# taz.de -- Lieferengpässe in Europa: Viele Schiffe, wenige Container | |
> Der Welthandel könnte nach der pandemiebedingten Krise durchstarten. Doch | |
> auf den Meeren ist die Ordnung noch nicht wiederhergestellt. | |
Bild: Containerstau in Felixstowe: Logistikunternehmen Maersk fährt den britis… | |
HAMBURG taz | Clemens Fuest zeigt sich enttäuscht. „Die wirtschaftliche | |
Erholung nach Corona fällt nicht so stark aus, wie man hatte erhoffen | |
können“, klagte der Ifo-Präsident zuletzt in einem Videovortrag. Industrie, | |
mittelständisches Gewerbe und Einzelhandel in Deutschland, aber auch in | |
Europa bemängeln vor allem Lieferengpässe. Gleichzeitig stauen sich vor | |
vielen Häfen voll beladene Frachter, Reedereien in aller Welt fehlen leere | |
Container, um Waren zu transportieren. | |
Aus Großbritannien kommt eine weitere Hiobsbotschaft. Die Reederei Maersk, | |
der dänische Weltmarktführer, fährt laut Financial Times den größten | |
britischen Hafen nicht mehr an. Felixstowe sei völlig verstopft, so die | |
Begründung. | |
Dabei ist Felixstowe bei Weitem kein Sonderfall: Allein in China stehen in | |
den 20 wichtigsten Häfen noch mehr als 12.000 Schiffe in der Schlange. Und | |
auch vor den größten Häfen der USA von New York bis Newport Beach liegen | |
rund 4.000 Frachter unfreiwillig vor Anker. „Unterm Strich dürfte es noch | |
einige Monate dauern, bis sich die Staus lösen“, schreiben die | |
Logistikexperten der Landesbank Baden-Württemberg. | |
Solche Verzögerungen setzen sich dann in der ganzen globalisierten | |
Logistikkette fort. Bis zu 24.000 Container müssen von jedem Schiff | |
entladen werden, ihre Fracht wird auf Wasserweg, Straße und Schiene über | |
Tausende Kilometer und mehrere Länder verteilt. | |
## 30 Stunden Wartezeit | |
Wenn möglich meiden Reedereien nun die großen und überfüllten | |
Umschlagplätze und laufen eher kleinere Anlegestellen an. Aber auch hier | |
gibt es wieder Unterschiede. Vor wichtigen Häfen müssen Frachter von | |
Hapag-Lloyd immer noch 30 Stunden warten, bis sie einen Terminal anlaufen | |
dürfen – im Durchschnitt. „30 Stunden“ sind gigantisch viel in einer Wel… | |
deren Lieferketten auf verlässliche Schifffahrtspläne rund um den Globus | |
und Just-in-Time-Produktion ausgerichtet sind. | |
Die daraus entstehenden Lieferengpässe belasten die deutsche extrem | |
exportorientierte Wirtschaft besonders stark. „Der Außenhandel gerät | |
zunehmend von zwei Seiten unter Druck“, sagt Joachim Lang, der | |
Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie. | |
Lieferengpässe bei Vorprodukten beeinträchtigen die Produktion hierzulande; | |
Staus an Häfen in aller Welt und fehlende Containerkapazitäten behindern | |
dann die deutschen Warenausfuhren. | |
## „Überanstrengte Kapazitäten“ | |
Von solchen Staus blieben die Häfen an der Nord- und Ostsee zwar verschont. | |
Doch auch Deutschlands Seehafen Nummer eins, Hamburg, taucht – wie seine | |
Konkurrenten Antwerpen und Rotterdam – auf einer Liste der Reederei | |
Hapag-Lloyd als Problemfall mit „überanstrengten Kapazitäten“ auf. | |
Dass die maritimen Lieferketten so angespannt sind, hat mehrere Gründe. | |
Durch den [1][kräftigen Nachfrageschub im Frühjahr,] der dem Coronaschock | |
des vergangenen Jahres folgte, waren zunächst Frachter und Laderaum in der | |
ganzen Welt knapp geworden. Die Preise stiegen. So kostet es derzeit etwa | |
15.000 US-Dollar, einen 40-Fuß-Container von China nach Hamburg zu | |
