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# taz.de -- Pläne schmieden 2022: Mein Kalender, die Landschaft
> Rund um Silvester lässt man das letzte Jahr Revue passieren und macht
> Pläne fürs neue. Doch wegen Corona ist vieles ungewiss. Sechs Leute
> berichten.
## Der Weltenbummler
Als Corona aufkam, wollte ich eigentlich nach Tibet, auf einem Pilgerweg
rund um den Berg Kailash laufen. Das ist nun nichts geworden. Man wird
älter und älter und älter. Und irgendwann denkt man: Vielleicht schaffe ich
das gar nicht mehr? Ich werde im Februar 71. Der Weg führt über Höhen von
bis zu 5.500 Metern. Keine Ahnung, ob ich das noch auf die Reihe kriege.
Das Reisen habe ich ziemlich spät für mich entdeckt. In der DDR war ich
Schweißer beim VEB Waggonbau Dessau. Nach der Wende habe ich ein paar Jahre
für Siemens gearbeitet, dann war Schluss. Ich lernte damals eine Chinesin
kennen, wir haben zusammen in Crimmitschau ein Chinarestaurant eröffnet,
das gibt es bis heute. Ich habe vor allem als Bedienung gearbeitet.
Irgendwann bin ich auf die Idee gekommen, mal ein bisschen Urlaub zu
machen, da war ich Ende 50. Ich bin nach Malaysia geflogen und bin dort
sechs Wochen mit dem Rad herumgefahren. Als ich zurückkam, wollten die
Gäste im Restaurant wissen, was ich erlebt habe. Nun konnte ich schlecht
mit den Fotos von Tisch zu Tisch laufen, ich hatte ja zu tun. Also habe ich
einen Diavortrag gehalten.
[1][Bei den nächsten Reisen] habe ich eine gute Kamera mitgenommen. Erst
ging es nach Borneo, dann durch Indochina, alles mit dem Rad. Ich bin von
Malaysia nach China und von China zum Baikalsee gefahren. Die Reisen wurden
immer länger, ich hatte immer mehr Bilder, hielt immer mehr Vorträge. Ich
habe auch angefangen, Weltenbummler-Treffen im Restaurant zu organisieren,
bei dem auch andere von ihren Reisen erzählen.
2019 habe ich von März bis Dezember Australien umrundet. Zelt, Gepäck,
Wasser hatte ich alles am Fahrrad hängen. Im Winter wird es in Australien
bis zu minus 5 Grad kalt, im Sommer hatte es 50 Grad plus. Ich war schon
stolz, als ich das geschafft hatte. 16.000 Kilometer, das macht man nicht
so mit einer Backe.
Ich habe beim Reisen Leute kennengelernt, mit denen ich heute noch
befreundet bin. Man begreift auch, was für einen hohen Lebensstandard wir
hier haben. Die Menschen im Dschungel von Laos haben nichts, nur einfache
Bambushütten. Gekocht wird über dem Feuer, in den Kessel kommt, was man
gerade fängt, und sei es eine Ratte. Da merkt man erst mal, auf welch
einfache Art und Weise man leben kann. Die Menschen dort sind auch
glücklich. Und sie waren sehr nett zu mir. Das ist auch etwas, was ich von
den Reisen mit nach Hause genommen habe: die Freundlichkeit in anderen
Ländern.
Im Nachhinein bin ich froh, dass ich meine Australienreise nicht drei
Monate später gemacht habe. Im März 2020 kam ja Corona, wer weiß, ob ich
überhaupt noch einen Rückflug bekommen hätte. Seitdem bin ich zu Hause. Das
juckt mich schon. Reisen ist wie ein Virus. Wenn man einmal damit
angefangen hat, möchte man das immer wieder und immer noch ein bisschen
weiter. Ich bin mit Fernweh infiziert sozusagen.
Im Januar bekomme ich meine dritte Impfung. Auch wegen der Reisen habe ich
schon so viele Spritzen in mir drin, da kommt es auf die eine auch nicht
mehr an.
Ich habe etliche Ideen, aber noch keinen richtigen Plan für 2022. Ich will
schon noch mal los. Vielleicht radle ich ans Nordkap und zurück? Im Moment
warte ich aber erst mal ab, wie sich die Dinge entwickeln.
