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# taz.de -- Regierungsbildung von Schwarz-Rot: Noch lange nicht ausverhandelt
> Am Freitag übernimmt die Hauptverhandlungsgruppe die
> Koalitionsgespräche. Viele Streitpunkte sind offen, der Zeitplan wackelt.
Bild: Jetzt wird's ernst
Fraglich ist, ob das ursprüngliche Ziel von CDU-Chef Friedrich Merz,
[1][die Regierungsbildung bis Ostern abzuschließen], noch erreicht wird.
Nur noch drei Wochen bleiben bis dahin, doch mittlerweile ist von der Frist
keine Rede mehr. In der Mitteilung der Generalsekretäre fehlt jegliche
Zeitangabe.
CSU-Chef Markus Söder hatte am Dienstag gesagt: „Es dauert so lange, wie es
dauert, bis es gut wird. Endlos wird es auf keinen Fall.“ Auch Merz will
sich nicht mehr auf Ostern festlegen. Nach der Aushandlung des
Koalitionsvertrags müssen die zuständigen Parteigremien dem Entwurf noch
zustimmen, und die SPD wird dazu eine Mitgliederbefragung durchführen.
Am Freitag beginnt dann die nächste Runde. Wie die Generalsekretäre von
CDU, CSU und SPD am Mittwoch bekanntgegeben haben, übernimmt dann in den
Gesprächen zum schwarz-roten Koalitionsvertrag die sogenannte
Hauptverhandlungsgruppe. Ihr gehören die Parteivorsitzenden und weitere
Spitzenvertreter*innen an. „Die Gespräche sollen vertraulich und im
Wechsel im Konrad-Adenauer-Haus, im Willy-Brandt-Haus und in der
Landesvertretung des Freistaats Bayern stattfinden“, heißt es in einer
gemeinsamen Mitteilung.
Wobei es mit der Vertraulichkeit so eine Sache ist: Bis Montagabend mussten
[2][Fachpolitiker*innen in 16 Arbeitsgruppen] ihre Vorarbeiten
abschließen und Ergebnispapiere abliefern. Viele dieser Papiere blieben
danach entgegen den Absprachen nicht intern, sondern kursieren seit
Dienstag in Berlin.
Darin zu sehen: Viele rot und blau markierte Passagen in Klammern – Inhalte
also, über die es noch keine Einigung gibt, sondern bei denen
Wunschformulierungen von SPD und Union nebeneinander stehen. „In den
vergangenen Wochen wurde intensiv, konstruktiv und mit großem
Verantwortungsbewusstsein verhandelt“, heißt es in der Erklärung der
Generalsekretäre über die erste Verhandlungsphase. Tatsächlich bleibt für
die nächste Runde aber noch reichlich Arbeit übrig. Es geht um mehr als
„letzte Uneinigkeiten und unklare Formulierungen“, wie es die Union für
diese Phase ursprünglich angekündigt hatte.
[3][Die verbliebenen Ampelminister und Nochkanzler Olaf Scholz] werden
womöglich noch etwas länger im Amt bleiben als gedacht. Sie erhielten am
Dienstag zwar schon ihre Entlassungsurkunden vom Bundespräsidenten. Das
sieht das Grundgesetz für den Tag, an dem ein neuer Bundestag
zusammentritt, zwingend vor. Bis das neue Kabinett ernannt ist, wird das
alte die Geschäfte aber weiter führen. Tobias Schulze
Migration: Es geht immer noch restriktiver
[4][In der Migrationspolitik haben sich die Koalitionäre bereits auf
massive Verschärfungen verständigt]. Die SPD stemmt sich nur noch gegen die
radikalsten Pläne der Union.
Beschlossen ist, dass Asylbewerber*innen an den deutschen Grenzen
zurückgewiesen werden sollen. Das verstößt gegen Europarecht, auch wenn die
Rückweisungen „in Abstimmung“ mit Nachbarstaaten stattfinden sollen, wie es
im Papier heißt. Ohnehin ist unklar, was genau die Formulierung bedeutet.
Ebenfalls geeinigt haben sich Union und SPD darauf, dass Geflüchtete mit
subsidiärem Schutz ihre Familie vorerst nicht mehr herholen dürfen. Auch
die Einstufung weiterer sicherer Herkunftsländer ist Konsens, etwa der
Maghrebstaaten oder Indien. Darüber soll die Bundesregierung ohne Bundestag
und Bundesrat entscheiden dürfen. Wer aus so eingestuften Ländern kommt,
erhält fast nie Asyl in Deutschland.