verschiffen – vor zwölf Monaten waren es nur rund 2.000 US-Dollar. | |
## Ins Stocken geraten | |
Diese Preissteigerung findet man bei der größten deutschen Reederei | |
durchaus erfreulich. „In einem Markt mit einer starken Nachfrage blicken | |
wir auf ein sehr gutes erstes Halbjahr zurück“, sagt Rolf Habben Jansen, | |
Chef von Hapag-Lloyd. Der Umsatz erhöhte sich um sagenhafte 51 Prozent, der | |
Gewinn stieg trotz Schuldenabbau und erhöhter Dividende auf 3,5 Milliarden | |
Euro. Der Boom dürfte weiterlaufen, erwartet Jansen angesichts des | |
„überlasteten Marktumfeldes“. | |
Doch auch Jansen ist nicht mit allem zufrieden. Normalerweise befördern | |
Redereien und Logistikkonzerne wie Kühne oder DHL viele volle Container aus | |
Asien nach Europa/Nordamerika und senden einen Großteil davon leer wieder | |
zurück. Aufgrund der Schiffstaus ist dieser Kreislauf ins Stocken geraten, | |
und hierzulande fehlen Leercontainer, um bestellte Waren zu verschiffen. | |
## 75.000 Standardcontainer bestellt | |
Vor Corona waren Container durchschnittlich 50 Tage unterwegs, bis sie | |
wieder beladen werden konnten. Aufgrund der massiven Überlastungen von | |
Häfen und Terminals benötigt die Rederei derzeit bis zu 60 Tage und mehr, | |
um den Kreis zu schließen. Jansen: „Das bedeutet, dass uns gegenwärtig | |
zwanzig Prozent der Containerkapazitäten fehlen.“ | |
Hapag-Lloyd, das zu den wenigen Anbietern eines globalen | |
Haus-zu-Haus-Services zählt, hat darum weitere 75.000 Standardcontainer | |
(TEU) bestellt. Jansen hofft, dass diese noch 2021 geliefert werden. Im | |
vergangenen und diesem Jahr hat die Reederei damit insgesamt mehr als | |
600.000 neue TEU bestellt. Hapag-Lloyd verfügt heute über eine Flotte von | |
mehr als 2,8 Millionen Containern, darunter 250.000 für gekühlte Ladung. | |
## Chinas Häfen lahm gelegt | |
Neben knappen Transportkapazitäten zerren die Nachwehen früherer | |
Verzögerungen an den Lieferketten. Im März war der Megafrachter „Ever | |
Given“ im Suezkanal havariert und hatte die Durchfahrt sechs Tage lang | |
blockiert. Nach der Wiedereröffnung der wichtigsten Schifffahrtsstraße der | |
Welt waren viele Containerterminals von dem plötzlichen Ansturm | |
überfordert. | |
[2][Außerdem haben Corona-Infektionen in diesem Jahr wiederholt Schiffe und | |
Häfen vor allem in China – Deutschlands wichtigstem Handelspartner – | |
lahmgelegt], weil Crews infiziert waren. Mittlerweile werden Seeleute in | |
vielen Häfen mit dem Einweg-Vakzin von Johnson & Johnson geimpft. Der | |
zeitweilig rasant anziehende Welthandel tat dann ein Übriges, um Häfen und | |
Schifffahrtspläne erneut zu überfordern. | |
Das wird sich nicht so schnell ändern lassen. In vielen Warengruppen hat | |
sich ein Rückstau von einem halben Jahr und länger gebildet. Mittlerweile | |
geht die maritime Wirtschaft davon aus, dass die Lieferketten frühestens | |
Anfang oder Mitte des kommenden Jahres wieder reibungslos funktionieren. | |
Der Nach-Corona-Überhang dürfte danach erst langsam abschmelzen. Doch da | |
die Auftragsbücher voll und viele Lager leer sind, erwartet die | |
Welthandelsorganisation WTO, dass das Handelsvolumen 2022 immer noch um 4,7 | |
Prozent zulegt. Ifo-Präsdident Fuest ist da allerdings weniger | |
optimistisch. | |
20 Oct 2021 | |
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[1] /Lieferengpaesse-von-Computerchips/!5758166 | |
[2] /Massive-Lieferengpaesse-in-China/!5780931 | |
## AUTOREN | |
Hermannus Pfeiffer | |
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