Harald Lasch ist 70 Jahre alt und lebt derzeit im sächsischen Crimmitschau.
Protokoll: Antje Lang-Lendorff
## Die Abiturientin
Ich mache 2022 Abitur und will danach Medizin studieren. Das wollte ich
schon, seitdem ich ein kleines Kind bin. Die Pandemie hat daran auch nicht
viel geändert. Eher hat sie mich darin bestärkt, weil einem nun jeden Tag
bewusst wird, wie wichtig medizinische Berufe sind.
Einen Plan B hatte ich ehrlich gesagt lange nicht – bis ich während der
Berufsorientierung an unserer Schule gemerkt habe, dass andere sich viel
mehr Studiengänge oder Berufe vorstellen können. Das hat mich dann schon
unter Stress gesetzt. Man kann sich ja nicht darauf verlassen, einen
Medizinstudienplatz zu bekommen. Und dann stehe ich auf einmal mit nichts
da.
Ich kann mir jetzt aber auch vorstellen, Psychologie zu studieren, wobei
man sich darauf natürlich auch nicht verlassen kann, oder ich mache eine
Ausbildung zur Rettungs- oder Notfallsanitäterin. Das kann man sich im
Zweifel später auch in einem Medizinstudium anrechnen lassen.
Ich würde mich schon als Planerin bezeichnen. Ich weiß zum Beispiel schon
lange, in welchen Fächern ich Abi schreibe, obwohl wir das noch gar nicht
abschließend festlegen mussten. Und gerade bei schönen Dingen steigert
Planen ja auch die Vorfreude, wobei Corona diese Vorfreude schon trübt. Du
bist halt nie sicher, ob etwas stattfindet oder nicht.
Meinen Schulalltag versuche ich, so gut es geht, zu strukturieren, auch
wenn das gerade sehr fordernd und stressig ist. Vor den Schulschließungen
hieß es immer, wir müssen schnell noch diesen Test und jene Klausur
schreiben, um Noten zu machen. Das ist aktuell wieder so. Auch wenn es
unwahrscheinlich ist, dass wir Abiturienten [2][noch mal ins Homeschooling]
geschickt werden, drücken uns jetzt viele Lehrer schnell noch Tests rein –
falls die Schulen doch wieder geschlossen werden.
Wenn wir im Juni unsere Abi-Zeugnisse bekommen, mache ich erst mal zwei,
drei Monate Pause. Dann heißt es erst mal Chillen. Je nachdem, was Corona
zulässt, will ich auch mit Freunden verreisen. Geplant ist in jedem Fall
schon unsere Abifahrt nach Korfu. Da konnte sich jede und jeder aussuchen,
ob er eine Coronaversicherung mit abschließt, falls die Fahrt ausfällt. Ich
habe mich auch dafür entschieden. Früher hätte ich so etwas nie gemacht. Es
gibt einen Plan und den zieht man durch, komme, was wolle. Aber nun kann
man sich bei solchen Sachen ja nie sicher sein. Alle paar Wochen ändert
sich die Situation, das nervt schon.
Ich bin auch skeptisch, ob unser Abiball stattfinden kann. Organisiert
haben wir ihn natürlich trotzdem. Wenn so eine lange Schulzeit zu Ende
geht, ohne das noch mal mit allen zu feiern, wäre das sehr traurig.
Marlena Lang, 18 Jahre alt, ist Abiturientin aus München.
Protokoll: Daniel Böldt
## Der Bevölkerungsschützer
Wir beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe wollen im
kommenden Jahr einiges anders machen. Ein Großteil unserer Arbeit besteht
aus zwei Teilen: Analyse und Beratung im Risiko- und Krisenmanagement. Wir
beschäftigen uns mit einer Vielzahl unterschiedlicher Gefahren, sowohl
menschengemachter als auch natürlicher. Wir führen unter anderem sogenannte
Risikoanalysen durch.
