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# taz.de -- Sichtung von Flüchtlingsbooten: Eine Drohne, die Leben rettet
> Hacker vom Chaos Computer Club bauen für Sea-Watch eine Drohne. Sie soll
> Flüchtlingsboote sichten, aber auch Verstöße von Küstenwachen
> dokumentieren.
Bild: Die SearchWing, eine Drohne mit Kamera, mit der Flüchtlinge in Seenot ge…
Erst geht es raus aus Berlin über die Autobahn, bald nach der Abfahrt wird
es holprig, der Weg zur Werkstatt wird matschig, führt an frisch
gestrichenen Datschen und einem See vorbei durch den Wald. Zuletzt geht es
durch ein Tor in einem Zaun. Dahinter stehen Mercedes-Busse und Bauwagen.
Aus den Ofenrohren steigt Rauch.
Benthor und Steini heißen die zwei, die den Weg zu einer Hütte weisen. Drin
brennt ein schwarzer Ofen und wärmt den voll gestellten Raum. Auf dem Tisch
ein Teller mit Schmalzstullen neben Kabeln, Akkus, Schraubenziehern, Think
Pad, Gafferband. Was wird hier gebaut?
In der Mitte des Tischs liegt ein Flugzeugmodell aus Styropor.
Flügelspannweite ein Meter. Benthor, Steini und noch ein paar andere
basteln seit Monaten an einem autonomen Flugobjekt, einer Drohne. Und die
soll mehr können als jene Drohnen, die man im Geschäft kaufen kann. Sie
soll Leben retten. Leben von Menschen, die sich in nicht meerestauglichen
Schlauchbooten dicht gedrängt über das Mittelmeer in eine bessere Welt
retten wollen.
Um diesen Auftrag zu erfüllen, muss die Drohne lange Strecken fliegen
können mit Akkus, die länger laufen. Die Drohne muss Bilder aufnehmen und
auch übertragen, sie muss von Laien gesteuert werden können, und bei alldem
muss sie günstig sein, um auch mal verloren gehen zu können. Ein solches
Flugobjekt ist für Hilfsorganisationen bisher unbezahlbar. SearchWing heißt
das Projekt, das dies nun ändern soll. Die fertige Drohne soll irgendwann
kaum mehr als 500 Euro kosten.
## „Wissen befreien“
Deshalb sitzen die Leute in der Hütte und verbinden bestehende Technologien
und Hardware. Sie müssen nichts neu erfinden, aber kreativ mit dem
Vorhandenen umgehen. Alle Erkenntnisse sollen öffentlich gemacht werden.
Und das ist nicht unbrisant. „Wissen befreien“ nennt Steini das.
97 Kilometer ist das auf dem Tisch liegende Flugzeug schon am Stück
geflogen. „Wir sind nicht die Einzigen, die das geschafft haben, aber das
ist schon krass.“ Vier „X“ haben sie mit schwarzem Marker auf das Ruder
gemalt. Für jeden Absturz eines. Benthor erklärt gerade, was „eigenstabile
Flugzeuge“ sind, holt aus, noch weiter, noch weiter, bis er sagt: „um auf
die eigentliche Frage zurückzukommen“. Aber nur er scheint noch zu wissen,
welche Frage das eigentlich war.
Benthor, Anfang 30, trägt eine randlose Brille, grüne Haare gucken unter
der Wollmütze hervor. Er sei Hacker, sagt er. Steini stellt sich ebenfalls
als Hacker vor. Und als Urgestein des CCC, des Chaos Computer Clubs. Seit
30 Jahren ist er dabei. Ist „so um die 50“ Jahre alt. Im vorletzten Jahr
hat er bei dem beliebten Kongress des Vereins einen Vortrag gehalten, bei
dem er gemütlich wie ein Erklärbär von Quantenphysik erzählt hat.
## Wenn Nerds reden
„Wir müssen noch einen Durchgang mit dem Loctide machen“, sagt Steini.
„Haben wir da schon einen Raspi drin?“, fragt Benthor. „Ad-hoc-Modus ist …
der Stelle am geilsten.“ Es ist immer schön und irritierend, Nerds Nerdisch
sprechen zu hören. Hinterher erklärt er, dass es sich dabei um eine
spezielle Art der Funkübertragung handelt.
Zusammengetan haben sich Steini und Benthor, weil beiden klar wurde: Man
muss doch was machen. Man muss doch was Gutes mit Drohnen machen, ohne Geld
damit zu verdienen. Und auf die Idee gebracht, wie sie am besten helfen
können, hat sie Ruben Neugebauer.
Ruben Neugebauer hatte auf dem Kongress des Chaos Computer Clubs in Hamburg
einen Vortrag gehalten. Der in Reutlingen geborene Fotograf und
Politaktivist, der mit dem Peng Kollektiv oder den Yes Men Kampagnen
entwickelte, rettet jetzt Geflohene. Er hat dafür extra den Flugschein
gemacht. Zusammen mit Harald Höppner, der die private Rettungsinitiative
Sea-Watch gründete, treibt sich der 27-Jährige am und auf dem Mittelmeer
herum. Er sagt Sätze wie: „Das ist eine menschengemachte Katastrophe.“ Er
nennt Zahlen wie 5.000. 5.000 Menschen seien im vergangenen Jahr an der
EU-Außengrenze gestorben, man müsse nun auch politischen Druck aufbauen.