Abschiebungen nach Afghanistan sollen weiterlaufen, die nach Syrien wieder
aufgenommen werden, „beginnend mit Straftätern“ – es dürfte bald also a…
Unbescholtene treffen. Auch das Aufnahmeprogramm für afghanische
Menschenrechtler*innen wird beendet. Und der gerade erst eingeführte
Rechtsbeistand für Abzuschiebende wird wieder gestrichen.
Uneinig sind sich SPD und Union dagegen bei der Frage, ob Asylverfahren in
Drittstaaten ausgelagert werden. Die Union ist dafür und will, dass
Geflüchtete selbst bei positiven Asylentscheiden dort bleiben. Ohnehin gibt
es aber Zweifel, ob das Modell umsetzbar ist. Auch bei der grundlegenden
Funktionsweise der Asylverfahren gibt es Dissens. Die Union möchte im
Gegensatz zur SPD den Amtsermittlungsgrundsatz aufheben, der die Behörden
verpflichtet, Infos zu beschaffen. Stattdessen sollen die Geflüchteten
selbst Beweise liefern, dass ihnen im Herkunftsland Gefahr droht. Das wäre
in vielen Fällen wohl unmöglich.
Beim Staatsbürgerrecht fordert die Union zwar nicht mehr, die Reform von
2024 zurückzunehmen. Sie will aber Doppelstaatsbürgern den deutschen Pass
entziehen, wenn sie „Terrorunterstützer, Antisemiten und Extremisten“ sind.
Die SPD ist dagegen, genauso wie gegen die leichtere Ausweisung von
Ausländer*innen. Außerdem lehnt die SPD die Forderung ab, Zeit im
humanitären Aufenthalt nicht mehr bei der Einbürgerung zu berücksichtigen.
Geflüchtete Ukrainer*innen könnten sich dann etwa nicht nach den fünf
Jahren Aufenthalt in Deutschland einbürgern lassen, die dafür sonst nötig
sind. Streit gibt es auch noch bei den Möglichkeiten für Geduldete, einen
Aufenthaltstitel zu erlangen. Während die SPD dafür das
Chancenaufenthaltsrecht verlängern will, ist die Union für dessen Ende.
Frederik Eikmanns
Innere Sicherheit: Horst Seehofer lässt grüßen
Zur inneren Sicherheit enthält das der taz vorliegende Arbeitspapier schon
einige Einigungen unter dem Stichwort „Zeitenwende in der Inneren
Sicherheit“. Die Koalition wolle für eine „Sicherheitsoffensive“ die
„europa- und verfassungsrechtlichen Spielräume ausschöpfen“, wobei auch KI
helfen soll. [5][Der biometrische Abgleich mit zugänglichen Internetdaten
soll ermöglicht], der Datenaustausch von Sicherheitsbehörden verbessert
werden. Kritisch aufhorchen lässt, dass man „Risikopotentiale bei Personen
mit psychischen Auffälligkeiten“ frühzeitig erkennen will. Gegen hybride
Bedrohungen soll es eine „Nationale Cybersicherheitsstrategie“ geben,
Zivil- und Katastrophenschutz sollen gestärkt und kritische Infrastruktur
soll besser geschützt werden.
Besonders noch strittige Vorstöße der Union erinnern an
Law-and-Order-Hardliner wie Horst Seehofer: Dystopisch mutet etwa der
Vorschlag an, automatische Gesichtserkennung an Bahnhöfen, Flughäfen und
„Kriminalitäts-Hotspots“ einzuführen. Damit will die Union „schwere
Straftäter“ identifizieren, betroffen wären davon bei automatischer
Gesichtserkennung aber natürlich alle. Datenschützer*innen dürften im
Dreieck springen, die SPD will das nicht mittragen.
Ebenso strittig: Die Union will digitale Kommunikationsdienste „im
Einzelfall“ verpflichten, verschlüsselte Inhalte zu entschlüsseln und an
Sicherheitsbehörden weiterzugeben. Auch das wäre ein neues Einfallstor für
flächendeckende Überwachung. Ebenso ist die Vorratsdatenspeicherung nicht
totzukriegen: Nicht einig ist man sich da allerdings lediglich bei der
Dauer der Speicherung von IP-Adressen. Die Union schlägt laut Papier 6
Monate vor, der SPD vermerkt „noch nicht geeint“.
