| # taz.de -- EU-Afrika-Gipfel: Geld bieten und Übel androhen | |
| > Seit 2015 versucht die EU, afrikanische Staaten zu Ko-Grenzschützern zu | |
| > machen. Sich weigernde Länder werden massiv unter Druck gesetzt. | |
| Bild: Agadez, Niger: ein Sammelpunkt für jene, die es nicht nach Europa gescha… | |
| Valletta taz | Wenn sich heute und morgen Vertreter von Europäischer und | |
| Afrikanischer Union auf Malta treffen, dann bleiben die Diplomaten unter | |
| sich. Es habe „einige Änderungen“ gegeben, teilte die maltesische | |
| EU-Ratspräsidentschaft allen akkreditierten Journalisten am Dienstag mit: | |
| Die Presse sei nun von dem Gipfel ausgeschlossen. Eine Begründung gab es | |
| nicht. | |
| Es dürfte ungemütlich werden zwischen der EU, die sich mit der | |
| Flüchtlingskrise plagt, und den Staaten Afrikas, deren Bevölkerung sich von | |
| der Migration vor allem ein besseres Leben verspricht. | |
| Wie schon sooft zuvor hatte der Ratsgipfel in Malta in der vergangenen | |
| Woche – ebenso wie das Außenministertreffen in Brüssel am Montag – vor | |
| allem ein Thema: Die Flüchtlingszahlen sollen sinken. Und die Staaten | |
| Afrikas sollen dafür sorgen, dass das geschieht. | |
| Seit Anfang Januar sind 9.360 Menschen über Libyen nach Europa gekommen – | |
| 50 Prozent mehr als im entsprechenden Vorjahreszeitraum. Ertrunken sind | |
| seit dem 1. Januar im zentralen und westlichen Mittelmeer mindestens 253 | |
| Menschen; 2,5-mal so viele wie im Vorjahreszeitraum. | |
| Die privaten Rettungsorganisationen vor Libyens Küste haben in den letzten | |
| Wochen fast täglich Einsätze gemeldet, bei denen sie teils Hunderte aus | |
| Seenot retten. Und das war, schlechtwetterbedingt, die Nebensaison für die | |
| Flüchtlingsboote. | |
| ## Angesichts erstarkender Rechtspopulisten | |
| Seit über einem Jahr versucht die EU, mehr als ein Dutzend afrikanische | |
| Länder als Co-Grenzschützer zu gewinnen. Im November 2015 hatte sie deshalb | |
| Minister und Präsidenten vieler Staaten Afrikas schon einmal nach Malta | |
| geladen. Die EU versprach ihnen 1,8 Milliarden Euro, bereitgestellt in | |
| einem „Nothilfefonds für Afrika“, wobei die Not eher auf europäischer Sei… | |
| lag: Angesichts erstarkender Rechtspopulisten wollte die EU schon damals | |
| die Staaten Afrikas auf verbindliche Zusagen festnageln, die Flüchtlinge | |
| und Migranten zu stoppen. | |
| Doch solche Zusagen gab es nicht; nur einen wachsweichen „Gemeinsamen | |
| Aktionsplan“. Mit dem Scheckbuch sind Brüsseler Diplomaten seither durch | |
| Afrikas Hauptstädte gereist. Über 2,5 Milliarden hat die EU als | |
| Motivationshilfe aus dem zwischenzeitlich aufgestockten „Nothilfefonds“ | |
| verteilt, die letzte Tranche Ende Dezember. | |
| Die eigentlich für Entwicklungszusammenarbeit gesperrte Diktatur Eritrea | |
| zum Beispiel wurde mit 85 Millionen bedacht, Senegal konnte sich über 160 | |
| Millionen Euro freuen. Zusätzlich gab die EU 300 Millionen aus anderen | |
| Töpfen für Sudan und Libyen frei, außerdem über eine halbe Milliarde Euro | |
| als eine Art Bonus-Entwicklungshilfe für Staaten wie Niger. | |
| Im Aufbau, wenn auch noch stockend, ist die mit sechs Milliarden Euro | |
| dotierte „Africa Investment Facility“, eine Art Investitionsversicherung, | |
| mit der die EU sagenhafte 62 Milliarden Euro Privatkapital nach Afrika | |
| lotsen will. | |
| Staaten, die sich der Zusammenarbeit verweigern, wurde mit Hilfskürzungen | |
| und Handelsnachteilen gedroht. Die Reaktionen waren verhalten. | |
| Nur wenige Staaten – etwa Marokko und Senegal – kooperieren wie gewünscht | |
| und kontrollieren die Migrationskorridore. Zu diesen Ländern zählt auch | |
| Niger. | |
| ## Kann die EU so ihr Ziel erreichen? | |
| 20 deutsche Bundespolizisten sollen jetzt vor Ort nigrische Grenzer | |
| ausbilden. Die Regierung in Niamey erhöhte das Strafmaß für Schlepper auf | |
