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# taz.de -- Integration von Migranten in Marokko: Auf Sand gebaut
> Die EU, allen voran Spanien und Deutschland wollen Flüchtlinge und
> Migranten von Europa fernhalten. Das Kalkül geht nur zum Teil auf.
Bild: Senegalesen warten 2005 auf ihre Abschiebung aus Marokko
Marokko zeigte sich modern und weltoffen, als König Mohammed VI die
nationale Migrationsstrategie verkündete: Die Migrationspolitik des
nordafrikanischen Landes erfuhr vor allem durch Forderungen des Nationalen
Menschenrechtsrat CNDH 2013 einen Paradigmenwechsel. Im Zuge dieser noch
immer anhaltenden migrationspolitischen Bemühungen sollen Strukturen und
Integrationsmaßnahmen zur Aufnahme von Migranten in der Praxis
bereitgestellt werden. Die Regierung nannte es einen humanitären Akt, als
König Mohammed VI per Dekret 2014 etwa 13.000 Migranten legalisieren ließ.
Die Legalisierungspapiere schützen Migranten und Geflüchtete aus West- und
Zentralafrika allerdings nicht vor willkürlichen Festnahmen und
Abschiebungen innerhalb des Landes von Norden nach Süden. Nach Auslaufen
der einjährigen, sogenannten Regularisierungskampagne ist es aktuell nur
wenigen möglich, einen legalen Aufenthalt zu erhalten. Es ist nicht nur
wegen der weiterhin bestehenden Vorrangregelung für Marokkaner auf dem
Arbeitsmarkt, sondern auch wegen massiver rassistischer Vorurteile extrem
schwer, eine Anstellung zu finden. In den wenigen legalen
Arbeitsverhältnissen erschweren verschwindend geringe oder nicht
ausgezahlte Löhnen die Existenzsicherung. Der fehlende Zugang zu Wohnraum,
Bildung und medizinischer Versorgung stellt weiterhin eine große Hürde für
Migranten dar.
Rassismus gegenüber Geflüchteten ist gesellschaftlich und institutionell
etabliert und wird auf politischer Ebene nicht diskutiert. Bei der
Betrachtung der Lebensbedingungen von Migranten in Marokko darf zudem nicht
in Vergessenheit geraten, dass die marokkanische Bevölkerung ebenfalls
unter einem maroden Bildungs- und Gesundheitssystem sowie hoher
Arbeitslosigkeit leidet.
Neben diversen EU-Abkommen mit Marokko pflegt nicht nur Spanien, sondern
auch Deutschland bilateral enge Beziehungen und bemüht sich seit 2013 auf
der Ebene entwicklungspolitischer Zusammenarbeit im Bereich Migration vor
Ort Fuß zu fassen. Bundesinnenminister Thomas de Mazière konzentrierte sich
im Februar 2016 auf der europäisch-afrikanischen Konferenz über Migration
in Rabat vor allem auf die erneute Festigung der Rückübernahmeabkommen
zwischen beiden Ländern sowie den Rückgriff auf Marokkos
national-staatliche biometrische Datenbank.
Thomas Oppermann (Fraktionsvorsitzender, SPD) rückte im Oktober 2016 in
Rabat die Zufriedenheit über Integrationsbestrebungen und das Engagement
hinsichtlich der nationalen Migrationsstrategie ins Zentrum. In diesem
Sinne wird durch die Bundesregierung in Integrationsprogramme investiert.
Die Bestrebungen, Marokko zu einem so genannten „sicheren Herkunftsland“ zu
erklären, halten weiterhin an. Der Versuch, die Weiterwanderung von
Migranten temporär zu beherrschen, spiegelt sich in der
Regularisierungskampagne, aber auch in der Konjunktur von
Integrationsprogrammen wider.
## Ein neuer Akteur im Feld
Als größter Player mit deutschem Hintergrund lanciert die deutsche
Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) aktuell vier
umfangreiche Projekte im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und des Auswärtiges Amtes (AA) mit den
Schwerpunkten Flucht, Asyl und Integration. Gesamtvolumen sind ca. 14,5
Millionen Euro. Sie stellen deutsche Expertise im Bereich
Asylgesetzgebungsentwicklung zur Verfügung und befassen sich mit
Integrationsmaßnahmen für rückkehrende Marokkaner und ankommende Migranten
in Marokko.
Erklärtes Ziel innerhalb der Integrationsprojekte ist die Kommunikation mit
den Kommunen. Im Norden des Landes, an den exemplarischen Orten des
Transits, sind die Projekte der GIZ in der Zivilgesellschaft und unter
lokalen Vereinen weitgehend unbekannt.