Deutlicher clasht es beim Bundespolizeibeauftragten, den die Union am
liebsten wieder abschaffen würde. Die SPD würde die Befugnisse für die
parlamentarische Kontrollinstanz der Polizei hingegen gerne ausbauen – der
Polizeibeauftragte soll künftig auch beim Zoll für „Transparenz“ sorgen u…
das Vertrauen in der Bevölkerung stärken. Vertrauen verspielt hatten die
Sicherheitsbehörden auch bei der bis heute nicht restlos aufgeklärten
rechten Terrorserie des NSU. Die Union sperrt sich trotzdem gegen ein
NSU-Dokumentationszentrum. Gareth Joswig
Zivilgesellschaft: Union verprellt munter weiter
Mit ihrer [6][umstrittenen kleinen Anfrage] zur „politischen Neutralität“
von NGOs hat die Union viele Träger der politischen Bildung verunsichert.
Nun senden CDU und CSU während der Koalitionsverhandlungen mit der SPD ein
weiteres Signal, die Demokratieförderung auf Linie bringen zu wollen. Wie
die Arbeitsgruppe Innen, Recht, Migration und Integration in ihrem
Abschlusspapier festhält, will die Union das Bundesprogramm „Demokratie
Leben!“ künftig im Bundesinnenministerium (BMI) ansiedeln. Viel spricht
dafür, dass die Union dieses Ministerium für sich beanspruchen wird. Bisher
ist das Förderprogramm im Bundesfamilienministerium angelegt.
In der Zivilgesellschaft stößt die Idee auf Skepsis. „Es gibt keinen
inhaltlichen Grund für diesen Wechsel“, sagt Timo Reinfrank von der Amadeu
Antonio Stiftung zur taz. Im Gegenteil befürchtet Reinfrank eine stärkere
Kontrolle und Auslese bei vermeintlich zu linken Trägern. „Wer sich gegen
Rechtsextremismus engagiert wie wir, ist für Menschenrechte“, so Reinfrank.
Das sollte ein Anliegen auch der Union sein. Zudem warnt er vor einer
inhaltlichen Verschiebung bei den geförderten Projekten. Es bestehe die
Gefahr, dass politische Bildung noch stärker als bisher an das Ziel
Extremismusprävention gekoppelt werde. [7][Seit Jahren kritisieren Träger,
wie sehr die Politik Bildungsarbeit auf Prävention verengt.] Heike Kleffner
vom Bundesverband Opferberatungsstellen warnt vor „einer katastrophalen
Botschaft für die vielen zivilgesellschaftlichen Träger und Bündnisse“,
sollte die SPD in diesem zentralen Punkt nachgeben. Seit Jahren
verteidigten diese Träger Demokratie und Menschenrechte und stünden „oft
mit dem Rücken zur Wand“.
Offen ist allerdings, ob die SPD bei der Rochade mitspielt. Der zuständige
Chefverhandler Dirk Wiese äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht auf
taz-Anfrage. Interessant ist: In der Koa-Arbeitsgruppe zu Familie, Frauen,
Jugend, Senioren und Demokratie war der Umzug von „Demokratie Leben!“ ins
Innenministerium offenbar kein Thema. Die Kernbotschaft der Union ist aber
auch dort zu finden: „Wir stellen weiterhin die Verfassungstreue
geförderter Projekte sicher.“
Das Programm „Demokratie Leben!“ läuft seit 2015. In der aktuellen
Förderperiode (2025–32) werden unter anderem 333 Patenschaften für
Demokratie, 125 Innovationsprojekte und 16 Landesdemokratiezentren
gefördert. In diesem Jahr stehen rund 180 Millionen Euro dafür bereit.
Verbände fordern eine Verdoppelung der Mittel. Das Programm „Zusammenhalt
durch Teilhabe“ hingegen liegt bereits beim BMI. Ziel ist, den ländlichen
und strukturschwachen Raum zu stärken. Ralf Pauli
Klimaschädlich heizen, Strom verbilligen
Wie genau die künftige Regierung mit dem umstrittensten Projekt der Ampel,
dem Heizungsgesetz, umgehen wird, ist noch offen. Dem Abschlusspapier der
Arbeitsgruppe „Verkehr und Infrastruktur, Bauen und Wohnen“ zufolge soll
das Heizungsgesetz abgeschafft, die Heizungsförderung aber beibehalten
werden. Die Arbeitsgruppe „Klima und Energie“ dagegen hat in der Frage des
Gebäudeenergiegesetzes – wie das Heizungsgesetz offiziell heißt – einen
Dissens zwischen Union und SPD festgehalten.
