# taz.de -- Europäische Migrationspolitik in Afrika: Stillgestanden, Flüchtli… | |
> Europa will mit mehr Hilfe in Afrika „Fluchtursachen bekämpfen“. Ein | |
> zynisches Spiel: Es wird bezahlt, wenn Menschen festgehalten werden. | |
Bild: Im Mittelmeer Geretteter: Das einzelne Schicksal interessiert die EU nicht | |
Berlin taz | Gut 700.000 Menschen kamen zwischen 2010 und 2015 aus Afrika | |
als Asylbewerber in Länder der Europäischen Union. Die Zahlen pro Jahr | |
steigen rapide: Zwischen 2010 und 2015 um 260 Prozent. Für 2016 schreibt | |
die Internationale Organisation für Migration in ihrem jüngsten Bericht | |
über Trends der Zuwanderung nach Europa: „Die Zahl der Migranten aus | |
Syrien, Irak und Afghanistan geht zurück; die derer aus Afrika nimmt zu.“ | |
Bis 2050 wird sich die Bevölkerung Afrikas mehr als verdoppeln. „Dramatisch | |
zunehmen“ könnte die Migration aus Afrika, sagte der deutsche | |
Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) kürzlich. | |
Auf dem EU-Gipfel diese Woche war Migration aus Afrika Thema Nummer eins. | |
Eine neue „Flüchtlingskrise“ wie im Jahr 2015 will die EU unbedingt | |
vermeiden, allein schon um des eigenen Zusammenhalts willen und um dem | |
Druck der Rechtspopulisten zu begegnen. Eine Situation wie 2015 „kann, soll | |
und darf“ sich nicht wiederholen, sagte Merkel kürzlich auf dem | |
CDU-Parteitag. | |
Bei der Formulierung der neuen EU-Afrikapolitik steht Deutschland an | |
vorderster Front. Im vergangenen Oktober reiste Merkel zum ersten Mal seit | |
2011 wieder nach Afrika, danach kamen eine ganze Reihe von afrikanischen | |
Staatschefs und Delegationen nach Berlin. Ähnliches spielte sich in Brüssel | |
ab. So viel Aufmerksamkeit bekam der Kontinent nicht mal während der | |
Ebola-Krise. Und in der am 1. Dezember begonnenen deutschen Präsidentschaft | |
der G-20-Staatengruppe heißt eine Säule des Programms der Bundesregierung: | |
„Verantwortung übernehmen – besonders für Afrika.“ | |
Die neue Afrika-Politik der EU nahm ihren Anfang auf dem Höhepunkt der | |
Syrien-Flüchtlingskrise. Am 11. und 12. November 2015 lud die EU die | |
Afrikanische Union (AU) zum Migrationsgipfel nach Valletta auf der | |
Mittelmeerinsel Malta. Sie legte einen 1,8 Milliarden Euro schweren | |
„Nothilfe-Treuhandfond für Afrika“ auf. Der EU-Fonds werde die Ursachen von | |
„Destabilisierung, Zwangsvertreibung und irregulärer Migration“ angehen, | |
indem er Wirtschaft und Entwicklung Afrikas stärke, steht im | |
Valletta-Aktionsplan. | |
## Ein Etikettenschwindel | |
Afrikas Regierungen gelobten in Valletta „gemeinsame Anstrengungen im Kampf | |
gegen die irreguläre Migration“. Den Milliardenfonds indes hielten sie | |
zurecht für Etikettenschwindel: Der Löwenanteil der Gelder war längst als | |
Entwicklungshilfe im EU-Haushalt eingestellt. Allzu bereitwillig auf die | |
Wünsche der EU einzugehen, kam ohnehin nicht in Frage: Rücküberweisungen | |
von Migranten aus Europa nach Afrika sind zu wichtig, Abschiebungen beim | |
eigenen Volk unbeliebt. | |
So geschah zunächst wenig. Nach einem halben Jahr setzte die EU den | |
afrikanischen „Partnern“ die Pistole auf die Brust. „Sämtliche | |
Politikmaßnahmen- und Instrumente, die der EU zur Verfügung stehen“, hieß | |
es in einem Papier der EU-Kommission vom 7. Juni 2016, sollten genutzt | |
werden, um „konkrete Ergebnisse“ in der „Migrationssteuerung“ zu erziel… | |
Der sozialdemokratische EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans aus | |
