mal tief eingeatmet? Noch länger ausgeatmet?
Vielleicht hast du schon mal etwas von Resilienz gehört. Von persönlichem
Wachstum. Von Selbstwirksamkeit. Aber was ist das eigentlich genau? Wo ist
dein Happy Place? Wie manifestierst du neue Glaubenssätze? Lass uns da doch
mal gemeinsam draufschauen. Klick doch mal auf den Link. Hol dir die
kostenlose Checkliste. Das ist der Gamechanger. Hier kommt der
Mood-Booster. Ein Learning am Horizont. Jetzt wird’s geil!
Neues Jahr, neues Glück also. Die Mindset-Ingenieur:innen laufen aktuell
wieder zur Hochform auf, schöpfen ihr ganzes Potenzial aus, erreichen die
beste Version ihrer selbst, um uns glücksdoofen Hamsterrad-Menschen in den
mentalen #Neustart 2022 zu peitschen. Neue Meilensteine können erreicht
werden auf dem Weg zur inneren Kathedrale, zum An-sich-selbst-Gläubigen.
[1][Neue Vorsätze müssen gefasst werden], um den eigenen Optimismus zu
optimieren, sich neue Leichtigkeit hart zu erarbeiten und Glück organisch
in die Homeoffice-Pausen zu integrieren. Denn es ist bitter nötig. Laut dem
[2][„Deutsche Post Glücksatlas 2021“] liegt das Glück in Deutschland
aktuell nur noch bei 6,58.
Die Glückskartografie der Deutschen Post AG ist nur ein Beispiel für die
Glücksobsession der westlichen Welt, die Verwissenschaftlichung von Vibes
und einer gesamtgesellschaftlichen Happiness-Affirmation, die daherkommt
wie eine nervige Youtube-Werbung im Dauerloop.
## Die Party-Crasher der Dopaminorgie
Millionen von Coaches, Positive Psycholog:innnen, Meditationsgurus und
Achtsamkeits-Trainer:innen schreien mit ihren sanften Stimmchen, ihren
entspannten Gesichtern und gestretchten Mindsets auf uns ein, uns endlich
um unser Glück zu kümmern, es selbst in die Hand zu nehmen, die Tools
anzuwenden – denn für sie alle ist eines ganz klar: Glück ist erlernbar,
Glück ist ein Muskel, Glück ist letztlich nicht mehr als eine ziemlich
geile attitude.
Kaum ein Mantra ist in kapitalistischen Gesellschaften so allgegenwärtig,
so beschallend und dennoch so wenig hinterfragt, wie das des Glücks. Kaum
ein Unternehmen, das seine Führungspersönlichkeiten nicht mit Schulungen
zur persönlichen Weiterentwicklung, zu Resilienz, also
Widerstandsfähigkeit, und Anti-Stress-Methoden boostert.
Weltkonzerne haben längst ihren eigenen Chief Happiness Officer
installiert, um das innerbetriebliche Glück zu managen. Selbstständige und
Freiberufler:innen werden von einer Armee aus Online-Antreiber:innen
und Selbsthilfe-Ratgeberliteratur dauermotiviert, an sich selbst zu
glauben, dranzubleiben, es noch mal zu probieren und noch mal und noch mal
und immer weiter. Niederlagen sind die eigentlichen Siege, und Probleme nur
dornige Chancen. Dabei gibt nicht nur die ungute Verquickung von
Psychologie, Businessvokabular, Motivationsrhetorik und
Offenbarungsesoterik Anlass zur Skepsis.
Die Positive Psychologie ist empirisch umstritten, ihre Annahmen wurden
vielfach in Zweifel gezogen, Studiendesigns methodische Mängel
nachgewiesen. Diesem Text geht es aber nicht um die empirische Bewertung
der Glücksforschung, sondern um einen anderen Aspekt, der gerne verkannt
wird, wenn es um das scheinbar so apolitische, so grundgute Ziel des
Glücklichseins geht.
## Nur das richtige Mindset
[3][Die Soziologin Eva Illouz] und der Psychologieprofessor Edgar Cabanas
geraten in ihrem 2019 erschienenen Buch „Das Glücksdiktat“ zum
Party-Crasher auf der großen Dopaminorgie. Ihre Erkenntnis: Glück, wie es
in der Glücksforschung und Positiven Psychologie verstanden wird, ist eine
neoliberale Ideologie. Klingt spannend? Dann bleib dran & lies weiter!
Vorweggenommen soll sein, dass es hier nicht darum geht, jede Methode, jede
Technik der Positiven Psychologie als ein Placebo zu enttarnen. Das Ziel
glücklicher den Herausforderungen des Alltags zu trotzen, ist sicher kein
verwerfliches. Und auch die Annahme, dass Fähigkeiten wie Resilienz,
Optimismus und den kleinen und größeren Krisen im Leben eine positive Seite
abgewinnen zu können von Bedeutung sind, soll hier nicht bestritten werden.
Es geht vielmehr um die Generalisierungen, den Anspruch einer
Objektivierung von Glück und die ideologischen Zuspitzungen, die von
Positiven Psycholog:innen und ihnen verwandten
Glücksdetektiv:innen propagiert wird.