| 30 Jahre Haft. Eine Folge: Die Schlepper machen aus Angst vor Entdeckung | |
| nun einen weiten Bogen um die wenigen Wasserstellen. Die nächsten | |
| Todesopfer durch Wassermangel sind wohl nur eine Frage der Zeit. | |
| Kann die EU so ihr Ziel erreichen? „Konkret messbare Ergebnisse“, wie der | |
| EU-Rat sie von den afrikanischen Partnerstaaten verlangt, gibt es nicht. Im | |
| November verkündete die EU-Kommission, dass die Zahl der Flüchtlinge, die | |
| durch Niger nach Libyen gelangen, von 70.000 im Mai 2016 auf nur 1.500 im | |
| November gefallen sei. 102 Schlepper seien verhaftet und 95 ihrer Fahrzeuge | |
| beschlagnahmt worden. Kurz darauf korrigierte die IOM, auf deren Zählung | |
| die Meldung zurückging: Es seien 11.500, nicht 1.500 Menschen gezählt | |
| worden – ein im Vergleich zu anderen Jahren eher hoher November-Wert. | |
| Keine einzige Regierung hat bisher ein Rücknahmeabkommen unterschrieben, | |
| das die EU so dringend fordert. Manche fürchten für diesen Fall Proteste | |
| der Bevölkerung. Eine regelrechte Bruchlandung erlitt die EU-Diplomatie aus | |
| diesem Grund kürzlich in Mali. Die Regierung in Bamako, geködert mit | |
| mehreren hundert Millionen Euro und durch EU-Militärmissionen – an denen | |
| auch die Bundeswehr beteiligt ist – relativ eng mit der EU verbunden, | |
| unterschrieb Mitte Dezember ein Abkommen. | |
| Der EU-Verhandlungsführer, Niederlands Außenminister Bert Koenders, nannte | |
| dies ein „Rücknahmeabkommen“, was einen wichtigen, symbolischen Durchbruch | |
| für die EU in Afrika bedeutet hätte. Doch Koenders' malischer Kollege | |
| Abdoulaye Diop dementierte wütend: Es handele sich keineswegs ein | |
| Rücknahmeabkommen. | |
| ## Wahlen in Europa stehen bevor | |
| Kurz darauf schickte Mali gar zwei aus Frankreich abgeschobene Männer wegen | |
| fehlender Papiere postwendend wieder nach Paris zurück – ein offener | |
| Affront gegenüber der einstigen Kolonialmacht. | |
| Nicht alle Staaten müssen auf ihre Bevölkerung Rücksicht nehmen wie Mali. | |
| Die meisten, unter ihnen Niger oder Sudan, dürften darauf spekulieren, dass | |
| für sie im Geschacher um den Flüchtlingsstopp deutlich mehr drin ist. Der | |
| türkische Präsident Erdogan und der einstige Machthaber Libyens, Muammar | |
| al-Gaddaffi haben es vorgemacht: Sie trotzten der EU Milliarden für | |
| Flüchtlingsdeals ab – für sie ganz allein. | |
| Tatsächlich steht die EU unter Druck. Wahlen in den Niederlanden, | |
| Frankreich und Deutschland stehen an. Wie weit die EU zu gehen bereit ist, | |
| zeigte sich in den letzten Tagen: Da fielen alle bisherigen Hemmungen, | |
| Flüchtlinge sogar nach Libyen zurückzuschicken – den Failed State | |
| schlechthin. | |
| ## Offiziell äußert sich die Afrikanische Union nicht | |
| Bis Donnerstag treffen sich auf Malta nun wieder EU und Afrikanische Union, | |
| auch die gesamte Frontex-Führungsspitze ist vor Ort. | |
| Offiziell geht es bei dem Treffen um die Umsetzung eines „Gemeinsamen | |
| Aktionsplans“ vom 2015. Aber Gemeinsamkeiten gibt es wenige. Bei einem | |
| Treffen mit NGOs Ende Januar in Brüssel ließ die Afrikanische Union | |
| durchblicken, dass sie unzufrieden mit dem Vorgehen der EU ist. Diese tue | |
| alles, um die Freizügigkeit innerhalb Afrikas einzuschränken. | |
| Offiziell äußert die AU sich nicht. Als einer der wenigen Beobachter ist | |
| Samir Abi von der NGO Observatoire Migration in Valletta als Beobachter | |
| zugelassen. „Die EU achtet die Grundrechte von uns Afrikanern nicht“, sagt | |
| er. „Mit dem Geld will sie unsere Regierungen erpressen.“ | |
| Die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica | |
| Mogherini, hat die Migrationskontrolle zu einer ihrer Hauptaufgaben | |
| gemacht. Ihr Schatten-Außenministerium, der Europäische Auswärtige Dienst, | |
| verhandelt seit nunmehr 15 Monaten mit den Staaten Afrikas über Abkommen | |