den Niederlanden beschrieb an diesem Tag dem EU-Parlament die Linie der | |
neuen Afrikapolitik: Eine „Mischung aus positiven und negativen Anreizen“. | |
Drittländer, die „effektiv“ mit der EU zusammenarbeiten, seien zu | |
„belohnen“, für die anderen solle es „Konsequenzen geben“. Zuckerbrot … | |
Peitsche also. Jenen, die mitmachen, stellte die EU insgesamt acht | |
Milliarden Euro bis Ende des Jahrzehnts in Aussicht. Das Ziel: „Ordnung in | |
die Migrationsströme“ bringen. | |
## Negative Anreize | |
Die EU will zweierlei: Es sollen weniger Migranten ankommen. Und wer | |
ankommt, soll schneller wieder abgeschoben werden. „Konkrete und messbare | |
Ergebnisse bei der zügigen Rückführung irregulärer Migranten“ verlangte d… | |
EU-Rat am 28. Juni, als diese neue Politik formell beschlossen wurde, und | |
noch einmal am 21. Oktober. Liefern afrikanische Länder keine „konkreten | |
Ergebnisse bei einer besseren Steuerung der Migration“, werden „Engagement | |
und Hilfe angepasst“. | |
Wer nicht liefert, soll nicht nur Hilfszahlungen, sondern auch Marktzugänge | |
verlieren. „Erzeugung und Nutzung der erforderlichen Hebelwirkung unter | |
Einsatz aller einschlägigen – auch entwicklungs- und handelspolitischen – | |
Maßnahmen, Instrumente und Hilfsmittel der EU“ wird das genannt. | |
Ein Instrument ist die Stimulation von Privatinvestitionen. Aus ihrem | |
Entwicklungsbudget will die EU drei Milliarden Euro abzweigen, die | |
Mitgliedsstaaten sollen dasselbe drauflegen. Europäische Unternehmen sollen | |
dadurch in die Lage versetzt werden, bis 2020 sagenhafte 62 Milliarden Euro | |
zusätzlich in Afrika zu investieren – jedenfalls in den Ländern, die beim | |
Grenzschutz mitmachen. „Eine ambitionierte Investitionsoffensive für | |
Drittländer, die dazu beitragen wird, Chancen zu eröffnen und die | |
Migrationsursachen zu bekämpfen“, nannte dies Timmermans im Juni. Die | |
Investitionen sollen Jobs schaffen und Menschen in Afrika halten. | |
„Das sind Gelder der Entwicklungszusammenarbeit, die jetzt für | |
Wirtschaftsförderung hergenommen werden“, kritisiert Inge Brees von der NGO | |
CARE in Brüssel. Es werde nicht überprüft, ob diese Projekte der | |
Entwicklung dienen – etwa ob Arbeitnehmer- und Menschenrechte gewahrt | |
werden. Vor allem aber konzentriert sich die Hilfe auf Länder, die für die | |
Migrationskontrolle interessant sind – und fehlt entsprechend woanders. | |
„Das Geld ist nicht vom Himmel gefallen“, sagt Brees. „Das hätte sonst a… | |
für andere Krisen zur Verfügung gestanden.“ | |
## Vorbild Türkei-Deal | |
Das Gleiche gilt für den mittlerweile auf 2,5 Milliarden Euro angewachsenen | |
Treuhandfonds für Afrika (EUTF). Auch darin stecken vor allem noch nicht | |
verplante Mittel des EU-Entwicklungsbudgets. Jetzt will der Rat den Fonds | |
noch aufstocken. | |
Geld gegen Flüchtlingsstopp – der milliardenschwere „EU-Türkei-Deal“ st… | |
für diese Praxis Modell. Dass die meisten Afrikaner, die sich auf den Weg | |
nach Europa machen, vor ihren eigenen Regimen fliehen – vor dieser | |
Erkenntnis drückt Brüssel beide Augen zu, im Gegenteil: Die EU reicht nicht | |
nur demokratischen Regierungen, sondern auch Diktatoren die Hand, damit sie | |
die Flüchtlingsströme unterbinden. | |
Nach Zählung der taz haben die EU und deren Mitgliedsstaaten zwischen 2000 | |
und 2015 mindestens 1,913 Milliarden Euro an Länder in Afrika gezahlt, | |
damit sie Flüchtlinge aufhalten. Nicht eingerechnet ist der | |