Veröffentlichungen der GIZ in diesem Zusammenhang sind häufig wenig
fundiert, da EU-migrationspolitische Zusammenhänge, Abhängigkeiten und
historisch-politische Hintergründe ausgelassen werden. Beispielsweise wird
in einer kürzlich erschienenen Veröffentlichung, in der sich die GIZ als
„Integration Strategy Group“ präsentiert, der Verein Al Khaima in Tangier
für Engagement im Bereich Integration als good practice angeführt. Dessen
Vertreter beanstanden, durch die GIZ nicht informiert worden zu sein und
veröffentlichten einen Beschwerdebrief an das Unternehmen: „Wir halten es
nicht für angemessen, Tangier als Beispiel für Integrationsfragen im
mediterranen Raum heranzuziehen, da es sich um eine Stadt an der
Außengrenze handelt und es gerade aus diesem Grund zu zahlreichen
Rechtsbrüchen und Gewalt gegenüber Migranten kommt.“
Al Khaima benennt in dem Schreiben beispielsweise die willkürlichen
Festnahmen Migranten, Zwangsräumungen, die vor allem in dem migrantisch
geprägten Viertel Boukhalef stattfinden und die mangelnde Beachtung der
Situation unbegleiteter Jugendlicher im Norden des Landes. Aufgrund dieser
Rechtsbrüche weigert sich der Verein als Vorbild herangezogen zu werden: „
(…) wir (möchten) als Verein nicht in einem Dokument legitimierend
aufgeführt werden, das vorgibt, Tangier wäre ein Beispiel im Bereich
Integration.“
Bisher werden Integrationsansätze in Marokko mit Hilfe deutscher Präzision
auf Sand gebaut. Das kritisiert auch der Koordinator einer
Beratungseinrichtung für Migranten: „Marokko versucht, Themen umzusetzen,
für die Kompetenzen und Verwaltungsstrukturen fehlen. Es geht um ein Image
von Demokratie und um das neue Marokko. Es ist absurd, so zu tun, als ob
internationale Asyl- und Aufnahmestandards umgesetzt werden könnten,
während Menschen aus Marokko fliehen, weil sie wegen Homosexualität oder
politischer Aktivitäten verfolgt werden. Selbstverständlich sieht es gut
aus, als sicherer Herkunftsstaat deklariert zu werden – das ist nach Außen
ein glänzender Diskurs und Innen eine eiserne Hand.“
## Integration ohne Ziel
Das BMZ ist über die Caritas Deutschland zusammen mit der Coopération
Suisse (Schweizerisches Koorperationsbüro) größter Geldgeber des aktuellen
Caritas Marokko Projektes Qantara (dt.: Brücke) im Bereich humanitäre
Notversorgung und Integration von Migranten mit einer Laufzeit von 2016 bis
2019 und einem Jahresvolumen von 460.000 Euro). Innerhalb dessen werden die
drei Anlaufstellen für Migranten (aufenthaltsrechtliche Beratung und
Unterstützung und Begleitung in sozialen Notlagen) in Rabat, Casablanca und
Tangier weiter betrieben sowie weitere Projekte unter anderem in Meknès
sowie Fès etabliert.
Das Projekt soll laut Projekttitel „Eine Brücke zwischen Migranten und der
marokkanischen Gesellschaft“ schaffen und setzt den Zugang von Migranten in
die marokkanische Institutionen wie zum Beispiel in öffentliche
Dienstleistungen, Gesundheit, Bildung und Arbeitschancen ins Zentrum. Es
sollen keine neuen spezifischen Orte für Migranten etabliert, sondern
bestehende Strukturen genutzt werden. In diesem Sinne werden Kooperationen
beispielsweise mit dem Bildungsministerium angestrebt, um Schulplätze für
ankommende Kinder zu schaffen.
Neu im Programm der Anlaufstellen sind zur Vorbereitung auf Schule und
Arbeit arabische Sprachkurse für Kinder und Erwachsene. Außerdem werden
Personen mit Rückkehrwunsch in ihr Heimatland an die Internationale
Organisation für Migration (IOM) oder für Asylfragen an das
UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR vermittelt. Bis zum Jahresbeginn 2016 verband
Caritas und IOM eine enge Kooperation hinsichtlich der freiwilligen
Rückkehr, in dessen Rahmen die Caritas für die Unterbringung von Personen
zuständig war, die bereits auf den Termin ihrer Rückkreise warteten. Diese
Zusammenarbeit wurde von Seiten der Caritas beendet.
Aus internen Kreisen heißt es, dass sich die Caritas nicht für die
Unterbringung von Personen zuständig fühle, die bereits Teil des IOM
Programms seien. Mit dem sogenannten Integrationsprojekt „Qantara“ steht
die Caritas vor der paradox erscheinenden Herausforderung, Migranten den
Zugang zu Institutionen zu ebnen, in einem Land in dem es nahezu unmöglich
ist einen legalen Aufenthalt zu erhalten und der Ausschluss von
öffentlichen Dienstleitungen, Arbeitsmarkt, Bildungs- und Gesundheitssystem
institutionalisiert ist.
## Keine Papier – keine Versorgung
Die angestrebte Verbindung im Projekt „Qantara“ von humanitärer Nothilfe
und Integrationsstrategien ist ein exemplarisches Beispiel für den Wandel
hin zu einer Konjunktur des Integrationsbegriffes. Die Finanzierung erfolgt
aus Mitteln der Öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (ODA).