| zum Flüchtlingsstopp. Italien hat das zu lange gedauert. Das Land hat an | |
| letzten Donnerstag kurzerhand ein eigenes Abkommen mit Libyen | |
| abgeschlossen. | |
| Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass die EU den Afrikanern nun noch | |
| mehr Geld bietet – und noch mehr Übel androht, falls sie sich renitent | |
| zeigen. | |
| NaN NaN | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| EU-Afrika-Gipfel | |
| Europäische Union | |
| Grenzschutz | |
| Geflüchtete | |
| Mali | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Frontex | |
| Libyen | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Schwerpunkt Frankreich | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| migControl | |
| migControl | |
| migControl | |
| migControl | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Geflüchtete stranden in Mali: Der Weg ist versperrt | |
| Der Bundeswehrstandort Gao in Mali gilt als Drehkreuz für afrikanische | |
| Migranten und Flüchtlinge. Für viele wird er zur Sackgasse. | |
| Friedenskonferenz in Mali: Kein gutes Omen | |
| In Mali sollen 300 Teilnehmer über den Frieden reden. Doch die | |
| Tuareg-Gruppen wollen fernbleiben. Sie sind für die Stabilität im Norden | |
| unverzichtbar. | |
| Sichtung von Flüchtlingsbooten: Eine Drohne, die Leben rettet | |
| Hacker vom Chaos Computer Club bauen für Sea-Watch eine Drohne. Sie soll | |
| Flüchtlingsboote sichten, aber auch Verstöße von Küstenwachen | |
| dokumentieren. | |
| Europäische Flüchtlingspolitik: Frontex kritisiert Hilfsorganisationen | |
| Rettungseinsätze von NGOs würden Schleppergeschäften helfen, sagte der | |
| Frontex-Chef. EU-Parlamentspräsident Tajani plädiert derweil für | |
| Auffanglager in Libyen. | |
| Bootsunglück an der libyschen Küste: Dutzende Tote angespült | |
| Die Leichen von 74 Flüchtlingen sind an der libyschen Mittelmeerküste | |
| gefunden worden. Wahrscheinlich sind noch mehr Menschen ertrunken. | |
| EU-Afrika-Gipfel: „Schlechtes Vorbild“ | |
| Afrikanische Staaten fühlen sich von der EU in der Fluchtursachenbekämpfung | |
| übergangen. Ostafrika bringt neun Millionen Flüchtlinge unter. | |
| Prozess um Flüchtlingshilfe: Mildes Urteil für französischen Bauern | |
| An der Grenze zwischen Italien und Frankreich fängt die französische | |
| Polizei Migranten ab. Anwohner helfen den Flüchtendenden – und bekommen | |
| deshalb selbst Ärger. | |
| Bund-Länder-Treffen: Neue deutsche Härte | |
| Die Bundeskanzlerin will eine schnellere Abschiebung von Migranten. Am | |
| Donnerstag trifft sie die Länderchefs. Dort herrscht teils Skepsis. | |
| Kommentar EU-Afrika-Gipfel: Schauspiel für Rechtspopulisten | |
| Mit viel Geld und Druck versucht die EU, Menschen von ihren Grenzen | |
| fernzuhalten. Die Folgen sind schon klar: mehr Tote, mehr Internierung. | |
| EU-Gipfel zu Flüchtlingen: Mauer fürs Mittelmeer | |
| Die EU-Staatschefs beraten über Wege, Flüchtlinge schon in Afrika | |
| abzuwehren. Legale Alternativen stehen nicht auf der Agenda. | |
| Zwangsrückführung ohne gültige Papiere: Die Zukunft der Abschiebungen | |
| Beliebige Papiere nach Bedarf: Immer öfter schiebt die EU | |
| Ausreiseverpflichtete aus Afrika in ein anderes als ihr Herkunftsland ab. | |
| Europäische Migrationspolitik in Afrika: Stillgestanden, Flüchtling! Kehrt um! | |
| Europa will mit mehr Hilfe in Afrika „Fluchtursachen bekämpfen“. Ein | |
| zynisches Spiel: Es wird bezahlt, wenn Menschen festgehalten werden. | |
| Geschichte europäischer Migrationspolitik: Vom Zuckerbrot zur Peitsche | |
| Um Migrationsbewegungen abzuwehren, benutzt die EU afrikanische Staaten – | |
| unter Missachtung internationaler Verträge und der europäischen Grundwerte. | |
| Debatte EU-Migrationspolitik im Maghreb: Mafiöse Logik | |
| Die EU wird mit ihrer Migrationspolitik nur mehr Elend erzeugen. Solange | |
| Ausbeutung besteht, werden Menschen versuchen nach Europa zu gelangen. |