Berlusconi-Gaddafi-Flüchtlingsdeal aus dem Jahr 2008, in dem Italien Libyen | |
fünf Milliarden Euro zusagte – es flossen wohl nur 250 Millionen. | |
Vermutlich liegt die tatsächliche Gesamtsumme weit höher, denn fast nie | |
steht auf den entsprechenden Abkommen das Wort „Flüchtlingsstopp“. Meist | |
läuft es so wie im Januar 2007, als Spaniens König Juan Carlos den | |
Präsidenten von Mali, Amadou Toumani Touré, zum Mittagessen bat. Spanien | |
hatte den Sahelstaat bis dahin weitgehend ignoriert. Doch als immer mehr | |
Westafrikaner über Mali in Richtung der spanischen Afrika-Exklaven Ceuta | |
und Melilla sowie der Kanarischen Inseln zogen, unterschrieb Touré nach dem | |
Mittagessen zwei Abkommen. Das erste bescherte Mali bis Ende 2011 103 | |
Millionen Euro Entwicklungshilfe. Mit dem zweiten gelobte Touré „effektive | |
Zusammenarbeit“ bei der Grenzkontrolle – und keine Schwierigkeiten zu | |
machen, wenn Spanien Malier abschieben will. | |
## EU-weit harmonisierte Erpressung | |
So kaufte Spaniens Regierung seinerzeit halb Westafrika ein. Mit Erfolg: In | |
den Jahren danach kamen kaum noch afrikanische Flüchtlinge auf den Kanaren | |
an. Andere Länder guckten sich das ab. Die Niederlande strichen Ghana 2007 | |
rund 10 Millionen Euro Entwicklungshilfe, weil die Regierung Abzuschiebende | |
nicht zurücknehmen wollte. | |
Das waren nur punktuelle Maßnahmen. 2010 aber gründete die EU ihren | |
„Auswärtigen Dienst“ (EAD). Sie eröffnete Vertretung um Vertretung, selbst | |
in der abgeschotteten Diktatur Eritrea, das Hauptherkunftsland | |
afrikanischer Flüchtlinge in Europa. Die selbstbewusste Außenbeauftragte | |
Federica Mogherini, die aus dem von der Migration aus Afrika am stärksten | |
betroffenen Italien kommt, will Außenpolitik machen, als sei die EU selbst | |
ein Staat. Migrationskontrolle ist dabei eines der wichtigsten Ziele. | |
Seit Monaten verhandelt die EU mit Hochdruck über „Compacts“ genannte | |
„maßgeschneiderte“ Länderpakete – bislang mit Libanon, Jordanien sowie … | |
„Prioritätsstaaten“ in Afrika: Senegal, Mali, Nigeria, Niger und Äthiopie… | |
Was da genau passiert, ist unklar. So wurde am 11. Dezember gemeldet, dass | |
der niederländische Außenminister Bert Koenders im EU-Auftrag und sein | |
Amtskollege Abdoulaye Diop aus Mali ein Rücknahmeabkommen für abgelehnte | |
malische Asylbewerber unterzeichnet hätten. Mali wäre der erste Staat auf | |
dem afrikanischen Festland, der sich auf einen solchen Vertrag mit der EU | |
einlässt – bisher gibt es nur eines mit Kap Verde. | |
Malis Außenminister Diop dementierte umgehend: es sei kein | |
Rücknahmeabkommen unterzeichnet worden, entsprechende Meldungen seien | |
„Lüge“. Es seien lediglich im Rahmen des Migrationsdialoges mit der EU neun | |
Projekte im Umfang von 145 Millionen Euro für Mali vereinbart worden. Der | |
Dialog werde im kommenden September fortgesetzt. Bereits im Februar hatte | |
der Auswärtige Dienst der EU in einem als „geheim“ eingestuften | |
Strategiepapier zu Mali notiert: „Die Regierung ist gegen | |
Rücknahmeabkommen.“ | |
## Gespräche „mit Preisschild“ | |
Verhandlungen über weitere Abkommen laufen mit Nigeria und Tunesien sowie | |
Äthiopien, Niger und Senegal. Ob noch zusätzliche Länder dazukommen und zu | |
welchen Bedingungen, ist umstritten. Laut einem internen Papier der | |
deutschen Bundesregierung im Vorlauf des EU-Gipfels dieser Woche, das der | |
taz vorliegt, ist der Auswärtige Dienst der EU der Auffassung, „in jedem | |
Fall müsse die Aufnahme weiterer Partnerschaftsländer mit der | |