Wahrscheinlich ist, dass die neue Koalition die Vorgaben für
klimafreundliches Heizen und die Wärmeeffizienz für Gebäude aufweichen
wird. Nach Ansicht der Naturschutzorganisation BUND wäre das ein großer
Rückschritt für den Klimaschutz, denn Gebäude sind für rund ein Drittel des
Energieverbrauchs in Deutschland verantwortlich. Drei Viertel werden noch
mit den Klimakillern Öl und Gas beheizt. „Schon heute reichen die
bestehenden Maßnahmen nicht aus, um die Klimaziele im Gebäudesektor zu
erreichen – eine Rolle rückwärts können wir uns schlicht nicht leisten“,
sagt Tobias Pforte-von Randow vom Deutschen Naturschutzring.
Die Verhandler:innen der Arbeitsgruppe Klima und Energie bekennen sich
zu den deutschen Klimazielen, einem entschlossenen Ausbau der Erneuerbaren
Energien und dem [8][Kohleausstieg bis spätestens 2038]. Am Ziel, zwei
Prozent der Fläche in den Bundesländern für Windenergie bereitzustellen,
will die SPD festhalten, die Union nicht. Die Christdemokrat:innen
wollen, dass die 2-Prozent-Vorgabe durch ein Ökostromziel ersetzt werden
kann. Die Union fordert außerdem „Potenziale konventioneller Gasförderung
im Inland“ zu nutzen, die SPD nicht.
Beim Thema Atomkraft konnten sich die Verhandler:innen nicht auf eine
gemeinsame Haltung verständigen. Die Union will festhalten, dass die
Atomkraft mit Blick auf den Klimaschutz eine bedeutende Rolle spielen kann.
Außerdem will sie eine „fachliche Bestandsaufnahme“, ob ein
[9][Wiederbetrieb der abgeschalteten deutschen Akw] möglich und
wirtschaftlich vertretbar ist. Da zurzeit kein Betreiber in Sicht ist, ist
das vor allem symbolisch.
Die Arbeitsgruppe will niedrigere Strompreise. Unternehmen und
Privatverbraucher:innen sollen um mindestens 5 Cent pro Kilowattstunde
Strom entlastet werden. Dazu sollen Stromsteuer, Umlagen und Abgaben
gedrückt werden. Zudem soll ein Industriestrompreis kommen. Anja Krüger
ÖPNV wird teurer, Fliegen günstiger
Das [10][Deutschlandticket] soll erhalten bleiben, aber ab 2027 teurer
werden – zumindest wenn es nach den Verhandler:innen der Arbeitsgruppe
„Verkehr und Infrastruktur, Bauen und Wohnen“ geht. Das bundesweit im ÖPNV
geltende Ticket kostet zurzeit 58 Euro im Monat. Eingeführt hatte es die
rot-grün-gelbe Bundesregierung. Es wird je zur Hälfte mit 1,5 Milliarden
Euro vom Bund und den Ländern finanziert. Die CSU hatte den Fortbestand mit
der Behauptung infrage gestellt, das Ticket nutze Bürger:innen auf dem
Land nichts. Im Abschlusspapier der Arbeitsgruppe heißt es, der Anteil der
Nutzerfinanzierung werde „ab 2027 schrittweise und sozialverträglich
erhöht“.
Mittelfristig will die Arbeitsgruppe, dass die neue Bundesregierung die
Konzernstruktur der Deutschen Bahn reformiert. Die Ampel hatte den
schwerfälligen Konzern, der zu 100 Prozent in Besitz des Bundes ist, unter
einem gemeinsamen Dach in zwei Teile gespalten. Die Gesellschaft InfraGo
ist für die Infrastruktur zuständig, der andere für den Betrieb. Viel mehr
als das Austauschen der Türschilder ist damit nicht erreicht worden,
monieren Kritiker:innen. Das könnte sich ändern. Beide Teile sollen weiter
entflechtet werden.
„Sowohl beim DB Konzern als auch bei der InfraGO soll eine Neuaufstellung
von Aufsichtsrat und Vorstand erfolgen, mit dem Ziel, mehr Fachkompetenz
abzubilden und eine Verschlankung zu erreichen“, heißt es in dem Papier.
Investitionen in das Schienennetz sollen gesteigert werden. Ob sie höher
ausfallen als die bisherige Regierung geplant hat, ist unklar. Die
Digitalisierung und Elektrifizierung von Strecken sollen aus dem Klima- und
Transformationsfonds finanziert werden. Die Sanierung von Wasserstraßen
auch.