„Selbstverständlich ist es sinnvoller für EU-Länder, zu sagen, wir
unterstützen Marokko bei der Integration von Migranten, als zu sagen, wir
versuchen innerhalb Marokkos die Rechte von Migranten sichtbar und
durchsetzbar zu machen – denn zweites würde bedeuten, dass Marokko diese
Rechte bisher nicht respektiert“, stellt eine Mitarbeiterin der Caritas
klar. So wird gleichzeitig ein gutes Verhältnis zum Königreich gepflegt und
die Projektarbeit mit dem Fokus der Integration erhöht die Chancen,
Menschen in Marokko bereits vor dem aktiven Grenzübertritt zum Bleiben zu
bewegen.
Aktuell wird keine Direktversorgung für Migranten ohne Papiere aus
staatlicher Hand gewährleistet, weshalb die katholische Kirche neben
einzelnen Organisationen auf einsamem Posten kämpft. Die soziale
Basisarbeit wird weiterhin von rudimentärer Versorgung bestimmt – „um
Menschen eine Perspektive bieten zu können braucht es weitaus mehr als
finanzielle Mittel und mehr finanzielle Mittel“, so die Mitarbeiterin der
Caritas.
Man sei sich im Klaren über das, was die europäischen Geldgeber im Rahmen
der aktuellen EU-migrationspolitischen Linie wollen – Menschen zum Bleiben
bringen – aber eben auch darüber, was realistisch in der alltäglichen
Arbeit umsetzbar ist. Der neue Qantara-Projektflyer verspricht, solche
Personen über Ausbildungen und Arbeitsvermittlung integrieren zu wollen,
die dies wünschen. Und auch ein Blick in die alltägliche Caritasarbeit
macht deutlich, dass die sozialpädagogischen Mitarbeiter es nicht als ihren
Auftrag betrachten, Menschen vom Bleiben zu überzeugen: „Wer weiter will,
ist nicht davon abzuhalten! Wir versuchen, mit begrenzten Möglichkeiten,
individuell und direkt zu unterstützen, unabhängig davon, ob es um
Zukunftsperspektiven oder Notfallversorgung geht.“
Generell verhält sich die Caritas in der marokkanischen Öffentlichkeit
diskret, eine politische Positionierung sucht man vergeblich. „Sie werden
toleriert, vor allem, weil sie eine Arbeit machen, die eigentlich der Staat
machen müsste.“ betont eine Aktivistin in Marokko. Als ausländische
Organisation steht die Caritas aber unter dem permanenten Risiko, des
Landes verwiesen zu werden. Erst im Januar 2016 wurde Pater Esteban
Velasquez, Leiter der Erzdiözese Migration Tanger, in Nador langfristig die
Einreise verweigert. Er hatte im Raum Nador humanitäre Unterstützung für
Migranten organisiert. Sollte die Caritas einmal öffentlich kundtun, ihre
Arbeit bestehe aus der Versorgung von Verletzten durch marokkanische
Autoritäten, würden die Anlaufstellen vermutlich geschlossen werden.
## Menschenrechte als Deckmantel
Das Königreich will sich im öffentlichen Diskurs das Image einer
unabhängigen Migrationspolitik zurückholen und nicht länger als Gendarmerie
der EU gelten. So wird die auf Hochglanz polierte ehrgeizige nationale
Migrationsstrategie vorgelegt und es werden strategische Entscheidungen
auch innerhalb von EU-Kooperationsprojekten offiziell nicht aus der Hand
gegeben.
Die Praxis zeigt aber, dass die Arbeit als Partner der EU fürs Grobe an den
hochgerüsteten europäischen Grenzzäunen entlang der spanischen Exklaven
Ceutas und Melillas wie auch an Marokkos Küsten und an den nördlichen
Grenzorten weiterhin ernst genommen und umgesetzt wird. Die Zusammenarbeit
mit der EU ist eindeutig von hierarchischen Nord-Süd-Strukturen, aber auch
von beidseitigem Profit gekennzeichnet. Das nordafrikanische Land kann
Migrationsbewegungen als Druckmittel nutzen und auf Handlungsspielräume
hoffen, wenn es um ökonomische Forderungen, die Stärkung der Rechte von
Marokkaner im europäischen Ausland oder etwa die Anerkennung der durch
Marokko annektierten Westsahara geht. In Bezug auf aktuelle Projekte zu
Flucht, Asyl und Integration in Marokko profitieren europäische Geldgeber
davon, dass Menschen in Marokko fixiert werden.
Die Autorin promoviert am Institut für Europäische Ethnologie der HU-Berlin
zu humanitärer Intervention und Migration im Transit in Tangier/Marokko.
Sie ist Stipendiatin der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Mitglied bei Kritnet und
aktiv im Alarm Phone sowie anderen Bündnissen der nationalen und
internationalen Migrationsssolidarität.
14 Dec 2016
## AUTOREN
Nina Schwarz
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Lesestück Recherche und Reportage
sichere Herkunftsländer
Asylpolitik
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