Zurverfügungstellung zusätzlicher Finanzmittel einhergehen“. Aber Berlin | |
sei da skeptisch: Eine „zwingende Verknüpfung“ dieser Art halte man für �… | |
weitgehend“; man solle „Verhandlungen mit Drittstaaten“ nicht von | |
vornherein „mit Preisschild versehen“. | |
Erst mal geht es darum, was die EU von den afrikanischen Staaten will. In | |
einem Strategiepapier vom März 2016 zu Äthiopien verlangt die EU, dass die | |
Regierung in Addis Abeba die „Sekundärbewegung aus Flüchtlingslagern in | |
Äthiopien in Richtung Europa“ drückt. Nigeria, bislang Hauptumschlagplatz | |
für Passfälscher, soll stärker gegen Schlepper und Dokumentenfälscher | |
vorgehen und die stockende Einführung biometrischer Ausweise vorantreiben, | |
so ein Kommissionspapier vom Februar 2016. | |
Als Nigerias Präsident Muhammadu Buhari im Oktober 2016 nach Berlin kam, | |
betonte Bundeskanzlerin Merkel: „Wer kein Aufenthaltsrecht in Deutschland | |
hat – das sind 92 Prozent der Menschen aus Nigeria, die zu uns kommen –, | |
muss wieder zurückkehren.“ | |
Abschiebungen sind immer das wichtigste Thema. Aus europäischer Sicht | |
geschehen sie viel zu selten. 470.000 Menschen wurden 2014 aus der EU | |
ausgewiesen – aber abgeschoben wurden im selben Zeitraum nur 169.000; | |
neuere Gesamtzahlen liegen nicht vor. | |
## An Parlamenten vorbei | |
Der Grund für die große Differenz: Meist fehlt ein Reisepass. Fehlende | |
Dokumente seien „nach wie vor das quantitativ bedeutendste Problem“ bei | |
Abschiebungen, heißt es in einer Evaluation der Bund-Länder-AG | |
Rückführungen. Dann müssen Ausländerbehörden die Staatsangehörigkeit | |
ermitteln und bei der Botschaft einen Pass besorgen. Aber die Botschaften | |
spielen oft nicht mit. | |
Die bisherigen bilateralen Rücknahmeabkommen mit einigen afrikanischen | |
Ländern haben da nicht viel gebracht. Die neuen Verträge sollen das ändern. | |
Damit das in Menschenrechtsfragen etwas sensiblere EU-Parlament nicht | |
dazwischenfunkt, will die EU am liebsten informelle Vereinbarungen, denen | |
das Parlament nicht zustimmen muss. | |
Schon von den 60 Abkommen zu Abschiebefragen, die Deutschland, | |
Großbritannien, Italien, Frankreich und Spanien mit afrikanischen Ländern | |
abgeschlossen haben, sind nur acht formale Rücknahmeabkommen. Beim Rest | |
handelt es sich um undurchsichtige Absprachen, oft zwischen | |
Polizeibehörden, etwa Italiens nicht einmal dem eigenen Parlament | |
offengelegte „Memoranden“ mit Senegal, der Elfenbeinküste, Nigeria oder | |
Niger. | |
Eine Allzweckwaffe will die EU in die Compacts hineinverhandeln: die | |
sogenannten Laissez-Passers. Die „Passierscheine“ sind Reisedokumente, | |
gültig nur für eine Abschiebung. Der Clou: Nicht die Botschaft des | |
mutmaßlichen Herkunftslandes stellt ihn aus, sondern der EU-Staat, der | |
abschieben will. Als „Empfehlung“ kennt die EU die Laissez-Passers seit | |
1994, aber bislang hat kaum ein afrikanisches Land sie regulär anerkannt. | |
Das will die Kommission jetzt erzwingen. Sie fordert damit von den | |
afrikanischen Ländern einen Verzicht auf die Prüfung der Staatsbürgerschaft | |
– und somit die Aufgabe eines Teils staatlicher Souveränität. | |
Für die Partnerstaaten ist das nicht ohne Risiko. Leicht können abgelehnte | |
Flüchtlinge irgendwo in Europa zu Bürgern eines Landes erklärt werden, das | |
solche Papiere akzeptiert – egal wo die Leute wirklich herkommen. Ende | |
Oktober beschloss das EU-Parlament per Verordnung die verbindliche | |