Das heißt, wir schauen uns eine bestimmte Gefahr an, wie zum Beispiel
Hochwasser, Erdbeben, chemische Unfälle oder Pandemien, und spielen diese
Ereignisse mit entsprechenden Experten durch: Wie viele Menschen sind wie
schwer betroffen? Haben wir genug Ressourcen, um darauf zu reagieren? Ist
die Infrastruktur darauf vorbereitet? Gibt es Folgekrisen?
Auf dieser Grundlage beraten wir Kommunen, Länder und den Bund bei der
Erarbeitung von Notfallplänen. Wenn es optimal läuft, ist man in der Regel
gut auf ein solches Ereignis vorbereitet. Ich betone bewusst: Wenn es
optimal läuft. Leider ist das nicht so oft der Fall, wie man sich das
wünscht.
Deutschland gilt als strukturiertes und gut organisiertes Land. Mein
Eindruck ist aber, dass man sich mit längerfristiger Planung nicht so gerne
beschäftigt. In Westdeutschland wurde Planung oft mit Planwirtschaft
assoziiert. Im Vordergrund stand, flexibel zu sein. Das ist heute noch oft
so. Die Behörden in Deutschland verfügen über sehr profundes Fachwissen.
Dieses Wissen wird aber einerseits in der Politik oft nicht wahrgenommen,
andererseits von den Behörden nicht immer gut kommuniziert.
Ich nehme das BBK da gar nicht aus. Wir sind gerade dabei, über eine
veränderte Öffentlichkeitsarbeit und ein verändertes Marketingverhalten
nachzudenken. Wir haben nicht zuletzt durch die Coronapandemie gemerkt,
dass wir von der Politik stärker registriert werden müssen. Wir müssen
anders kommunizieren. Unser Know-how müssen wir sprachlich so formulieren,
dass es eingängiger ist. Wir müssen unsere Themen so setzen, dass sie
regelmäßig präsent sind. Da haben wir ein großes Defizit, das müssen wir
ändern.
Neben unserer Kommunikation passen wir auch unsere Struktur an. Wir wollen
2022 ein Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz in Betrieb nehmen, in dem Bund
und Länder zum ersten Mal in der Katastrophenvorsorge institutionell
zusammenarbeiten. Hauptaufgabe dieses Zentrums wird die Vorausschau, aber
auch die wirkungsvolle Unterstützung beim Krisenmanagement sein.
Hätten wir ein solches Zentrum 2019 schon gehabt, dann hätte man wohl
spätestens im Dezember 2019 auf das Coronavirus reagiert. Nicht, dass man
gleich den Katastrophenfall ausgerufen hätte, aber man hätte sich fragen
können: Sind die Pandemiepläne aktuell? Gibt es genug Ressourcen in Sachen
Schutzausstattung? Ist die pharmazeutische Industrie darauf vorbereitet in
eine schnelle Impfstoffproduktion einzutreten?
Ich persönlich glaube, dass wir in Zukunft eine andere Kultur im Umgang mit
Katastrophen und Krisen etablieren müssen. Kein Alarmismus – denn der
bewirkt genau das Gegenteil. Aber wir müssen die Themen Prävention und
Vorsorge anders angehen, die Vorteile stärker betonen.
Mit dem Klimawandel wird man sich dem sowieso nicht mehr entziehen können.
Selbst katastrophenarme Regionen werden das zu spüren bekommen. Und zwar in
einer Weise, der man sich heute noch gar nicht bewusst ist.
Wolfram Geier, 61 Jahre, ist Abteilungsleiter beim Bundesamt für
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn.
Protokoll: Daniel Böldt
## Die Unternehmerin
Für mich hat Corona ein Auf und Ab der Gefühle bedeutet. In den ersten zwei
Monaten des ersten Lockdowns ist unser Umsatz fast auf null gefallen. Da
waren alle so verunsichert, da hat auch niemand mehr online eingekauft.
Dann ging es aber zum Glück wieder aufwärts. Wie schon die Finanzkrise hat
auch die Pandemie dazu geführt, dass die Leute mehr vor die Tür gehen, zum
Beispiel mit dem Fahrrad. Da gibt es ja gerade einen richtigen Boom.
