# taz.de -- Kommentar Fluchtgründe in Afrika: Die Hoffnung stirbt zuletzt | |
> Unser Autor stammt aus Äthiopien. Seit Jahren lebt er im Exil. Er glaubt, | |
> dass die Repression Menschen außer Landes treibt. | |
Bild: Angela Merkel auf Staatsbesuch in Äthiopien | |
Es war ein freundlicher warmer Frühlingstag im Jahr 2015, als ich zum | |
ersten Mal in Berlin landete. Ich kam aus Slowenien. Am Flughafen | |
Berlin-Tegel gab es keine Kontrollen. Ich weiß, das ist ein Privileg der | |
Bewohner der Schengen-Zone. Wäre ich von außerhalb Europas eingereist, wäre | |
das Ausmaß der Durchleuchtung einschüchternd gewesen. | |
Ich hatte keinen normalen Pass. Außerhalb Afrikas muss ich den | |
Flüchtlingspass benutzen, den das UNHCR in Uganda ausstellt. Ich lebe im | |
Uganda im Exil, seit Äthiopiens Regierung 2010 die von mir mitgegründete | |
Zeitung dichtmachte. | |
Seit Jahren hatte ich darauf gewartet, in das vielgepriesene Berlin zu | |
kommen. Berlin, hatte ich gehört, ist wie eine Erinnerung an das Paris der | |
1920er Jahre, wo Künstler zusammenströmen, um in schöpferische Inspiration | |
einzutauchen. Ein paar Tage vor meiner Ankunft hatte mir ein Freund das | |
Gedicht „The Celebration“ des in Syrien geborenen | |
palästinensisch-schwedischen Dichters Ghayath Almadhoun geschickt, auf | |
Youtube. Der Dichter denkt über den Unterschied zwischen Krieg und | |
Revolution nach. Er kommt nach Berlin, in diese wiederaufgebaute Stadt, und | |
dort, so rezitiert er, „liegt ein Geheimnis, das jeder kennt // Das Problem | |
mit dem Krieg sind nicht die, die sterben // Sondern die, die weiterleben | |
// Danach“. | |
Als ich August wieder nach Berlin kam, hatte ich mehr Zeit. Ich besuchte | |
Museen, ging auf Kunstmessen, trank in Bars und lief nachts durch die | |
Straßen wie Ricardo Reis, der Protagonist in Jose Saramagos Roman, der | |
durch Lissabon stromert und mit Fernando Pessoas Geist spricht. Und, ganz | |
wichtig: ich traf viele Flüchtlinge, aus meinem Heimatland Äthiopien und | |
darüber hinaus. Ich traf sie in Parks, in U-Bahn-Stationen, fast überall. | |
## Leben im Belagerungszustand | |
Eines Samstagabends saß ich im Park des Marx-Engels-Forums in Mitte und | |
unterhielt mich mit ein paar Flüchtlingen aus Äthiopien und vom Horn von | |
Afrika, die die gefährliche Route über die Sahara und das Mittelmeer hinter | |
sich hatten. Die meisten leben seit mehr als einem Jahr in | |
Flüchtlingsunterkünften und warten auf ihren Aufenthaltstitel. Sie dürfen | |
nicht umziehen. Sie dürfen nicht arbeiten. Sie leben wie im | |
Belagerungszustand. Sie sind in Deutschland gestrandet. Sie wissen nicht, | |
ob sie bleiben dürfen oder abgeschoben werden. Aber sie hoffen. | |
Warum entscheiden sich Leute in so jungen Jahren, gerade einmal zwanzig, | |
für diese härteste aller Reisen, auf der sie alles opfern, sogar ihr Leben? | |
Sind es die blühenden Landschaften Europas, die sie anlocken? Bezahlt man | |
wirklich Tausende Dollar an Menschenschmuggler, um dann hier Sozialhilfe zu | |
kassieren? Oder sind es die Umstände zuhause, die sie verstoßen – | |
politische Repression und das Fehlen von Lebenschancen? | |
Armut allein treibt niemanden nach Europa. Äthiopien war vor der Revolution | |
1974 auch schon bitterarm, mit Hunger, Seuchen und Krieg. Die einzigen | |
Äthiopier, die damals nach Europa kamen, waren Studenten. Sobald sie fertig | |
