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# taz.de -- Debatte Neujahrsvorsätze: Zu viel Geld macht auch nicht glücklich
> Was bringt das neue Jahr? Hoffentlich Glück und positive Momente. Unser
> Autor macht sich Gedanken, mit welchen Vokabeln das gelingen kann.
Bild: Mit welchen Wünschen geht es ins neue Jahr? Vielleicht mit etwas mehr Ge…
Na? Auch schon wieder sämtliche Vorsätze fürs neue Jahr gebrochen? Doch
wieder nicht widerstehen können und die erste Kippe, den ersten Alkohol,
den ersten Burger einverleibt oder mit einer Tüte Chips vorm Fernseher die
Darts-WM geschaut, statt draußen bei usseligem Wetter zu joggen?
Macht nichts, man muss auch gönnen. Das Glück wird kommen, allen
gebrochenen Vorsätzen zum Trotz, davon gehen wir aus. Morrissey hat in
einem der besten Popsongs des letzten Jahres vorgeschlagen, den Tag einfach
mal im Bett zu verbringen. Da draußen warten eh nur Kastration und
Entmannung, „while the workers stay enslaved“. „Life ends in death / So,
there’s nothing wrong with / Being good to yourself.“ Wir haben ja nur das
eine Leben, Leute.
Im Gegensatz zu vielen Kolleginnen und Kollegen, die sich in den sozialen
Netzwerken empört zeigten, weil sie Morrisseys Satz zu den Nachrichten,
„the news contrives to frighten you /To make you feel small and alone / To
make you feel that your mind isn’t your own“, als faschistoides
Lügenpresse-Diktum verstanden, war ich völlig einverstanden. Die Empörung
der Kollegschaft, dachte ich, rührt aus Betriebsblindheit und einer Hybris
her, die sie sich als Teil der Maschine begreifen lässt.
Sitzt man hingegen bloß zu Hause und zieht sich die Nachrichten rein, sieht
man sich im Handumdrehen auf die eigene Passivität reduziert. Welt
verrückt, regiert von Verrückten, und die Lösungen, die so einfach wären,
werden von einem System verstellt und verhindert, das langsamer ist als
eine Schnecke, die an der Haustür klingelt, weil man sie vor zwanzig Jahren
einmal aus dem Garten geworfen hat: „Ey, was war das denn eben?“
## Die Welt des Kapitals glänzt
Entschuldigung, kleiner Witz. Aber ernsthaft: Man sieht, was Krieg
anrichtet, aber an der Rüstungsindustrie hängen Arbeitsplätze. Die Welt des
Kapitals glänzt, wir wissen alle, dass das mehr Schein ist als Sein und
dennoch enorme Anziehungskräfte entwickelt in den ausgebeuteten Regionen,
in denen Elend herrscht, [1][aber Herr Dobrindt behauptet allen Ernstes,
die „hohen“ Sozialleistungen wären der Grund, warum sich so viele auf den
Weg ins goldene Europa machen]. Weswegen die hohen Sozialleistungen gekürzt
werden müssten.
Terror und Sicherheitsterror, ominöse Bedrohungen, Ausbeutung,
Umweltzerstörung und Rundumüberwachung: Wir leben in einem unendlich
laufenden Betroffenheits-Video aus den achtziger Jahren. Oder wie es eine
Kinderstimme in Prince’ apokalyptischen Popstück „1999“ von 1982 (sic!)
formuliert: „Mummy! Why does everybody’s got a bomb?“
Wobei Prince’ Lied über die mögliche letzte Nacht auf Erden ein gutes
Beispiel für die andere Seite ist. Hier ist es dem Protagonisten nämlich
egal, dass die Welt untergeht: „The sky was all purple, there were people
runnin’ everywhere / Tryin’ to run from the destruction, you know I didn’t
even care / Say say two thousand zero zero party over, oops, out of time /
So tonight I’m gonna party like it’s nineteen ninety-nine.“ Party statt
Verdruss, Sex statt Belästigung, Gönnen statt Verzicht, Optimismus statt
Angst. „Die Abschaffung der Angst“, sagte Adorno, „ist die Aufgabe der
Revolution“.