Einem Outdoor-Unternehmen wie unserem kommt das zugute, genau wie die
Tatsache, dass die Nachfrage nach nachhaltigen Produkten durch Corona noch
mal gestiegen ist. Die Menschen kaufen seitdem bewusster ein, sie achten
auf ihren Impact. Allerdings, wie bei vielem anderen auch, vermehrt online.
Als ich das Unternehmen 2009 von meinem Vater übernommen habe, hatte ich
das Bild im Kopf, dass meine Kinder mich eines Tages fragen werden, was ich
dazu beigetragen habe, die Umweltzerstörung durch den Menschen aufzuhalten.
Mir ist schon lange bewusst, dass wir mit unserer Art zu wirtschaften, in
die falsche Richtung rasen, und die Branche, in der ich arbeite, auch
problematische Auswirkungen auf den Planeten hat.
Wir empfinden uns als Teil des Problems, und wollen das, was wir
verursachen, auch wiedergutmachen. Deshalb wandeln wir das Unternehmen
Stück für Stück im Sinne der Nachhaltigkeit um. Wir achten auf nachhaltige
Materialien und Produktionswege, faire Arbeitsbedingungen weltweit und wir
sind ab dem nächsten Jahr mit all unseren Produkten klimaneutral.
Wir haben festgestellt, dass unsere enge Zusammenarbeit mit den
Materiallieferanten und Produzent:innen uns sehr geholfen hat, diese
turbulenten Zeiten zu überstehen. Während unsere Wettbewerber vieles in
Asien cancelten, haben wir gute Übereinkünfte bei verspäteten Zahlungen und
Lieferungen gefunden und konnten so, als die Läden wieder aufgingen, auch
gut ausliefern.
Für 2022 haben wir eine extrem hohe Vororder. Das stimmt uns optimistisch.
Gleichzeitig sind aber auch wir von [3][Lieferschwierigkeiten] betroffen
und von der Unvorhersehbarkeit, wie sich Rohstoffpreise und Liefersituation
entwickeln. Von daher haben wir trotz der vielen Bestellungen auch
verhältnismäßig vorsichtig geplant.
Weil im nächsten Jahr alles so unvorhersehbar ist, haben wir sehr viel
nachjustiert. Im Gegensatz zu den sonstigen Jahren haben wir auch schon
Monate im Voraus Rohware bestellt. Auch unsere Planungszyklen haben wir
langfristiger ausgerichtet und setzen vermehrt auf Waren, die gleich
mehrere Saisons aktuell sind.
Aber auch für mich persönlich wird 2022 ein besonders Jahr. Ich werde 50
und erfülle mir einen lang gehegten Traum. Ich gehe im Sommer zwei Monate
lang trekken. Alleine, über die Alpen, nur manchmal kommen Freunde und
Familie dazu, um mich ein Stück zu begleiten.
Antje von Dewitz, 49, ist Geschäftsführerin von Vaude Sport aus Tettnang am
Bodensee.
Protokoll: Anna Fastabend
## Die Altistin
Wenn es um Träume, Wünsche, Hoffnungen geht: Ich habe gerade heute Morgen
jemandem geschrieben, der ein kleines Haus auf der Insel Spiekeroog
vermietet. Da würden wir gerne hin im Sommer. Im vergangenen Jahr war ich
ganz verzweifelt, weil ich den Sommer über plötzlich frei hatte.
Eigentlich hätte ich in Bayreuth singen sollen, aber unser drittes Kind war
geboren und ich durfte nicht auftreten wegen des Mutterschutzes, der genau
in die Zeit der Wagner-Festspiele fiel. Da war es natürlich viel zu spät,
um noch eine Unterkunft für eine längere Zeit auf der Insel zu finden. Wenn
es jetzt klappen würde – das wäre schön!
Ich blicke überraschend zuversichtlich auf das kommende Jahr und die Zeit
danach. Wenn ich in meinem Kalender blättere, dann sieht es sehr schön aus,
eine gute Mischung aus Orten, an denen ich gerne bin, Musikern, mit denen
ich gerne zusammenarbeite, und Werken, die ich liebe.
