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# taz.de -- Debatte EU-Migrationspolitik im Maghreb: Mafiöse Logik
> Die EU wird mit ihrer Migrationspolitik nur mehr Elend erzeugen. Solange
> Ausbeutung besteht, werden Menschen versuchen nach Europa zu gelangen.
Bild: Protest für Flüchtlingsrechte im spanischen Malaga
Die Lage könnte kaum paradoxer sein: einerseits spricht man auf
dramatisierte und übertriebene Weise von den zehntausenden subsaharischen
Migranten, die in Marokko leben und nur darauf warten würden, nach Europa
„vorzudringen“. Doch wenn es darum geht, die Verantwortung für die
Bootsunglücke zu übernehmen, die eine unmittelbare Konsequenz der
europäischen Migrationspolitik sind, spielt man oftmals die Zahlen herunter
und redet von einigen „Illegalen“, die ertrunken seien.
Die Zahlen, die im ersten Fall angegeben werden, sind oftmals Gegenstand
von Verhandlungen über Finanzhilfen oder politische und diplomatische
Dividenden. Sie werden in Europa von populistischen Medien publiziert, um
in der Bevölkerung Angst zu schüren und so die Implementierung einer
Migrationspolitik zu rechtfertigen, die ausschließlich dem
Sicherheitsdispositiv zuzuordnen ist. Aus diesem Grund ist es unbedingt
notwendig, die Zahlen, die in Bezug auf die so genannte irreguläre
Migration zirkulieren, kritisch zu betrachten und zu hinterfragen.
Die Europäische Union macht sich gerade daran, auf ihrem Territorium so
genannte Hot Spots und außerhalb der EU zahlreiche Lager zu errichten, die
einerseits dazu dienen sollen, diejenigen Migranten aufzuhalten, die sich
in Richtung Europa aufmachen wollen, und andererseits diejenigen
zurückzunehmen, die aus Europa abgeschoben wurden. Um diese Logik
abzusichern, erfindet die EU eine ganze Reihe neuer Begriffe, die ihre
Politik gegenüber der Öffentlichkeit absichern sollen. So hört man nun
immer wieder von so genannten „sicheren Drittländern“ oder „sicheren
Herkunftsländern“.
Juristen dürften sich gewundert haben, als sie plötzlich Länder wie die
Türkei, Marokko, Algerien und Tunesien auf der Liste sahen, die die
Europäische Union als sicher einstuft. So werden nicht mehr diejenigen
Länder als sichere Dritt- bzw. Herkunftsländer eingestuft, die die
elementaren Rechte und Freiheiten der Bürger garantieren, sondern schlicht
diejenigen, die es akzeptieren, sich in die Logik der Externalisierung der
EU-Grenzpolitik einzuschreiben. Das bedeutet, dass für die EU ein Land dann
als „sicher“ gilt, wenn sich deren politische Verantwortliche sowohl dazu
bereit erklären, Migranten auf ihrem Weg nach Europa zu stoppen, als auch
diejenigen Geflüchteten wieder zurückzunehmen, die als Transit-Migranten
durch ihr Land gereist sind.
## Schändlich und Skrupellos
Im Zuge dieser Migrationspolitik hat die EU Marokko als „sicheres
Drittland“ deklariert und diesem Land die Rolle des „Grenzgendarmen“ für
einen Teil ihrer Außengrenzen zugewiesen. Die Grundidee besteht darin, die
Verantwortung für das eigene Handeln abzugeben und den anderen die
„schmutzige Arbeit“ zu überlassen.
Für die Umsetzung dieser Politik gibt die EU Milliarden Euros aus und lockt
mit politischen und ökonomischen Dividenden als Anreize für die
entsprechenden Länder. Unterliegen die Unterzeichner dieser Verträge nicht
einer ebenso mafiösen Logik wie die Schlepper, die sie als schändlich und
skrupellos verurteilen?
Trotz der alarmierenden Menschenrechtssituation der subsaharischen
Migranten in Marokko, wird dieses Land als „sicheres Drittland“ eingestuft.
Dabei wird ignoriert, dass es laufend Verhaftungen und Rückschiebungen aus
den nördlichen Grenzstädten Nador und Tanger gibt und die Betroffenen in
den Großstädten Casablanca, Rabat und Fès einfach auf der Straße ausgesetzt
werden. Diejenigen, die keine Papiere haben, werden oftmals nach Oujda
abgeschoben, wo sie in einen Graben von sieben Metern Tiefe geworfen
werden, der ausgehoben wurde, um die Einreise von Migranten von Algerien
nach Marokko zu verhindern.
