# taz.de -- Debatte Rücknahme von Asylbewerbern: Stabilität mit der Peitsche | |
> Entwicklungsminister Müller warnt die SPD – Gabriel und Maas ergehen sich | |
> geradezu in Bestrafungsfantasien für die Maghreb-Staaten. Was ist da los? | |
Bild: Ein Teilnehmer der Demonstration in Tunis am 8. Januar 2017 | |
Die Große Koalition streitet mal wieder. Dieses Mal geht es um Nordafrika. | |
Die beiden SPD-Minister Heiko Maas – Justiz – und Sigmar Gabriel – | |
Wirtschaft und Energie – wollen die Maghrebstaaten, wenn nötig, finanziell | |
zwingen, Abschiebekandidaten zurückzunehmen. | |
„Den Entzug von Fördergeldern sollten wir nicht ausschließen“, wenn Länd… | |
wie Tunesien, Marokko oder Algerien die Zusammenarbeit ablehnen, erklärt | |
Maas. „Wer nicht kooperiert, kann nicht auf Entwicklungshilfe hoffen“, sagt | |
auch SPD-Chef und Vizekanzler Gabriel. | |
Beide haben nur eines übersehen. Der Mann, in dessen Ressort die | |
Entwicklungspolitik fällt, der CDU-Minister Gerd Müller, sieht dies | |
grundlegend anders. Die Streichung der Gelder mache keine Sinn, denn | |
„deutsche Entwicklungspolitik ist kein Geschenk an arme Länder“, sagte er | |
am Dienstag in einem ausführlichen Interview im [1][Deutschlandfunk]. Es | |
gehe vielmehr um „eine Transformationspartnerschaft“. „Das ist nicht | |
zielführend, wenn wir jetzt aus den Ausbildungsprogrammen in den | |
Maghreb-Staaten herausgehen, wenn wir die Länder destabilisieren“, warnt | |
der Konservative seine sozialdemokratischen Kabinettskollegen. Er werde, so | |
kann man Müller jedenfalls verstehen, im Kabinett gegen Maas und Gabriel | |
stimmen und stünde damit nicht allein. | |
Maas und Gabriel machen es sich tatsächlich einfach. Vor dem Hintergrund | |
des Berliner Anschlags, ausgeführt von einem Tunesier, schauen sie dorthin, | |
wo am leichtesten politisch Stimmung zu machen ist, nach Nordafrika. Doch | |
sprechen die Zahlen der Bundesregierung, die Justizminister Maas nur zu gut | |
kennen dürfte, eine andere Sprache. 52.000 Einwanderer warten auf ihre | |
Abschiebung. Aus Tunesien kommen davon gerade einmal 457. Marokkaner und | |
Algerier sind ebenfalls nur wenig vertreten. Der größte Teil der | |
Abschiebekandidaten stammt aus den Balkanländern. | |
## Streichung der Entwicklungshilfe | |
Müller hat recht. Nur wer die Maghreb-Staaten stabilisiert, bannt mittel- | |
und langfristig die Gefahr neuen Terrors in Europa. Ganz oben auf der Liste | |
derer, die Unterstützung brauchen, steht Tunesien. 2011 jagte die dortige | |
Jugend den langjährigen Diktator Ben Ali davon. Es war der Startschuss zum | |
Arabischen Frühling. Tunesien ist heute das einzige arabische Land, das | |
tatsächlich den Weg zur modernen Demokratie beschreitet. Leicht ist das | |
nicht. Denn der Terror bedroht Tunesien. | |
Mehrere Anschläge haben den wichtigsten Wirtschaftssektor, den Tourismus, | |
schwer getroffen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Viele Jugendliche haben | |
keine Perspektive. Das führt bei so manchem zur Radikalisierung. Je nach | |
Quelle haben sich zwischen 3.000 und 7.000 Tunesier dem „Islamischen Staat“ | |
oder al-Qaida in Syrien, im Irak, in Mali oder im Nachbarland Libyen | |
angeschlossen. 800 sind – so das tunesische Innenministerium – zurück und | |
stellen eine Bedrohung für die Sicherheit dar. | |
Tunesien braucht starke Partner, um das Land – das in der arabischen Welt | |
Vorbildcharakter hat – aufzubauen. Streichung der Entwicklungshilfe ist da | |
der falsche Weg. Am vergangenen Sonntag gingen Tausende in der Hauptstadt | |
Tunis auf die Straße, um zu fordern, dass tunesische Dschihadisten nicht in | |
ihre Heimat zurückkommen können. Auf einem Transparent stand in holprigem | |
Deutsch zu lesen: „Angela Merkel – Tunesien ist nicht die abfall von | |
Deutschland“. | |
Auf den ersten Blick ist dies eine seltsame Forderung. Auf den zweiten | |
nicht mehr ganz so. Denn weder der Attentäter in Berlin noch der in Nizza | |
haben sich in Tunesien radikalisiert. So verließ der Berliner Terrorist | |
Amri Tunesien in der Hoffnung auf ein besseres Leben auf der anderen Seite | |
des Mittelmeers; doch fand er es nicht. Als Kleinkrimineller kam er in | |
Europa in den Knast und radikalisierte sich dort. | |
Laut Umfragen träumen 45 Prozent der jungen Tunesier davon, auszuwandern. | |
In Marokko und Algerien sieht es nicht anders aus. Da ist die Streichung | |
von Entwicklungsgeldern und damit von Ausbildungsprogrammen sicher nicht | |
die richtige Lösung, weder für uns in Europa noch für den Maghreb. | |
11 Jan 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.deutschlandfunk.de/maghreb-staaten-und-fluechtlingspolitik-wir-k… | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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