Einführung der Laissez-Passers. Am 8. April 2017 tritt diese in Kraft. | |
## Kontrolle statt Schließung | |
Die Frage, welche Menschen wo hingehören, wird damit heikel. Innerhalb | |
weiter Teile Afrikas sind Reisen zwischen Nachbarländern bislang | |
vergleichsweise einfach, die „afrikanische Integration“ ist erklärtes Ziel | |
aller afrikanischen Regierungen und Regionalorganisationen. Offiziell wird | |
das von Europa unterstützt. Aber die Politik Europas bewirkt das Gegenteil. | |
Es entsteht nun ein immer dichteres Netz von Kontrollmechanismen, die die | |
Bewegungsfreiheit schleichend einschränken. | |
Bei der EU-Kommission heißt es, sie wolle keinesfalls die inneren Grenzen | |
Afrika schließen. Diese sollen nur besser kontrolliert werden. Wer sich | |
ausweisen könne, werde weiter durchgelassen. Doch das ist nur die halbe | |
Wahrheit. | |
Eine wichtige Transsahararoute verläuft durch den Nordosten Malis. An der | |
Grenze zu Niger herrscht Freizügigkeit für Westafrikaner. Doch Nigers | |
Polizei am Grenzposten in Yassan weist neuerdings immer mehr Reisende ab. | |
„Dies betrifft malische Staatsbürger und in noch deutlich schärferem Ausmaß | |
Personen aus anderen Ländern Westafrikas“, sagt Éric Alain Kamden, seit | |
2009 für Caritas vor Ort. Für Personen aus Staaten wie Ghana, Sierra Leone | |
oder der Elfenbeinküste, von denen angenommen wird, sie seien unterwegs | |
nach Europa, gibt es laut eines Kommissars in Yassan die Dienstanweisung, | |
sie gar nicht mehr durchzulassen. Von anderen Grenzen der Region ist | |
ähnliches zu hören. Die traditionelle, für Westafrika so wichtige Migration | |
wird erschwert. | |
## Keinen falschen Eindruck wecken | |
Wie könnte ein wohlgeordneter Migrationskorridor von Westafrika nach Europa | |
aussehen? 2008 hat der damalige EU-Entwicklungskommissar Louis Michel es | |
versucht. Er eröffnete ein „EU-Jobcenter“ in Malis Hauptstadt Bamako. | |
Arbeitssuchende Malier sollten sich dort direkt auf freie Stellen in Europa | |
bewerben können, im Erfolgsfall winkte ein Visum. Das Projekt scheiterte | |
grandios: Die EU selbst durfte keine Arbeitsvisa erteilen – und die | |
Mitgliedsstaaten wollten nicht. | |
Daran hat sich bis heute nichts geändert. In allen Papieren zur neuen | |
Afrika-Partnerschaft ist zwar die Rede von der „Schaffung legaler Wege“. | |
Doch die fallen in den Compacts äußerst mickrig aus. Von „mehr Plätzen für | |
Studenten, Forscher und Dozenten“ im Stipendienprogramm „Erasmus+“ ist in | |
den Entwürfen die Rede. Mehr nicht. Der Rat will unbedingt alles vermeiden, | |
was den Eindruck erweckt, mehr Zuwanderung sei willkommen. Wer in Europa | |
arbeiten will, muss auch in Zukunft meist den lebensgefährlichen Weg über | |
das Meer nehmen und sich danach als Asylsuchender ausgeben. | |
Sofern er überhaupt so weit kommt. Der einfachste Weg, Flüchtlinge und | |
Migranten noch in Afrika aufzuhalten, ist, sie einzusperren. Das Genfer | |
Global Detention Project zählt aktuell in Libyen 33 | |
Internierungseinrichtungen für Migranten, in Marokko 16, in Senegal fünf, | |
in Tunesien zwei, in Mauretanien eines – letzteres von Spanien errichtet. | |
## Folter und Zwangsarbeit | |
In vielen Lagern Libyens herrsche „schwere Überfüllung, Mangel an Licht und | |
an Frischluft“, heißt es in einem Mitte Dezember veröffentlichen | |
gemeinsamen Untersuchungsbericht der UN-Menschenrechtskommission und der | |
UN-Mission in Libyen. Oft gebe es keinerlei sanitäre Einrichtungen. | |