Die internationale Glücksforschung geht indes über den herkömmlichen oder
politischen Hedonismus weit hinaus. Es gibt stapelweise Bücher, die
Glücksforschung betreiben, vom vulgärpsychologischen Ratgeber bis hin zur
ernsthaften Philosophie. Ein anerkannter Glücksforscher, der in Harvard
lehrt, hat mit sechs Studenten angefangen und spricht jetzt vor mindestens
400, die sich hernach rundum glücklicher fühlen. Sein Buch „Glücklicher“
(der Mann heißt Tal Ben-Shahar) ist im Buchhandel erst ab 48 Euro zu haben.
Noch so ein kapitalistischer Witz. (Für diesen Artikel hingegen haben Sie
bereits bezahlt.)
Im Grunde sagen diese glücksformelsuchenden Bücher aber immer dasselbe.
Gesundheit ist wichtig, Status auch, denn Geld braucht man, um gut genug
leben zu können. Zu viel Geld hingegen macht auch nicht glücklich
(verlängert aber das Leben). Was glücklich macht, ist geistige
Herausforderung – das Hirn verlangt nach Nahrung und will noch bis ins hohe
Alter weiterentwickelt werden. Relevanz ist wichtig, also die Erfahrung zu
machen, selbst etwas bewirken zu können. Sinnhaftigkeit, Stimmigkeit. Und
natürlich: Beziehungen. Gute Beziehungen sind das A und O.
In China beispielsweise erfüllte bis vor Kurzem noch die Familie diese
Rolle. Ohne Familie keine soziale Anerkennung. Der real existierende
Neoliberalismus hingegen ist über die Familie hinweg – hier ist jede*r sich
selbst der Nächste. Doch ohne Beziehungen – berufliche und private – geht
auch hier nichts.
## Wut berät schlecht
Aber, sagen die Glücksforscher, es muss nicht immer die Familie sein oder
die monogame Liebe. Es führen viele Wege nach Rom. Serielle, polygame, you
name it, nur toxisch sollten diese Beziehungen nicht sein. Wir müssen
unterscheiden, sagt ein Psychologe in der Welt, „welche Gefühle alt und
welche der Situation angemessen sind. Durch das Zulassen von intensiver
Nähe bei gleichzeitigem Erkennen unserer dennoch bestehenden erwachsenen
Eigenständigkeit kann sogar fehlendes Urvertrauen nachreifen.“
Es ist gar nicht so einfach, ins Positive zu gehen. Auch für mich ist Wut
ein Antrieb, ist das Ungenügen der Welt und der Leute um mich herum und
nicht zuletzt meiner selbst ein Motor, der mich allmorgendlich den Rechner
hochfahren lässt. Meinen Vorvorgänger-Laptop hatte ich in einem albern
pathetischen Moment mit einem Aufkleber versehen, auf dem – in Anlehnung an
Woodie Guthrie – „This machine kills fascists“ stand. Eine ironisch
gemeinte Übertreibung mit romantisch wahrem Kern.
Wut aber ist kein gutes Wort – und meist kein guter Ratgeber. Wut verstellt
den Blick, zieht alles ins negativ Emotionale. Wir müssen mehr Wörter
verwenden, die das Glück fördern. In einem dieser beliebten Mems, die
wellenhaft durch die sozialen Netzwerke ziehen, muss man aus einem
arbiträren Buchstabensalat die Zukunft lesen – nach dem Motto: „Die ersten
drei Wörter, die du erkennst, verraten es!“ Insofern kommt hier zum
Abschluss eine Liste mit Wörtern, die 2018 ruhig öfter auftauchen sollten.
Es ist eine Liste mit persönlichen Glücksformeln, durchsetzt mit Wörtern,
die einfach so schön sind. Mögen sie öfter verwendet werden, in eigenen wie
fremden Texten.
Also denn: Pool, Strand, Sex, Meinungsinsel, Licht, Employability,
Resilienz, Zuneigung, die Sonne der wahren Empfindung, ja, ausschlafen,
Amor, China, Japan, nassforsch, kampferprobt, Frustrationstoleranz,
Stressabbau, Resort statt Ressort, Glücksbär, Kampfameise,
Nichtabstiegsplatz, öffentlicher Nahverkehr, nein, lieblich, stattlich,
aufrecht, ingeniös, Essen, Pop, Psychoanalyse, Autosuggestion, Dialektik,
Vielehe, Fallrückzieher.
Frohes Neues.
6 Jan 2018
## LINKS
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## AUTOREN
René Hamann
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