## Anerkannt und ohne Unterstützung
Doch auch denjenigen Migranten, die vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und
vom marokkanischen Staat anerkannt wurden, verweigert man die Ausstellung
eines Reisepasses. Der Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Krankenhäusern ist
ebenso äußerst eingeschränkt.
Es besteht nur dann eine Chance auf Behandlung wenn ein Mitarbeiter einer
antirassistischen Gruppe oder NGO sie begleitet. Des Weiteren erweist sich
der Zugang zur Schulausbildung für Migrantenkinder trotz behördlicher
Regelung als sehr schwierig, denn es gibt keinerlei Unterstützungs- oder
Begleitmaßnahmen, die dem Umstand gerecht werden, dass die meisten Eltern
in enorm prekären Verhältnissen leben. In einzelnen Schulen kommt es sogar
vor, dass Flüchtlingskinder schlicht und einfach abgewiesen werden. Ein
anderes Bespiel für eine besonders schwerwiegende Form der Diskriminierung
sind subsaharische Flüchtlinge, die auf der Straße betteln. Im Gegensatz zu
syrischen und marokkanischen Bettlern werden sie häufig festgenommen,
eingesperrt oder an die algerische Grenze abgeschoben.
Die repressive und menschenrechtsverachtende Politik der EU wird die
Migration aus Subsahara-Afrika sicher nicht stoppen können. Sie wird
höchstens zu einer Verschiebung der Migrationsrouten führen und die Zahl
der Todesopfer noch weiter in die Höhe treiben. Diese Erkenntnis sollte
Europa inzwischen erlangt haben und somit einen Kurswechsel in Richtung
einer humanistischen Politik, die die fundamentalen Rechte der Migranten
respektiert, vornehmen.
## Ausbeutung als Fluchtursache
Auch die Milliarden, die für die europäische Grenzsicherung und
Militarisierung ausgegeben werden, wird die Migration aus Subsahara Afrika
nicht stoppen können. Stattdessen sollte die EU den Mut aufbringen, die
wahren Migrationsursachen beim Namen zu nennen und dementsprechend zu
handeln. Dazu gehört einerseits die Tatsache, dass viele europäische
Konzerne kein Interesse an der Beendigung von bewaffneten Konflikten in
Afrika haben und andererseits die Tatsache, dass die Ausplünderung der
natürlichen Ressourcen durch multinationale Konzerne von europäischen und
afrikanischen Regierungen mitgetragen oder sogar gefördert wird. Solange
sich an diesen Ausbeutungsmechanismen und hegemonialen Machtverhältnissen
nichts ändert, werden die Menschen weiterhin ihre Länder verlassen.
Was das Engagement des Netzwerks „Afrique Europe“ betrifft, so haben wir
uns angesichts der aktuellen Lage dazu entschlossen, konkrete
Hilfsmaßnahmen für die subsaharischen Frauen zu ergreifen, die in Marokko
ankommen und keine Wohnmöglichkeit haben. Für sie haben wir ein Schutzhaus
mit dem Namen Baobab aufgebaut. Es steht ihnen und ihren Kindern offen und
hat Aufnahmekapazitäten für rund 20 Personen. Während der Bedarf an Plätzen
ständig zunimmt, können die Kapazitäten bedauerlicherweise nicht erweitert
werden. Zudem haben wir im September mit dem Aufbau eines
Schulbildungsprogramms für Flüchtlingskinder begonnen und bisher 30 Kinder
in die Schulen integrieren können. Für dieses Projekt sind wir auf der
Suche nach Einzelpersonen oder Organisationen, die eine Patenschaft für die
Schulbildung von Flüchtlingskindern in Marokko übernehmen möchten
Der Autor studierte in der Demokratischen Republik Kongo Ökonomie und war
in der Studierendenorganisation der Oppositionspartei „Union für Demokratie
und sozialen Fortschritt“(UPDS) aktiv. Im Jahr 2002 wurde er im Zuge einer
Demonstration gegen das Regime von Joseph Kabila inhaftiert, konnte jedoch
fliehen. Seit 2008 lebt und arbeitet er in den Niederlanden. Er ist
antirassistischer Aktivist im Netzwerk Afrique Europe Interact und Autor
des Buches „Mein Weg vom Kongo nach Europa – zwischen Widerstand, Flucht
und Exil“ (2015).
14 Dec 2016
## AUTOREN
Emmanuel Mbolela
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