Durchfall und Atemwegserkrankungen seien verbreitet, es mangele an Wasser, | |
Nahrung und medizinischer Versorgung. | |
„Wir schwarzen Afrikaner werden Tiere genannt und auch so behandelt“, | |
erzählte den UN-Ermittlern ein 16-jähriger Eritreer, der im Sommer 2016 | |
sechs Wochen lang mit rund 200 anderen Migranten in einem fensterlosen | |
Metallhangar in der libyschen Hauptstadt Tripoli saß. Andere erzählten von | |
Folter, Zwangsarbeit und sexuellen Übergriffen. | |
Lösegeldforderungen steigen stetig an, berichtet Meron Estefanos, | |
Direktorin der Eritreischen Initiative für Flüchtlingsrechte (ERRI), eine | |
Exil-NGO in Schweden. Bis zu 15.000 Dollar verlangen die Entführer pro | |
Person von deren Familien, bezahlt wird per mobilem Geldtransfer. | |
Die Praxis der Internierung stammt aus der Zeit des Deals zwischen | |
Berlusconi und Gaddafi. Nach dessen Sturz 2011 übernahmen Milizen die | |
Knäste. Laut dem UN-Bericht unterhält die zuständige Abteilung des | |
libyschen Innenministeriums derzeit 24 Internierungszentren mit 4.000 bis | |
7.000 Insassen. Es gebe weitere Lager anderer Behörden und Milizen. Nach | |
Schätzung der EU sind sogar sieben Prozent der über eine Millionen | |
Migranten und Flüchtlinge in Libyen in Lagern eingesperrt – das wären rund | |
77.000 Personen. Die EU eruiert derzeit, welches Lager nach EU-Standards | |
umgebaut werden kann. | |
## Horror im Migrantenknast | |
Ägypten, das Deutschland als Prioritätsland für eine | |
EU-Migrationspartnerschaft ins Spiel gebracht hat, betreibt gar 64 | |
Migrantenknäste – und ist zugleich Partner des Projektes „Better Migration | |
Management“ der deutschen Entwicklungsagentur GIZ (Gesellschaft für | |
Internationale Zusammenarbeit). Das Projekt soll Grenzpolizeien für eine | |
„menschenrechtsgerechte Praxis“ beraten. Auf Ägypten einwirken, damit das | |
Militär dort seine Flüchtlingsknäste schließt, könne die GIZ aber nicht, | |
heißt es. | |
Stolz berichtet die GIZ allerdings, wie sie dem wegen mutmaßlichen | |
Völkermordes in Sudans Westregion Darfur international per Haftbefehl | |
gesuchten sudanesischen Präsidenten Omar Hassan al-Bashir den Wunsch nach | |
Bau von Internierungszellen und Militärgerät abschlug. Ansonsten aber ist | |
die EU zur Kooperation mit Bashir entschlossen. Sie erwägt für Sudan die | |
Erlassung aller Schulden, will sich bei den USA für die Streichung des | |
Landes von der US-Terrorliste einsetzen und bei der Welthandelsorganisation | |
für neue Gespräche. | |
Sudan ist nicht die einzige Diktatur, mit der die EU sich zum Zweck der | |
Migrationsabwehr einlässt. Äthiopien, wo seit einem Jahr Hunderte von | |
Menschen beim Niederschlagen von Protesten getötet worden sind, konnte sich | |
in der ersten, gerade beendeten Vergaberunde des EU-Treuhandfonds über | |
Projekte in Höhe von 110 Millionen Euro freuen. | |
Eritrea, eine der schlimmsten Diktaturen der Welt, ist zwar anders als | |
Äthiopien kein Partner der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Vom | |
„Better Migration Management“-Programm profitiert es wohl trotzdem: Die | |
Ausbildung eritreischer Beamter komme zwar nicht im eigenen Land in Frage, | |
heißt es bei der GIZ, aber in Nachbarstaaten. Der EU-Delegationschef in | |
Asmara, Christian Manahl, sagt der taz, auch Ausbildung in Eritrea selbst | |
sei in Zukunft nicht ausgeschlossen. | |
15 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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