Viele Mahler-Lieder und Symphonien sind dabei: Die Dritte mit dem Alt-Solo
„O Mensch! Gib acht!“ oder die Zweite, die ja beinahe an Kitsch grenzt,
aber einfach so wunderschön ist und voller Hoffnung steckt. Das „Urlicht“
im 4. Satz empfinde ich immer als Geschenk! Später gibt es Wagner,
„Rheingold“ konzertant, dann ein neuer Ring in London, einer in München,
worauf ich mich sehr freue, Giulio Cesare in Paris, wo auch ein Ring
geplant ist – also, die kommende Zeit liegt wie eine Landschaft vor mir,
die unglaublich verlockend aussieht.
Aber: Ich gehe nicht davon aus, dass alles genauso kommt, wie es geplant
ist.
Das haben wir Künstlerinnen gelernt aus der Pandemie. So hoffe ich einfach,
dass auch bei weiteren Absagen noch „genug“ übrig bleibt. Das ist natürli…
ein purer Luxus und nicht besonders repräsentativ. Insgesamt wird wohl in
den nächsten Jahren sehr gespart werden an den Kulturetats. Das zeichnet
sich ja leider schon ab.
Ich schaffe es mittlerweile ganz gut, mich in die Situationen hinein zu
entspannen, die ungewisse Zeiten mit sich bringen. Mich erinnert es ein
wenig an die erste Unsicherheit, nachdem ich am Opernhaus in Zürich
gekündigt hatte. Das war meine erste Stelle – und plötzlich war ich
freischaffend. Ich habe aber schnell gemerkt, dass es geht. 2020, als wegen
Corona alles wegbrach und man mit nichts dastand, das war ein Schock, zumal
für uns als Freiberufler. Aber das Auffangnetz aus Freunden und Familie hat
sich als recht groß und stabil erwiesen. Das hat Rückhalt und Sicherheit
gegeben. Alles ist weggebrochen, und wir haben es trotzdem geschafft.
In Zeiten, in denen es keine Auftritte gibt, ist es schwierig, die Spannung
zu halten und stetig zu üben. Es gibt KollegInnen, die können das; ich
brauche immer auch den Druck einer Aufführung. Es hat mir so gefehlt, auf
der Bühne vor Publikum zu musizieren, es war wie Trauerarbeit mit all ihren
Phasen. Ich habe dann mit einem befreundeten Kirchenmusiker in Oldenburg so
ein paar kleinere Sachen aufgenommen; Videos als „Gruß aus der Kirche“,
Mahler mit Orgelmusik und so etwas. Ich habe begonnen zu unterrichten.
Und dann habe ich mit der Barockgeigerin Veronika Skuplik, die ebenfalls in
Oldenburg lebt, eine CD aufgenommen. Sie hatte die Idee dazu und hat ganz
wunderbare Stücke ausgegraben, wir haben Geld über Crowdfunding
eingesammelt und diese CD eingespielt. „Umbra Ambra“ ist das Motto, Umbra
ist die Düsternis, Ambra das Licht.
Die Musik ist durchzogen von diesem Wechsel, selten gespielte Musik von
Erlebach, Buxtehude, Bach. Das war ein Projekt, das großen Spaß gemacht und
uns durch diese Zeit getragen hat. Es steht – auch sinnbildlich – dafür,
dass wir Hoffnung haben dürfen, gerade auch in einer Pandemie, die uns
anscheinend noch mal richtig viel abverlangen wird.
Wiebke Lehmkuhl, 1983 geboren, ist Altistin. Sie lebt in Oldenburg und
tritt weltweit in großen Opernhäusern und Konzertsälen auf. Regelmäßig ist
sie in Wagner-Opern und mit Mahler-Symphonien zu hören.
Protokoll: Felix Zimmermann
## Der Messebauer
Seit ich denken kann, arbeite ich im Messebau. Mein Vater ist selbst
Messebauer. Ich bin praktisch damit aufgewachsen. Schon als kleiner Junge
habe ich viel Zeit mit ihm auf Messen verbracht. Ich mag das kreative
Arbeiten und mich handwerklich auszuleben, springe täglich zwischen
Zeichenprogrammen und der Werkstatt hin und her, fahre mit zur Montage.