So kam er irgendwann auf die Idee, Nerds ins Boot zu holen, und ist beim
CCC gelandet. Den politischen Druck braucht Sea-Watch auch deswegen, weil
es mit den zwei Schiffen und dem Ultraleichtflugzeug, die er und andere
Freiwillige mit Spendengeldern – im letzten Jahr etwa eine Million Euro –
einsetzen, auch Schwierigkeiten gibt.
Neugebauer erzählt von Übergriffen durch die libysche Küstenwache, von den
Überflugrechten, die Tunesien ihnen entzogen habe und die dazu führten,
dass sie ihr Ultraleichtflugzeug nicht mehr einsetzen könnten. Und dass der
Einsatz eines Flugzeugs mit ausreichend Reichweite, um von Malta aus
starten zu können, trotz ehrenamtlicher Piloten erheblich teurer wäre. „Es
wird klar, unsere Arbeit ist politisch nicht gewünscht“, sagt Neugebauer.
20.000 Menschen habe man bisher gerettet. Langer Applaus beim Vortrag in
Hamburg. Aber das ginge noch besser. Dann kommen Benthor und Steini auf die
Bühne. „Occupy Mars“ steht auf Benthors T-Shirt. Das Leichtflugzeug haben
sie dabei. Ein neues „X“ ist auf dem Ruder zu sehen. Die Drohne war bei
einem neuerlichen Testflug zerschellt. In Hamburg zeigen sie Bilder davon.
Durch ihren Vortrag hoffen sie auf Mitstreiter. Die beiden sprechen von
einem Rasberry Zero, vom 4-Watt-WiFi-Booster, der Probleme mit sich bringe,
und von den Kameras, die heute auf dem Markt sind, die alle nur WiFi
Interface hätten, und ob da jemand ein Modell kenne, das man remote
controllen könne. Man habe schon analoge Bilder über Funk übertragen, wolle
am Ende aber Videos digital übertragen. Es geht um „MAVLink“, „deep
learning“.
Ein weiteres Problem, das gelöst werden muss: Die Drohne soll auf einer
sich bewegenden Plattform, nämlich dem Schiff, landen können. Man überlege,
an Bord ein Netz zu spannen, dessen Mittelpunkt das Flugobjekt per GPS
übermittelt bekommt und in das es reinfliegen kann. Wer eine andere Idee
hat, solle sich melden, sagt Steini. Und als er einen weiteren „Milestone“
vorliest, nämlich die Lizenz für die SearchWing, die es verbieten soll,
ihre Ergebnisse kommerziell und militärisch zu nutzen, ertönt wieder lauter
und langer Applaus.
## Wenn Nerds kooperieren
Es gab viel Feedback nach dem Vortrag, erzählt Steini ein paar Tage später
am Telefon. Ein professioneller Drohnenhersteller will eines seiner
Produkte zur Verfügung stellen, Greenpeace hat sich gemeldet und eine
Kooperation erfragt. Es gab Tipps zu Akkus, die noch länger halten, es gab
Sachspenden wie Solarzellen, die mal jemand auf die Tragflächen seines
Flugobjekts geklebt hatte und die wohl eine noch längere Reichweite
versprechen.
Und sind auch konkrete Probleme gelöst worden? „Ja“, erzählt Steini. „Da
kamen Leute an und haben nach dem Bug, dem Fehler, gefragt, den die
Software der Ground Station hat. Innerhalb einer Nacht war das Script
fehlerfrei.“ Aber auch Bedenkenträger habe es gegeben. „Typische deutsche
Prinzipienreiter“ nennt er sie. Menschen, die auf die nötigen Genehmigungen
hinweisen. Es ist eben kein unumstrittenes Thema.
Ein paar Tage später ist Ruben Neugebauer am Telefon. Er ist
zuversichtlich, dass die SearchWing im März das erste Mal über dem
Mittelmeer zum Testflug starten kann. „Es wird zunehmend wichtiger, die
Situation wird unübersichtlicher.“ Man müsse die Push-Backs dokumentieren,
die man der libyschen Küstenwache, die übrigens von der EU ausgebildet
werde, vorwirft und die einem Völkerrechtsverstoß gleichkämen. „Ziviles
Auge“ nennt er das.
Und man muss vor allem priorisieren können. „Wir retten meist als Erstes
die Boote, die zuerst gesichtet werden. Vielleicht ist ein paar hundert
Meter weiter aber noch ein Schlauchboot, dem eher das Sinken droht.“ Erst
wenn man wisse, wie viele Boote sich gerade in Seenot befänden, können man
auch Druck auf die staatlichen Organisationen vor Ort aufbauen, Hilfe zu
schicken. Steini und Benthor lassen die SearchWing also weiterfliegen. So
lange, bis kein neues X mehr dazukommt.
12 Mar 2017
## AUTOREN
Laura Ewert
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Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Flucht
Drohnen
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Seenotrettung
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