Über die Einführung eines [11][Tempolimits auf Autobahnen] hat die
Arbeitsgruppe offenbar immerhin gesprochen. Die Union ist generell dagegen,
die SPD für ein Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde.
Impulse für bessere Radwege oder Fußgängerbereiche sind von der künftigen
Regierung nicht zu erwarten. „Der Fuß- und Radverkehr wir im Papier
stiefmütterlich behandelt“, kritisiert die Vorsitzende des ökologischen
Verkehrsclubs Deutschland (VCD) Kerstin Haarmann.
Ein großer Schritt rückwärts ist im Luftverkehr zu erwarten. Hier sollen
Steuern, Gebühren und Abgaben sinken. Als erstes soll die 2024 erfolgte
Erhöhung der Luftverkehrssteuer kassiert werden. Anja Krüger
Weniger Trump, weniger Schutz und mehr Datennutzung
„Wir wollen ein digital souveränes Deutschland“, heißt es im Einstieg des
Papiers der Koalitionsarbeitsgruppe Digitales. Abhängigkeiten sollen
abgebaut werden, Schlüsseltechnologien entwickelt und resiliente
Produktionsketten für wichtige Industrien aufgebaut werden, etwa für die
Produktion von Chips. Das Bekenntnis zu digitaler Souveränität dürfte sich
vor allem aus den jüngsten Entwicklungen in den USA speisen: [12][Unter
Trump] ist mehr denn je unklar, wie verlässlich digitale Infrastruktur,
Software und Dienste made in USA sind. Wenn die künftige Koalition diesen
Grundsatz ernst nehmen will, müsste sie aber auch dort hinschauen, wo es
weh tut, und die Nutzung von Produkten von US-Anbietern wie Microsoft in
staatlichen Institutionen abbauen.
Einen Konflikt zwischen den Verhandlern gibt es beim Thema Verschlüsselung.
Die SPD wünscht sich laut dem Papier eine Ergänzung, die klarstellt, dass
die künftige Koalition eine Beschränkung von Verschlüsselung und den
verpflichtenden Einbau von Hintertüren ablehnt. Verschlüsselung ist
mittlerweile etwa bei Messengerdiensten Standard, und Hintertüren würden
diese schwächen. Darauf will die Union sich anscheinend nicht festlegen,
ebenso wenig darauf, dass IT-Schwachstellen schnellstens geschlossen werden
sollen und Anonymität im Internet weiterhin möglich sein soll.
Die Verhandler:innen wollen die „vorhandenen Spielräume“ der
[13][Datenschutz-Grundverordnung] nutzen. Das darf wohl als Ansage
verstanden werden, bestehende Regeln zum Schutz der Privatsphäre zu
schwächen. Dazu passt, dass „Datenschätze“ gehoben werden sollen und eine
„Datenökonomie“ entstehen soll. Das könnte etwa bei Mobilitäts- und
Gesundheitsdaten relevant werden. Die Union will laut dem Papier die
Bundesdatenschutzbeauftragte (BfDI) in „Beauftragte für Datennutzung,
Datenschutz und Informationsfreiheit“ umbenennen. In der Diskussion ist
zudem, den Landesdatenschutzbehörden die Aufsicht über die Wirtschaft zu
entziehen und bei der, dann womöglich auf wirtschaftsfreundlich getrimmten,
Bundesbeauftragten anzudocken. Hier soll nun die Steuerungsgruppe
entscheiden. Svenja Bergt
Interessen vor Entwicklung
Großes Streitthema ist die Zukunft des Entwicklungsministeriums. Die Union
will es ins Auswärtige Amt eingliedern, die SPD ist strikt dagegen. CDU/CSU
argumentieren, die Zusammenführung erhöhe die Effizienz. Sozialdemokraten
und auch Entwicklungsorganisationen fürchten, der
Entwicklungszusammenarbeit werde weniger Bedeutung zugemessen, während viel
Zeit für die Neuordnung verloren gehe. Die Entwicklungsexperten
Stephan Klingebiel und Jörg Faust bezweifeln, dass eine Zusammenführung zu
mehr Effizienz führe. Sie fordern stattdessen eine bessere Koordination der
Ministerien. Das wollen beide Parteien auch in der Einrichtung eines
Nationalen Sicherheitsrats erreichen.