In den Jahren vor der Pandemie habe ich vor allem als Freelancer für die
Frankfurter Buchmesse gearbeitet. 2020 ist die Stelle weggefallen und ich
bin voll bei meinem Vater im Unternehmen miteingestiegen. Ich wollte ihn
dabei unterstützen, die Arbeitsplätze zu erhalten. Kosten und Umsatzausfall
waren zu dem Zeitpunkt so hoch, dass wir neu gründen mussten.
Glücklicherweise mit dem gleichen Team am gleichen Standort.
Vor Corona war die Stimmung in unserer Branche sehr gut. Wir hatten rund
150 Projekte im Jahr. Dann kam der erste Lockdown. Zu dem Zeitpunkt standen
hier in der Werkstatt fertig produzierte Messestände verladebereit für den
Transport nach Mailand. Am Tag vor dem Transport wurde die Messe abgesagt.
Dann ging eineinhalb Jahre gar nichts. Dieses Jahr hatten wir knapp über 20
Projekte, was mir persönlich viel Energie gegeben hat.
Nun fängt es wieder an: Eine Veranstaltung in Amsterdam musste aufgrund
strengerer Maßnahmen in den Niederlanden abgesagt werden. Wieder konnten
wir einen komplett fertig produzierten Stand nicht ausliefern. Natürlich
sprechen wir mittlerweile vorher mit den Kund:innen ab, was bei einer
Absage passiert und ob wir den Messestand für das kommende Jahr aufheben
können.
Doch dieses kommende Jahr ist super schwer einzuschätzen. Wir hatten nicht
erwartet, diesen Winter wieder ohne Aufträge dazustehen. Die
Veranstaltungen sind zwar nicht verboten, aber die Bedingungen drumherum
wie Reisebeschränkungen und Quarantäne machen sie teilweise unmöglich.
Improvisieren gehört auch außerhalb der Coronapandemie zum Job dazu.
Ganz alleine wäre alles sicher viel schwieriger gewesen in den letzten
knapp zwei Jahren. Es ist schön, dass ich hier bei meinem Vater bin und wir
uns gegenseitig unterstützen können. Auch der Zusammenhalt im Team ist sehr
stark. Wir haben den Spaß am Messebau nicht verloren.
Vor der Pandemie hatten wir gute Ideen entwickelt, um unsere Produktion
nachhaltig zu gestalten. Wir arbeiten unter anderem mit anpassbaren
Bauteilen, die man mehrfach einsetzen kann. Dabei darf es nicht so
aussehen, als sei das ein System, das wir immer in gleicher Form aufbauen,
sondern als sei es eigens für den Messestand konzipiert.
Gerade jetzt in Anbetracht von steigenden Rohstoffpreisen,
Lieferschwierigkeiten, Materialknappheit und Personalmangel sind wir sehr
froh über die entwickelten Ideen. Viele Aussteller:innen sind sich
momentan überhaupt nicht sicher, ob ihre Veranstaltung stattfindet.
Normalerweise planen wir drei bis vier Monate im Voraus. Aktuell sind es
nur drei bis vier Wochen. Oft ist das gewünschte Material nicht mehr zu
bekommen.
Für die nächste Zeit habe ich vor, weiterhin mit meinem Vater im
Unternehmen zu arbeiten. Ich freue mich vor allem auf Projekte, bei denen
wir auch inhaltlich miteingebunden werden, das heißt, wir baulich die
Botschaft der Aussteller:innen mit ihrem Stand ausdrücken dürfen.
Es ist letztlich mein Glaube, dass persönliche Begegnungen durch nichts zu
ersetzen sind, der mir Energie gibt, weiterzumachen. Manche Messen haben
online stattgefunden und wir haben Rückwände gestellt, vor denen
Podiumsdiskussionen gestreamt wurden. So was wird ein Live-Event nie
ersetzen. Die Menschen sind heiß drauf, wieder rauszugehen und sich zu
sehen.
Thilo Hagedorn, 28 Jahre alt, ist Messebauer in Frankfurt am Main.
Protokoll: Ruth Lang Fuentes
31 Dec 2021
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Ruth Lang Fuentes
Daniel Böldt
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Anna Fastabend
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Dass sie der Umwelt dienen, ist eher eine urbane Legende.
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