studiert hatten, gingen sie zurück. Heute leben Millionen Äthiopier im | |
Ausland, und noch viel mehr möchten auswandern. Ich glaube, was die | |
Menschen aus ihrem Heimatland treibt, ist, dass Hoffnung rar geworden ist. | |
Das ist in vielen Ländern so, aus denen Flüchtlinge kommen. Was hat | |
Hoffnung zur Rarität gemacht? | |
## Ins Exil getrieben | |
Je repressiver Äthiopiens Regierung wird, desto mehr Anerkennung und Hilfe | |
bekommt sie. Barack Obama lobte sie bei seinem Staatsbesuch 2015 als | |
„demokratisch gewählt“. Äthiopien wurde als wichtig für „Frieden und | |
Stabilität“ am Horn von Afrika gewertet. Aber wir wissen, dass unter dieser | |
zerbrechlichen Stabilität Wut und Frust kochen. Im vergangenen Jahrzehnt | |
wurden Journalisten inhaftiert oder ins Exil getrieben, politische | |
Aktivisten und Blogger verhaftet oder getötet. Alle unabhängigen | |
Bürgerorganisationen wurden geschlossen. | |
Hirten und Bauern werden von ihrem Land gejagt, im Namen der Entwicklung | |
und ohne alternative Lebensgrundlage. Niemand hört ihr Leid. Das abwürgende | |
politische Klima zwingt Menschen, die positiven Wandel einleiten könnten, | |
in die Flucht. Andere folgen. Um aus Ländern zu fliehen, in denen Hoffnung | |
rar ist, setzen Menschen ihr Leben aufs Spiel, unter Gefahr des Ertrinkens | |
im Meer oder des Abschlachtens wie Schafe, so wie es der IS mit | |
äthiopischen Flüchtlingen in der libyschen Wüste gemacht hat. | |
Als Angela Merkel neulich Äthiopien besuchte, demonstrierten in Deutschland | |
Angehörige der äthiopischen Diaspora. Sie wollten, dass Merkel die | |
äthiopische Regierung zu Reformen und politischer Öffnung drängt. Ich war | |
nicht so hoffnungsvoll, dass Merkel irgendetwas anders machen würde als | |
Obama. | |
## Die falsche Investition | |
Europa macht wieder einmal einen fürchterlichen Fehler: Es arbeitet mit | |
Unterdrückerregimen zusammen, um verzweifelte Flüchtlinge fernzuhalten. | |
Deutschland und die EU müssten in diesen Ländern in Hoffnung investieren. | |
Doch sie festigen vielmehr die Wurzeln des Problems, nämlich die | |
Unterdrückerregime. Sie zu stärken heißt, mehr verzweifelte Fluchtwillige | |
zu produzieren. Solange Menschen keine Hoffnung bei sich zuhause finden, | |
werden sie sie woanders suchen. | |
Seit sechs Jahren lebe ich in Uganda. Obwohl es viel ärmer ist als | |
europäische Länder, nimmt Uganda Hunderttausende Flüchtlinge aus all den | |
Krisenländern ringsum auf. Der einzige Unterschied: Anders als die | |
reicheren, stabileren europäischen Länder nennen Ugander es keine Krise, | |
wenn sie Menschen aufnehmen. Es ist eine Verpflichtung. | |
Aber nicht alle Flüchtlinge fühlen sich sicher in Uganda oder überhaupt in | |
Ostafrika. Aktivisten, Schriftsteller und Journalisten vor allem sorgen | |
sich um ihre persönliche Sicherheit. Manche, die das Wort ergreifen, wurden | |
getötet oder entführt. | |
Bevor mein Visum ablief, verließ ich Berlin und ging nach Kampala zurück. | |
Europa hat offensichtlich genug von Flüchtlingen. Sogar in Berlin greift | |
soziale Segregation um sich, hinter dem Feelgood-Hype: Araber leben neben | |
Arabern, Schwarze neben Schwarzen. Im Flugzeug nach Istanbul denke ich an | |
die Flüchtlinge unterwegs nach Deutschland. Manchmal ist Reisen besser als | |
Ankommen. | |
12 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Girma Fantaye | |
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