Illouz und Cabanas zeichnen in ihrer Glücksanalyse detailliert nach, wie
die Positive Psychologie in den vergangenen 20 Jahren überraschende
Allianzen einging. Von ultrareligiösen Förderern wie der
John-Templeton-Foundation über Weltkonzerne wie Coca-Cola, bis hin zu
konservativen Politiker:innen wie Nicolas Sarkozy und James Cameron
fand die neue Strömung schnell einflussreiche Verbündete, die ihren
institutionellen Aufbau mitfinanzierten und ihr Gewicht verliehen. Die
unterschiedlichen Akteur:innen eint, so destillieren es die Autor:innen,
ihr Interesse an einer Verbreitung und Verwissenschaftlichung neoliberaler
Glaubenssätze.
Die Positive Psychologie mit ihrer immanenten, nie endenden Suche nach dem
guten Leben lockt mit der Verführung der ultimativen Selbststeuerung,
appelliert sozusagen an die glücksbezogene Eigenverantwortlichkeit. Denn
Glück, so skandieren es ihre Anhänger:innen, ist eben nicht abhängig von
äußeren Umständen, sondern von einem antrainierbaren Mindset. Du kannst es
schaffen, egal wie hart es gerade ist! Einzelschicksale von Menschen, die
trotz widrigster Umstände noch imstande waren, ein glückliches Leben zu
führen, werden von Coaches als wirkungsvolle Powerpoint aufbereitet, um an
die Macht der eigenen Stärke zu appellieren.
## Einfach mal ein- und ausatmen
Die Kehrseite dabei ist klar. Sie bleibt zwar meist unausgesprochen, doch
durch den Vorhang des Dauerlächelnden, der achtsamen Selbstliebeaffirmation
und powervollen Kalenderspruchmotivation weht stets die eisige Drohung:
Wenn du es nicht schaffst, dein Glück zu finden, bist du selbst schuld.
Glücklichsein ist immer möglich, no excuses.
Die Positive Psychologie half dabei diese ideologisch durchtränkten, teils
sozialdarwinistischen Annahmen in angeblich wissenschaftlich einwandfreie
Erkenntnisse, Zahlen, Fakten, Rankings und bunte Balkendiagramme zu
verpacken. Jetzt wo das Glück also vermeintlich messbar und vergleichbar
ist, dient es Konzernen und neoliberaler Politik als Entscheidungsvariable.
Statt auf ökonomische und soziale Faktoren, kann nun auf das Glücksniveau
verwiesen werden. Denn viele der Ranglisten, die uns anzeigen wollen, wo
denn nun das Glück zu Hause ist, legen nahe: In Ländern des Globalen Südens
sind die Menschen nicht zwingend unglücklicher als in Ländern des Nordens.
Die propagierte Selbstermächtigung des eigenen Glücks führt so zu einer
rigorosen Verteidigung des Status quo, einer Verneinung sozialer
Ungerechtigkeiten und zu einer totalitären Verpflichtung des Individuums.
Eine solche Ideologie legt dem Gorillas-Rider nahe, ein paar Atemtechniken
gegen den Stress anzuwenden, anstatt einer, für bessere Arbeitsbedingungen
zu kämpfen. Beschäftigte sollen doch lieber Resilienzseminare besuchen,
anstatt sich über die 60-Stunden-Woche zu beschweren. Und wenn die
offizielle Glücksministerin der Vereinigten Arabischen Emirate verkündet:
„Für uns ist Glück sehr wichtig“, möchte man ergänzen: Ja, zum Beispiel,
wenn man sich als emiratische Frau scheiden lassen möchte. Good luck!
Und der „Deutsche Post Glücksatlas“? Was soll mir ein Glücksniveau von 6,…
sagen? Ist Glück nicht viel mehr etwas Persönliches? Etwas, das jeder
Mensch je nach Gesellschaft, Umfeld und Werteauffassung anders definiert?
Ist eine 7 auf meiner Glücksskala, wirklich dasselbe wie eine 7 auf der
Glücksskala von Christian Lindner?
Auf die Gefahr hin, dass das hier jetzt zum Poetryslam eines
Soziale-Arbeit-Studenten mit Schiebermütze abdriftet: Vielleicht nutzen wir
das Jahr 2022 lieber, um das eigene Wohlbefinden den Klauen der
kapitalistischen Glücks-Technokrat:innen zu entreißen, vielleicht sogar
diesen kontaminierten Begriff ganz hinter uns zu lassen, um stattdessen die
gesellschaftlichen und sozialpolitischen Bedingungen zu optimieren, wieder
weniger an uns selbst und mehr an die Gemeinschaft zu glauben. Vielleicht
wäre ja das der Gamechanger. Und um nun vollends als
Schnörkelschrift-Wandtattoo zu schließen: Wäre eine bessere Welt nicht
letztlich jene, in der man einen Begriff wie Resilienz gar nicht erst
bräuchte?
29 Dec 2021
## LINKS
[1] /Debatte-Neujahrsvorsaetze/!5472133
[2] https://www.dpdhl.com/de/presse/specials/gluecksatlas.html
[3] /Warum-Liebe-endet-von-Eva-Illouz/!5546824
## AUTOREN
Luca Bognanni
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