Zweiter Streitpunkt ist das Geld. Die SPD will mindestens die international
vereinbarten 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufwenden, die Union
will eine Absenkung des derzeitigen Niveaus. Zahlreiche
Entwicklungsorganisationen schlugen am Mittwoch Alarm, dass weitere
Kürzungen im Entwicklungsetat angesichts eines weltweiten Rückzugs, allen
voran von den USA und Großbritannien, fatale Auswirkungen habe.
Menschenleben stünden schon jetzt auf dem Spiel.
Vor diesem Hintergrund bleibt der Kompromiss, die Entwicklungspolitik solle
„zugleich werte- und interessengeleitet“ sein, eine Worthülse. Die
gemeinsamen Schwerpunkte des Papiers der Arbeitsgruppe 12 zu
Entwicklungspolitik sind Rohstoffsicherung, Energiepartnerschaften und
wirtschaftliche Zusammenarbeit. Auch der Fokus auf Bedingungen, etwa dass
Empfängerländer Geflüchtete zurücknehmen und Migration bekämpfen, stellt
deutsche Interessen in den Vordergrund. Hinzu kommt: Die Förderung von
Unternehmen im Export und bei Investitionen im Globalen Süden erlebt ein
Revival. Leila van Rinsum
Keine Katastrophe bei Tierschutz und Landwirtschaft
„Eine Vollkatastrophe ist das nicht“, sagt die Grünen-Abgeordnete Zoe Mayer
der taz über die Zwischenergebnisse der Koalitionsgespräche von
[14][CDU/CSU] und SPD zu Landwirtschaft und Ernährung. Aber die kommende
Bundesregierung zeige sich „atemberaubend ambitionslos“. Das klingt aus dem
Mund einer Oppositionspolitikerin doch fast wie ein Kompliment. Positiv aus
Sicht von [15][Umwelt- und Tierschützern] ist, dass die
Möchte-gern-Koalitionäre die verpflichtende staatliche Kennzeichnung der
Tierhaltungsform von Fleisch nicht abschaffen, sondern zum Beispiel auf
weitere Tierarten und Lebensphasen des Viehs ausweiten wollen. Sie
beabsichtigen auch, „den tierwohlgerechten Stallbau“ auf Grundlage
staatlicher Verträge dauerhaft finanzieren. „Wir führen ein Prüf- und
Zulassungsverfahren für Stallsysteme ein“, ergänzen die Verhandler.
Tierschützer fordern seit langem so einen „Tierschutz-TÜV“.
Aber es findet sich im der taz vorliegenden Verhandlungspapier kein Wort
dazu, den klimaschädlichen Fleischkonsum auf das gesundheitlich vertretbare
Maß zu verringern. Auch nicht dazu, die Anbindehaltung von Rindern zu
verbieten, bei der die Tiere dauerhaft etwa mit Ketten oder Metallrahmen
fixiert werden. Die Stiftung Vier Pfoten etwa vermisst unter anderem
Beschränkungen von Tiertransporten.
Das Papier sieht auch Rückschritte vor. Zum Beispiel wollen Union und SPD
die Stoffstrombilanz im Düngerecht abschaffen, mit der die Menge von
Pflanzennährstoffen wie Stickstoff berechnet wird, die die Höfe in die
Umwelt abgeben. Zu hohe Mengen könnten nach entsprechenden
Gesetzesänderungen sanktioniert werden. Es ist klar, dass zu viel Nährstoff
schädlich für Klima, Grundwasser und Artenvielfalt ist. Aber die
voraussichtlich künftigen Koalitionäre haben offenbar dem Bauernverband
nachgegeben, der Betriebe mit schlechten Bilanzen schützen will.
„Wir werden die Agrardiesel-Rückvergütung vollständig wieder einführen“,
schreiben die Unterhändler weiter. Das war die prominenteste Forderung der
Bauernproteste 2023/24. Die Landwirte sollen auch weiterhin rund 450
Millionen Euro jährlich an Energiesteuer auf den Diesel für Traktoren und
andere Landmaschinen erstattet bekommen. Einen fossilen Kraftstoff zu
subventionieren, wird mit Blick auf den Klimaschutz kritisiert. Der Anreiz,
treibhausgasintensiven Sprit einzusparen, fiele weg. Für Klima und Natur
wären aber zum Beispiel mehr Traktoren mit Anlagen sinnvoll, die den
Reifendruck so regeln, dass der Verbrauch sinkt. Auch Elektromotoren für
kleinere Maschinen würden ohne Dieselsubventionen deutlich
wettbewerbsfähiger. Jost Maurin
26 Mar 2025
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